Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 19

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Ich wollte mich für diese hochwillkommene Gabe bedanken; er wehrte aber den Dank ab, indem er, mir in die Rede fallend, erklärte:

»Sie sind dein gewesen, und wir nahmen sie, weil wir dich für unsern Feind hielten; nun wir aber wissen, daß du unser Bruder bist, mußt du alles wieder bekommen, was dir gehört. Du hast für nichts zu danken. Was wirst du nun mit diesen Gegenständen tun?«

»Wenn ich von hier fortgehe, nehme ich sie mit, um sie den Leuten wiederzugeben, von denen ich sie habe.«

»Wo wohnen diese?«

»In St. Louis.«

»Ich kenne den Namen dieser Stadt und weiß auch, wo sie liegt. Winnetou mein Sohn ist dort gewesen und hat mir von ihr erzählt. Also du willst fort von uns?«

»Ja, wenn auch nicht sofort.«

»Das tut uns leid. Du bist ein Krieger unsers Stammes geworden, und ich habe dir sogar die Macht und Ehre eines Häuptlings der Apachen gegeben. Wir glaubten, du würdest für immer bei uns bleiben, wie Klekih-petra bis zu seinem Tode bei uns geblieben ist.«

»Meine Verhältnisse sind anders, als die seinigen waren.«

»Kennst du sie denn?«

»Ja. Er hat mir alles erzählt.«

»So hat er ein großes Vertrauen zu dir gehabt, obwohl er dich zum erstenmal sah.«

»Wohl, weil wir aus demselben Lande stammten.«

»Das ist es nicht allein gewesen. Er sprach sogar noch bei seinem Tode mit dir. Ich konnte die Worte nicht verstehen, weil ich die Sprache nicht kenne, in welcher sie gesprochen wurden; aber du hast es uns gesagt, was es war. Du bist nach Klekih-petras Willen der Bruder Winnetous geworden und willst ihn doch verlassen. Ist das nicht ein Widerspruch?«

»Nein. Brüder brauchen nicht stets beisammen zu sein; sie gehen oft auseinander, wenn sie verschiedene Aufgaben zu erfüllen haben.«

»Aber sie sehen sich doch wieder?«

»Ja. Ihr werdet mich wiedersehen, denn mein Herz wird mich zu euch zurücktreiben.«

»Das hört meine Seele gern. So oft du kommst, wird große Freude bei uns vorhanden sein. Ich beklage es sehr, daß du von einer andern Aufgabe sprichst. Könntest du dich denn nicht auch hier bei uns glücklich fühlen?«

»Das weiß ich nicht. Ich bin so kurze Zeit hier, daß ich diese Frage nicht beantworten kann. Es wird wohl so sein, wie wenn zwei Vögel im Schatten eines Baumes sitzen. Der eine ernährt sich von den Früchten dieses Baumes und bleibt also da; der andere aber braucht eine andere Speise und kann also nicht lange bleiben; er muß fort.«

»Und doch darfst du glauben, daß wir dir alles geben würden, wonach du verlangtest.«

»Das weiß ich; aber wenn ich jetzt von Speise sprach, so war nicht die Nahrung gemeint, welche der Körper braucht.«

»Ja, ich weiß es, daß ihr Bleichgesichter auch von einer Speise des Geistes redet; ich habe das von Klekih-petra erfahren. Ihm fehlte diese Speise bei uns; darum war er zuweilen sehr traurig, obwohl er uns das nicht merken lassen wollte. Du bist jünger, als er war, und so würdest du dich wohl noch eher und noch leichter fortsehnen als er. Darum magst du gehen; aber wir bitten dich, wiederzukommen. Vielleicht hast du dann deinen Sinn geändert und siehst ein, daß du dich auch bei uns wohlbefinden kannst. Aber wissen möchte ich gern, was du tun wirst, nachdem du in die Städte der Bleichgesichter zurückgekehrt bist.«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Wirst du bei den Weißen bleiben, welche den Pfad des Feuerrosses bauen wollen?«

»Nein.«

»Daran tust du recht. Du bist ein Bruder der roten Männer geworden und darfst nicht mittun, wenn die Bleichgesichter uns wieder um unser Land und Eigentum betrügen wollen. Aber da, wohin du willst, kannst du nicht von der Jagd leben wie hier. Du mußt Geld haben, und Winnetou sagte mir, daß du arm seiest. Du hättest Geld bekommen, wenn wir Euch nicht überfallen hätten; darum hat mein Sohn mich gebeten, dir Ersatz zu bieten. Willst du Gold?«

Er sah mich bei dieser Frage so scharf und forschend an, daß ich mich wohl hütete, mit einem Ja zu antworten. Er wollte mich auf die Probe stellen.

»Gold?« sagte ich. »Ihr habt mir keines abgenommen, und so habe ich keines von euch zu verlangen.«

Das war eine diplomatische Antwort, weder ein Ja noch ein Nein. Ich wußte, daß es Indianer gibt, welche Fundorte edler Metalle kennen, aber niemals einem Weißen einen solchen Ort verraten. Intschu tschuna kannte jedenfalls solche Stellen, und jetzt fragte er mich: “Willst du Gold?” Welcher Weiße hätte da wohl mit einem direkten Nein geantwortet! Ich habe nie nach Schätzen getrachtet, welche von dem Roste und von Motten gefressen werden; dennoch hat das Gold für mich als Mittel zum guten Zwecke einen Wert, den ich gar nicht leugnen will. Diese Anschauung aber konnte der Apachenhäuptling wohl schwerlich begreifen.

