Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 16

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»Uff, uff! Das freut mich nicht. Ich und Winnetou sind die besten Schwimmer unsers Stammes; was bedeutet da ein Sieg über einen so schlechten Schwimmer!«

»Und du bist bewaffnet, und ich bin es nicht! Ich gehe also dem Tode entgegen, und meine Gefährten haben sich auch darauf gefaßt gemacht, zu sterben. Dennoch möchte ich gern wissen, wie ich mir diesen Kampf zu denken habe. Wer hat eher in das Wasser zu gehen?«

»Du!«

»Und du folgst mir nach?«

»Ja.«

»Und wann greifst du mich mit dem Tomahawk an?«

»Wann es mir beliebt,« antwortete er mir mit dem stolzen, ja verächtlichen Lächeln eines Virtuosen, der mit einem Stümper spricht.

»Das kann also auch schon im Wasser geschehen?«

»Ja.«

Ich tat, als ob ich immer unruhiger, besorgter und niedergeschlagener würde, und fragte weiter:

»Also du darfst mich töten. Ich dich auch?«

Er machte ein Gesicht, in welchem die sehr deutliche Antwort lag: “Armer Wurm, daran ist ja gar nicht zu denken! Diese Frage kann dir nur von der Todesangst eingegeben worden sein!” und sagte dann:

»Es ist ein Schwimmen und Kämpfen auf Tod und Leben; du kannst also auch mich töten, denn nur falls dir dies gelingen sollte, wirst du imstande sein, die Zeder zu erreichen.«

»Und dein Tod würde mir nicht schaden?«

»Nein. Töte ich dich, so erreichst du das Ziel nicht, und deine Gefährten müssen sterben; tötest du mich, so gelangst du an die Zeder, und ihr seid von diesem Augenblicke an nicht mehr gefangen, sondern frei. Komm!«

Er dreht sich um, und ich zog meinen Jagdrock und die Stiefel aus. Was ich im Gürtel und in den Taschen stecken hatte, legte ich hin. Dabei klagte Sam:

»Es wird schief gehen, Sir, sehr schief. Wenn Ihr Euer Gesicht sehen könntet! Und der jammervolle Ton bei Euren letzten Fragen! Mir ist himmelangst um Euch und uns!«

Ich konnte ihm nichts antworten, weil die drei Häuptlinge es gehört hätten, aber ich wußte sehr wohl, warum ich so kläglich tat. Ich wollte Intschu tschuna sicher machen und, wie man sich vulgär auszudrücken pflegt, ihn auf den Leim führen.

»Noch eine Frage!« bat ich, ehe ich ihm folgte. »Bekommen wir unser Eigentum zurück, falls wir frei werden?«

Er stieß ein kurzes, ungeduldiges Lachen aus, denn er hielt diese Frage für geradezu verrückt, und antwortete:

»Ja, ihr bekommt es.«

»Alles?«

»Alles.«

»Auch die Pferde, die Gewehre?«

Da schnauzte er mich zornig an:

»Alles, ich habe es gesagt! Hast du keine Ohren? Eine Kröte wollte mit dem Adler um die Wette fliegen und fragte ihn, was er ihr geben würde, wenn sie ihn besiegte! Wenn du ebenso dumm schwimmst, wie du fragst, so schäme ich mich, daß ich dir keine alte Squaw zur Gegnerin gegeben habe!«

Wir gingen fort, durch den Halbkreis, welcher sich uns öffnete, dem Ufer zu. Ich kam da ganz in der Nähe von Nscho-tschi vorüber und fing von ihr einen Blick auf, mit welchem sie für das Leben von mir Abschied nahm. Die Indianer folgten hinter uns und lagerten sich dann beliebig nieder, um das interessante Schauspiel, das sie erwarteten, bequem zu genießen.

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich mich in der äußersten Gefahr befand. Ich mochte gerade, schief oder im Zickzack über den Fluß schwimmen, so war ich verloren, der Tomahawk des Häuptlings mußte mich treffen. Es gab nur einen Rettungsweg: durch das Tauchen, und da war ich glücklicherweise nicht der Stümper, für den mich Intschu tschuna gehalten hatte.

Aber selbst auf das Tauchen allein durfte ich mich nicht verlassen. Ich mußte doch empor um Atem zu holen, und bot dann meinen Kopf dem Tomahawk. Nein, ich durfte gar nicht wieder an die Oberfläche kommen, wenigstens vor den Augen der Roten nicht. Wie aber das anfangen? Ich musterte das Ufer auf-und abwärts und sah mit großer Befriedigung, daß die Oertlichkeit mir zu Hilfe kam.

Wir befanden uns, wie schon gesagt, auf der vollständig freien Sandfläche, doch oberhalb der Mitte derselben. Ihr aufwärts liegendes Ende, wo der Wald wieder begann, war nur etwas über hundert Schritte von mir entfernt, und noch weiter oben machte der Fluß eine Biegung, die ihn meinem Auge entzog. Abwärts lag das Ende der Sandlichtung, wohl vierhundert Schritte von mir entfernt.

Wenn ich ins Wasser sprang und nicht wieder heraufkam, so glaubte man mich wohl ertrunken und suchte nach meinem Körper; dies geschah jedenfalls abwärts; folglich lag meine Rettung in der entgegengesetzten Richtung, also aufwärts. Da sah ich zunächst eine Stelle, an welcher der Fluß das Ufer unterspült hatte; es hing über und war vortrefflich geeignet, mir eine kurze Zuflucht zu bieten. Weiter oben war allerlei Holzwerk angespült worden und hing so fest, daß ich es recht gut zu demselben Zwecke benutzen konnte. Vorher aber war es geraten, ein wenig ängstlich zu tun.

Intschu tschuna entkleidete sich bis auf die leichte, indianische Hose, steckte den Tomahawk in den Gürtel, nachdem er die anderen in demselben befindlichen Gegenstände entfernt hatte, und sagte dann:

»Es kann beginnen. Spring hinein!«

»Darf ich nicht erst probieren, wie tief es ist?« fragte ich verzagt.

