Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 8

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»Ihr habt ja mehr Kräfte als das Tier gehabt! Könntet Ihr Euer Gesicht sehen, so würdet Ihr erschrecken!«

»Glaube es.«

»Eure Augen sind herausgetreten, Eure Lippen geschwollen und Eure Wangen förmlich blau!«

»Das kommt daher, daß man ein Greenhorn ist und sich nicht abwerfen lassen will, während ein Anderer, der Meister in der Mustangjagd ist, klüger war und sich abstreifen ließ, nachdem es ihm vorher gar passierte, daß er sein eigenes Pferd ans Maultier hing und beide dann spazierenlaufen ließ.«

Er machte ein doppelt jämmerliches Gesicht und bat im kläglichsten Tone:

»Schweigt davon, Sir! Ich sage Euch, es kann dem tüchtigsten Jäger einmal so etwas passieren. Ihr habt gestern und heut zwei gute Tage gehabt.«

»Hoffe, noch mehr solche Tage zu erleben. Dafür waren sie für Euch um so schlimmer. Wie steht es denn mit Euren Rippen und den andern Knöchelchens?«

»Weiß nicht. Werde sie nachher einmal zusammensuchen und zählen, sobald mir besser ist. Jetzt klappern sie mir allüberall im Leib herum. Das war eine Bestie, wie ich noch keine zwischen den Beinen gehabt habe! Hoffe, daß sie nun zu Verstand kommen wird!«

»Das ist sie schon. Seht, wie matt sie daliegt, grad wie zum Erbarmen. Wollen ihr den Sattel auf-und den Zaum anlegen. Ihr reitet sie nach Hause.«

»Da wird sie wieder zu bocken anfangen!«

»Fällt ihr nicht ein! Die hat genug. Sie ist ein gescheites Viehzeug, und Ihr werdet ganz glücklich sein, sie gefangen zu haben.«

»Ja, das glaube ich. Hatte es aber auch von allem Anfang gleich auf sie abgesehen. Ihr auf den Schimmel, was eine sehr große Dummheit war.«

»Wißt Ihr das so genau?«

»Natürlich war es eine Dummheit!«

»Das meine ich nicht, sondern daß ich es auf den Schimmel abgesehen hatte.«

»Auf was denn?«

»Auch auf das Maultier.«

»Wirklich?«

»Ja. Wenn ich auch ein Greenhorn bin, so viel weiß ich doch, daß ein Schimmel nichts für einen Westmann taugt. Das Maultier gefiel mir gleich, als ich es sah.«

»Ja, einen guten Pferdeverstand habt Ihr, das muß man zugeben.«

»Will wünschen, daß bei Euch der Menschenverstand ebenso gut ist, lieber Sam! Jetzt kommt, und helft mir, das Tier von der Erde aufzubringen!«

Wir zogen das Maultier empor. Es stand still und zitterte an allen Gliedern. Es sträubte sich auch nicht, als wir ihm den Sattel aufschnallten und den Zaum anlegten. Und als Sam aufgestiegen war, gehorchte es dem Zügel willig und so feinfühlig wie ein zugerittenes Pferd.

»Es hat schon einen Herrn gehabt,« meinte der Kleine, »der ein guter Reiter gewesen sein muß; das merke ich schon. Wird ihm davongelaufen sein. Wißt Ihr, wie ich es nennen werde?«

»Nun?«

»Mary. Habe schon früher einmal ein Maultier geritten, welches Mary hieß, und brauche mir nicht die Mühe zu geben, einen andern Namen auszusinnen.«

»Also das Maultier Mary und das Gewehr Liddy!«

»Ja. Sind zwei allerliebste Namen. Nicht? Und nun muß ich Euch bitten, mir einen großen Gefallen zu tun.«

»Gern. Welchen?«

»Sprecht nicht über das, was hier geschehen ist! Werde es Euch hoch anrechnen.«

»Unsinn! Etwas, was sich ganz von selbst versteht, braucht gar nicht angerechnet zu werden.«

»Dieses doch. Möchte die Bande da oben im Lager lachen hören, wenn sie erführe, wie Sam Hawkens zu seiner neuen, holden Mary gekommen ist! Würde ein Gaudium für sie sein, ein großes Gaudium. Wenn Ihr den Mund haltet, werde ich «

»Bitte, seid still!« unterbrach ich ihn. »Es ist gar nicht notwendig, ein Wort darüber zu verlieren. Ihr seid mein Lehrer und mein Freund. Mehr brauch ich doch nicht zu sagen.«

Da wurden seine kleinen, listigen Aeuglein feucht, und er rief begeistert aus:

»Ja, Euer Freund bin ich, Sir, und wenn ich wüßte, daß Ihr mir auch ein klein wenig Liebe schenken wolltet, so würde das für mein altes Herz eine große, aufrichtige Freude und Wonne sein.«

Ich reichte ihm die Hand und antwortete:

»Diese Freude kann ich Euch machen, lieber Sam. Ihr könnt versichert sein, daß ich Euch lieb habe, so lieb, wie wie na, so, wie man ungefähr einen recht guten, braven und ehrlichen Onkel liebt. Ist Euch das genug?«

»Vollauf, Sir, vollauf! Ich bin so entzückt darüber, daß ich Euch dafür, womögleich gleich hier auf der Stelle, eine recht große Gegenfreude bereiten möchte. Sagt mir, was ich tun soll! Soll ich soll ich zum Beispiel hier diese neue Mary vor Euern Augen mit Haut und Haar auffressen? Oder soll ich, falls Euch das lieber ist, mich selbst marinieren, frikassieren und verschlingen? Oder soll ich «

»Haltet ein!« lachte ich. »In jedem dieser beiden Fälle würde ich Euch verlieren, denn in dem einen würdet Ihr zerplatzen und in dem andern an einer bösen Indigestion zugrunde gehen, da Ihr doch Eure Perücke mit verschlingen müßtet, die Euer Magen doch unmöglich verdauen könnte. Ihr habt mir schon genug Gefallen getan und werdet mir wohl auch fernerhin noch manche Liebe zu erweisen haben. Laßt also vorderhand die Mary und auch Euch selbst am Leben, und macht, daß wir bald wieder in das Lager kommen. Ich möchte arbeiten.«

»Arbeiten! Das habt Ihr doch auch hier getan, denn wenn das keine Arbeit war, so weiß ich nicht, was ich Arbeit nennen soll.«

Ich band Dick Stones Pferd mit dem Lasso an das meinige, dann ritten wir fort. Die Mustangs waren indessen natürlich schon längst entwichen; das Maultier gehorchte seinem Reiter willig, und Sam rief unterwegs mehreremal freudig aus:

»Sie hat Schule, diese Mary, eine sehr gute Schule! Ich fühle und bemerke bei jedem Schritte immer mehr, daß ich von heut an vortrefflich beritten sein werde. Sie besinnt sich jetzt auf das, was sie früher gelernt und dann unter den Mustangs wieder vergessen hat. Hoffentlich hat sie nicht bloß Temperament, sondern auch Charakter.«

»Wenn sie ihn nicht hat, so könnt Ihr in ihr noch beibringen. Sie ist noch nicht zu alt dazu.«

»Wie alt denkt Ihr, daß sie ist?«

»Fünf Jahre, mehr nicht.«

»Das ist auch meine Ansicht. Werde sie nachher genau untersuchen, ob dies richtig ist. Habe das Tier Euch zu verdanken, nur Euch. Waren zwei böse Tage für mich, sehr böse, für Euch aber sehr ehrenvoll. Hättet Ihr geglaubt, die Bison-und auch die Mustangjagd so schnell hintereinander kennen zu lernen?«

»Warum nicht? Man muß hier im Westen auf alles gefaßt sein. Ich hoffe auch noch andere Jagden kennen zu lernen.«

»Hm, ja. Will wünschen, daß Ihr dann ebenso davon kommt wie gestern und heut. Gestern besonders hing Euer Leben an einem Haare. Habt zuviel gewagt. Ihr dürft nie vergessen, daß Ihr ein Greenhorn seid. Läßt dieser Mensch den Büffel ruhig an sich kommen und schießt ihn dann in die Augen! Hat man je so etwas erlebt! Ihr seid noch unerfahren und habt die Bisons unterschätzt. Nehmt Euch in Zukunft mehr in acht, und traut Euch nicht zuviel zu! Die Jagd auf den Bison ist höchst gefährlich. Es gibt nur eine einzige, welche noch gefährlicher ist.«

»Welche?«

»Auf den Bären.«

»Da meint Ihr doch nicht etwa den schwarzen Bären mit gelber Schnauze?«

»Den Baribal? Fällt mir nicht ein! Der ist ein sehr gutmütiges und friedfertiges Viehzeug, welchen man Wäscheplätten und Filetstricken lehren könnte. Nein, ich meine den Grizzly, den grauen Bären der Felsengebirge. Da Ihr von allem gelesen habt, so wohl auch von ihm?«

»Ja.«

»So seid froh, wenn Ihr keinen zu sehen bekommt. Wenn er sich aufrichtet, ist er über zwei Fuß länger als Ihr; mit einem einzigen Bisse verwandelt er Euern Kopf in Knochenbrei, und wenn er einmal angegriffen und in Wut versetzt worden ist, so ruht er nicht, bis er seinen Feind zerrissen und vernichtet hat.«

»Oder dieser ihn!«

»Oho! Seht, da tritt schon wieder Euer großer Leichtsinn zutage! Ihr redet von dem mächtigen, unüberwindlichen grauen Bären mit einer Geringschätzung, als ob es sich um einen kleinen, ungefährlichen Waschbären handle.«

»Das nicht. Es fällt mir gar nicht ein, ihn gering zu schätzen; aber unüberwindlich, wie Ihr sagt, ist er jedenfalls nicht. Kein Raubtier ist unüberwindlich, auch der Grizzly nicht.«

»Das habt Ihr wohl auch gelesen?«

»Ja.«

»Hm! Ich glaube, die Bücher, welche Ihr gelesen habt, sind an Euerm Leichtsinn schuld. Ihr seid doch sonst ein ganz verständiger Kerl, wenn ich mich nicht irre. Ihr wäret imstande und gingt auf einen grauen Bären grad so los wie gestern auf die Bisons.«

»Wenn ich nicht anders könnte ja.«

»Nicht anders könnte! Unsinn! Was meint Ihr mit diesen Worten? Jeder Mensch kann anders, wenn er will!«

»Das heißt, er kann ausreißen, wenn er feig ist. Das meint Ihr doch?«

»Ja; aber von feig sein ist dabei keine Rede. Es ist keine Feigheit, den Grizzly zu fliehen; im Gegenteile, es ist geradezu Selbstmord, der reinste Selbstmord, ihn anzugreifen.«

»Da gehen unsere Ansichten auseinander. Wenn er mich überrascht und mir keine Zeit zur Flucht läßt, muß ich mich wehren. Wenn er sich über einen Kameraden von mir hermacht, muß ich diesem zu Hilfe kommen. Das sind zwei Fälle, in denen ich nicht fliehen kann oder darf. Und außerdem kann ich es mir ganz gut denken, daß ein kühner Westmann es mit dem grauen Bären auch ohne Not aufnimmt, um seinen Mut zu betätigen, ein so gefährliches Raubtier unschädlich zu machen und nebenbei sich dann die Schinken und die Tatzen ausgezeichnet schmecken zu lassen.«

»Ihr seid ein ganz unverbesserlicher Mensch, und es wird mir himmelangst um Euch. Dankt lieber Gott, wenn Ihr diese Schinken und Tatzen niemals kennen lernt! Dabei will ich freilich nicht verhehlen, daß es keine größere Delikatesse gibt, soweit die Erde reicht; sie gehen sogar noch weit über die feinste Büffellende.«

»Wahrscheinlich braucht Ihr jetzt noch nicht um mich besorgt zu sein. Oder sollte es auch hier in dieser Gegend graue Bären geben?«

»Warum nicht? Der Grizzly kommt im ganzen Gebirge vor; er folgt den Flüssen und geht zuweilen sogar weit in die Prärie hinein. Wehe dem, auf den er trifft! Reden wir nicht mehr davon!«

Er ahnte ebensowenig wie ich, daß schon am nächsten Tage dieses Thema wieder und noch ganz anders als heut zur Sprache kommen und dieses so gefürchtete Tier uns in den Weg treten werde. Es gab überhaupt keine Zeit, das Gespräch fortzuführen, denn wir waren jetzt bei dem Lager angelangt. Man hatte es eine ziemliche Strecke vorgeschoben, weil dieselbe während unserer Abwesenheit vermessen worden war. Bancroft hatte sich mit den drei Surveyors außerordentlich ins Zeug gelegt, um endlich auch einmal zu zeigen, was er leisten konnte. Wir erregten Aufsehen.