»Nein, geraubt haben wir dir keines,« antwortete er; »aber du hast wegen uns nicht bekommen, was du bekommen hättest, und dafür will ich dich entschädigen. Ich sage dir, in den Bergen liegt das Gold in großen Mengen. Die roten Männer kennen die Stellen, wo es zu finden ist; sie brauchen nur hinzugehen, um es wegzunehmen. Wünschest du, daß ich welches für dich hole?«

Hundert Andere an meiner Stelle hätten dieses Angebot angenommen und nichts bekommen; das sah ich dem eigentümlich lauernden Blicke seiner Augen an; darum sagte ich:

»Ich danke dir! Den Reichtum mühelos geschenkt zu bekommen, das bringt keine Befriedigung; nur das, was man sich erarbeitet und erworben hat, besitzt wahren Wert. Wenn ich auch arm bin, so ist das kein Grund, zu glauben, daß ich nach meiner Rückkehr zu den Bleichgesichtern Hungers sterben werde.«

Da ließ die Spannung, welche auf seinem Gesichte gelegen hatte, nach; er gab mir die Hand und meinte in einem wirklich wohltuenden herzlichen Tone:

»Diese deine Worte sagen mir, daß wir uns nicht in dir getäuscht haben. Der Goldstaub, nach welchem die weißen Goldsucher streben, ist ein Staub des Todes; wer ihn zufällig findet, geht daran zu Grunde. Trachte nie danach, ihn zu erlangen, denn er tötet nicht nur den Leib, sondern auch die Seele! Ich wollte dich prüfen. Gold hätte ich dir nicht gegeben, aber Geld sollst du bekommen, jenes Geld, auf welches du gerechnet hast.«

»Das ist nicht möglich.«

»Ich will es so, also ist es möglich. Wir werden nach der Gegend reiten, in welcher ihr gearbeitet habt. Du wirst die unterbrochene Arbeit vollenden und dann den Lohn bekommen, welcher euch versprochen worden ist.«

Ich sah ihm staunend und wortlos in das Gesicht. Scherzte er? Nein; solchen Spaß treibt ein Indianerhäuptling nicht. Oder sollte dies wieder eine Prüfung sein? Auch dies war unwahrscheinlich.

»Mein junger, weißer Bruder sagt nichts,« fuhr er fort. »Ist ihm mein Anerbieten nicht willkommen?«

»Sogar außerordentlich willkommen! Aber ich kann nicht glauben, daß du im Ernste sprichst.«

»Warum nicht?«

»Ich soll das vollenden, was du an meinen weißen Mitarbeitern mit dem Tode bestraft hast! Ich soll das tun, was du bei unserer ersten Begegnung so streng an mir verurteiltest!«

»Du handeltest ohne Erlaubnis derer, denen das Land gehört; jetzt aber sollst du diese Erlaubnis bekommen. Mein Anerbieten kommt nicht von mir, sondern von meinem Sohne Winnetou. Er hat mir gesagt, daß es uns keinen Schaden macht, wenn du das unterbrochene Werk zu Ende führst.«

»Das ist ein Irrtum. Die Bahn wird gebaut; die Weißen kommen ganz gewiß!«

Er sah finster vor sich nieder und gab dann nach einer kleinen Weile zu:

»Du hast recht. Wir können sie nicht hindern, uns aber-und abermal zu berauben. Erst senden sie so kleine Trupps voran, wie der eurige war; die können wir vernichten; aber das ändert nichts, denn später kommen sie in Scharen, vor denen wir zurückweichen müssen, wenn wir uns nicht erdrücken lassen wollen. Aber auch du kannst dies nicht anders machen. Oder meinst du, daß sie nicht kommen werden, wenn du darauf verzichtest, die Strecke vollends zu vermessen?«

»Nein, das meine ich nicht. Wir mögen tun oder lassen, was wir wollen, das Feuerroß wird unbedingt durch jene Gegend dampfen.«

»So nimm mein Anerbieten an! Du nützest dir viel und schadest uns nichts. Ich habe mich mit Winnetou besprochen. Wir reiten mit dir, er und ich, und dreißig Krieger werden uns begleiten. Das ist genug, dich während deiner Arbeit zu beschützen und dir bei derselben behilflich zu sein. Dann bringen uns diese dreißig Mann so weit nach dem Osten, bis wir sichere Pfade finden und mit dem Kanoe des Dampfes nach St. Louis fahren können.«

»Was sagt mein roter Bruder? Habe ich ihn richtig verstanden? Er will nach dem Osten?«

»Ja, mit dir, ich, Winnetou und Nscho-tschi.«

»Nscho-tschi auch?«

»Meine Tochter auch. Sie möchte gern die großen Wohnplätze der Bleichgesichter sehen und so lange dortbleiben, bis sie ganz so geworden ist wie eine weiße Squaw.«

Ich mochte wohl kein sehr geistreiches Gesicht zu diesen Worten machen, denn er fügte, mich lächelnd ansehend, hinzu:

»Mein junger, weißer Bruder scheint überrascht zu sein. Hat er vielleicht etwas dagegen, daß wir ihn begleiten? Er mag es aufrichtig sagen!«

»Etwas dagegen? Wie könnte ich! Ich freue mich im Gegenteil außerordentlich darüber! Unter eurer Begleitung komme ich ohne Gefahr nach dem Osten zurück; schon deshalb muß dieselbe mir willkommen sein. Dazu ist noch zu rechnen, daß die, welche ich so liebgewonnen habe, bei mir bleiben.«

»Howgh!« nickte er befriedigt. »Du wirst deine Arbeit vollenden, und dann geht es nach dem Osten. Wird Nscho-tschi dort Leute finden, bei denen sie wohnen und lernen kann?«

»Ja. Ich werde das sehr gern besorgen. Aber der Häuptling der Apachen muß dabei in Betracht ziehen, daß die Bleichgesichter nicht die Gastfreundschaft der roten Männer ausüben können.«