Es ging ein unendlich verächtliches Lächeln über sein Gesicht; er rief nach einer Lanze. Man brachte mir dieselbe, und ich stieß sie in das Wasser. Sie erreichte den Boden nicht. Das war mir unendlich lieb, ich tat aber womöglich noch niedergeschlagener als vorher, kauerte am Wasser nieder und wusch mir die Stirne, wie Einer, welcher befürchtet, einen Schlaganfall zu bekommen, wenn er in das Wasser geht, ohne sich vorher abzukühlen. Es ließ sich hinter mir ein allgemeines Murren der Geringschätzung hören, ein sicheres Zeichen, daß ich meinen Zweck erreicht hatte, und die Stimme Sams rief:

»Um Gottes willen, kommt lieber wieder her, Sir! Das kann ich nicht ansehen. Sie mögen uns tot schinden. Das ist noch besser, als so ein Jammerbild vor Augen zu haben!«

Es kam mir unwillkürlich der Gedanke, was Nscho-tschi von mir denken werde. Ich drehte mich um. Das Gesicht Tanguas war der ganze, fleischgewordene Hohn; Winnetou hatte die Oberlippe emporgezogen, so daß man seine Zähne sah; er war wütend darüber, mir jemals seine Teilnahme geschenkt zu haben. Und seine Schwester hielt die Augen niedergeschlagen; sie sah mich gar nicht mehr an.

»Ich bin bereit,« herrschte Intschu tschuna mir zu. »Was zögerst du noch? Hinein mit dir!«

»Muß es denn wirklich sein?« fragte ich. »Geht es gar nicht anders?«

Es erscholl ein brausendes Gelächter, über welches Tanguas Stimme tönte:

»Gebt diesen Frosch frei! Schenkt ihm das Leben! An einen solchen Feigling darf kein Krieger seine Hand legen!«

Und mit dem grimmigen Knurren eines erzürnten Tigers schrie mich Intschu tschuna an:

»Hinein, sonst haue ich dir augenblicklich den Tomahawk ins Genick!«

Da stellte ich mich sehr erschrocken, setzte mich an den Rand des Flusses, hielt erst die Füße und dann die Unterschenkel in das Wasser und tat so, als ob ich recht hübsch langsam hineinrutschen wolle.

»Hinein mit dir!« schrie Intschu tschuna abermals und versetzte mir einen Fußtritt in den Rücken. Das hatte ich gewollt. Ich warf wie hilflos die Arme auseinander, stieß einen durchdringenden Angstschrei aus und plumpste in das Wasser. Im nächsten Augenblicke aber hatte die Verstellung ein Ende. Ich fühlte den Grund, stieß den Kopf hinab und schwamm, natürlich unter Wasser, aufwärts hart am Ufer hin. Gleich darauf hörte ich hinter und über mir ein Geräusch; Intschu tschuna war mir nachgesprungen. Wie ich später erfuhr, war es erst seine Absicht gewesen, mir einen Vorsprung zu lassen und mich dann an das jenseitige Ufer zu treiben, wo mich das Beil treffen sollte. Infolge meiner Feigheit aber gab er diesen Gedanken auf und sprang mir schnell nach, um mich zu erschlagen, sobald ich in die Höhe käme. Mit so einer Memme mußte kurzer Prozeß gemacht werden.

Ich erreichte die überhängende Uferstelle und tauchte auf, doch so, daß nur der Kopf bis zum Mund zum Vorschein kam. Niemand konnte mich sehen, als nur der Häuptling allein, weil er sich im Wasser befand. Zu meiner Freude hielt er sein Gesicht abwärts gerichtet. Ich holte tief und schnell Atem und ging wieder auf den Grund hinab, um weiter zu schwimmen. Dann kam ich an das angeschwemmte Holz, unter welchem ich auftauchte und wieder Atem holte; es verbarg meinen Kopf so vollständig, daß ich es wagen konnte, länger oben zu bleiben. Ich sah den Häuptling auf dem Wasser liegen wie ein Raubtier, welches bereit ist, augenblicklich auf seine Beute zu stoßen. Nun hatte ich noch die letzte, aber auch längste Strecke vor mir liegen, die bis zum Beginn des Waldes, wo Strauchwerk über das Ufer herab ins Wasser hing. Auch dort kam ich glücklich an und stieg, von diesem Gesträuch vollständig gedeckt, an das Ufer.

Ich mußte natürlich die erwähnte Krümmung des Flusses erreichen, um jenseits derselben nach dem jenseitigen Ufer zu schwimmen, und das geschah am schnellsten, indem ich dorthin lief. Vorher aber blickte ich durch die Büsche nach denen, die ich getäuscht hatte. Sie standen rufend und gestikulierend am Ufer, während der Häuptling, noch immer auf mich wartend, hin und her schwamm, obgleich ich unmöglich so lange hätte lebend unter Wasser bleiben können. Ob wohl Sam Hawkens jetzt an meine Worte: wenn ich ertrinke, so sind wir gerettet, dachte?

Nun lief ich im Walde weiter, so schnell wie möglich, bis ich die Biegung des Flusses hinter mir hatte, ging da wieder in das Wasser und kam fröhlich drüben an, jedenfalls nur infolge meiner Verstellung, also des Umstandes, daß sie mich für einen schlechten Schwimmer hielten, für einen Menschen, der sich vor dem Wasser fürchtete. Es war übrigens eine ganz plumpe List gewesen, durch welche sie sich hatten täuschen lassen, denn so, wie sie mich bisher kannten, hatten sie gar keine Veranlassung, mich für feig zu halten.

Drüben folgte ich dem Walde wieder abwärts, bis er zu Ende ging. Dort wieder hinter Büschen versteckt, sah ich zu meinem großen Vergnügen, daß mehrere Rote in das Wasser gesprungen waren und mit Lanzen nach dem ertrunkenen Old Shatterhand stocherten. Ich hätte nun in aller Gemächlichkeit nach der Zeder gehen können und dann gewonnen gehabt, tat dies aber nicht, denn ich wollte meinen Sieg nicht der List allein verdanken, sondern Intschu tschuna eine Lehre geben und ihn mir zugleich zur Dankbarkeit verpflichten.

