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Sechstes Kapitel.
Sams Befreiung.

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Inhaltsverzeichnis

Es läßt sich denken, welch großen Schmerz Winnetou über den Verlust seines Vaters und seiner Schwester empfand. Während des Begräbnisses durfte er demselben noch Ausdruck geben, dann aber mußte er ihn streng in seinem Innern verschließen; dies wurde ihm einesteils durch die indianische Sitte und andernteils durch die Notwendigkeit geboten, seine ganze Aufmerksamkeit auf die erwartete Ankunft der Kiowas zu richten. Er war jetzt nicht mehr der durch den herben Verlust fast niedergeschmetterte Sohn und Bruder, sondern der Anführer seiner Kriegerschar, mit welcher er den Angriff der Feinde abzuweisen hatte und den Mörder Santer fangen wollte. Er schien mit dem Plane dazu schon fertig zu sein, denn gleich nach dem Begräbnisse befahl er den Apachen, sich zum Aufbruche bereit zu machen und darum die Pferde, welche sich unten im Tale befanden, heraufzuholen.

»Warum erteilt mein Bruder diese Weisung?« fragte ich ihn. »Das Terrain ist so schwierig, daß es sehr viel Mühe machen wird, die Tiere hierher zu bringen.«

»Das weiß ich,« antwortete er; »aber es muß dennoch geschehen, weil ich die Kiowas dadurch überlisten will. Sie haben sich des Mörders angenommen und werden alle sterben müssen alle!«

Sein Gesicht hatte bei diesen Worten einen drohenden, entschlossenen Ausdruck; wenn er seinen Vorsatz zur Ausführung brachte, waren die Kiowas verloren. Ich hegte mildere Gesinnungen als er. Sie waren allerdings unsere Feinde, trugen aber doch nicht die Schuld an dem Tode Intschu tschunas und seiner Tochter. Durfte ich es wagen, ihn anders zu stimmen? Vielleicht lud ich dadurch seinen Zorn auf mich; aber die Gelegenheit zu einer solchen Bitte war günstig, weil wir uns ganz allein auf der Lichtung befanden. Die Apachen hatten seinen Befehl sofort befolgt und sich entfernt, und Stone und Parker waren mit ihnen gegangen. Es hörte es also niemand, wenn er mir in der Erzürnung eine Antwort gab, welche mich in Gegenwart anderer hätte beleidigen müssen. Ich sprach ihm also die soeben erwähnte Ansicht aus, und zu meiner Ueberraschung trat die Wirkung nicht ein, welche ich befürchtet hatte. Er sah mich zwar mit großen, finstern Augen an, antwortete aber in ruhigem Tone:

»Das mußte ich freilich von meinem Bruder erwarten; er hält es nicht für eine Schwachheit, dem Feinde auszuweichen.«

»So habe ich es nicht gemeint, von einem Ausweichen kann keine Rede sein; ich habe sogar schon daran gedacht, wie wir sie alle festnehmen werden. Aber sie sind nicht an Dem schuld, was hier geschehen ist, und es wäre ungerecht, sie die Strafe dafür mittragen zu lassen.«

»Sie haben sich des Mörders angenommen und kommen hierher, um uns zu überfallen! Ist das nicht Grund genug für uns, sie ohne Schonung zu behandeln?«

»Nein, es ist kein Grund, wenigstens für mich nicht. Es tut mir leid, zu hören, daß mein Bruder Winnetou in den Fehler fallen will, welcher die Ursache zum Untergange aller roten Nationen ist.«

»Welchen Fehler meint Old Shatterhand?«

»Den, daß die Indsmen sich gegenseitig zerfleischen, anstatt einander gegen den allgemeinen Feind beizustehen. Erlaube mir, recht aufrichtig zu dir zu reden! Wer meinst du wohl, wer im allgemeinen listiger und klüger ist, der rote Mann oder das Bleichgesicht?«

»Das Bleichgesicht. Ich sage dies, weil es die Wahrheit ist. Die Weißen haben mehr Kenntnisse und Geschicklichkeiten als wir; sie sind uns fast in allem überlegen.«