»Ich weiß es. Wenn Bleichgesichter nicht als Feinde zu uns kommen, so erhalten sie alles, was sie brauchen, ohne daß sie uns etwas dafür zu geben haben; suchen aber wir sie auf, so müssen wir nicht nur alles bezahlen, sondern doppelt so viel geben, als weiße Wanderer geben würden. Und selbst dann bekommen wir alles schlechter als diese. Nscho-tschi wird also auch bezahlen müssen.«

»Das ist leider wahr, braucht euch aber nicht zu kümmern. Infolge deines edelmütigen Anerbietens bekomme ich viel Geld ausgezahlt, und ihr werdet dann meine Gäste sein.«

»Uff, uff! Was denkt mein junger, weißer Bruder von Intschu tschuna und Winnetou, den Häuptlingen der Apachen! Ich habe dir vorhin doch gesagt, daß die roten Männer viele Orte kennen, an denen Gold zu finden ist. Es gibt Berge, welche mit goldenen Adern durchzogen sind, und Täler, in denen der herabgewaschene Goldstaub unter der dünnen Erddecke liegt. Wenn wir nach den Städten der Weißen gehen, haben wir zwar kein Geld, aber Gold, soviel Gold, daß niemand uns auch nur einen Schluck Wassers zu schenken braucht. Und wenn Nscho-tschi mehrere Sonnen lang dort bleiben müßte, so würde ich ihr mehr Gold zurücklassen, als sie für diese lange Zeit nötig hat. Nur die Ungastlichkeit der Bleichgesichter zwingt uns, die Fundorte des goldenen Staubes aufzusuchen, sonst aber beachten und benützen wir sie nie. Wann wird mein junger Bruder zum Aufbruche fertig sein?«

»Zu jeder Zeit, sobald es euch beliebt.«

»So wollen wir nicht zögern, denn es ist die Zeit des späten Herbstes, auf welchen schnell der Winter folgt. Ein roter Krieger braucht selbst für einen so weiten Ritt keine Vorkehrungen zu treffen; wir könnten also schon morgen aufbrechen, falls auch du dazu bereit wärest.«

»Ich bin bereit. Es ist nichts nötig, als kurz zu sagen, was wir mitzunehmen haben, wie viele Pferde und «

»Das wird Winnetou besorgen,« unterbrach er mich. »Er hat schon an alles gedacht, und mein junger, weißer Bruder braucht sich um nichts zu sorgen.«

Wir verließen das Stockwerk, in welchem wir uns befanden, und kehrten nach oben zurück. Als ich in meine Wohnung treten wollte, kam Sam Hawkens heraus.

»Ich habe Euch etwas Neues mitzuteilen, Sir,« sagte er freudestrahlend. »Werdet Euch wundern, außerordentlich wundern, wenn ich mich nicht irre.«

»Worüber?«

»Ueber die Nachricht, welche ich Euch bringe. Oder wißt Ihr es vielleicht schon?«

»Laßt erst hören, was Ihr meint, lieber Sam!«

»Es geht fort, fort von hier!«

»Ach so! Das weiß ich freilich schon.«

»Ihr wißt es schon? Wollte Euch mit meiner Mitteilung eine Freude machen; komme also zu spät.«

»Ich habe es soeben von Intschu tschuna erfahren. Wer hat es Euch gesagt?«

»Winnetou. Traf ihn unten am Wasser, wo er die betreffenden Pferde auswählte. Sogar Nscho-tschi reitet mit! Wißt Ihr das auch?«

»Ja.«

»Ist ein sonderbarer Gedanke, mir aber sehr recht. Soll, wie es scheint, im Osten in einem Pensionate untergebracht werden; weshalb und wozu, das ist mir unbegreiflich, wenn nicht «

Er hielt mitten im Satze inne, ließ seine kleinen Aeuglein mit einem vielsagenden Ausdrucke an mir niedergleiten und fuhr dann fort:

»Wenn nicht wenn nicht hm! Nscho-tschi soll vielleicht Eure Kliuna-ai werden. Meint Ihr nicht, geliebter Sir und Shatterhand?«

»Meine Kliuna-ai, also mein Mond? Solche Geschichten überlasse ich Euch, Sam. Was nützt mir ein Mond, der immerfort abnimmt, bis er ganz verschwindet? Es kann mir nicht einfallen, einer Indianerin wegen meine Perücke zu verlieren.«

»Eure Perücke? Hört, das habt Ihr schlecht gemacht. Das war ein sehr fauler Witz, auf den Ihr Euch nichts einbilden dürft. Ist überdies sehr gut, daß meine Liebe zu diesem abnehmenden Monde eine so unglückliche war.«

»Warum?«

»Weil ich ihn doch nicht hier lassen könnte, sondern mitnehmen müßte. Wer aber reitet gern mit einem Neumonde über die Prairie! Hihihihi! Ist doch bei jedem Unglück auch ein Glück! Es ärgert mich nur eins dabei!«

»Was?«

»Das schöne Grizzlyfell. Hätte ich es selbst verarbeitet, so würde ich jetzt in einem famosen Jagdrocke stecken; so aber ist der Rock und auch das Fell dahin.«

»Leider! Hoffentlich gibt es später einmal Gelegenheit, wieder einen Grizzly zu erlegen. Dann schenke ich Euch die Haut.«

»Ihr mir? Oder wohl ich Euch? Ihr dürft nicht denken, daß die grauen Bären nur so herumlaufen, um sich von dem ersten besten Greenhorn niederstechen zu lassen. Das war damals ein Zufall, auf den Ihr Euch noch viel weniger einzubilden braucht, als auf Euern Witz vorhin. Wollen uns überhaupt keine Bären wünschen, wenigstens nicht in nächster Zeit, wo wir zu arbeiten haben. Ist doch ein kolossaler Gedanke, daß Ihr weitermessen sollt! Nicht?«