Er schwamm noch immer suchend auf und ab; es kam ihm gar nicht in den Sinn, sein Auge herüber nach dem anderen Ufer zu richten. Ich glitt wieder in das Wasser, legte mich auf den Rücken, so daß nur die Nase und der Mund aus dem Wasser ragten, half durch leise, abwärts gerichtete Handschläge nach und ließ mich langsam forttreiben. Kein Mensch bemerkte mich. Als ich ihnen aber gegenüber angekommen war, tauchte ich wieder unter, schwamm ein Stück hinüber, kam dann empor und rief, das Wasser tretend, mit lauter Stimme:

»Sam Hawkens, Sam Hawkens, wir haben gewonnen gewonnen!«

Es hatte ganz das Aussehen, als ob ich an einer seichten Stelle stände. Die Roten hörten mich und blickten herüber. Welch ein Geheul erhob sich da! Es war, als ob tausend Teufel losgelassen seien und um die Wette brüllten. Wer so etwas auch nur einmal gehört hat, der vergißt es in seinem ganzen Leben nicht. Kaum hatte Intschu tschuna mich gesehen, so stieß er in langen, kraftvollen Schlägen aus und kam herübergeschwommen oder, richtiger gesagt, herübergeeilt. Ich durfte ihn nicht zu weit heranlassen und schoß wieder auf das jenseitige Ufer, das ich erklomm und wo ich dann stehen blieb.

»Fort, weiter fort, Sir!« schrie mir Sam zu. »Macht doch, daß Ihr an die Zeder kommt!«

Ja, daran konnte mich niemand hindern; auch Intschu tschuna hätte nicht vermocht, es zu verhüten; aber ich wollte ihm eben die beabsichtigte Lehre geben und entfernte mich nicht eher, als bis er ungefähr noch vierzig Schritte von mir entfernt war. Dann rannte ich fort, auf den Baum zu. Hätte ich mich im Wasser befunden, so wäre ihm wohl der Angriff mit dem Tomahawk gelungen, so aber war ich überzeugt, daß er sich des Schlacht-und Wurfbeiles nicht eher bedienen könne, als bis er das Ufer erreicht haben werde.

Der Baum war dreihundert Schritte von demselben entfernt. Als ich die Hälfte dieses Weges in schnellen Sprüngen zurückgelegt hatte, blieb ich wieder stehen und sah zurück. Eben stieg der Häuptling aus dem Wasser. Er ging in die Falle, welche ich ihm stellte. Einholen konnte er mich nicht mehr; höchstens sein Tomahawk konnte mich erreichen. Er riß ihn aus dem Gürtel und rannte vorwärts. Ich floh noch immer nicht; aber als er mir gefährlich nahe gekommen war, wendete ich mich wieder zur Flucht, doch nur scheinbar. Ich sagte mir folgendes: So lange ich ruhig stand, warf er das Beil sicherlich nicht, denn ich sah es kommen und konnte ihm ausweichen, während er, wenn er es behielt, mich einholen und niederschlagen konnte. Daß er werfen würde, war nur dann anzunehmen, wenn ich floh und ihm dabei den Rücken zukehrte, so daß ich die heranschwirrende Waffe nicht sah. Ich ergriff also zum Scheine die Flucht, tat aber höchstens zwanzig Sprünge und blieb dann, mich schnell umwendend, wieder stehen.

Richtig! Er hatte, um einen sicheren Wurf zu haben, im Laufe angehalten und das Beil um den Kopf geschwungen. Eben, als ich ihn wieder in das Auge faßte, schleuderte er es mir nach. Ich tat zwei, drei rasche Sprünge zur Seite es flog an mir vorüber und grub sich dann im Sande ein.

Das hatte ich gewollt. Ich rannte hin, hob es auf und ging nun, anstatt nach dem Baume zu eilen, dem Häuptlinge ruhigen Schrittes entgegen. Er schrie vor Grimm auf und kam wie ein Wütender auf mich zugesprungen. Da schwang ich den Tomahawk und rief ihm drohend entgegen:

»Halt, Intschu tschuna! Du hast dich in Old Shatterhand abermals getäuscht. Willst du dein eigenes Beil in den Kopf haben?«

Er hielt im Laufen inne und schrie:

»Hund, wie bist du mir im Wasser entkommen? Der böse Geist hat dir abermals geholfen!«

»Glaube dies nicht! Wenn hier von einem Geiste gesprochen werden muß, so ist es der gute Manitou, der mir beigestanden hat.«

Ich sah bei diesen Worten, daß seine Augen, wie unter einem heimlichen Entschlusse leuchtend, auf mich gerichtet waren, und fuhr, ihn warnend, fort:

»Du willst mich überraschen, mich angreifen; ich sehe es dir an. Tue dies ja nicht, denn es würde dein Tod sein!

Dir soll nichts geschehen, denn ich habe dich und Winnetou wirklich lieb; aber wenn du dich heranwagst, muß ich mich wehren. Du weißt, daß ich dir selbst ohne Waffe überlegen bin, und ich habe doch den Tomahawk. Also sei klug und «

Ich konnte nicht weiter sprechen. Der ihn beherrschende Grimm raubte ihm die ruhige Ueberlegung. Die Hände wie geöffnete Krallen nach mir ausstreckend, warf er sich mir entgegen. Schon glaubte er, mich zu haben, da glitt ich, mich schnell bückend zu Seite, und die Gewalt des Stoßes, mit welchem er mich hatte zu Boden bringen wollen, warf ihn selber nieder. Sofort war ich bei ihm, setzte ihm das linke Knie auf den einen, das rechte auf den andern Arm, faßte ihn mit der linken Hand beim Halse, schwang den Tomahawk und rief:

»Intschu tschuna, bittest du um Gnade?«

»Nein.«

»So spalte ich dir den Kopf.«

»Töte mich, Hund!« keuchte er unter dem vergeblichen Versuche, loszukommen.