»Das ist richtig; wir sind euch überlegen. Du aber bist kein gewöhnlicher Indianer. Der große Geist hat dir Gaben verliehen, welche auch unter den Weißen nur selten einer besitzt, und darum möchte ich haben, daß du anders denkst als ein gewöhnlicher roter Mann. Dein Verstand ist scharf, und dein Blick reicht weit, viel, viel weiter als das körperliche und geistige Auge eines gewöhnlichen Kriegers. Wie oft ist der Tomahawk des Kampfes unter euch ausgegraben! Du mußt einsehen, daß dies ein fortgesetzter, gräßlicher Selbstmord ist, den der rote Mann an sich selbst begeht, und wer in derselben Weise handelt, nimmt an diesem Selbstmorde teil. Intschu tschuna und Nscho-tschi sind getötet worden, nicht von roten, sondern von weißen Männern; einer der Mörder hat sich zu den Kiowas geflüchtet und sie beredet, euch zu überfallen; das ist wohl Grund, sie hier zu erwarten und mit ihnen zu kämpfen, rechtfertigt es aber nicht, sie wie gefangene, tolle Hunde niederzuschießen. Sie sind rote Brüder von dir, bedenke das wohl!«

In dieser Weise fuhr ich noch einige Zeit fort. Er hörte mir ruhig zu, reichte mir, als ich das letzte Wort gesprochen hatte, die Hand und sagte:

»Old Shatterhand ist ein wirklicher, aufrichtiger Freund aller roten Männer, und er hat recht, wenn er vom Selbstmorde spricht. Ich werde tun, was er wünscht; ich will die Kiowas gefangen nehmen, sie dann aber wieder freigeben und nur den Mörder festhalten.«

»Gefangen nehmen? Das wird schwer halten, denn sie werden in Ueberzahl kommen. Oder solltest du denselben Gedanken haben wie ich?«

»Welchen?«

»Die Kiowas an einen Ort zu locken, wo sie sich nicht wehren können?«

»Ja, das ist mein Plan.«

»Der meinige auch. Du kennst die hiesige Gegend, und ich wollte dich fragen, ob es hier wohl einen solchen Ort gibt.«

»Es gibt einen, und er liegt gar nicht weit von hier, nämlich eine enge Felsenschlucht, welche einem schmalen Kañon gleicht. Da hinein will ich die Feinde locken.«

»Hoffst du, daß es dir gelingt?«

»Ja. Wenn sie sich in dieser Schlucht befinden, welche zu beiden Seiten nicht erstiegen werden kann, werden wir sie von vorn und auch von hinten angreifen, und sie müssen sich ergeben, wenn sie sich nicht wehrlos niederschießen lassen wollen. Ich werde ihnen das Leben schenken und damit zufrieden sein, daß ich Santer in meine Hand bekomme.«

»Ich danke dir! Mein Bruder Winnetou hat für ein gutes Wort ein offenes Herz. Vielleicht denkt er in einer andern Angelegenheit ebenso milde.«

»Was meint mein Bruder Old Shatterhand?«

»Du wolltest allen Weißen Rache schwören, und ich bat dich, dies nicht gleich zu tun, sondern bis nach dem Begräbnisse zu warten. Darf ich erfahren, was du nun beschlossen hast?«

Er blickte eine kurze Zeit zur Erde nieder, richtete dann sein Auge hell auf mich, deutete auf die Hütte, in welcher die Leichen gelegen hatten, und antwortete:

»Ich habe die vergangene Nacht dort bei den Toten zugebracht und im Kampfe mit mir selbst gelegen. Die Rache gab mir einen großen, kühnen Gedanken ein. Ich wollte die Krieger aller roten Nationen zusammenrufen und mit ihnen gegen die Bleichgesichter ziehen. Ich wäre besiegt worden. Aber in dem Kampfe gegen mich selbst heut in der Nacht bin ich Sieger geblieben.«

»So hast du diesen großen, kühnen Gedanken fallen lassen?«

»Ja. Ich habe drei Personen, welche ich liebe, befragt, zwei Tote und einen Lebenden; sie rieten mir, diesen Plan fallen zu lassen, und ich beschloß, ihrem Rate zu folgen.«

Ich sprach eine Frage aus, nicht durch Worte, sondern durch den Blick, welchen ich auf ihn richtete; da fuhr er fort:

»Mein Bruder weiß nicht, von welchen Personen ich spreche? Ich meine Klekih-petra, Nscho-tschi und dich. Euch drei habe ich in Gedanken befragt und eine dreifache, aber gleichlautende Antwort erhalten.«

»Ja, wenn beide noch lebten und du sie fragen könntest, sie würden dir ganz gewiß dasselbe sagen, was ich dir rate. Der Plan, den du hegtest, war groß, und du wärest der Mann dazu gewesen, ihn auszuführen, doch «