»Ein Maultier, ein Maultier!« wurde gerufen. »Wo habt Ihr es her, Hawkens, woher?«

»Direkt geschickt bekommen,« antwortete er im ernsthaftesten Tone.

»Nicht möglich! Von wem, von wem?«

»Durch die Eilpost, per Kreuzband für zwei Cents. Wollt ihr den Umschlag vielleicht sehen?«

Einige lachten, die Andern schimpften; aber er hatte seinen Zweck erreicht; man fragte ihn nicht weiter. Ob er gegen Dick Stone und Will Parker jetzt gleich mitteilsamer war, konnte ich nicht beobachten, weil ich mich sofort an der Vermessungsarbeit beteiligte. Diese schritt bis zum Abend so weit fort, daß wir morgen früh das Tal in Angriff nehmen konnten, in welchem wir gestern das Zusammentreffen mit den Bisons gehabt hatten. Als wir am Abende davon sprachen, fragte ich Sam, ob wir da vielleicht von den Büffeln gestört werden könnten, da diese, wie es ja scheinen wollte, ihre Richtung durch das Tal einschlagen würden. Wir hatten es mit einem Vortrupp zu tun gehabt und konnten uns nun wohl auf das Erscheinen der Hauptherde gefaßt machen. Da antwortete er:

»Denkt das ja nicht, Sir! Die Bisons sind nicht weniger klug als die Mustangs. Die von uns verjagten Vorposten sind zurückgekehrt und haben die Herde gewarnt; diese schlägt nun sicher eine ganz andere Richtung ein und wird sich hüten, durch dieses Tal zu kommen.«

Als der Morgen anbrach, verlegten wir unser Lager nach dem oberen Teil desselben. Hawkens, Stone und Parker beteiligten sich nicht daran, denn der Erstere wollte seine neue “Mary” zureiten, und die beiden Andern begleiteten ihn, als er sich nach der Präirie entfernte, auf welcher wir das Maultier gefangen hatten; dort gab es für sein Vorhaben Platz genug.

Wir Surveyors beschäftigten uns zunächst mit dem Anbringen der Meßstangen, wobei uns einige Untergebene von Rattler halfen; dieser selbst schlenderte mit den Andern nichtstuend in der Umgebung herum. Dabei kamen wir und auch er der Stelle näher, an welcher ich die beiden Büffels erlegt hatte. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich da, daß der alte Bulle nicht mehr da war. Wir gingen hin und sahen, daß von dem Punkte, wo er gelegen hatte, eine breite Spur nach den Büschen führte; das Gras war gegen zwei Ellen breit niedergeschleift.

»Alle Wetter! Ist so etwas möglich?« rief Rattler aus. »Ich habe, als wir das Fleisch holten, die beiden Bullen doch genau untersucht; sie waren tot, und doch hat dieser hier noch Leben in sich gehabt.«

»Meint Ihr das?« fragte ich ihn.

»Jawohl. Oder denkt Ihr, daß ein toter Büffel sich entfernen kann?«

»Muß er sich selbst entfernt haben? Er kann doch auch entfernt worden sein.«

»So? Von wem denn?«

»Von Indianern zum Beispiel. Wir haben weiter oben die Spur eines Indianerfußes entdeckt.«

»So! Wie klug und weise doch so ein Greenhorn reden kann! Wenn er von Indianern fortgeschafft worden wäre, woher sollen diese gekommen sein?«

»Irgend woher.«

»Das ist sehr richtig. Vielleicht sogar vom Himmel herunter! Denn von da herunter müssen sie gefallen sein, weil man sonst ihre Fährte sehen müßte. Nein, es ist noch Leben in dem Büffel gewesen, und er hat sich, als er erwachte, von hier fort und in die Büsche geschleppt; dort ist er natürlich inzwischen verendet. Wollen gleich einmal nachsuchen.«

Er ging mit seinen Leuten der Spur nach. Vielleicht hatte er geglaubt, ich würde mitgehen; ich tat dies aber nicht, denn die höhnische Art und Weise, in der er mit mir gesprochen hatte, gefiel mir nicht, und ich hatte zu arbeiten; übrigens konnte es mir auch sehr gleichgültig sein, wohin die Leiche des alten Bullen gekommen war. Ich wendete mich also meiner Beschäftigung wieder zu, hatte aber noch nicht zur Meßstange gegriffen, als aus dem Gebüsch ein vielstimmiges Angstgeschrei erscholl; zwei, drei Schüsse krachten, und dann hörte ich Rattler rufen:

»Auf die Bäume, schnell auf die Bäume, sonst seid ihr verloren! Er kann nicht klettern.«

Wen meinte er, der nicht klettern konnte? Da kam einer seiner Leute aus dem Gebüsch gesprungen, und zwar in Sätzen, wie man sie nur in der Todesangst zu machen vermag.

»Was ist’s, was gibt’s?« rief ich ihm zu.

»Ein Bär, ein gewaltiger Bär, ein grauer Grizzlybär!« keuchte er, indem er an mir vorüberrannte.

Zu gleicher Zeit schrie eine zeternde Stimme:

»Zu Hilfe, zu Hilfe! Er hat mich fest! Oh, oh!«

In dieser Weise konnte ein Mensch nur dann brüllen, wenn er den offenen Rachen des Todes vor sich gähnen sah. Der Mann befand sich jedenfalls in der äußersten Gefahr; es mußte ihm Hilfe werden. Aber wie? Ich hatte mein Gewehr beim Zelte gelassen, weil es mich bei der Arbeit hinderte. Dies war keine Unvorsichtigkeit von mir gewesen, da wir Surveyors ja die Westmänner zu unserem Schutze bei uns hatten. Wollte ich erst nach dem Zelte laufen, so wurde der Mann, ehe ich zurückkam, von dem Bären zerrissen; ich mußte also hin zu ihm, so wie ich war; ich hatte nur das Messer und die beiden Revolver im Gürtel. Was sind aber das für Waffen gegen einen Grizzlybären! Der Grizzly ist ein naher Verwandter des ausgestorbenen Höhlenbären und gehört eigentlich mehr der Urzeit als der Gegenwart an. Er wird bis neun Fuß lang, und ich habe Exemplare erlegt, welche ebenso viel Zentner schwer waren. Seine Muskelkraft ist so riesig, daß er, einen Hirsch, ein Fohlen oder eine Bisonfärse im Rachen, mit Leichtigkeit davontrabt. Ein Reiter kann ihm nur dann entfliehen, wenn er ein sehr kräftiges und ausdauerndes Pferd besitzt, sonst holt ihn der graue Bär sicher ein. Bei der riesigen Stärke, der absoluten Furchtlosigkeit und nie ermüdenden Ausdauer des Grizzlybären gilt seine Erlegung unter den Indianern natürlich für eine ungeheuer kühne Tat.

Also ich sprang ins Gebüsch. Die Spur führte noch weiter, bis dahin, wo die Bäume begannen. Dorthin hatte der Bär den Bullen geschleppt. Von dorther war er vorher gekommen; darum hatten wir seine Spur nicht sehen können, da sie durch das Fortschleifen des Bisons ausgelöscht worden war.

Es war ein böser Augenblick. Hinter mir riefen die Surveyors, welche nach dem Zelte zu ihren Waffen flohen; vor mir schrien die Westleute, und dazwischen ertönte das unbeschreibliche Schmerzgeheul desjenigen von ihnen, den der Bär in seinen Tatzen hatte.

Ich kam mit jedem Sprunge, den ich tat, näher; jetzt hörte ich die Stimme des Bären, oder vielmehr nicht die Stimme, denn auch dadurch, daß es keine Stimme hat, unterscheidet sich dieses gewaltige Tier von den andern Bärenarten; es brummt nicht, sondern sein einziger Laut in Zorn oder Schmerz ist ein eigentümliches, lautes und rasches Schnauben und Fauchen.

Nun war ich da. Vor mir lag der vollständig zerfleischte Leib des Bisons; rechts und links schrien mir die Westmänner zu, welche sich rasch auf die Bäume retiriert hatten und sich dort ziemlich sicher fühlten, denn man hat wohl selten oder gar nie einen Grizzly aufbäumen sehen. Gradaus, jenseits der Büffelleiche, hatte einer der Westmänner einen Baum erklimmen wollen, war aber von dem Bären dabei überrascht worden. Er lag mit dem Oberleib, sich mit beiden Armen am Stamme festhaltend, auf dem ersten, niedrigen Aste, und der Grizzly, welcher sich hoch aufgerichtet hatte, wühlte ihm mit den Vorderpranken in den Schenkeln und dem Unterleibe. Der Mann war dem Tode geweiht, unrettbar verloren; ich konnte ihm nicht helfen, und niemand hätte, wenn ich wieder fortgelaufen wäre, das Recht gehabt, mir darüber einen Vorwurf zu machen; aber der Anblick, welcher sich mir bot, wirkte mit unwiderstehlicher Gewalt. Ich raffte eins der weggeworfenen Gewehre auf; es war leider abgeschossen. Ich drehte es um, sprang über den Büffel hinüber und versetzte dem Bären aus allen mir zu Gebote stehenden Kräften einen Kolbenhieb gegen den Schädel. Lächerlich! Das Gewehr zerplitterte wie Glas in meinen Händen; so einem Schädel ist nicht einmal mit einem Schlachtbeile beizukommen; aber ich hatte doch den Erfolg, den Grizzly von seinem Opfer abzulenken. Er drehte den Kopf nach mir um, nicht etwa schnell, wie es bei einem katzen-oder hundeartigen Raubtiere der Fall gewesen wäre, sondern langsam, als ob er über meinen dummen Angriff ganz verwundert sei. Mich mit seinen kleinen Augen messend, schien er zu überlegen, ob er bei seinem bisherigen Opfer bleiben oder mich anpacken solle; diese wenige Augenblicke retteten mir das Leben, denn es kam mir ein Gedanke, der einzige, der mir in der Lage, in welcher ich mich befand, Hilfe bringen konnte. Ich riß den einen Revolver heraus, sprang ganz nahe zu dem Bären heran, welcher mir zwar seinen Kopf, sonst aber den Rücken zukehrte, und schoß ihn ein-, zwei-, drei-, viermal in die Augen, so wie ich nicht weit von hier dem zweiten Büffelbullen zwei Schüsse in die Augen gegeben hatte. Dies geschah natürlich so schnell, wie es mir möglich war; dann sprang ich weit zur Seite und blieb da beobachtend stehen, indem ich nun das Bowiemesser zog.