»Nein, du bist der Vater Winnetous und sollst leben; aber unschädlich machen muß ich dich einstweilen. Du zwingst mich dazu.«

Ich schlug ihm die flache Seite des Tomahawk gegen den Kopf ein röchelnder Hauch; seine Glieder zuckten krampfhaft und streckten sich dann lang aus. Das hatte drüben, wo die Roten standen, das Aussehen, als ob ich ihn erschlüge. Es erscholl ein noch viel entsetzlicheres Geheul als das, welches ich vorhin gehört hatte. Ich band ihm mit dem Gürtel die Arme fest an den Leib, trug ihn zur Zeder und legte ihn dort nieder. Diesen unnützen Weg mußte ich machen, denn nach dem Wortlaute unserer Vereinbarung war ich gezwungen, die Zeder zu erreichen. Dann aber ließ ich ihn liegen und rannte schnell nach dem Flusse zurück, denn ich sah, daß viele Rote sich ins Wasser warfen, um herüberzuschwimmen, an ihrer Spitze Winnetou. Das konnte, falls sie nicht gewillt waren, Wort zu halten, gefährlich für mich und meine Gefährte werden. Darum rief ich, am Wasser angekommen, ihnen zu:

»Zurück mit euch! Der Häuptling lebt; ich habe ihm nichts getan; aber wenn ihr kommt, erschlage ich ihn. Nur Winnetou soll herüber; mit ihm will ich sprechen!«

Sie beachteten diese Warnung nicht; da bäumte Winnetou sich, um von allen gesehen zu werden, im Wasser empor und rief ihnen einige Worte zu, die ich nicht verstand. Ihm gehorchten sie, indem sie umkehrten, und er kam allein herüber. Ich erwartete ihn am Wasser und sagte, als er aus demselben stieg:

»Das war gut, daß du deine Krieger zurückschicktest, denn sie hätten deinen Vater in Gefahr gebracht.«

»Du hast ihn mit dem Tomahawk erschlagen?«

»Nein. Er zwang mich, ihn zu betäuben, weil er sich mir nicht ergeben wollte.«

»Und konntest ihn doch töten! Er war in deiner Hand!«

»Ich töte nicht gern einen Feind, am allerwenigsten aber einen Mann, welcher der Vater Winnetous ist und den ich also lieb habe. Hier hast du seine Waffe! Du wirst bestimmen, ob ich gesiegt habe und ob man mir und meinen Gefährten Wort halten wird.«

Er nahm den Tomahawk, den ich ihm hinhielt, und sah mich lange, lange an. Sein Blick wurde mild und milder; der Ausdruck desselben steigerte sich zur Bewunderung, und dann rief er aus:

»Was ist Old Shatterhand doch für ein Mann! Wer kann ihn begreifen!«

»Du wirst mich verstehen lernen.«

»Du gibst mir dieses Beil, ohne zu wissen, ob wir dir Wort halten werden! Du könntest dich mit demselben wehren. Weißt du, daß du dich dadurch in meine Hände lieferst?«

»Pshaw! Ich fürchte mich nicht, denn ich habe für alle Fälle meine Arme und Fäuste, und Winnetou ist kein Lügner, sondern ein edler Krieger, der sein Wort nie brechen wird.«

Da streckte er mir die Hand entgegen und antwortete, indem seine Augen erglänzten:

»Du hast recht; du bist frei, und die andern Bleichgesichter sind es auch, außer dem Manne, welcher Rattler heißt. Du hast Vertrauen zu mir, könnte ich doch zu dir auch welches haben!«

»Du wirst mir so vertrauen, wie ich dir; warte nur noch kurze Zeit. Komm jetzt mit zu deinem Vater!«

»Ja, komm! Ich muß nach ihm sehen, denn wenn Old Shatterhand zuschlägt, kann leicht der Tod eintreten, obwohl er dies nicht beabsichtigte.«

Wir gingen nach der Zeder und banden dem Häuptlinge die Arme los. Winnetou untersuchte ihn und sagte dann:

»Er lebt, wird aber spät erwachen und nachher einen lange schmerzenden Kopf haben. Ich darf nicht hier bleiben und werde ihm einige Männer herübersenden. Mein Bruder Old Shatterhand mag mit mir kommen.«

Dies war das erste Mal, daß er mich “mein Bruder” nannte. Wie oft habe ich später dieses Wort aus seinem Munde gehört, und wie ernst, treu und wahr ist dasselbe stets gemeint gewesen!

Wir gingen wieder an den Fluß und schwammen hinüber. Die Roten standen drüben und sahen uns gespannt entgegen. Jetzt, da wir so friedlich nebeneinander herschwammen, merkten sie nicht bloß, daß wir einig waren, sondern sie mußten auch erkennen, wie falsch sie mich beurteilt hatten, als ich der Gegenstand ihres Spottes und Hohngelächters gewesen war. Als wir an das Ufer stiegen, sagte Winnetou, indem er mich bei der Hand nahm, mit lauter Stimme:

»Old Shatterhand hat gesiegt. Er und seine drei Gefährten sind frei!«

»Uff, uff, uff!« riefen die Apachen.

Tangua aber stand da und blickte finster drein. Mit ihm hatte ich noch abzurechnen, denn seine Lügen und seine Bemühungen, uns den Tod zu bringen, mußten bestraft werden, nicht bloß um unsertwillen, sondern auch der Zukunft und derjenigen Weißen wegen, mit denen er später zusammentreffen würde.

Winnetou schritt mit mir an ihm vorüber, ohne einen Blick auf ihn zu werfen. Er führte mich zu den Pfählen, an denen die drei Kameraden hingen.