»Mein Bruder mag bescheidener von mir denken und sprechen,« unterbrach er mich. »Sollte es wirklich einem roten Häuptlinge gelingen, die Krieger aller Stämme unter sich zu vereinigen, so könnte es doch nicht so schnell geschehen, wie ich es wünschte, sondern es würde eines langen, mühevollen Menschenlebens bedürfen, um an dieses Ziel zu gelangen, und es wäre dann, am Schlusse dieses Lebens, zu spät, den Kampf zu beginnen. Einer allein, und wäre er ein noch so großer und berühmter roter Mann, kann diese Aufgabe nicht lösen, und nach seinem Tode würde der würdige Nachfolger fehlen, der imstande wäre, das Werk fortzusetzen und zu Ende zu führen.«

»Es freut mich, daß mein Bruder Winnetou zu dieser Ansicht gekommen ist; sie ist die richtige. Einer reicht nicht aus, und ein Nachfolger würde sich schwerlich finden. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, so würde der Kampf der Roten gegen die Weißen für euch unglücklich enden.«

»Ich weiß es; er würde unsern Untergang nur beschleunigen. Und wenn wir aus allen Kämpfen als Sieger hervorgingen, so sind der Bleichgesichter so viele, daß sie immer neue Scharen gegen uns senden könnten, während es uns unmöglich wäre, unsere Verluste zu ersetzen. Die Siege würden uns zwar langsamer aber doch grad auch so aufreiben, als wenn wir geschlagen würden. Das habe ich mir gesagt, als ich während der Nacht bei meinen Toten saß, und den Entschluß gefaßt, auf die Ausführung meines Planes zu verzichten. Ich wollte mich damit begnügen, den Mörder zu fangen und mich an denen zu rächen, welche ihm Hilfe geleistet haben und nun mit ihm kommen, uns zu überfallen. Aber auch dies hat mir mein Bruder Old Shatterhand ausgeredet, und so soll meine Rache denn nun nur darin bestehen, daß ich Santer festnehme und ihn bestrafe. Die Kiowas lassen wir laufen.«

»Diese deine Worte machen mich stolz auf die Freundschaft, welche uns verbündet; ich werde sie dir nie vergessen. Wir beide sind, obgleich wir es nicht mit Sicherheit behaupten können, doch überzeugt, daß die Kiowas kommen werden. Es handelt sich nun darum, den Zeitpunkt ihrer Ankunft zu erfahren.«

»Der Tag ihrer Ankunft hier ist heut,« behauptete er in einem so sichern Tone, als ob es sich um eine vollständig festgestellte Tatsache handle.

»Wie ist es dir möglich, dies so bestimmt zu sagen?«

»Ich schließe es aus dem, was du mir von eurem letzten Ritte erzählt hast. Die Kiowas sind scheinbar nach ihrem Dorfe gezogen, um euch hinter sich her zu locken, wollen aber eigentlich hierher; sie haben also einen Umweg gemacht, sonst hätten sie schon gestern eintreffen können. Sie haben auch noch andere Abhaltungen gehabt, durch welche ihre Ankunft verzögert worden ist.«

»Andere Abhaltungen? Welche?«

»Wegen Sam Hawkens. Den bringen sie natürlich nicht mit hierher, sondern sie haben ihn heim zu den Ihrigen geschickt; dazu mußte ein passender Ort und der geeignete Zeitpunkt abgewartet werden, vielleicht auch eine Gelegenheit, welche sich zufällig bot. Ebenso war es nötig, einen Boten abzusenden, welcher eure Ankunft zu melden hatte.«

»Ah, du meinst, daß die Krieger des Dorfes uns entgegenreiten sollten?«

»Ja. Die Krieger, mit denen ihr es dort am ausgetrockneten Flusse zu tun hattet, haben euch hinter sich her ziehen wollen, hatten aber, weil sie beabsichtigten, hierher zu reiten, nicht die nötige Zeit, dann mit euch anzubinden. Sie haben also jedenfalls einen oder einige Boten an die Ihrigen abgeschickt, damit man euch vom Dorfe aus entgegenziehe. Diesen Boten ist Sam Hawkens mitgegeben worden. Dann, nachdem dies geschehen ist, sind die Kiowas von ihrer Richtung abgewichen und haben den Weg nach dem Nugget-tsil eingeschlagen. Diese Schwenkung durftet ihr aber nicht entdecken; darum mußte sie an einer Stelle vor sich gehen, an welcher keine Spuren zurückbleiben konnten. Dergleichen Stellen sind selten; sie liegen meist nicht am Wege und müssen extra aufgesucht werden. Auch das ergibt einen Zeitverlust. Darum konnten die Kiowas unmöglich schon gestern hier sein. Sie sind auch bis jetzt noch nicht angekommen, werden aber ganz gewiß heut noch eintreffen.«