Wäre ich stehen geblieben, so hätte ich es mit dem Leben bezahlt, denn das geblendete Raubtier ließ rasch vom Baume ab und warf sich nach der Stelle, an welcher ich mich einen Moment vorher befunden hatte. Ich war weg, und nun begann der Bär, unter giftigem Fauchen und wütenden Tatzenschlägen nach mir zu suchen. Er gebärdete sich wie wahnsinnig, drehte sich mit allen Vieren um sich selbst, riß die Erde auf, machte, mit den Vorderpranken weit um sich langend, Sprünge nach allen Seiten, um mich zu finden, konnte mich aber nicht erwischen, da ich zu meinem Glücke gut getroffen hatte. Vielleicht hätte ihm der Geruch als Führer zu ihm dienen können; aber er war rasend vor Wut, und dies verhinderte ihn, ruhig seinen Sinnen, seinem Instinkt zu folgen.

Endlich richtete er seine Aufmerksamkeit mehr auf seine Verletzungen als auf denjenigen, dem er sie zu verdanken hatte. Er setzte sich nieder, richtete sich in dieser Stellung auf und fuhr sich schnaubend und zähnefletschend mit den Vordertatzen über die Augen. Schnell stand ich neben ihm, holte aus und stieß ihm das Messer zweimal zwischen die Rippen. Er griff augenblicklich nach mir, aber ich war schon wieder fort. Ich hatte das Herz nicht getroffen, und das Suchen nach mir begann mit erneuter und verdoppelter Wut. Dies dauerte wohl zehn Minuten lang. Er verlor dabei viel Blut und wurde sichtlich matt. Dann setzte er sich wieder aufrecht hin, um sich nach den Augen zu langen. Dies gab mir Gelegenheit zu zwei weiteren, schnell aufeinander folgenden Messerstößen, und diesmal traf ich besser; er sank, während ich rasch wieder zur Seite gesprungen war, vorn nieder, lief taumelnd und fauchend einige Schritte vorwärts, dann zur Seite und wieder zurück, wollte sich abermals aufrichten, hatte aber nicht die Kraft dazu, sondern fiel hin und kollerte im vergeblichen Bemühen, auf die Beine zu kommen, einige Male hin und her, bis er sich lang ausstreckte und dann ruhig liegen blieb.

»Gott sei Dank!« schrie Rattler von seinem Baume herab. »Die Bestie ist tot. Das war eine schreckliche Gefahr, in der wir uns befanden.«

»Wüßte nicht, worin das Schreckliche für Euch liegen sollte,« antwortete ich. »Ihr hattet ja sehr gut für Eure Sicherheit gesorgt. Jetzt könnt Ihr herunterkommen.«

»Nein, nein, noch nicht. Untersucht vorher den Grizzly, ob er wirklich tot ist.«

»Er ist tot.«

»Das könnt Ihr nicht behaupten. Ihr habt gar keine Ahnung, welch ein zähes Leben so ein Vieh hat. Also untersucht ihn doch!«

»Für Euch etwa? Wenn Ihr wissen wollt, ob er noch lebt, so untersucht ihn selbst; Ihr seid ja ein berühmter Westmann, während ich nur ein Greenhorn bin.«

Ich wendete mich nun zu seinem Kameraden, welcher noch immer in der vorhin beschriebenen Lage an dem Baume hing. Er hatte zu heulen aufgehört, und bewegte sich nicht mehr. Sein Gesicht war verzerrt, und seine weit offenen Augen stierten verglast zu mir herab. Das Fleisch war ihm bis auf die Knochen von den Schenkeln gerissen, und die Eingeweide quollten ihm aus dem Unterleibe. Ich beherrschte mein Grauen und rief ihm zu:

»Laßt fahren, Sir! Ich werde Euch herunternehmen.«

Er antwortete nicht, und keine noch so leise Bewegung verriet, daß er mich verstanden habe. Ich bat seine Kameraden, von den Bäumen herabzusteigen und mir zu helfen. Diese berühmten “Westmänner” waren nicht eher dazu zu bewegen, als bis ich den Bären einige Male hin-und hergewendet und ihnen dadurch bewiesen hatte, daß er wirklich tot sei. Dann erst getrauten sie sich herunter und halfen mir, den so gräßlich Verstümmelten auf die Erde zu bringen. Dies hatte seine Schwierigkeiten, denn seine Arme hielten den Baum so fest umschlungen, daß wir sie nur mit Anwendung von Gewalt losbringen konnten. Er war tot.

Dieses schreckliche Ende schien aber seine Kameraden nicht im geringsten anzugreifen, denn sie wendeten sich gleichgültig von ihm ab und dem Bären zu, und ihr Anführer sagte:

»Jetzt wird es umgekehrt: Vorhin hat der Bär uns fressen wollen, nun wird er von uns gefressen werden. Rasch, ihr Leute, das Fell herunter, daß wir zu dem Schinken und den Tatzen kommen!«

Er zog sein Messer und kniete nieder, um seinen Worten die Tat folgen zu lassen; da aber bemerkte ich ihm:

»Es wäre jedenfalls rühmlicher gewesen, wenn Ihr Euer Messer an ihm versucht hättet, als er noch am Leben war. Jetzt ist’s zu spät dazu. Gebt Euch keine Mühe.«

»Was?« fuhr er auf. »Wollt Ihr mich etwa hindern, mir einen Braten herunter zu schneiden?«

»Das will ich allerdings, Mr. Rattler.«

»Mit welchem Rechte?«

»Mit dem besten, unbestreitbarsten Rechte. Ich habe den Bären erlegt.«

»Das ist nicht war. Ihr werdet doch nicht behaupten wollen, daß ein Greenhorn einen Grizzly mit dem Messer töten kann! Wir haben, als wir ihn erblickten, auf ihn geschossen.«

»Und Euch dann schleunigst auf die Bäume retiriert; ja, das ist wahr, sehr wahr!«

»Aber unsere Kugeln haben getroffen; an ihnen ist er schließlich verendet, nicht aber an den paar Nadelstichen, die Ihr ihm, als er schon halb tot war, mit Eurem Messer beigebracht habt. Der Bär ist unser, und wir machen mit ihm, was wir wollen. Verstanden?«

Er wollte sich wirklich an die Arbeit machen; ich aber warnte ihn:

»Laßt augenblicklich ab von ihm, Mr. Rattler; sonst lehre ich Euch, meine Worte zu achten! Auch verstanden?«

Da er trotzdem mit dem Messer in den Pelz des Bären fuhr, faßte ich ihn so, wie er niedergebückt vor demselben kniete, mit beiden Händen bei den Hüften, hob ihn empor und warf ihn an den nächsten Baum, daß es krachte. Es war mir in diesem Augenblicke des Zornes ganz gleichgültig, ob er dabei etwas brach oder nicht. Noch während er durch die Luft flog, riß ich meinen zweiten, noch geladenen Revolver heraus, um etwaigen Angriffen schnell zuvorzukommen. Er richtete sich wieder auf, blitzte mich mit vor Wut funkelnden Augen an zog sein Messer und rief:

»Das sollt Ihr mir bezahlen! Ihr habt mich schon einmal geschlagen, und ich werde dafür sorgen, daß Ihr Euch nicht zum drittenmal an mir vergreifen könnt.«

Er wollte einen Schritt auf mich zu tun; da hielt ich ihm meinen Revolver entgegen und drohte:

»Noch einen weiteren Schritt, und ich jage Euch eine Kugel in den Kopf! Weg mit dem Messer! Bei “drei” schieße ich, wenn Ihr es in der Hand behaltet. Also: eins zwei und «

Er hielt das Messer fest, und ich hätte wirklich geschossen, wenn auch nicht ihm in den Kopf, sondern ich hätte ihm zwei oder drei Kugeln durch die Hand gejagt, denn es galt, mir Respekt zu verschaffen; aber ich kam glücklicherweise nicht dazu, denn in diesem kritischen Augenblicke erscholl eine laute Stimme:

»Gents, seid ihr toll! Was könnte es für einen guten Grund geben, daß Weiße sich einander die Hälse brechen! Haltet ein!«

Wir blickten in die Richtung, in welcher diese Worte gesprochen wurden, und sahen einen Mann hinter einem Baume hervortreten. Er war klein, hager und buckelig und fast wie ein Roter gekleidet und bewaffnet. Man konnte nicht recht unterscheiden, ob er ein Weißer oder ein Indianer war. Sein scharf geschnittenes Gesicht deutete auf das letztere, während die Farbe seines jetzt allerdings von der Sonne verbrannten Gesichtes wahrscheinlich früher weiß gewesen war. Er trug den Kopf unbedeckt; das dunkle Haar hing ihm bis auf die Schultern herab. Sein Anzug bestand aus einer indianischen Lederhose, einem Jagdhemde aus demselben Stoffe und einfachen Mokassins. Bewaffnet war er nur mit einem Gewehre und einem Messer. Sein Auge blickte außerordentlich intelligent, und er brachte trotz seiner Mißgestalt keineswegs einen lächerlichen Eindruck hervor. Es sind ja überhaupt nur rohe und unverständige Menschen, welche über einen unverdienten körperlichen Fehler oder Mangel die Nase rümpfen können. Zu dieser Sorte gehörte Rattler, denn als er den Ankömmling erblickte, rief er lachend aus:

»Halloo, was kommt denn da für ein Zwerg und Mißgeschöpf gelaufen! Darf es denn hier im schönen Westen auch solche Leute geben?«

Der Fremde maß ihn von unten bis oben und antwortete in ruhigem, überlegenem Tone:

»Dankt Gott, wenn Ihr gesunde Glieder habt! Uebrigens kommt es nicht auf den Körper, sondern auf das Herz und den Geist an, und da sage ich Euch, daß ich eine Vergleichung mit Euch nicht zu scheuen brauche.«

Er machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand und wendete sich dann an mich:

»Habt Ihr Kraft in den Knochen, Sir! Das Experiment, einen so schweren Menschen so weit durch die Luft fliegen zu lassen, macht Euch so leicht niemand nach. Es war wirklich eine Wonne, zuzuschauen.«

Dann stieß er den Grizzly mit dem Fuße an und fuhr in bedauerndem Tone fort:

»Also das ist der Kerl, den wir haben wollten. Wir sind zu spät gekommen; das ist schade!«

»Ihr wolltet ihn erlegen?« fragte ich.