»Halleluja!« rief Sam. »Wir sind gerettet; wir werden nicht ausgelöscht! Mensch, Mann, Freund, Jüngling und Greenhorn, wie habt Ihr das nur angefangen?«

Winnetou gab mir sein Messer und sagte:

»Schneide sie los! Du hast es verdient, dies selbst tun zu dürfen.«

Ich tat es. Kaum waren sie frei, so warfen sie sich auf mich und nahmen mich in ihre sechs Arme, um mich auf eine Weise zu drücken und zu quetschen, daß es mir angst und bange werden wollte. Sam küßte mir sogar die Hand und beteuerte, indem Tränen aus seinen kleinen Aeuglein in den Bartwald tropften:

»Sir, wenn ich Euch dies jemals vergesse, so soll mich der erste Bär, der mir begegnet, mit Haut und Haar verschlingen! Wie habt Ihr es nur angefangen? Ihr waret verschwunden. Ihr hattet solche Angst vor dem Wasser, und so dachten alle, daß Ihr ertrunken wäret.«

»Habe ich nicht gesagt: Wenn ich ertrinke, so sind wir gerettet!«

»Das hat Old Shatterhand gesagt?« fragte Winnetou. »Also war das alles Verstellung?«

»Ja,« nickte ich.

»Mein Bruder wußte, was er wollte. Er ist hier hüben unter Wasser stromaufwärts geschwommen und dann drüben wieder herab, wie ich vermute. Mein Bruder ist nicht nur stark wie ein Bär, sondern auch listig wie der Fuchs der Prairie; wer sein Feind ist, der hat sich vor ihm sehr in acht zu nehmen.«

»Und so ein Feind ist Winnetou gewesen?«

»Ich war es, bin es aber nicht mehr.«

»So glaubst du nicht mehr Tangua, dem Lügner, sondern mir?«

Er sah mich wieder so lange und forschend an wie vorhin drüben am jenseitigen Ufer, reichte mir die Hand und antwortete:

»Deine Augen sind gute Augen, und in deinen Zügen wohnt keine Unehrlichkeit. Ich glaube dir.«

Ich hatte die vorhin abgelegten Kleidungsstücke wieder angezogen, nahm die Sardinenbüchse aus der Tasche des Jagdrockes und sagte:

»Da hat mein Bruder Winnetou das Richtige getroffen; ich werde es ihm beweisen. Vielleicht kennt er das, was ich ihm jetzt zeigen werde.«

Ich langte die zusammengerollte Haarlocke heraus, zog sie auseinander und hielt sie ihm hin. Er streckte die Hand darnach aus, griff sie aber doch nicht an, sondern trat, ganz und gar überrascht, einen Schritt zurück und rief aus:

»Das ist Haar von meinem Kopfe! Wer hat dir dies gegeben?«

»Intschu tschuna erzählte vorhin, daß ihr an die Bäume gebunden gewesen seid; da habe euch der große, gute Geist einen unsichtbaren Retter gesandt. Ja, unsichtbar war er, denn er durfte sich vor den Kiowas nicht sehen lassen; jetzt aber braucht er sich nicht mehr vor ihnen zu verbergen. Nun wirst du es wohl glauben, daß ich nicht dein Feind, sondern stets dein Freund gewesen bin.«

»Du du du also hast uns losgebunden! Dir also haben wir die Freiheit und wohl auch das Leben zu verdanken!« stieß er, noch immer ganz betroffen, hervor, er, der sonst nie durch Etwas zu erstaunen oder zu überraschen war. Dann nahm er mich bei der Hand und zog mich fort, hin nach der Stelle, an welcher, uns mit jedem ihrer Blicke beobachtend, seine Schwester stand. Er stellte mich vor sie hin und sagte:

»Nscho-tschi sieht hier den tapfern Krieger, welcher mich und den Vater heimlich befreit hat, als uns die Kiowas an die Bäume gebunden hatten; sie mag sich bei ihm bedanken!«

Nach diesen Worten drückte er mich an sich und gab mir auf jede Wange einen Kuß. Sie reichte mir die Hand und sagte das eine Wort:

»Verzeih!«

Sie sollte sich bedanken und bat mich statt dessen um Verzeihung! Warum? Ich verstand sie recht gut. Sie hatte mir im stillen Unrecht getan. Sie als meine Pflegerin mußte mich besser kennen als die Andern, und doch hatte sie, als ich mich aus List verstellte, auch geglaubt, daß es Wahrheit sei. Sie hatte mich für eine feige, ungeschickte Memme gehalten, und dies gut zu machen, das war ihr wichtiger als der Dank, den Winnetou von ihr verlangte. Ich drückte ihr die Hand und antwortete:

»Nscho-tschi wird sich alles dessen erinnern, was ich ihr gesagt habe. Nun ist es eingetroffen. Will meine Schwester jetzt an mich glauben?«

»Ich glaube an meinen weißen Bruder!«

Tangua stand in der Nähe. Es war ihm anzusehen, wie wütend er war. Ich trat zu ihm hin und fragte, indem ich ihm fest ins Gesicht blickte:

»Ist Tangua, der Häuptling der Kiowas, ein Lügner oder liebt er die Wahrheit?«

»Willst du mich beleidigen?« fuhr er auf.

»Nein! Ich will nur wissen, woran ich mit dir bin. Also antworte!«

»Old Shatterhand mag wissen, daß ich die Wahrheit liebe.«

»Wollen sehen! Dann hältst du wohl auch Wort, wenn du etwas versprochen hast?«

»Ja.«

»Das muß auch sein, denn wer nicht tut, was er sagt, den muß man verachten. Du weißt doch noch, was du zu mir gesagt hast?«

»Wann?«

»Vorhin, als ich noch angebunden war.«

»Da habe ich Verschiedenes gesagt.«

»Allerdings. Du wirst aber wohl wissen, welches von deinen Worten ich meine.«

»Nein.«

»So muß ich dich erinnern. Du wolltest mir Rechenschaft geben.«

»Habe ich das gesagt?« fragte er, indem er die Brauen in die Höhe zog.