»Edelmütig, Sam, sehr edelmütig!«

»Yes! Dadurch kommt Ihr zu Euerm Gelde, und wir erhalten das unserige auch. Vielleicht thunderstorm! Wollte es Euch gönnen, wenn ich jetzt richtig geraten hätte!«

»Was habt Ihr geraten?«

»Daß Ihr das ganze Geld bekommt das ganze!«

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Ist aber ganz leicht zu verstehen. Wenn die Arbeit gemacht ist, muß sie auch bezahlt werden. Die Andern sind ausgelöscht worden; sie leben nicht mehr, also müssen ihre Anteile Euch mit ausbezahlt werden.«

»Das bildet Euch nicht ein, Sam. Man wird sich sehr hüten, das, was Ihr so klug erraten habt, in Erfüllung gehen zu lassen.«

»Ist alles möglich, alles! Müßt es nur richtig anfangen; müßt das Ganze verlangen. Habt ja auch fast die ganze Arbeit getan. Wollt Ihr?«

»Nein. Es fällt mir natürlich nicht ein, mich dadurch lächerlich zu machen, daß ich mehr verlange, als ich zu bekommen habe.«

»Greenhorn, wieder Greenhorn! Ich sage Euch, daß hier in diesem Lande Eure deutsche Bescheidenheit ganz am unrechten Platze ist. Ich meine es gut mit Euch; darum hört auf das, was ich Euch sage: Den Gedanken, ein Westmann zu werden, den laßt ja fallen; denn so etwas wird im ganzen Leben nicht aus Euch; dazu habt Ihr nicht das mindeste Geschick. Ihr müßt also an eine andere Laufbahn denken, und dazu gehört zunächst Geld und dann wieder Geld. Jetzt könnt Ihr, wenn Ihr gescheit seid, es zu einer hübschen Summe bringen, und dann ist Euch für einige Zeit hinaus geholfen. Folgt Ihr aber meinem Rate nicht, so schwimmt Euer Stock verkehrt den Fluß hinab und Ihr geht zugrunde wie ein Fisch, der auf das Land gerät.«

»Wollen das abwarten. Ich bin nicht über den Mississippi gegangen, um ein Westmann zu werden, also habe ich, wenn keiner aus mir wird, nicht etwa eine verlorene Hoffnung zu beklagen. In diesem Falle wäret nur Ihr zu bedauern.«

»Ich? Warum ich?«

»Weil Ihr Euch so viel Mühe gegeben habt, etwas aus mir zu machen. Ich höre schon im voraus die Leute zu mir sagen, daß ich einen Lehrmeister gehabt haben muß, der nichts versteht.«

»Nichts versteht? Ich? Sam Hawkens und nichts verstehen, hihihihi! Ich verstehe alles, alles; ich verstehe es sogar, Euch hier stehen zu lassen, Sir!«

Er ging, drehte sich aber nach einigen Schritten wieder um und sagte:

»Merkt Euch aber das: Wenn Ihr nicht das ganze Geld verlangt, so verlange ich es und stecke es Euch dann in die Tasche! Howgh!«

Nach diesen Worten entfernte er sich mit Schritten, welche gravitätisch sein sollten, aber grad das Gegenteil davon waren. Das liebe Kerlchen wünschte mir alles Gute, also auch das ganze Honorar, woran aber gar nicht zu denken war.

Das, was Intschu tschuna gesagt hatte, bewährte sich: ein roter Krieger bedarf selbst zur weitesten Reise keiner großen Vorkehrungen. Das Leben im Pueblo nahm auch heut seinen gewöhnlichen, ruhigen Verlauf, ohne daß irgend etwas auf unsere baldige Abreise schließen ließ. Auch Nscho-tschi, welche uns, wie stets vorher, beim Essen bediente, war so wie immer. Welche Aufregung und Vorarbeit gibt es bei einer weißen Dame, die einen kleinen Ausflug machen will! Diese Indianerin hatte einen weiten und gefährlichen Ritt vor sich, um die vielgerühmten Herrlichkeiten der Zivilisation kennen zu lernen, und doch war nicht die leiseste Spur einer Veränderung an ihr zu bemerken. Ich wurde weder nach etwas gefragt noch sonst zu Rate gezogen oder gar belästigt. Das einzige, was ich vorzunehmen hatte, war die Verpackung der Instrumente, zu welchem Zwecke ich von Winnetou eine Anzahl weicher, wollener Decken bekam. Wir saßen, wie gewöhnlich, während des ganzen Abends beisammen, ohne daß ein Wort über den beabsichtigten Ritt gesprochen wurde, und als ich mich schlafen legte, war es mir gar nicht so, als ob ich vor einer so weiten Reise stünde. Die Ruhe und Kaltblütigkeit der Indianer hatte mich angesteckt. Am Morgen erwachte ich nicht von selbst, sondern ich wurde von Hawkens geweckt, welcher mir sagte, daß alles zum Aufbruche bereit sei. Der Tag war kaum angebrochen, ein später Herbstmorgen, dessen Kühle allerdings bewies, daß es Zeit gewesen war, die Reise nicht länger aufzuschieben.

Es gab ein kurzes Frühstück, und dann begleiteten uns sämtliche Bewohner des Pueblo, “Kind und Kegel”, wie man sich auszudrücken pflegt, hinab nach dem Flusse, wo eine Zeremonie vorgenommen werden sollte, die ich noch nicht gesehen hatte: der Medizinmann hatte zu erklären, ob die Reise eine glückliche oder unglückliche sein werde.