»Ja. Wir fanden gestern seine Fährte und sind ihr nach, kreuz und quer, durch dick und dünn, und nun wir an Ort und Stelle kommen, müssen wir leider sehen, daß die Arbeit schon getan ist.«

»Ihr redet in der Mehrzahl, Sir; seid Ihr nicht allein?«

»Nein. Es sind zwei Gentlemen bei mir.«

»Wer?«

»Werde es Euch dann sagen, wenn ich erfahren habe, wer Ihr seid. Ihr wißt, daß man in dieser Gegend nicht vorsichtig genug sein kann. Man stößt da mehr auf böse als auf gute Menschen.«

Er streifte dabei Rattler und dessen Leute mit seinem Blicke und fuhr dann freundlich fort:

»Uebrigens sieht man es einem Gentleman gleich an, daß man ihm trauen darf. Habe den letzten Teil eurer Unterhaltung gehört und weiß also so leidlich, woran ich bin.«

»Wir sind Surveyors, Sir,« erklärte ich ihm. »Ein Oberingenieur, vier Surveyors, drei Scouts und zwölf Westmänner, welche uns gegen etwaige Angriffe zu beschützen haben.«

»Hm, was dieses anbelangt, so scheint Ihr ein Mann zu sein, der keinen Beschützer braucht. Also Surveyors seid Ihr. Ihr befindet Euch hier in Tätigkeit?«

»Ja.«

»Was vermeßt Ihr da?«

»Eine Bahn.«

»Die hier vorübergehen soll?«

»Ja.«

»So habt Ihr das Gebiet gekauft?«

Sein Auge war während dieser Frage stechend und sein Gesicht ernster geworden. Er schien Grund zu diesen Erkundigungen zu haben; darum antwortete ich:

»Ich bin beauftragt, mich an den Vermessungen zu beteiligen, und dies tue ich, ohne mich um das übrige zu bekümmern.«

»Hm, ja! Denke aber, Ihr wißt trotzdem sehr wohl, woran Ihr seid. Der Boden, auf welchem Ihr Euch befindet, gehört den Indianern, und zwar den Apachen vom Stamme der Mescaleros. Ich kann ganz bestimmt behaupten, daß sie dieses Land weder verkauft noch sonst in irgend einer Weise an irgend jemand abgetreten haben.«

»Was geht das Euch an!« rief ihm da Rattler zu. »Bekümmert Euch nicht um fremde Angelegenheiten, sondern um die Eurigen.«

»Das tue ich auch, Sir, das tue ich, denn ich bin ein Apache, sogar ein Mescalero.«

»Ihr? Laßt Euch nicht auslachen! Man müßte ja blind sein, um Euch nicht anzusehen, daß Ihr ein Weißer seid.«

»Ihr irrt Euch doch! Ihr dürft Euch nicht nach meiner Haut, sondern nach meinem Namen richten. Ich werde Klekih-petra genannt.«

Dieser Name bedeutet in der Sprache der Apachen, deren Dialekte ich damals noch nicht kannte, so viel wie weißer Vater. Rattler schien diesen Namen schon gehört zu haben, denn er trat in ironischer Verwunderung einen Schritt zurück und sagte:

»Ah, Klekih-petra, der berühmte Schulmeister der Apachen! Schade, daß Ihr buckelig seid; es muß Euch da außerordentlich schwer werden, von den roten Bengels nicht ausgelacht zu werden.«

»O, das tut nichts, Sir. Ich bin es gewohnt, von Bengels verlacht zu werden, denn vernünftige Leute tun das nicht. Und nun ich weiß, wer Ihr seid und was Ihr hier treibt, kann ich Euch auch sagen, wer meine Begleiter sind. Es wird am besten sein, ich zeige sie Euch.«

Er rief ein Indianerwort, welches ich nicht verstand, in den Wald zurück, worauf zwei außerordentlich interessante Gestalten erschienen und langsam und würdevoll auf uns zukamen. Es waren Indianer, und zwar Vater und Sohn, wie man gleich auf den ersten Blick erkennen mußte.

Der Aeltere war von etwas mehr als mittlerer Gestalt, dabei sehr kräftig gebaut; seine Haltung zeigte etwas wirklich Edles, und aus seinen Bewegungen konnte man auf große körperliche Gewandtheit schließen. Sein ernstes Gesicht war ein echt indianisches, doch nicht so scharf und eckig, wie es bei den meisten Roten ist. Sein Auge besaß einen ruhigen, beinahe milden Ausdruck, den Ausdruck einer stillen, innern Sammlung, die ihn seinen gewöhnlichen Stammesgenossen gegenüber überlegen machen mußte. Sein Kopf war unbedeckt; das dunkle Haar hatte er in einen helmartigen Schopf aufgebunden, in welchem eine Adlerfeder, das Zeichen der Häuptlingswürde, steckte. Der Anzug bestand aus Mokassins, ausgefransten Leggins und einem ledernen Jagdrocke, dies alles sehr einfach und dauerhaft gefertigt. Im Gürtel steckte ein Messer, und an demselben hingen mehrere Beutel, in denen alle die Kleinigkeiten steckten, welche einem Westmanne nötig sind. Der Medizinbeutel hing an seinem Halse, daneben die Friedenspfeife mit dem aus heiligem Tone geschnittenen Kopfe. In der Hand hielt er ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holzteile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren. Dies war das Gewehr, welches sein Sohn Winnetou später unter dem Namen Silberbüchse zu so großer Berühmtheit bringen sollte.

Der Jüngere war genau so gekleidet wie sein Vater, nur daß sein Anzug zierlicher gefertigt worden war. Seine Mokassins waren mit Stachelschweinsborsten und die Nähte seiner Leggins und des Jagdrockes mit feinen, roten Nähten geschmückt. Auch er trug den Medizinbeutel am Halse und das Kalumet dazu. Seine Bewaffnung bestand wie bei seinem Vater aus einem Messer und einem Doppelgewehre. Auch er trug den Kopf unbedeckt und hatte das Haar zu einem Schopfe aufgewunden, aber ohne es mit einer Feder zu schmücken. Es war so lang, daß es dann noch reich und schwer auf den Rücken niederfiel. Gewiß hätte ihn manche Dame um dieses herrliche, blauschimmernde Haar beneidet. Sein Gesicht war fast noch edler als dasjenige seines Vaters und die Farbe desselben ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch. Er stand, wie ich jetzt erriet und später dann erfuhr, mit mir in gleichem Alter und machte gleich heut, wo ich ihn zum erstenmal erblickte, einen tiefen Eindruck auf mich. Ich fühlte, daß er ein guter Mensch sei und außerordentliche Begabung besitzen müsse. Wir betrachteten einander mit einem langen, forschenden Blicke, und dann glaubte ich, zu bemerken, daß in seinem ernsten, dunklen Auge, welches einen sammetartigen Glanz besaß, für einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufglänzte, wie ein Gruß, den die Sonne durch eine Wolkenöffnung auf die Erde sendet.

»Das sind meine Freunde und Begleiter,« sagte Klekih-petra, indem er erst auf den Vater und dann auf den Sohn deutete. »Dieser ist Intschu tschuna, der große Häuptling der Mescaleros, welcher auch von allen übrigen Apachenstämmen als Häuptling anerkannt wird. Und hier steht sein Sohn Winnetou, welcher trotz seiner Jugend schon mehr kühne Taten verrichtet hat, als sonst zehn alte Krieger in ihrem ganzen Leben ausgeführt haben. Sein Name wird einst genannt und gerühmt werden, so weit die Savannen und die Felsengebirge reichen.«

Das klang überschwänglich, war aber, wie ich später erfuhr, gar nicht zu viel gesagt. Rattler lachte höhnisch auf und rief aus:

»So ein junger Kerl und soll schon solche Taten begangen haben? Ich sage mit Absicht “begangen”, denn was er ausgeführt hat, werden doch nur Diebereien, Spitzbübereien und Räubereien gewesen sein. Man kennt das schon. Die Roten stehlen und rauben alle.«

Dies war eine schwere Beleidigung. Die drei Fremden taten so, als ob sie sie nicht gehört hätten. Sie traten zu dem Bären und betrachteten denselben. Klekih-petra bückte sich nieder und untersuchte ihn.

»Er ist an den Messerstichen und nicht an einer Kugel gestorben,« sagte er, zu mir gewendet.

Er hatte meinen Streit mit Rattler heimlich angehört und wollte mir nun konstatieren, daß ich recht gehabt hatte.

»Wird sich finden,« sagte Rattler. »Was versteht so ein buckeliger Schulmeister von der Bärenjagd. Wenn wir nachher dem Tiere das Fell abgezogen haben, so werden wir ganz deutlich sehen, welche Wunde tödlich gewesen ist. Von einem Greenhorn lasse ich mich nicht um mein Recht betrügen.«

Da bückte sich auch Winnetou zu dem Bären nieder, betastete ihn an den Stellen, wo er blutig war, und fragte mich, als er sich wieder aufgerichtet hatte:

»Wer hat dieses Tier mit dem Messer angegriffen?«

Er sprach ein sehr reines Englisch.

»Ich,« antwortete ich.

»Warum hat mein junger, weißer Bruder nicht auf ihn geschossen?«

»Weil ich kein Gewehr bei mir hatte.«

»Hier liegen doch Flinten!«

»Die gehören nicht mir. Diejenigen, deren Eigentum sie sind, warfen sie weg und kletterten auf die Bäume.«

»Als wir der Spur des Bären folgten, hörten wir in der Ferne ein großes Angstgeschrei. Wo ist das gewesen?«

»Hier.«

»Uff! Die Eichhörnchen und Stinktiere sind da, um auf die Bäume zu fliehen, wenn ein Feind sich ihnen naht. Der Mann aber soll kämpfen, denn wenn er Mut besitzt, so ist ihm die Macht gegeben, selbst das stärkste Tier zu überwinden. Mein junger, weißer Bruder hat solchen Mut besessen. Warum wird er da ein Greenhorn genannt?«

»Weil ich zum erstenmal und nur erst kurze Zeit im Westen bin.«

»Die Bleichgesichter sind sonderbare Menschen. Bei ihnen wird ein Jüngling, welcher sich nur mit dem Messer an den schrecklichen Grizzly wagt, Greenhorn geschimpft; diejenigen aber, welche aus Furcht auf die Bäume klettern und da oben vor Entsetzen heulen, dürfen sich für tüchtige Westmänner halten. Die roten Männer sind gerechter. Bei ihnen kann ein Tapferer nie als Feigling und ein Feigling nie als Tapferer gelten.«

»Mein Sohn hat sehr richtig gesprochen,« stimmte sein Vater in einem etwas weniger guten Englisch bei. »Dieses junge Bleichgesicht ist kein Greenhorn mehr. Wer den Grizzly in dieser Weise erlegt, der ist ein großer Held zu nennen. Und wer es gar noch tut, um Andere zu retten, die auf die Bäume entwichen sind, der kann von ihnen Dank aber nicht Schimpfreden erwarten. Howgh! Gehen wir hinaus ins Freie, um zu sehen, warum die Bleichgesichter sich hier in dieser Gegend befinden.«