»Ja. Du hast ferner gesagt, daß du gern mit mir kämpfen würdest, denn du wüßtest genau, daß ich von dir zermalmt werden würde.«

Es mochte ihm bei dem Tone, in welchem ich jetzt mit ihm sprach, unheimlich werden, denn er meinte bedächtig:

»Ich erinnere mich dieser Worte nicht. Old Shatterhand muß mich falsch verstanden haben.«

»Nein. Winnetou war dabei; er wird es mir bezeugen.«

»Ja,« bestätigte Winnetou bereitwillig. »Tangua hat Old Shatterhand Rechenschaft geben wollen und sich gerühmt, daß er sehr gern mit ihm kämpfen und ihn zermalmen werde.«

»Du siehst also ein, daß du diese Worte gesprochen hast. Willst du sie halten?«

»Verlangst du es?«

»Ja. Du hast mich einen Frosch genannt, der keinen Mut besitzt; du hast mich verleumdet und dir alle Mühe gegeben, uns in das Verderben zu bringen. Wer so verwegen ist, dies zu tun, der muß es auch wagen, sich gegen mich zu verteidigen.«

»Pshaw! Ich kämpfe nur mit Häuptlingen!«

»Ich bin ein Häuptling!«

»Beweise es!«

»Schön! Ich werde es dir dadurch beweisen, daß ich dich mit einem Stricke dort an dem ersten Baume aufhänge, wenn du dich weigerst, mir Rechenschaft zu geben.«

Einem Indianer mit dem Hängen drohen, ist eine Beleidigung, welcher schwerlich eine andere gleichkommt. Er riß auch sofort sein Messer aus dem Gürtel und schrie:

»Hund, soll ich dich erstechen?«

»Ja, aber nicht so, wie du es jetzt willst, sondern im ehrlichen Kampfe, Mann gegen Mann und Messer gegen Messer.«

»Das fällt mir nicht ein; ich habe mit Old Shatterhand nichts zu schaffen!«

»Aber vorhin, als ich festgebunden war und mich nicht wehren konnte, da machtest du dir mit mir zu schaffen, Feigling!«

Er wollte auf mich eindringen; da stellte sich Winnetou zwischen ihn und mich und sagte:

»Mein Bruder Old Shatterhand hat recht. Tangua hat ihn verleumdet und hat ihm Rechenschaft geben wollen. Wenn er dieses Wort nicht erfüllt, so ist er ein Feigling und verdient, von seinem Stamme ausgestoßen zu werden. Diese Sache muß sofort entschieden werden, denn niemand soll den Kriegern der Apachen nachsagen, daß sie Feiglinge als Gäste bei sich haben. Was gedenkt der Häuptling der Kiowas zu tun?«

Dieser warf, ehe er antwortete, einen Blick rund umher. Es waren fast viermal mehr Apachen als Kiowas vorhanden, und diese letzteren befanden sich mitten im Gebiete der ersteren; es zu einem Zerwürfnisse zwischen beiden kommen lassen, das war unmöglich, jetzt, wo er ein solches Lösegeld hatte zahlen müssen und doch noch, streng genommen, halber Gefangener war.

»Ich werde es mir überlegen,« antwortete er ausweichend.

»Für einen tapferen Krieger gibt es da nichts zu überlegen. Entweder du gehst auf den Kampf ein oder wirst als Feigling betrachtet.«

Da raffte er sich zusammen und schrie:

»Tangua ein Feigling? Wer das sagt, dem stoße ich das Messer in die Brust!«

»Ich sage es, ich!« antwortete Winnetou stolz und ruhig, »wenn du das Wort nicht hältst, welches du Old Shatterhand gegeben hast.«

»Ich halte es!«

»Du bist also bereit, mit ihm zu kämpfen?«

»Ja.«

»Und sofort?«

»Sofort! Es verlangt mich sehr, möglichst bald sein Blut zu sehen.«

»Wohlan, so mag bestimmt werden, mit welchen Waffen dieser Kampf vorgenommen werden soll.«

»Wer hat dies zu bestimmen?«

»Old Shatterhand.«

»Warum?«

»Weil du ihn beleidigt hast.«

»Nein, sondern ich.«

»Du?«

»Ja, ich, denn er hat mich beleidigt, und ich bin ein Häuptling, während er ein gewöhnlicher Weißer ist. Ich bin also viel mehr als er.«

»Old Shatterhand ist mehr als ein roter Häuptling.«

»Das behauptet er auch, hat es aber nicht zu beweisen vermocht. Eine Drohung ist kein Beweis.«

Da entschied ich die Frage:

»Tangua mag wählen; mir ist es ganz gleich, mit welcher Waffe ich ihn besiege.«

»Du wirst mich nicht besiegen,« brüllte er mich wütend an. »Denkst du, ich wähle den Faustkampf, wo du Jeden niederschlägst, oder das Messer, mit welchem du “Blitzmesser” erstochen hast, oder den Tomahawk, welcher sogar Intschu tschuna verderblich geworden ist?«

»Was denn?«

»Das Gewehr. Wir werden auf einander schießen, und meine Kugel wird dir im Herzen sitzen!«

»Schön! Ich stimme bei. Aber hat mein Bruder Winnetou gehört, was Tangua jetzt eingestanden hat?«

»Was?«

»Daß ich mit “Blitzmesser” gekämpft und ihn niedergestochen habe. Dies tat ich, um die gefangenen Apachen vom Marterpfahle zu retten; er aber hat es bis zu diesem Augenblicke geleugnet. Man hört, wie recht ich hatte, als ich ihn einen Lügner nannte.«

»Einen Lügner? Mich?« donnerte mich der Kiowa an. »Das sollst du mit dem Leben bezahlen! Schnell die Gewehre her! Der Kampf mag sofort beginnen, damit ich diesen kläffenden Hund zum Schweigen bringe!«

Er hatte sein Gewehr in der Hand. Winnetou schickte einen Apachen in das Pueblo, um meine Büchse und die Munition, welche ich bei mir gehabt hatte, zu holen. Es war alles sorgfältig aufgehoben worden, weil Winnetou sich, trotzdem er mich für seinen Feind hielt, so lebhaft für mich interessiert hatte. Dann forderte er mich auf:

»Mein weißer Bruder mag sagen, aus welcher Entfernung und wieviel Male geschossen werden soll!«

»Ist mir gleich,« antwortete ich. »Wer die Waffen bestimmt hat, mag auch hier entscheiden.«

»Ja, ich entscheide,« sagte Tangua. »Zweihundert Schritte und soviel Schüsse, bis einer von uns niederstürzt und nicht wieder aufstehen kann.«

»Gut,« sagte Winnetou. »Ich werde aufpassen. Es hat einmal Dieser und einmal Jener zu schießen, also abwechselnd. Ich stehe mit meinem Gewehre dabei und werde demjenigen, welcher schießt, ohne an der Reihe zu sein, eine Kugel in den Kopf geben. Wer aber hat den ersten Schuß?«

»Ich natürlich!« rief der Kiowa.