Zu dieser Feierlichkeit waren auch die in der Nähe des Pueblo sich aufhaltenden Apachen herbeigekommen. Unser großer Ochsenwagen stand noch da; er konnte von uns natürlich nicht mitgenommen werden, weil er zu schwerfällig war und die Schnelligkeit, welche wir uns vorgenommen hatten, beeinträchtigt hätte. Er bildete das Sanktuarium des Medizinmannes, welcher ihn mit Decken verhangen hatte, hinter denen er steckte.

Es wurde ein weiter Kreis um den Wagen gebildet. Als dieser geschlossen war, begann die für die Roten “heilige Handlung”, welche ich aber im Stillen mit dem Ausdrucke “Vorstellung” bezeichnete, mit einem aus dem Wagen tönenden Knurren und Pfauchen, als ob mehrere Hunde und Katzen im Begriffe ständen, einen Kampf zu beginnen.

Ich stand zwischen Winnetou und seiner Schwester. Die große Aehnlichkeit, welche zwischen den Geschwistern herrschte, trat heut ganz besonders hervor, weil Nscho-tschi nicht ein Frauengewand trug, sondern Männerkleider angelegt hatte. Ihr Anzug glich genau demjenigen ihres Bruders, welcher schon beschrieben worden ist. Auch sie hatte keine Kopfbedeckung und ihr Haar in einen solchen Schopf geordnet, wie er das seinige. An ihrem Gürtel hingen mehrere Beutel mit verschiedenem Inhalte; in demselben steckten ein Messer und eine Pistole, und über ihrem Rücken hing ein Gewehr. Ihr Anzug war neu und mit bunten Fransen und Stickereien verziert. Sie sah sehr kriegerisch und dabei doch so mädchenhaft und reizend aus, daß aller Blicke auf sie gerichtet waren. Da ich den Anzug trug, welchen ich geschenkt bekommen hatte, so waren wir drei beinahe gleich gekleidet.

Ich mochte, als das Pfauchen sich hören ließ, ein nicht grad feierliches Gesicht machen, denn Winnetou sagte:

»Mein Bruder kennt diesen unsern Gebrauch noch nicht; er wird im Stillen über uns lachen.«

»Mir ist kein religiöser Gebrauch, und wenn ich ihn noch so wenig verstehen und begreifen kann, lächerlich,« antwortete ich.

»Das ist das richtige Wort: religiös. Was du hier sehen und hören wirst, ist keine heidnische Mummerei, sondern jede Bewegung und jeder Laut des Medizinmannes hat eine Bedeutung. Das, was du jetzt vernimmst, sind die gegen einander streitenden Stimmen des guten und des bösen Geschickes.«

In dieser Weise erklärte er mir auch den fernern Verlauf des Medizintanzes.

Auf das Pfauchen folgte ein immer wiederkehrendes Geheul, welches mit sanfteren Tönen abwechselte. Das Geheul ertönte in den Augenblicken, wenn der in die Zukunft forschende Medizinmann böse Anzeichen wahrnahm, und die zarteren Laute dann, wenn er Gutes voraussah. Als dies längere Zeit gedauert hatte, kam er plötzlich aus dem Wagen gesprungen und rannte wie ein Wütender und brüllend im Kreise herum. Nach und nach verlangsamten sich seine Schritte; das Brüllen hörte auf; die so gut “gemimte” Angst, welche ihn herumgetrieben hatte, legte sich, und er begann einen langsamen, grotesken Tanz, welcher um so seltsamer war, als er sich das Gesicht mit einer schrecklich aussehenden Maske bedeckt und den Körper mit allerlei wunderlichen, teils auch ungeheuerlichen Gegenständen behangen hatte. Diesen Tanz begleitete er mit einem eintönigen Gesange. Beide, Gesang und Tanz, waren erst bewegter, wurden nach und nach immer ruhiger, bis sie aufhörten und der Medizinmann sich niedersetzte, um, den Kopf zwischen die Knie niederbeugend, eine ganze lange Weile laut-und bewegungslos zu verharren, bis er plötzlich aufsprang und das Resultat seiner Seherschaft in den laut gerufenen Worten verkündete:

»Hört, hört, ihr Söhne und Töchter der Apachen! Das ist es, was Manitou, der große, gute Geist, mich erforschen ließ. Intschu tschuna und Winnetou, die Häuptlinge der Apachen, und Old Shatterhand, der unser weißer Häuptling ist, reiten mit ihren roten und weißen Kriegern fort, um Nscho-tschi, die junge Tochter unseres Stammes, nach den Wohnplätzen der Bleichgesichter zu begleiten. Der gute Manitou ist bereit, sie zu beschützen. Sie werden einige Abenteuer erleben, ohne Schaden davon zu haben, und glücklich zu uns zurückkehren. Auch Nscho-tschi, welche längere Zeit bei den Bleichgesichtern bleibt, kommt glücklich wieder, und nur einer von ihnen ist es, den wir nicht wiedersehen werden.«

Er hielt inne und senkte den Kopf tief herab, um seiner Trauer über diese letztere Tatsache Ausdruck zu geben.

»Uff, uff, uff!« riefen die Roten neugierig und bedauernd aus; aber keiner wagte es, zu fragen, wen er meine.