Welch ein Unterschied zwischen meinen weißen Begleitern und diesen von ihnen verachteten Indianern! Der Gerechtigkeitssinn der Roten trieb sie, ohne daß sie es nötig hatten, sich zu meinen Gunsten auszusprechen. Es war sogar ein Wagnis, daß sie dies taten. Sie waren nur zu dreien und wußten nicht, wieviel Köpfe wir zählten; sie begaben sich gewiß in eine Gefahr, wenn sie sich unsere Westmänner zu Feinden machten. Daran schienen sie aber gar nicht zu denken. Sie gingen langsam und mit stolzen Schritten an uns vorüber und dann aus dem Gebüsch hinaus. Wir folgten ihnen. Da sah Intschu tschuna die Meßpfähle stecken, blieb stehen, wendete sich zu mir zurück und fragte:

»Was wird hier getrieben? Wollen die Bleichgesichter etwa dieses Land vermessen?«

»Ja.«

»Wozu?«

»Um einen Weg für das Feuerroß zu bauen.«

Sein Auge verlor den ruhigen, sinnenden Blick; es leuchtete zornig auf, und fast hastig erkundigte er sich:

»Du gehörst zu diesen Leuten?«

»Ja.«

»Und hast mit vermessen?«

»Ja.«

»Du wirst bezahlt dafür?«

»Ja.«

Da war es ein verächtlicher Blick, den er über mich hinweggleiten ließ, und ebenso verächtlich klang sein Ton, als er zu Klekih-petra sagte:

»Deine Lehren klingen sehr schön, aber sie treffen nicht oft zu. Da hat man endlich einmal ein junges Bleichgesicht gesehen mit einem tapferen Herzen, offenem Gesicht und ehrlichen Augen, und kaum hat man gefragt, was es hier tut, so ist es gekommen, um uns gegen Bezahlung unser Land zu stehlen. Die Gesichter der Weißen mögen gut sein oder bös, im Innern ist doch Einer wie der Andere!«

Wenn ich ehrlich sein will, so muß ich sagen, daß ich keine Worte zu meiner Verteidigung hätte finden können; ich fühlte mich innerlich beschämt. Der Häuptling hatte recht; es war so, wie er sagte. Konnte ich etwa stolz auf meinen Beruf sein, ich streng moralischer, christlicher Landesvermesser?

Der Oberingenieur hatte sich mit den drei Surveyors in das Zelt versteckt. Sie blickten durch ein Loch desselben nach dem gefürchteten Bären aus. Als sie uns kommen sahen, wagten sie sich hervor, nicht wenig erstaunt oder vielleicht auch betroffen darüber, daß sie die Indianer bei uns sahen. Sie empfingen uns natürlich mit der Frage, wie wir uns des Bären erwehrt hätten. Da antwortete Rattler schnell:

»Wir haben ihn erschossen, und zu Mittag wird es Bärentatzen, heut abend aber Bärenschinken zu essen geben.«

Unsere drei Gäste sahen mich an, ob ich mir dies gefallen lassen würde; darum machte ich die Bemerkung:

»Und ich behaupte, daß ich ihn erstochen habe. Hier stehen drei Sachverständige, welche mir recht gegeben haben; das soll aber gar nicht entscheidend sein. Wenn nachher Hawkens, Stone und Parker kommen, mögen sie ihre Urteile abgeben, nach denen wir uns richten werden. Bis dahin bleibt der Bär unangerührt liegen.«

»Den Teufel werde ich mich nach diesen dreien richten!« murrte Rattler. »Ich gehe mit meinen Leuten hin, um den Bären aufzubrechen, und wer uns da hindern will, dem jagen wir ein halbes Dutzend Kugeln in den Leib!«

»Tut nicht so dick, sonst mache ich Euch dünn, Mr. Rattler! Vor Euren Kugeln fürchte ich mich nicht so, wie Ihr Euch vor dem Bären gefürchtet habt. Ihr jagt mich auf keinen Baum; das laßt Euch nur gesagt sein! Daß Ihr hingeht, dagegen habe ich nichts, erwarte aber, daß Ihr es nur Eures toten Kameraden wegen tut, den Ihr begraben mögt. So liegen lassen dürft Ihr ihn doch nicht.«

»Es ist einer tot?« fragte Bancroft erschrocken.

»Ja, Rollins,« antwortete Rattler. »Dieser arme Teufel hat auch nur wegen der Dummheit eines Andern sein Leben lassen müssen, sonst hätte er sich retten können.«

»Wieso? Wessen Dummheit?«

»Nun, er machte es grad so wie wir und sprang nach einem Baum; er wäre ganz gut hinaufgekommen, aber da kam dieses Greenhorn alberner Weise gerannt und reizte den Bären, welcher sich dann wütend auf Rollins stürzte und ihn zerfleischte.«

Das war die Schlechtigkeit denn doch zu weit getrieben; ich stand beinahe sprachlos vor Erstaunen. Die Sache in dieser Weise darzustellen, und noch dazu in meiner Gegenwart, das durfte ich denn doch nicht dulden! Darum wandte ich mich schnell mit der Frage an ihn:

»Das ist Eure Ueberzeugung, Mr. Rattler?«

»Yes,« nickte er entschlossen. Er zog seinen Revolver heraus, denn er erwartete eine Tätlichkeit von mir.

»Rollins hätte sich retten können und wurde nur durch mich verhindert?«

»Yes.«

»Ich meine aber, daß der Bär ihn schon gefaßt hatte, ehe ich kam!«

»Das ist eine Lüge!«

»Well, so sollt Ihr jetzt die Wahrheit hören oder fühlen.«

Bei diesen Worten riß ich ihm mit der Linken den Revolver aus der Hand und gab ihm mit der Rechten eine so gewaltige Ohrfeige, daß er wohl sechs bis acht Schritte weit fort und da zur Erde flog. Er sprang auf, riß sein Messer heraus und kam, wie ein wütendes Tier brüllend, auf mich zugerannt. Ich parierte den Messerstich mit der linken Hand und schlug ihn mit der rechten Faust nieder, daß er zu meinen Füßen ohne Besinnung liegen blieb.

»Uff, uff!« rief Intschu tschuna erstaunt, indem er vor Bewunderung dieses Jagdhiebes die gebotene indianische Zurückhaltung vergaß. Im nächsten Augenblicke jedoch sah man ihm schon an, daß er diese Anerkennung bereute.

»Das war wieder Shatterhand,« sagte der Surveyor Wheeler.

Ich achtete nicht auf diese Worte, sondern hielt mein Auge auf Rattlers Kameraden gerichtet. Sie waren sichtlich wütend, aber es wagte keiner, mit mir anzubinden. Sie murrten und fluchten unter sich; aber das war auch alles, was sie taten.

»Nehmt Rattler doch einmal ernstlich vor, Mr. Bancroft,« forderte ich den Oberingenieur auf. »Ich habe ihm nichts getan, und doch sucht er sich stets an mir zu reiben. Ich fürchte, es kommt noch Mord und Totschlag hier im Lager vor. Lohnt ihn ab, und wenn Euch das nicht beliebt, nun, so kann ich ja gehen.«

»Oho, Sir, so schlimm ist die Sache denn doch wohl nicht!«

»Ja, so schlimm ist sie. Hier habt Ihr sein Messer und seinen Revolver. Gebt ihm diese Waffen nicht eher, als bis er sich beruhigt hat, nachdem er wieder zu sich gekommen ist. Denn ich sage Euch, ich wehre mich meiner Haut, und wenn er mir noch einmal mit einer Waffe kommt, so schieße ich ihn nieder. Ihr nennt mich ein Greenhorn, aber ich kenne doch die Gesetze der Prairie. Wer mir mit dem Messer oder der Kugel droht, den darf ich augenblicklich erschießen.«

Dies galt natürlich nicht nur Rattlern, sondern auch seinen “Westmännern”, von denen keiner ein Wort dazu sagte. Jetzt wendete sich der Häuptling Intschu tschuna an den Oberingenieur:

»Mein Ohr hat jetzt vernommen, daß du unter den hiesigen Bleichgesichtern derjenige bist, welcher den Befehl führt. Ist dies so?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»So habe ich mit dir zu reden.«

»Was?«

»Das sollst du hören. Du stehst auf deinen Füßen; aber Männer sollen sitzen, wenn sie sich beraten.«

»Willst du unser Gast sein?«

»Nein, das ist unmöglich. Wie kann ich dein Gast sein, wenn du dich bei mir auf meinem Boden, in meinem Walde, meinem Tale, meiner Prairie befindest? Die weißen Männer mögen sich setzen. Was sind das für Bleichgesichter, welche da noch kommen?«

»Sie gehören zu uns.«

»So mögen sie sich auch mit zu uns setzen.«

Sam, Dick und Will kamen nämlich jetzt von ihrem Ritte zurück. Sie als erfahrene Westleute wunderten sich nicht über die Anwesenheit der Indianer, wurden aber besorgt, als sie hörten, wer die beiden seien.«

»Und wer ist der dritte?« fragte mich Sam.

»Er heißt Klekih-petra, und Rattler hat ihn Schulmeister genannt.«

»Klekih-petrah, der Schulmeister? Ach, von dem habe ich gehört, wenn ich nicht irre. Das ist ein sehr geheimnisvoller Mensch, ein Weißer, welcher schon lange bei den Apachen lebt und so eine Art von Missionär zu sein scheint, wenn er auch kein Priester ist. Freut mich, ihn zu sehen. Werde ihm einmal auf den Zahn fühlen, hihihihi.«

»Wenn er sich darauf fühlen läßt!«

»Wird mich doch nicht in die Finger beißen? Ist sonst noch etwas vorgekommen?«

»Ja.«

»Was?«

»Etwas sehr Wichtiges.«

»Dann heraus damit!«

»Ich habe das getan, wovor Ihr mich gestern warntet.«

»Weiß nicht, was Ihr meint. Habe Euch vor vielem gewarnt.«

»Grizzlybär.«

»Wie wo waaaaas? Etwa gar ein grauer Bär dagewesen?«

»Und was für einer!«

»Wo denn, wo? Ihr macht doch nur Spaß!«

»Fällt mir gar nicht ein. Da unten hinter dem Gebüsch im Walde. Hat den alten Bullen hineingeschafft.«

»Wirklich, wirklich? Alle Wetter, muß das grad dann passieren, wenn unsereiner nicht da ist! Hat es Tote gegeben?«

»Einen nämlich Rollins.«

»Und Ihr? Was habt Ihr getan? Habt Euch doch fern gehalten?«

»Ja.«

»Recht so! Möchte es aber fast nicht glauben.«

»Könnt es getrost glauben. Habe mich grad so fern von ihm gehalten, daß er mir nichts tun, ich ihm aber mein Messer viermal zwischen die Rippen stoßen konnte.«

»Seid Ihr gescheit! Habt ihn mit dem Messer angegriffen?«

»Ja. Hatte die Büchse nicht da.«

»Welch ein Kerl! Ein echtes, richtiges Greenhorn. Hat extra einen schweren Bärentöter mitgebracht, und nun der Bär kommt, schießt er mit dem Messer anstatt mit der Büchse. Sollte man so etwas für möglich halten? Wie ist es denn gekommen?«

»So, daß Rattler behauptet, ich hätte ihn nicht erlegt, sondern er.«

Ich erzählte ihm, wie sich der Vorgang abgespielt hatte, auch daß ich dann wieder mit Rattler zusammengeraten war.