Winnetou schüttelte mißbilligend den Kopf und sagte:

»Tangua will alle Vorteile für sich haben. Old Shatterhand mag zuerst schießen.«

»Nein,« antwortete ich; »er soll seinen Willen haben. Er einen Schuß und ich einen; dann ist’s aus.«

»Nein,« entgegnete Tangua. »Wir schießen so lange, bis Einer fällt!«

»Allerdings, denn mein erster Schuß wird dich niederstrecken.«

»Prahler!«

»Pshaw! Eigentlich sollte ich dich töten; aber ich will es nicht tun. Die geringste Strafe für das, was du getan hast, ist jedoch, daß ich dich lähme. Ich werde dir das rechte Knie zerschmettern. Merke es dir!«

»Habt ihr es gehört?« lachte er. »Dieses Bleichgesicht, welches von seinen eigenen Freunden ein Greenhorn genannt wird, will bei zweihundert Schritten vorhersagen können, daß er mich in das Knie treffen wird! Lacht ihn aus, ihr Krieger, lacht ihn aus!«

Er blickte auffordernd rund umher, aber es lachte niemand. Da fuhr er fort:

»Ihr fürchtet euch vor ihm! Ich aber werde euch zeigen, wie ich ihn verlache. Kommt, laßt uns diese zweihundert Schritte abmessen!«

Während dies geschah, wurde mir mein Bärentöter gebracht. Ich untersuchte ihn; er befand sich in gutem Zustande. Beide Läufe waren geladen. Um meiner Sache ganz sicher zu sein, schoß ich sie ab und lud sie von neuem, so sorgfältig, wie die gegenwärtige Veranlassung es forderte. Dabei kam Sam zu mir und sagte:

»Sir, ich habe hundert Fragen an Euch und finde doch keine Gelegenheit dazu. Jetzt nur die eine: Wollt Ihr diesen Kerl wirklich in das Knie treffen?«

»Ja.«

»Nur?«

»Es ist das Strafe genug.«

»Nein, gewiß nicht. Solches Ungeziefer muß ausgerottet werden, wenn ich mich nicht irre. Bedenkt doch, was er alles verschuldet hat und was alles geschehen ist, nur deshalb, daß er die Pferde der Apachen hat stehlen wollen!«

»Daran sind die Weißen, welche ihn verführten, wenigstens ebenso schuld.«

»Er mag sich nicht verführen lassen! Ich an Eurer Stelle würde ihm eine Kugel in den Kopf geben. Er zielt ganz gewiß nach dem Eurigen!«

»Oder nach der Brust; ich bin überzeugt davon.«

»Wird aber nicht treffen. Das Schießzeug dieser Kerls ist nichts wert.«

Jetzt war die Entfernung abgemessen und wir stellten uns an den beiden Endpunkten auf. Ich war ruhig wie gewöhnlich, Tangua aber erging sich in gar nicht wiederzugebenden Schmähungen gegen mich. Darum sagte Winnetou, welcher seitwärts grad in der Mitte zwischen uns stand:

»Der Häuptling der Kiowas mag schweigen und aufpassen! Ich zähle bis drei, dann wird geschossen; wer aber eher schießt, der bekommt meine Kugel in den Kopf!«

Es läßt sich denken, daß alle Anwesenden von der größten Spannung ergriffen worden waren. Sie hatten sich in zwei Reihen rechts und links von uns aufgestellt, so daß eine breite Straße entstanden war, deren Endpunkte wir beide markierten. Es herrschte tiefe Stille.

»Der Häuptling der Kiowas mag beginnen,« sagte Winnetou »eins zwei drei!«

Ich stand still da und bot meinem Gegner meine ganze Körperbreite dar. Er legte gleich beim ersten Worte Winnetous das Gewehr an, zielte sorgfältig und drückte ab. Die Kugel ging nahe an mir vorüber. Kein Mensch ließ einen Ruf hören, der diesem Schusse gelten sollte.

»Nun mag Old Shatterhand schießen,« forderte mich Winnetou auf. »Eins zwei «

»Halt!« unterbrach ich ihn. »Ich habe dem Häuptling der Kiowas grad und ehrlich gegenübergestanden; er aber dreht sich halb um und wendet mir nicht das Gesicht, sondern die Seite zu.«

»Das kann ich,« antwortete er. »Wer will es mir verbieten? Es ist nicht bestimmt worden, wie wir stehen sollen.«

»Das ist wahr, und Tangua kann sich also stellen, wie es ihm beliebt. Er kehrt mir seine schmale Seite zu, weil er meint, daß ich ihn da nicht so leicht treffen könnte; aber er irrt sich, denn ich treffe unbedingt. Ich hätte schießen können, ohne ein Wort sagen zu brauchen; aber ich will ehrlich mit ihm sein.

Er soll meine Kugel in das rechte Knie bekommen; das kann aber nur dann geschehen, wenn er mir das Gesicht zukehrt; wendet er mir aber die Seite zu, so wird ihm die Kugel beide Kniee zerschmettern. Das ist der Unterschied. Er kann stehen, wie er will; ich habe ihn gewarnt.«

»Schieß nicht mit Worten, sondern mit Kugeln!« höhnte er, indem er meine Warnung mißachtete und seitlich stehen blieb.

»Old Shatterhand schießt,« wiederholte Winnetou: »eins zwei drei!«

Mein Schuß krachte; Tangua stieß einen lauten Schrei aus, ließ sein Gewehr fallen, warf die Arme auseinander, wankte hin und her und stürzte dann nieder.

»Uff, uff, uff!« rief es überall, und Alle drängten sich zu ihm, um zu sehen, wo ich ihn getroffen hatte.