Da der Medizinmann längere Zeit in seiner gebückten Haltung und seinem Schweigen verharrte, so ging meinem kleinen Sam Hawkens die Geduld aus, und er fragte:

»Wer ist es denn, der nicht zurückkehren wird? Der Mann der Medizin mag es doch sagen!«

Der Angerufene machte eine verweisende Armbewegung, wartete nun grad noch lange Zeit, erhob dann seinen Kopf, richtete die Augen auf mich und rief:

»Es wäre besser, wenn nicht nach ihm gefragt worden wäre. Ich wollte ihn nicht nennen; nun aber hat Sam Hawkens, das neugierige Bleichgesicht, mich gezwungen, es zu sagen. Old Shatterhand ist es, der nicht wiederkommen wird. Der Tod trifft ihn in kurzer Zeit. Die, denen ich eine glückliche Heimkehr verkündet habe, mögen sich vor seiner Nähe hüten, wenn sie nicht ihr Leben mit dem seinen lassen wollen! Sie befinden sich bei ihm in Gefahr, von ihm entfernt aber stets in Sicherheit. Das sagt der große Geist Howgh!«

Nach diesen Worten kehrte er in den Wagen zurück. Die Roten ließen, scheue Blicke auf mich richtend, Ausdrücke des Bedauerns hören. Ich galt ihnen von jetzt an als ein verfemter Mann, den man zu meiden hatte.

»Was ist diesem Kerl denn eingefallen?« meinte Sam zu mir. »Ihr sollt sterben? Fällt außer diesem Schafskopf keinem andern Menschen ein! Diese Idee ist natürlich seinem schwindsüchtigen Gehirn entsprungen. Wie mag er doch auf sie gekommen sein?«

»Fragt lieber, welche Absicht er dabei verfolgt! Er will mir nicht wohl. Kein indianischer Medizinmann wird der Freund eines Christen sein; dieser hier hat niemals ein Wort an mich gerichtet, und ich habe ihn natürlich mit gleicher Münze bezahlt; er war Luft für mich. Er fürchtet meinen Einfluß auf die Häuptlinge, welcher sich bald auf den ganzen Stamm erstrecken kann, und hat nunmehr die passende Gelegenheit ergriffen, dem zuvorzukommen.«

»Soll ich hingehen und ihm einige Ohrfeigen in das rote Gesicht pflanzen, Sir?«

»Macht keine Dummheit, Sam! Die Sache ist ja der Aufregung gar nicht wert.«

Intschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi hatten, als sie die Weissagung des Medizinmannes hörten, einander betroffen angeschaut. Ob sie an die Wahrheit der Prophezeiung glaubten oder nicht, das blieb sich gleich; aber sie kannten die Wirkung derselben auf ihre Untergebenen. Es sollten dreißig Mann mit uns reiten; wenn diese glaubten, daß meine Nähe Verderben bringe, so waren Unzuträglichkeiten aller Art gar nicht zu vermeiden. Dem konnte, da der Ausspruch des Medizinmannes nicht abzuändern war, nur dadurch vorgebeugt werden, daß die Anführer gegen mich dieselben blieben wie vorher und dies ihren Leuten sogleich zeigten. Darum ergriffen sie beide meine Hände und Intschu tschuna sagte so laut, daß alle es hörten:

»Meine roten Brüder und Schwestern mögen meine Worte vernehmen! Unser Medizinbruder besitzt den Blick, in die Geheimnisse der Zukunft zu dringen, und sehr oft ist das, was er vorherverkündet hat, eingetroffen; aber wir haben auch erfahren, daß er sich irren kann. Er hat in der Zeit großer Dürre den Regen herbeigezogen, der aber nicht gekommen ist. Vor dem letzten Zuge gegen die Komanchen verkündete er uns, daß wir große Beute machen würden, doch der Sieg, den wir errangen, hat uns nur einige alte Pferde und drei schlechte Gewehre eingebracht. Als er uns im vorletzten Herbste sagte, daß wir nach dem Wasser des Tugah gehen müßten, wenn wir viel Büffel erlegen wollten, haben wir nach seinen Worten getan, jedoch wir machten so wenig Fleisch, daß dann im Winter beinahe eine Hungersnot ausbrach. Ich könnte euch noch mehrere solche Beispiele anführen, welche beweisen, daß sein Auge zuweilen dunkel ist. Darum ist es sehr wohl möglich, daß er sich auch jetzt mit unserm Bruder Old Shatterhand irrt. Ich nehme seine Worte so, als ob sie nicht gesprochen worden seien, und fordere meine Brüder und Schwestern auf, dies auch zu tun. Wir wollen abwarten, ob sie zutreffen.«

Da trat mein kleiner Sam Hawkens vor und rief:

»Nein, wir warten nicht; wir brauchen nicht zu warten, denn es gibt ein Mittel, sofort zu erfahren, ob der Medizinmann die Wahrheit verkündet hat.«

»Welches Mittel meint mein weißer Bruder?« erkundigte sich der Häuptling.

»Ich will es euch sagen. Nicht nur die Roten, sondern auch die Weißen haben ihre Medizinmänner, welche es verstehen, die Zukunft zu erforschen, und ich, Sam Hawkens, bin der berühmteste unter ihnen.«

»Uff, uff!« riefen die Apachen erstaunt.

»Ja, da wundert ihr euch! Ihr habt mich bisher für einen gewöhnlichen Westmann gehalten, weil ihr mich noch nicht kennt; aber ich kann mehr als Kirschen essen, und ihr sollt mich kennen lernen, hihihihi! Einige von den roten Kriegern mögen ihre Tomahawks nehmen und ein enges, aber tiefes Loch in die Erde graben.«

»Will mein weißer Bruder in das Innere der Erde blicken?« fragte Intschu tschuna.

»Ja, denn die Zukunft liegt im Schoße der Erde verborgen, zuweilen auch in den Sternen; da ich jedoch jetzt am hellen Tage keine Sterne sehe, die ich befragen könnte, muß ich mich an die Erde wenden.«

Einige Indianer folgten seiner Aufforderung, indem sie mit ihren Kriegsbeilen ein Loch machten.