»Mensch, Ihr seid wirklich ein ganz unglaublich leichtsinniger Kerl!« rief er aus. »Hat noch nie einen Grizzly gesehen und geht darauf los, als ob es sich um einen alten Pudelhund handelte! Ich muß mir das Tier ansehen, sofort ansehen. Kommt, Dick und Will! Ihr müßt doch auch sehen, was dieses Greenhorn hier abermals für dumme Streiche gemacht hat.« Er wollte fort, da aber in diesem Augenblicke Rattler wieder zu sich kam, wendete er sich zuvor an diesen:

»Hört, Mr. Rattler, ich habe Euch etwas mitzuteilen. Ihr habt abermals mit meinem jungen Freunde angebunden. Wenn Ihr dies noch einmal wagen solltet, so werde ich dafür sorgen, daß es überhaupt nicht wieder geschehen kann. Meine Geduld ist nun zu Ende. Merkt Euch das!«

Er entfernte sich mit Stone und Parker. Rattler machte ein grimmiges Gesicht, warf mir haßerfüllte Blicke zu, sagte aber nichts, doch war ihm anzusehen, daß er einer Mine glich, welche im nächsten Augenblicke platzen konnte.

Die beiden Indianer und Klekih-petra hatten sich in das Gras niedergelassen. Der Oberingenieur saß ihnen gegenüber, doch begannen sie ihre Unterhaltung noch nicht. Sie wollten die Rückkehr Sams abwarten, um zu hören, was für ein Urteil er abgeben werde. Er kam schon nach kurzer Zeit wieder und rief schon von weitem aus:

»Welch eine Dummheit ist es gewesen, auf den Grizzly zu schießen und dann zu fliehen. Wenn man ihm nicht standhalten will, so schießt man überhaupt nicht, sondern läßt ihn in Ruhe; dann tut er einem nichts. Dieser Rollins sieht gräßlich aus! Und wer soll den Bär erlegt haben?«

»Ich,« rief Rattler rasch.

»Ihr? Womit denn?«

»Mit meiner Kugel.«

»Well, das stimmt ist richtig.«

»Dachte es!«

»Ja, der Bär ist an einer Kugel gestorben.«

»Also gehört er mir. Hört ihr es, ihr Leute! Sam Hawkens hat sich für mich erklärt,« schrie Rattler triumphierend.

»Ja, für Euch. Eure Kugel ist ihm am Kopf vorbeigegangen und hat ihm ein Spitzchen vom Ohre weggenommen. Und an so einem Ohrenspitzchen stirbt so ein Grizzlybärchen natürlich auf der Stelle, hihihihi! Wenn es wirklich so ist, daß mehrere geschossen haben, so haben sie in ihrer Angst eben grad vorbeigeschossen; nur eine Kugel hat das Ohr gestreift; sonst ist keine Spur von einer Kugel vorhanden. Aber vier tüchtige Messerstiche sind da, zwei neben das Herz und zwei dann grad hinein. Wer aber hat gestochen?«

»Ich,« antwortete ich.

»Ihr allein?«

»Weiter niemand.«

»So gehört der Bär Euch. Das heißt, da wir eine Gesellschaft bilden, so ist der Pelz Euer, und das Fleisch gehört allen; aber Ihr habt zu bestimmen, wie es verteilt wird. Das ist so Brauch im wilden Westen. Was sagt Ihr nun dazu, Mr. Rattler?«

»Hol Euch der Teufel!«

Er ließ noch einige grimmige Flüche hören und ging dann zum Wagen, auf welchem das Brandyfaß lag. Ich sah, daß er sich Branntwein in den Becher laufen ließ, und wußte, daß er nun so lange trinken würde, bis er nicht mehr konnte.

Diese Angelegenheit war nun geordnet, und so forderte Bancroft den Häuptling der Apachen auf, seinen Wunsch vorzutragen.

»Es ist kein Wunsch, sondern ein Befehl, welchen ich aussprechen will,« antwortete Intschu tschuna stolz.

»Wir nehmen keine Befehle an,« versicherte der Oberingenieur ebenso stolz.

Ueber das Gesicht des Häuptlings wollte es wie Aerger gleiten; er beherrschte sich aber und sagte in ruhigem Tone:

»Mein weißer Bruder mag mir einige Fragen beantworten und mir dabei die Wahrheit sagen. Hat er ein Haus da, wo er wohnt?«

»Ja.«

»Und einen Garten daran?«

»Ja.«

»Wenn nun der Nachbar einen Weg durch diesen Garten bauen wollte, würde das mein Bruder dulden?«

»Nein.«

»Die Länder jenseits der Felsenberge und im Osten des Mississippi gehören den Bleichgesichtern. Was würden diese dazu sagen, wenn die Indianer kämen und dort eiserne Pfade bauen wollten?«

»Sie würden sie fortjagen.«

»Mein Bruder hat die Wahrheit gesprochen. Nun aber kommen die Bleichgesichter hierher in dieses Land, welches uns gehört; sie fangen uns die Mustangs fort, sie töten unsre Büffel; sie suchen bei uns Gold und edle Steine. Nun wollen sie gar einen langen, langen Weg bauen, auf dem ihr Feuerroß laufen soll. Auf diesem Wege kommen dann immer mehr Bleichgesichter, welche über uns herfallen und uns auch noch das Wenige nehmen, was man uns gelassen hat. Was werden wir dazu sagen?«

Bancroft schwieg.

»Haben wir etwa weniger Recht als ihr? Ihr nennt euch Christen und sprecht immerfort von Liebe. Dabei aber sagt ihr: ihr könnt uns bestehlen und berauben; wir aber müssen ehrlich gegen euch sein. Ist das Liebe? Ihr sagt, euer Gott sei der gute Vater aller roten und aller weißen Menschen. Ist er nun unser Stiefvater, dagegen euer richtiger Vater? Gehörte nicht das ganze Land den roten Männern? Man hat es uns genommen. Was haben wir dafür bekommen? Elend, Elend und Elend! Ihr jagt uns immer weiter zurück und drängt uns immer weiter zusammen, so daß wir in kurzer Zeit elendiglich ersticken werden. Warum tut ihr das? Etwa aus Not, weil ihr keinen Raum mehr habt? Nein, sondern aus Habgier, denn in euern Ländern ist noch Platz für viele, viele Millionen. Jeder von euch möchte einen ganzen Staat, ein ganzes Land besitzen; der Rote aber, der wirkliche Eigentümer, darf nicht haben, wohin er sein Haupt zur Ruhe legt. Klekih-petra, welcher hier neben mir sitzt, hat mir von euerm heiligen Buche erzählt. Da ist zu lesen, daß der erste Mensch zwei Söhne hatte, von denen der eine den andern erschlug, so daß das Blut zum Himmel schrie. Wie ist es nun mit den zwei Brüdern, dem roten und dem weißen Bruder? Seid ihr nicht der Kain, und wir sind der Abel, dessen Blut zum Himmel schreit? Und dazu verlangt ihr noch, daß wir uns umbringen lassen sollen, ohne uns zu wehren! Nein, wir wehren uns! Wir sind von Ort zu Ort verjagt worden, weiter, immer weiter fort. Jetzt wohnen wir hier. Wir glaubten, einmal ausruhen und ruhig atmen zu können; aber da kommt ihr jetzt schon wieder, um einen Eisenweg abzustecken. Besitzen wir denn nicht dasselbe Recht, welches du in deinem Hause, in deinem Garten besitzest? Wollten wir unsere Gesetze anwenden, so müßten wir euch alle töten. Aber wir wünschen nur, daß eure Gesetze auch für uns gelten sollen. Tun sie das? Nein! Eure Gesetze haben zwei Gesichter, und diese dreht ihr uns zu, wie es zu euerm Vorteile ist. Du willst hier einen Weg bauen. Hast du uns um die Erlaubnis gefragt?«

»Nein, denn das habe ich nicht nötig.«

»Warum nicht? Ist dieses Land euer?«

»Ich denke es.«

»Nein. Es gehört uns. Hast du es uns abgekauft?«

»Nein.«

»Haben wir es dir geschenkt?«

»Nein, mir nicht.«

»Und auch keinem Andern. Bist du ein ehrlicher Mann und wirst hierher gesandt, um einen Weg für das Feuerroß zu bauen, so mußt du erst den Mann, der dich sendet, fragen, ob er das Recht dazu hat, und wenn er ja sagt, dir dies beweisen lassen. Das hast du aber nicht getan. Ich verbiete euch, hier weiter zu messen!«

Dieses letztere sagte er mit einem Nachdrucke, dem man den bittersten Ernst anhörte. Ich war erstaunt über diesen Indianer. Ich hatte viele Bücher über die rote Rasse und viele Reden gelesen, welche von Indianern gehalten worden waren, so eine aber nicht. Intschu tschuna sprach ein klares, deutliches Englisch; seine Logik war ebenso wie seine Ausdrucksweise diejenige eines gebildeten Mannes. Sollte er diese Vorzüge Klekih-petra, dem “Schulmeister”, zu verdanken haben?

Der Oberingenieur befand sich in großer Verlegenheit. Wenn er wahr und ehrlich sein wollte, so konnte er auf die vorgebrachten Beschuldigungen fast gar nichts entgegnen. Er brachte zwar einiges vor, aber das waren Spitzfindigkeiten, Verkehrungen und Trugschlüsse. Als ihm der Häuptling wieder antwortete und ihn in die Enge trieb, wendete er sich an mich:

»Aber, Sir, hört Ihr denn nicht, wovon gesprochen wird? Nehmt Euch doch der Sache an, und redet auch ein Wort!«

»Danke, Mr. Bancroft; ich bin als Surveyor hier, nicht aber als Advokat. Macht mit und aus der Sache, was Ihr wollt. Ich habe zu messen, nicht aber Reden zu halten.«

Da bemerkte der Häuptling im entscheidenden Tone:

»Es ist nicht nötig, daß fernere Reden gehalten werden. Ich habe gesagt, daß ich euch nicht dulde. Ich will, daß ihr noch heut von hier fortgeht, dahin, woher ihr gekommen seid. Entscheidet euch, ob ihr gehorchen wollt oder nicht. Ich gehe jetzt mit Winnetou, meinem Sohne, fort und werde wiederkommen nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen. Dann sollt ihr mir Antwort geben. Geht ihr dann, so sind wir Brüder; geht ihr nicht, so wird das Kriegsbeil ausgegraben zwischen uns und euch. Ich bin Intschu tschuna, der Häuptling aller Apachen. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Howgh ist ein indianisches Bekräftigungswort und heißt so viel wie Amen, basta, dabei bleibt’s, so geschieht’s und nicht anders! Er stand auf und Winnetou auch. Sie gingen fort und schritten langsam das Tal hinab, bis sie um eine Biegung verschwanden. Klekih-petra war sitzen geblieben. Der Oberingenieur wendete sich an ihn und bat ihn um guten Rat. Er antwortete:

»Macht was Ihr wollt, Sir! Ich bin ganz der Ansicht des Häuptlings. Es geschieht ein großes, fortgesetztes Verbrechen an der roten Rasse. Aber als Weißer weiß ich auch, daß der Indsman sich vergeblich wehrt. Wenn ihr heut von hier fortgeht, werden morgen Andere kommen, die euer Werk zu Ende führen. Aber warnen will ich euch. Der Häuptling meint es ernstlich.«

»Wohin ist er?«

»Er wird unsere Pferde holen.«

»Habt ihr denn welche mit?«

»Natürlich. Wir haben sie versteckt, als wir merkten, daß wir dem Bären nahe seien. Einen Grizzly sucht man doch nicht zu Pferde in seinem Verstecke auf.«

Er stand auch auf und schlenderte fort, jedenfalls um sich weiterem Fragen und Drängen zu entziehen. Ich ging ihm nach und fragte trotzdem:

»Sir, erlaubt Ihr mir, mit Euch zu gehen? Ich verspreche Euch, nichts zu sagen oder zu tun, was Euch inkommodiert. Es ist nur, weil ich mich so außerordentlich für Intschu tschuna interessiere und natürlich ebenso für Winnetou.«

Daß auch er selbst mir große Teilnahme einflößte, wollte ich ihm nicht sagen.