»Woher weißt du, daß sie jetzt noch nicht da sind?«

Er deutete nach der nächsten Bergkuppe. Der Wald, welcher sie bedeckte, wurde von einem sehr hohen Baume überragt. Dort war der höchste Punkt der Nuggetberge, und wer auf dem Baume saß und ein scharfes Auge hatte, der konnte rundum die angrenzende Prairie überblicken.

»Mein Bruder weiß nicht,« antwortete er, »daß ich einen Krieger dort hinaufgeschickt habe, welcher aufpassen soll und die Ankunft der Kiowas bemerken wird, denn er besitzt die Augen eines Falken. Sobald er sie kommen sieht, steigt er herab, um es mir zu melden.«

»Das ist gut. Die Meldung ist noch nicht erfolgt, also sind sie noch nicht da. Und du meinst aber, daß sie ganz bestimmt heut noch kommen?«

»Ja, denn länger dürfen sie nicht zögern, wenn sie uns antreffen wollen.«

»Sie hatten aber nicht die Absicht, bis zum Nugget-tsil vorzugehen, sondern sie wollten dir in der Nähe desselben einen Hinterhalt legen, um euch auf eurer Heimkehr zu überfallen.«

»Dies wäre ihnen vielleicht gelungen, wenn du sie nicht belauscht hättest; nun ich es aber weiß, wird aus dem Hinterhalte nichts, sondern ich locke sie hierher. Die Heimkehr hätte mich nach Süden geführt, und in dieser Richtung hätten sie sich also lagern müssen; nun tue ich aber, als ob ich nordwärts gegangen sei, und locke sie hinter mir her.«

»Ob sie dir folgen werden!«

»Gewiß. Sie müssen auf alle Fälle einen Späher senden, um zu erfahren, ob wir überhaupt noch da sind. Diesem Kundschafter tun wir natürlich nichts, sondern lassen ihn unbelästigt zu ihnen zurückkehren. Seinetwegen habe ich den Befehl gegeben, die Pferde hier heraufzubringen. Das sind über dreißig Tiere; er muß trotz des harten Bodens und trotz des Steingerölls ihre Spuren unbedingt sehen und wird ihnen folgen. Wir suchen von hier aus die Schlucht auf, welche die Falle sein soll, in der wir sie fangen wollen. Dorthin wird er uns nicht nachgehen, sondern er wird unserer Fährte nur eine kurze Strecke folgen, um sich zu überzeugen, daß wir wirklich fort sind, und dann schnell wieder umkehren, um den Seinen zu melden, daß wir nicht südwärts, sondern nach Norden davongeritten sind. Stimmt mein Bruder mir da bei?«

»Ja. Sie werden dadurch gezwungen, auf den beabsichtigten Hinterhalt zu verzichten, und es läßt sich beinahe mit Sicherheit erwarten, daß sie dann hierherkommen und uns von hier aus nachreiten.«

»Das werden sie; ich bin überzeugt davon. Santer, den ich haben muß, wird noch heut in meinen Händen sein.«

»Was wirst du mit ihm machen?«

»Ich bitte meinen Bruder, mich nicht danach zu fragen. Er wird sterben; das ist genug.«

»Wo? Hier? Oder transportierst du ihn nach dem Pueblo?«

»Das ist noch unbestimmt. Hoffentlich ist er nicht so ein Feigling wie Rattler, dem wir den schnellen Tod einer hündischen Memme gewähren mußten. Horch! Ich höre den Hufschlag unserer Pferde. Wir werden diesen Ort verlassen, um ihn dann mit unsern Gefangenen wieder aufzusuchen.«

Die Pferde wurden gebracht. Das meinige und die Mary Sams waren auch mit dabei. Aufsteigen konnten wir nicht, dazu war der Weg nicht bequem genug; es mußte ein jeder sein Tier am Zügel führen.