»Treibt keinen Humbug, Sam,« flüsterte ich ihm zu. »Wenn die Roten merken, daß Ihr Unsinn macht, so verschlimmert Ihr die Sache, anstatt daß Ihr sie verbessert!«

»Humbug? Unsinn? Was ist es denn, was der Medizinmann treibt? Doch auch Unsinn! Was der kann und darf, das kann und darf ich auch, wenn ich mich nicht irre, verehrter Sir. Ich weiß, was ich tue. Wenn nichts geschieht, so zeigen sich die Leute, welche wir mitnehmen, obstinat. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Davon bin ich allerdings auch überzeugt; aber ich bitte Euch, ja nichts Lächerliches vorzunehmen!«

»O, es ist ernst, sehr ernst. Habt keine Sorge!«

Es war mir trotz dieser seiner Aufforderung nicht ganz wohl zu Mute. Ich kannte ihn nur zu gut. Er war ein Spaßvogel. Darum hätte ich ihn gern noch weiter gewarnt, aber er ließ mich stehen und ging zu den Indianern, um ihnen zu sagen, wie tief das Loch zu machen sei.

Als es fertig war, trieb er sie fort und zog seinen alten, ledernen Jagdrock aus. Nachdem er ihn wieder zugeknöpft hatte und auf die Erde setzte, stand das alte Kleidungsstück so steif, als wäre es aus Blech oder Holz gemacht. Er stellte den Rock, welcher einen hohlen Zylinder bildete, auf das Loch, gab sich ein wichtiges Aussehen und rief:

»Die Männer, Frauen und Kinder der Apachen werden sehen, was ich tue und erfahre, und darüber staunen. Die Erde wird mir, wenn ich meine Zauberworte gesprochen habe, ihren Schoß öffnen, so daß ich alles sehe, was in nächster Zeit mit uns geschehen wird.«

Hierauf entfernte er sich ein kleines Stück von dem Loche und ging dann langsam und mit feierlichen Schritten um dasselbe herum, wobei er zu meinem Entsetzen das kleine Einmaleins von der Eins bis mit der Neun hersagte. Glücklicherweise tat er dies so schnell, daß die Roten wohl gar nicht merkten, was er sprach. Als er mit der Neun zu Ende war, wurden seine Schritte immer schneller, bis er im Galopp um den Rock sprang, wobei er ein lautes Geheul hören ließ und seine Arme wie Windmühlenflügel bewegte. Als er sich außer Atem gelaufen und gebrüllt hatte, trat er zu seinem Rocke hin, machte mehrere tiefe Verbeugungen und steckte den Kopf oben hinein, um durch den Jagdrock hinab ins Loch zu sehen.

Mir war um den Erfolg dieser Kinderei bange. Ich blickte mich im Kreise um und bemerkte zu meiner Beruhigung, daß die Roten alle mit großem Ernste bei der Sache waren. Auch die Gesichter der beiden Häuptlinge verrieten keine Mißbilligung; ich war aber überzeugt, daß Intschu tschuna recht wohl wußte, daß Sams Treiben bloße Spiegelfechterei war.

Sein Kopf steckte wohl fünf Minuten lang in der Kragenöffnung seines Rockes. Während dieser Zeit bewegte er zuweilen seine Arme in einer Weise, welche andeuten sollte, daß er ganz Wichtiges und Wunderbares vor den Augen habe. Endlich zog er den Kopf heraus. Seine Miene war im höchsten Grade ernst. Er knöpfte den Rock wieder auf, zog ihn an und gebot:

»Meine roten Brüder mögen das Loch zumachen, denn so lange es offen steht, darf ich nichts sagen!«

Als diese Aufforderung befolgt worden war, holte er tief Atem, als ob er sich sehr angegriffen fühle, und rief dann:

»Euer roter Medizinbruder hat falsch gesehen, denn es wird grad das Gegenteil von dem geschehen, was er sagte. Ich habe alles erfahren, was uns die nächsten Wochen bringen; aber es ist mir verboten, es mitzuteilen. Nur einiges darf ich berichten. Ich habe Gewehre in dem Loche gesehen und Schüsse gehört; wir werden also Kämpfe zu bestehen haben. Der letzte Schuß kam aus dem Bärentöter Old Shatterhands. Wer den letzten Schuß hat, kann doch nicht gefallen und gestorben, sondern er muß Sieger sein. Meinen roten Brüdern droht Unheil. Sie können demselben nur dadurch entgehen, daß sie sich in der Nähe Old Shatterhands halten. Wenn sie aber das tun, was der Medizinmann von ihnen forderte, so gehen sie zugrunde. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Die Wirkung dieser Weissagung war, wenigstens in diesem Augenblicke, diejenige, welche Sam beabsichtigt hatte. Die Roten glaubten ihm, das sah man ihnen an. Sie blickten erwartungsvoll nach dem Wagen. Sie glaubten wohl, daß der Medizinmann aus demselben kommen werde, um sich zu verteidigen. Er ließ sich aber nicht sehen, und so nahmen sie an, daß er sich besiegt fühle. Sam Hawkens kam auf mich zu, funkelte mich mit seinen kleinen Aeuglein listig an und fragte:

»Nun, Sir, wie habe ich meine Sache gemacht?«

»Wie ein echter, richtiger Schwindelmeier.«

»Well! Also gut? Nicht?«

»Ja. Wenigstens hat es den Anschein, als ob Ihr Euern Zweck erreicht hättet.«

»Habe ihn vollständig erreicht. Der Medizinmann ist geschlagen; er läßt sich nicht sehen und nicht hören.«

Winnetou ließ seine Augen mit einem stillen und doch vielsagenden Blicke auf uns ruhen. Sein Vater war weniger schweigsam; er trat zu uns und sagte zu Sam:

»Mein weißer Bruder ist ein kluger Mann; er hat den Worten unsers Medizinmannes die Kraft genommen, und er besitzt einen Rock, in welchem wichtige Weissagungen stecken. Dieser kostbare Rock wird berühmt werden von einem großen Wasser bis zum andern. Aber Sam Hawkens ist mit seiner Vorherverkündigung zu weit gegangen.«

»Zu weit? Wieso?« erkundigte sich der Kleine.