»Ja, kommt ein wenig mit, Sir,« antwortete er. »Ich habe mich von den Weißen und ihrem Treiben zurückgezogen; ich mag nichts mehr von ihnen wissen; aber Ihr habt mir gefallen, und so wollen wir einen Spaziergang miteinander machen. Ihr scheint mir der verständigste von allen diesen Menschen zu sein. Habe ich recht?«

»Ich bin der jüngste und noch gar nicht smart; werde dies wohl auch nie werden. Das mag mir wohl das Aussehen eines leidlich gutherzigen Menschen geben.«

»Nicht smart? Dies ist doch jeder Amerikaner mehr oder weniger.«

»Ich bin kein Amerikaner.«

»Was denn, wenn Euch die Frage nicht belästigt?«

»Gar nicht. Ich habe keine Ursache, mein Vaterland, welches ich sehr liebe, zu verheimlichen. Ich bin ein Deutscher.«

»Ein Deutscher?« fuhr er mit dem Kopfe schnell empor. »Dann heiße ich Sie willkommen, Landsmann! Das war es wohl, was mich gleich zu Ihnen zog. Wir Deutschen sind eigentümliche Menschen. Unsere Herzen erkennen einander als verwandt, noch ehe wir es uns sagen, daß wir Angehörige eines Volkes sind wenn es doch nun endlich einmal ein einiges Volk werden wollte! Ein Deutscher, der ein vollständiger Apache geworden ist! Kommt Ihnen das nicht außerordentlich vor?«

»Außerordentlich nicht. Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche.«

»Gottes Wege! Warum sprechen Sie von Gott und nicht von der Vorsehung, dem Schicksale, dem Fatum, dem Kismet?«

»Weil ich ein Christ bin und mir meinen Gott nicht nehmen lasse.«

»Recht so; Sie sind ein glücklicher Mensch! Ja, Sie haben recht: Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche. Die größten Wunder sind die Folgen natürlicher Gesetze, und die alltäglichsten Naturerscheinungen sind große Wunder. Ein Deutscher, ein Studierter, ein namhafter Gelehrter, und nun ein richtiger Apache; das scheint wunderbar; aber der Weg, der mich zu diesem Ziele geführt hat, ist ein sehr natürlicher.«

Hatte er mich erst halb widerwillig mit sich genommen, so freute er sich jetzt, sich aussprechen zu können. Ich merkte sehr bald, daß er ein bedeutender Charakter war, hütete mich aber, irgend eine, wenn auch noch so leise Frage nach seiner Vergangenheit zu tun. Er legte sich diese Rücksicht nicht auf und erkundigte sich ganz wacker nach meinen Verhältnissen. Ich antwortete ihm so ausführlich, wie es ihm lieb zu sein schien.

Wir hatten uns gar nicht weit vom Lager entfernt und uns unter einen Baum gelegt. Ich konnte sein Gesicht, sein Mienenspiel genau beobachten. Das Leben hatte tiefe Runen in dasselbe eingegraben, die langen Grundstriche des Grames, die durchquerenden Gedankenstriche des Zweifels, die Zickzacklinien der Not, der Sorge und Entbehrung. Wie oft mochte sein Auge düster, drohend, zornig, ängstlich, vielleicht auch verzweifelnd geblickt haben, und nun war es klar und ruhig wie ein Waldsee, den kein Windstoß kräuselt, der aber so tief ist, daß man nicht sehen kann, was auf seinem Grunde ruht. Als er alles Wissenswerte von mir gehört hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte:

»Sie stehen am Anfange der Kämpfe, an deren Ende ich angekommen bin; aber diese werden für Sie nur äußerliche, keine inneren sein. Sie haben Gott, den Herrn, bei sich, der Sie nie verlassen wird. Bei mir war es anders. Ich hatte Gott verloren, als ich aus der Heimat ging, und nahm an Stelle des Reichtumes, den ein fester Glaube bietet, das Schlimmste mit, was der Mensch besitzen kann, nämlich ein böses Gewissen.«

Er sah mich bei diesen Worten forschend an. Als er mein Gesicht ruhig bleiben sah, fragte er:

»Erschrecken Sie da nicht?«

»Nein.«

»Aber ein böses Gewissen! Bedenken Sie doch!«

»Pah! Sie sind kein Dieb, kein Mörder gewesen. Einer niedrigen Gesinnung waren Sie nie fähig.«

Er drückte mir die Hand und sprach:

»Ich danke Ihnen herzlich! Und doch irren Sie sich. Ich war ein Dieb, denn ich habe viel, ach so viel gestohlen! Und das waren kostbare Güter! Und ich war ein Mörder. Wie viele, viele Seelen habe ich gemordet! Ich war Lehrer an einer höheren Schule; wo, das zu sagen, ist nicht nötig. Mein größter Stolz bestand darin, Freigeist zu sein, Gott abgesetzt zu haben, bis auf das Tüpfel nachweisen zu können, daß der Glaube an Gott ein Unsinn ist. Ich war ein guter Redner und riß meine Hörer hin. Das Unkraut, welches ich mit vollen Händen ausstreute, ging fröhlich auf, kein Körnchen ging verloren. Da war ich der Massendieb, der Massenräuber, der den Glauben an und das Vertrauen zu Gott in ihnen tötete. Dann kam die Zeit der Revolution. Wer keinen Gott anerkennt, dem ist auch kein König, keine Obrigkeit heilig. Ich trat öffentlich als Führer der Unzufriedenen auf; sie tranken mir die Worte förmlich von den Lippen, das berauschende Gift, welches ich freilich für heilsame Arznei hielt; sie stürmten in Scharen zusammen und griffen zu den Waffen. Wie viele, viele fielen im Kampfe! Ich war ihr Mörder, und nicht etwa der Mörder dieser allein. Andere starben später hinter Kerkermauern. Auf mich wurde natürlich mit allem Fleiße gefahndet; ich entkam. Ich verließ das Vaterland, ohne mich zu grämen. Keine liebende Seele weinte um mich; ich hatte weder Vater noch Mutter mehr, weder Bruder, Schwester noch sonstige Verwandte. Kein Auge weinte um mich, aber wie viele, viele wegen mir! Daran dachte ich aber gar nicht, bis diese Erkenntnis über mich kam wie ein Keulenschlag, der mich beinahe zu Boden streckte. Am Tage, bevor ich die schützende Grenze erreichte, wurde ich von der Polizei gehetzt, die mir hart auf den Fersen war. Es ging durch ein armes Fabrikdorf. Dem sogenannten Zufalle folgend, rannte ich durch ein kleines Gärtchen in ein armseliges Häuschen und vertraute mich, ohne meinen Namen zu nennen, einem alten Mütterchen und ihrer Tochter an, die ich in der niedrigen Stube fand. Sie versteckten mich um ihrer Männer willen, deren Kamerad ich gewesen sei, wie sie sagten. Dann saßen sie bei mir im dunkeln Winkel und erzählten mir unter bitteren Tränen von ihrem Herzeleide. Sie waren arm, aber zufrieden gewesen; die Tochter hatte sich erst vor einem Jahre verheiratet gehabt. Ihr Mann hörte eine meiner Reden und wurde durch dieselbe verführt. Er nahm seinen Schwiegervater mit auf die nächste Versammlung, und das Gift wirkte auch auf diesen. Ich hatte diese vier braven Menschen um ihr Lebensglück gebracht. Der junge Mann fiel auf dem Schlachtfelde, welches kein Feld der Ehre war, und der alte Vater wurde zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Dies erzählten mir die Frauen, die mich, der an ihrem Unglücke schuld war, gerettet hatten. Sie nannten meinen Namen als den des Verführers. Das war der Keulenschlag, welcher mich, nicht äußerlich, sondern innerlich traf. Gottes Mühle begann zu mahlen. Die Freiheit war mir geblieben, aber im Innern litt ich Qualen, zu denen mich kein Richter hätte verurteilen können. Ich irrte hier aus einem Staate in den andern, trieb bald dies bald jenes und fand nirgends Ruhe. Das Gewissen peinigte mich aufs entsetzlichste. Wie oft bin ich dem Selbstmorde nahe gewesen; immer hielt mich eine unsichtbare Hand zurück Gottes Hand. Sie leitete mich nach Jahren der Qual und der Reue zu einem deutschen Pfarrer in Kansas, der meinen Seelenzustand erriet und in mich drang, mich ihm mitzuteilen. Ich tat es zu meinem Glücke. Ich fand, freilich erst nach langen Zweifeln, Vergebung und Trost, festen Glauben und inneren Frieden. Herrgott, wie danke ich dir dafür!«

Er hielt inne, faltete die Hände und warf einen langen, langen, leuchtenden Blick zum Himmel empor. Dann fuhr er fort:

»Um mich innerlich zu festigen, floh ich die Welt und die Menschen; ich ging in die Wildnis. Aber nicht der Glaube allein ist’s, welcher selig macht. Der Baum des Glaubens muß die Früchte der Werke tragen. Ich wollte wirken, womöglich grad entgegengesetzt meinem früheren Wirken. Da sah ich den roten Mann sich verzweiflungsvoll sträuben gegen den Untergang; ich sah die Mörder in seinem Leibe wühlen, und das Herz ging mir über von Zorn, von Mitleid und Erbarmen. Sein Schicksal war beschlossen; ich konnte ihn nicht retten; aber eins zu tun, das war mir möglich: ihm den Tod erleichtern und auf seine letzte Stunde den Glanz der Liebe, der Versöhnung fallen lassen. Ich ging zu den Apachen und lernte es, mein Wirken ihrer Individualität anzubequemen. Ich habe Vertrauen gefunden und Erfolge errungen. Ich wollte, Sie könnten Winnetou kennen lernen; er ist so eigentlich mein eigenstes Werk. Dieser Jüngling ist groß angelegt. Wäre er der Sohn eines europäischen Herrschers, so würde er ein großer Feldherr und ein noch größerer Friedensfürst werden. Als Erbe eines Indianerhäuptlings aber wird er untergehen, wie seine ganze Rasse untergeht. Könnte ich doch den Tag erleben, an welchem er sich einen Christen nennt! Wo nicht, so will ich wenigstens bis zum Tage meines Todes bei ihm sein in jeder Anfechtung, Gefahr und Not. Er ist mein geistiges Kind; ich liebe ihn mehr als mich selbst, und wäre mir einmal das Glück beschieden, die tödliche Kugel, die ihm gelten soll, in meinem Herzen aufzufangen, so würde ich mit Freuden für ihn sterben und dabei denken, daß dieser Tod zugleich eine letzte Sühne meiner früheren Sünden sei!«