Ich ging nun auch hin, und man machte mir ehrerbietig Platz.

»In beide Kniee, in beide Kniee!« hörte ich rechts und links sagen.

Als ich ihn erreichte, lag er wimmernd an der Erde. Winnetou kniete bei ihm und untersuchte die Verletzung. Er sah mich kommen und sagte:

»Die Kugel ist genau so gegangen, wie mein weißer Bruder vorherverkündet hat; es sind beide Kniee zerschmettert. Tangua wird nie wieder ausreiten können, um sein Auge auf die Pferde anderer Stämme zu werfen.«

Als der Verwundete mich erblickte, warf er mir eine ganze Flut von Schimpfreden entgegen. Ich herrschte ihn so an, daß er für einige Augenblicke schwieg, und sagte:

»Ich habe dich gewarnt, und du hast nicht auf mich gehört; du bist selber schuld.«

Er wagte nicht, zu jammern, weil ein Indianer dieses selbst bei den ärgsten Schmerzen nicht darf; er biß sich auf die Lippen, sah finster vor sich nieder und knirschte dann:

»Ich bin verwundet und kann nicht heimkehren. Ich muß bei den Apachen bleiben.«

Da schüttelte Winnetou den Kopf und antwortete in sehr bestimmtem Tone:

»Du wirst doch heimkehren müssen, denn wir haben keinen Raum für die Diebe unserer Pferde und die Mörder unserer Krieger. Wir haben uns nicht mit Blut gerächt und uns mit Tieren und Sachen begnügt; mehr kannst du nicht verlangen. Ein Kiowa gehört nicht in unser Pueblo.«

»Aber ich kann nicht heimreiten!«

»Old Shatterhand war noch schwerer verwundet als du und konnte auch nicht reiten; dennoch mußte er mit. Denke recht oft an ihn! Das wird dir nützlich sein! Die Kiowas wollten uns heut verlassen; sie mögen dies ja tun, denn denjenigen von ihnen, den wir morgen in der Nähe unserer Weideplätze treffen, den werden wir so behandeln, wie nach ihrem Wunsche Old Shatterhand behandelt werden sollte. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Er nahm mich bei der Hand und führte mich fort. Als wir aus dem Gedränge der Menschen heraus waren, sahen wir seinen Vater mit den zwei Männern geschwommen kommen, die er ihm hinüber gesandt hatte. Er ging ihm bis an das Ufer entgegen, und ich suchte Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker auf.

»Endlich, endlich dürfen wir Euch einmal für uns haben!« sagte der Erstere. »Sagt doch gleich erst vor allen Dingen, was waren das für Haare, welche Ihr Winnetou zeigtet?«

»Ich hatte sie ihm abgeschnitten.«

»Wann?«

»Als ich ihn und seinen Vater losschnitt.«

»So hättet alle Teufel! Ihr hättet Ihr, das Greenhorn, hättet hättet sie befreit?«

»Freilich.«

»Ohne uns ein Wort zu sagen?!«

»War nicht nötig!«

»Aber, wie habt Ihr das denn angefangen?«

»Grad so, wie es ein Greenhorn anzufangen pflegt.«

»Redet verständig, Sir! Das war eine außerordentlich schwierige Sache!«

»Ja, Ihr zweifeltet sogar daran, ob sie Euch selbst gut gelingen würde.«

»Und Euch ist sie gelungen! Entweder habe ich gar keinen Verstand, oder er steht mir still!«

»Das erstere ist der Fall, das erstere, Sam!«

»Macht keine dummen Witze! So ein Heimtücker! Macht die Häuptlinge los und trägt den Zopf, welcher Wunder wirkte, mit sich herum, ohne uns ein Wort davon zu sagen! Hat so ein ehrliches Gesicht, der Kerl, aber man darf eben keinem Menschen mehr trauen! Und wie ist es denn heut gewesen! Es ist mir da Einiges unklar geblieben. Ihr waret ertrunken und dann plötzlich wieder da!«

Ich erzählte es ihm. Als ich geendet hatte, rief er aus:

»Mensch, Freund und Greenhorn, Ihr seid doch ein ganz fürchterlicher Racker, wenn ich mich nicht irre! Ich muß Euch wieder fragen, wie schon früher einmal: Ihr seid wirklich noch nie im wilden Westen gewesen?«

»Nein.«

»Auch überhaupt in den Vereinigten Staaten nicht?«

»Nein.«

»Dann mag Euch der Kuckuck begreifen, ich aber nicht! Ihr seid in Allem Anfänger und doch in Allem gleich fertig. So ein Patron, wie Ihr seid, ist mir wirklich noch nicht vorgekommen. Muß Euch loben, wirklich loben. Habt Eure Sache schlau angefangen, hihihihi! Unser Leben hing wirklich nur an einem Haare. Braucht Euch aber auf dieses Lob nichts einzubilden, gar nichts. Werdet dafür um so größere Dummheiten machen. Sollte mich wirklich wundern, wenn aus Euch einmal ein brauchbarer Westmann würde!«

Er hätte in dieser Weise wohl noch fortgefahren; aber da kam Winnetou mit Intschu tschuna herbei. Dieser Letztere sah mir grad so wie vorher sein Sohn lange und ernst in das Gesicht und sagte dann:

»Ich habe von Winnetou Alles gehört. Ihr seid frei und werdet uns verzeihen. Du bist ein sehr tapferer und sehr listiger Krieger und wirst noch manchen Feind besiegen. Der handelt klug, der dich zu seinem Freunde macht. Willst du das Calumet des Friedens mit uns rauchen?«

»Ja; ich möchte euer Freund und Bruder sein!«

»So kommt mit mir und Nscho-tschi, meiner Tochter, jetzt ins Pueblo hinauf! Ich will meinem Ueberwinder eine Wohnung anweisen, wie sie seiner würdig ist. Winnetou bleibt hier unten, um die Ordnung zu wahren.«

Wir stiegen mit ihm und Nscho-tschi als freie Männer nach der Pyramidenburg hinauf, die wir als Gefangene verlassen hatten, um in den Tod geschleppt zu werden.

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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