»Es hätte genügt, zu sagen, daß Old Shatterhand uns keinen Schaden bringe. Warum hat Sam Hawkens hinzugefügt, daß uns Schlimmes bevorstehe?«

»Weil ich es im Loche gesehen habe.«

Da machte Intschu tschuna eine abwehrende Handbewegung und erklärte:

»Der Häuptling der Apachen weiß, woran er ist; das mag Sam Hawkens glauben. Es war nicht nötig, von schlimmen Dingen zu sprechen und unsere Leute mit Besorgnis zu erfüllen.«

»Mit Besorgnis? Die Krieger der Apachen sind doch tapfere Männer, die sich nicht fürchten werden.«

»Sie fürchten sich nicht; das werden sie beweisen, falls unser Ritt, der ein friedlicher sein soll, uns mit Feinden zusammenführen sollte. Wir wollen ihn nun beginnen.«

Die Pferde wurden gebracht. Es war eine ziemliche Zahl von Packtieren dabei, von denen einige meine Instrumente zu tragen hatten; die übrigen waren mit Proviant und andern Notwendigkeiten beladen.

Es herrscht bei den Indianern der Brauch, daß die fortziehenden Krieger von den zurückbleibenden eine Strecke weit begleitet werden. Dies geschah heut nicht, weil Intschu tschuna es nicht gewollt hatte. Die dreißig Roten, welche mit uns ritten, nahmen nicht einmal von ihren Frauen und Kindern Abschied. Sie hatten dies wohl schon vorher getan, denn es öffentlich zu tun, erlaubte ihre Kriegerwürde nicht.

Einen Einzigen gab es, welcher mit Worten Abschied nahm, nämlich Sam Hawkens. Er sah Kliuna-ai unter den Frauen stehen, lenkte, als er bereits im Sattel saß, sein Maultier zu ihr hin und fragte:

»Hat “Mond” gehört, was ich im Loche der Erde gesehen habe?«

»Du hast es gesagt, und ich hörte es,« antwortete sie.

»Ich hätte noch mehr, noch viel mehr sagen können, zum Beispiele auch von dir.«

»Von mir? Habe ich auch mit im Loche gesteckt?«

»Ja. Ich sah deine ganze Zukunft vor mir liegen. Soll ich sie dir mitteilen?«

»Ja, tue das!« bat sie schnell und eifrig. »Was wird mir die Zukunft bringen?«

»Sie wird dir nicht etwas bringen, sondern etwas rauben, etwas, was dir sehr wert und teuer ist.«

»Was ist das?« erkundigte sie sich ängstlich.

»Dein Haar. Du wirst es in einigen Monden verlieren und einen fürchterlichen Kahlkopf bekommen, grad so wie der Mond, der ja auch keine Haare hat. Dann werde ich dir meine Perücke schicken. Leb wohl, du trauriger Mondschein, du!«

Er trieb lachend sein Maultier von dannen, und sie wendete sich ab, sehr beschämt darüber, daß sie sich durch ihre Neugierde hatte auf das Eis führen lassen.

Die Ordnung, in welcher wir ritten, machte sich ganz von selbst. Intschu tschuna und Winnetou mit seiner Schwester und ich waren an der Spitze; dann folgten Hawkens, Parker und Stone, und hinter ihnen kamen die dreißig Apachen, welche miteinander abwechselten, die Packpferde zu leiten.

Nscho-tschi saß rittlings, also nach Männerart, auf ihrem Pferde. Sie war, wie ich schon wußte und es sich auch im Verlaufe unserer Reise zeigte, eine ausgezeichnete und auch ausdauernde Reiterin. Ebenso gut wußte sie ihre Waffen zu handhaben. Wer uns begegnet wäre, ohne sie zu kennen, hätte sie für einen jüngeren Bruder Winnetous halten müssen; einem schärferen Auge aber konnte die frauenhafte Weichheit ihrer Gesichtszüge und Körperformen nicht entgehen. Sie war schön, wirklich schön, selbst trotz ihres männlichen Anzuges und ihrer männlichen Art, zu reiten, schön!

Die ersten Tage unserer Reise verliefen ohne irgend ein Ereignis, welches erwähnt zu werden verdiente. Wie bekannt, hatten die Apachen fünf Tage gebraucht, um von dem Orte des Ueberfalles nach dem Pueblo am Rio Pecos zu kommen. Der Transport der Gefangenen und Verwundeten hatte diesen Ritt verlangsamt. Wir erreichten schon nach drei Tagen die Stelle, an welcher Klekih-petra von Rattler ermordet worden war. Dort wurde Halt und Nachtlager gemacht. Die Apachen trugen Steine zu einem einfachen Denkmale zusammen. Winnetou war an dieser Stätte noch ernster als gewöhnlich gestimmt. Ich erzählte ihm, seinem Vater und seiner Schwester, was Klekih-petra mir über sein früheres Leben mitgeteilt hatte.

Am nächsten Morgen ging es weiter, bis in die Gegend, wo unsere Meßarbeit so plötzlich durch den Ueberfall unterbrochen worden war. Die Pfähle steckten noch, und ich konnte sofort beginnen, tat dies aber nicht, weil es zunächst noch Notwendigeres zu tun gab.

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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