Er schwieg und senkte den Kopf. Ich war tief bewegt und sagte nichts, denn ich hatte das Gefühl, als ob jede Bemerkung nach einem solchen Bekenntnisse trivial klingen müsse; aber ich nahm seine Hand in die meinige und drückte sie herzlich. Er verstand mich und gab mir dies durch ein leises Nicken und einen Gegendruck zu erkennen. Es verging eine ganze Weile, bis er leise fragte:

»Woher es nur kommt, daß ich Ihnen dies erzählt habe? Ich sehe Sie heut zum erstenmal und werde Sie vielleicht nie wiedersehen. Oder ist es auch eine Gottesfügung, daß ich hier und jetzt mit Ihnen zusammengetroffen bin? Sie sehen, ich, der frühere Gottesleugner, suche jetzt alles auf diesen höhern Willen zurückzuführen. Es ist mir mit einemmal so sonderbar, so weich, so wehe um das Herz, doch ist dies “wehe” kein schmerzliches Gefühl. Eine ganz ähnliche Stimmung überkommt einen, wenn im Herbste die Blätter fallen. Wie wird sich das Blatt meines Lebens vom Baume lösen? Leise, leicht und friedlich? Oder wird es abgeknickt, noch ehe die natürliche Zeit gekommen ist?«

Er blickte wie in stiller, unbewußter Sehnsucht das Tal hinab. Von dorther sah ich Intschu tschuna und Winnetou kommen. Sie saßen jetzt auf Pferden und führten dasjenige Klekih-petras ledig neben sich. Wir standen auf, um nach dem Lager zu gehen, wo wir mit beiden zugleich ankamen. Am Wagen lehnte Rattler mit feuerrotem, aufgedunsenem Gesichte und stierte zu uns herüber. Er hatte während der kurzen Zeit so viel getrunken, daß er nun nicht mehr trinken konnte, ein schrecklicher, ein ganz vertierter Mensch! Sein Blick war heimtückisch wie derjenige eines wilden Stieres, welcher zum Angriffe schreiten will. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben.

Der Häuptling und Winnetou waren von ihren Pferden gestiegen und traten zu uns. Wir standen in einem ziemlich weiten Kreise beisammen.

»Nun, haben meine weißen Brüder sich überlegt, ob sie hier bleiben oder fortgehen wollen?« fragte Intschu tschuna.

Der Oberingenieur war auf einen vermittelnden Gedanken gekommen; er antwortete:

»Wenn wir auch fortgehen wollten, so müssen wir doch hier bleiben, um den Befehlen zu gehorchen, welche wir empfangen haben. Ich werde noch heut einen Boten nach Santa Fé senden und anfragen lassen; dann kann ich dir Antwort geben.«

Das war gar nicht so übel ausgedacht, denn bis der Bote zurückkehrte, mußten wir mit unserer Arbeit fertig sein. Der Häuptling aber sagte in bestimmtem Tone:

»So lange warte ich nicht. Meine weißen Brüder müssen mir sofort sagen, was sie tun wollen.«

Rattler hatte sich einen Becher mit Brandy gefüllt und war zu uns gekommen. Ich dachte, er habe es auf mich abgesehen, aber er trat jetzt zu den beiden Indianern und sagte mit lallender Zunge:

»Wenn die Indsmen mit mir trinken, so tun wir ihnen den Willen und gehen fort, sonst nicht. Der Junge mag anfangen. Hier hast du das Feuerwasser, Winnetou.«

Er hielt ihm den Becher hin. Winnetou trat mit einer abweisenden Gebärde zurück.

»Was, du willst keinen Drink mit mir tun? Das ist eine verdammte Beleidigung. Hier hast du den Brandy ins Gesicht, verfluchte Rothaut. Lecke ihn dir ab, da du ihn nicht trinken willst!«

Ehe es Einer von uns zu verhindern vermochte, schleuderte er dem jungen Apachen den Becher nebst Inhalt in das Gesicht. Das war nach indianischen Begriffen eine todeswürdige Beleidigung, welche auch sofort, wenn auch nicht so streng bestraft wurde, denn Winnetou schlug dem Frevler die Faust in das Gesicht, daß er zu Boden stürzte. Er raffte sich mühsam wieder auf. Schon machte ich mich zum Einschreiten gefaßt, denn ich glaubte, er werde zur Tätlichkeit schreiten; dies geschah aber nicht; er starrte den jungen Apachen nur drohend an und wankte dann fluchend wieder nach dem Wagen zurück.

Winnetou trocknete sich ab und zeigte, grad wie sein Vater, eine starre, unbewegte Miene, der man nicht ansehen konnte, was im Innern vorging.

»Ich frage noch einmal,« sagte der Häuptling; »dies ist das letzte Mal. Werden die Bleichgesichter noch heut dieses Tal verlassen?«

»Wir dürfen nicht,« lautete die Antwort.

»So verlassen aber wir es. Es ist kein Friede zwischen uns.«

Ich machte noch einen Versuch der Vermittelung, doch vergeblich; die drei gingen zu ihren Pferden. Da erscholl vom Wagen her Rattlers Stimme:

»Immer fort mit euch, ihr roten Hunde! Aber den Hieb ins Gesicht soll mir der Junge sofort bezahlen!«

Zehnmal schneller, als man es ihm bei seinem Zustande zutrauen konnte, hatte er ein Gewehr aus dem Wagen genommen und schlug es auf Winnetou an. Dieser stand im Augenblicke frei und ohne Deckung; die Kugel mußte ihn treffen, denn es geschah alles so schnell, daß ihn keine Bewegung retten konnte. Da schrie Klekih-petra voller Angst auf:

»Weg, Winnetou, schnell weg!«

Zu gleicher Zeit sprang er hin, um sich schützend vor den jungen Apachen zu stellen. Der Schuß krachte; Klekih-petra fuhr sich, von der Gewalt des Kugelaufschlages halb umgedreht, mit der Hand nach der Brust, taumelte einige Augenblicke hin und her und fiel dann auf die Erde nieder. In diesem Augenblicke stürzte aber auch Rattler, von meiner Faust getroffen, zu Boden. Ich war, um den Schuß zu verhüten, rasch zu ihm hingesprungen, aber doch zu spät gekommen. Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens war erschollen; nur die beiden Apachen hatten keinen Laut von sich gegeben. Sie knieten bei ihrem Freunde, der sich für seinen Liebling aufgeopfert hatte, und untersuchten stumm seine Wunde. Er war ganz nahe am Herzen in die Brust getroffen; das Blut schoß mit Gewalt hervor. Ich eilte auch hinzu. Klekih-petra hielt die Augen geschlossen; sein Gesicht wurde mit rapider Schnelligkeit bleich und hohl.

»Nimm seinen Kopf in deinen Schoß,« bat ich Winnetou. »Wenn er das Auge öffnet und dich erblickt, wird sein Tod ein froher sein.«

Er kam dieser Aufforderung nach, ohne ein Wort zu sagen; keine seiner Wimpern zuckte; aber sein Blick hing unverwandt an dem Angesichte des Sterbenden. Da öffnete dieser langsam die Lider; er sah Winnetou über sich gebeugt; ein seliges Lächeln glitt über seine so schnell eingefallenen Züge, und er flüsterte:

»Winnetou, schi ya Winnetou Winnetou, o mein Sohn Winnetou!«

Dann schien es, als ob sein brechendes Auge noch jemanden suche. Es traf mich, und in deutscher Sprache bat er mich:

»Bleiben Sie bei ihm ihm treu mein Werk fortführen !«

»Ich tue es; ja, sicher, ich werde es tun!«

Da nahm sein Gesicht einen fast überirdischen Ausdruck an, und er betete mit immer mehr ersterbender Stimme:

»Da fällt mein Blatt abgeknickt nicht leise leicht es ist die letzte Sühne ich sterbe wie wie ich es gewünscht. Herrgott, vergieb vergieb! Gnade Gnade ! Ich komme komme Gnade.«

Er faltete die Hände noch ein krampfhafter Bluterguß aus der Wunde, und sein Kopf sank zurück er war tot!

Nun wußte ich, was ihn getrieben hatte, gegen mich sein Herz zu erleichtern Gottesfügung, hatte er gesagt. Er hatte gewünscht, für Winnetou sterben zu können; wie schnell war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen! Die letzte Sühne, die er bringen wollte, er hatte sie gebracht. Gott ist die Liebe, die Barmherzigkeit; er zürnt dem Reuigen nicht ewig.

Winnetou bettete das Haupt des Toten in das Gras, stand langsam auf und sah seinen Vater fragend an.

»Dort liegt der Mörder; ich habe ihn niedergeschlagen,« sagte ich. »Er mag Euer sein.«

»Feuerwasser!«

Nur diese kurze Antwort kam aus dem Munde des Häuptlings, doch in welchem grimmig verächtlichen Tone.

»Ich will euer Freund, euer Bruder sein; ich gehe mit euch!« so drängte es sich mir über die Lippen.

Da spuckte er mir in das Gesicht und sagte:

»Räudiger Hund! Länderdieb für Geld! Stinkender Coyote! Wage es, uns zu folgen, so zermalme ich dich!«

Hätte mir das ein Anderer getan und gesagt, ich hätte ihm mit der Faust geantwortet. Warum tat ich es nicht? Hatte ich als Eindringling in fremdes Eigentum diese Züchtigung vielleicht verdient? Es war mehr instinktiv, daß ich sie mir gefallen ließ, doch, mich etwa nochmals anbieten, das konnte ich trotz des Versprechens, welches ich dem Toten gegeben hatte, nicht.

Die Weißen standen alle stumm dabei, voller Erwartung, was die beiden Apachen nun tun würden. Diese hatten keinen einzigen Blick mehr für uns. Sie hoben die Leiche auf das Pferd und banden sie da fest; dann stiegen sie auch in die Sättel, richteten den zusammensinkenden Körper Klekih-petras auf und ritten, ihn hüben und drüben stützend, langsam davon. Sie ließen kein Wort der Drohung, der Rache zurück; sie wendeten sich auch nicht einen einzigen Augenblick nach uns um; aber das war schlimmer, viel schlimmer, als wenn sie uns den fürchterlichsten Tod ganz offen geschworen hätten.

»Das war ja schrecklich und kann leicht noch schrecklicher werden!« sagte Sam Hawkens. »Dort liegt der Schurke, noch immer leblos von Eurem Hiebe und vom Spiritus. Was tun wir nun mit ihm?«

Ich antwortete nicht; ich sattelte mein Pferd und ritt fort; ich mußte allein sein, um diese fürchterliche halbe Stunde wenigstens äußerlich zu verwinden. Es war am späten Abend, als ich müd und matt, körperlich und seelisch wie zerschlagen, im Lager wieder eintraf.

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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