Winnetou ging voran. Er brachte uns nordwärts von der Blöße weg in den Wald hinein, welcher in einer ziemlich steilen Senkung niederfiel. Unten gab es einen offenen Wiesenplan; wir bestiegen die Pferde und ritten über denselben hinüber nach einer Bergwand, welche wie eine hohe, senkrechte Felsenmauer vor uns lag. Sie war durch eine schmale Schlucht gespalten. Winnetou deutete auf dieselbe und sagte:

»Das ist die Falle, von welcher ich sprach. Wir reiten jetzt hindurch.«

Der Ausdruck Falle paßte sehr gut auf den engen Durchgang, den wir nun passierten. Die Wände desselben stiegen zu beiden Seiten fast lotrecht himmelan, und es gab keine Stelle, an welcher sie erklimmt werden konnte. Wenn die Kiowas so dumm waren, hier herein zu reiten, und wir besetzten die beiden Eingänge dieser Schlucht, so wäre es Wahnsinn von ihnen gewesen, sich zur Gegenwehr zu setzen.

Der Weg führte nicht in gerader Richtung, sondern er wand sich bald nach rechts, bald nach links, und es währte wohl eine Viertelstunde, bis wir den Ausgang erreichten. Dort blieben wir halten und stiegen ab. Kaum war dies geschehen, so sahen wir den Apachen kommen, welcher von dem Baume auf der Bergkuppe aus nach den Kiowas ausgelugt hatte.

»Sie sind gekommen,« meldete er. »Ich wollte sie zählen, konnte dies aber nicht, weil sie nicht einzeln ritten und sehr entfernt waren.«

»Haben sie die Richtung nach dem Tale genommen?« erkundigte sich Winnetou.

»Nein. Sie hielten draußen auf der Prairie an, wo sie sich zwischen Büschen gelagert haben. Aber dann trennte sich ein einzelner Krieger von ihnen; er war zu Fuße, und ich sah ihn nach dem Tale gehen.«

»Das ist der Späher. Wir haben grad noch Zeit, die Falle zu öffnen, um sie dann zu schließen. Mein Bruder Shatterhand mag Stone, Parker und zwölf meiner Krieger mit sich nehmen und hier links um den Berg gehen. Sobald er eine sehr starke, hohe Birke erblickt, dringt er in den Wald ein, welcher langsam empor-und jenseits wieder niedersteigt. Kommt mein Bruder drüben an, so befindet er sich in der Verlängerung des Tales, von welchem aus wir nach dem Nugget-tsil emporgestiegen sind. Geht er dieses Tal hinab, so erreicht er bald die Stelle, an welcher wir unsere Pferde zurückließen; der fernere Weg ist ihm bekannt. Er darf aber nicht im offenen Tale gehen, sondern muß an der Seite desselben im Walde verborgen bleiben. Old Shatterhand steckt also hüben im Walde, wo jenseits drüben unsere Schlucht nach oben führt. Er wird den feindlichen Späher bemerken, ihm aber nicht hinderlich sein. Dann wird er die Feinde kommen sehen und sie in die Schlucht eindringen lassen.«

»Das ist also dein Plan,« führte ich seine Rede fort. »Du bleibst hier, um den Ausgang der Falle besetzt zu halten, und ich kehre auf dem Umwege, den du mir jetzt beschrieben hast, nach dem Fuße des Nugget-tsil zurück, um die Feinde zu erwarten und ihnen heimlich zu folgen, bis sie hier in die Falle eingedrungen sind?«

»Ja, so meine ich es. Wenn mein Bruder Old Shatterhand keinen Fehler begeht, so wird uns der Fang ganz gewiß gelingen.«

»Ich werde so vorsichtig wie möglich sein. Hat Winnetou mir noch weitere Winke zu erteilen?«

»Nein. Ich überlasse alles weitere dir.«

»Wer verhandelt mit den Kiowas, wenn es uns gelungen ist, sie einzuschließen?«

»Ich. Old Shatterhand hat nichts zu tun, als sie nicht aus der Felsenschlucht zu lassen, wenn sie mich und meine Krieger bemerken und dann umkehren wollen. Aber sputet euch! Der Nachmittag ist fast vorüber, und die Kiowas werden nicht bis morgen warten, uns zu folgen, sondern dies noch heut, bevor es dunkel wird, tun wollen.«

Die Sonne hatte ihren Tagesbogen allerdings schon fast vollendet, und der Abend war in nicht viel über einer Stunde zu erwarten. Ich machte mich also mit Dick, Will und den mir zugeteilten Apachen auf den Weg, zu Fuße, wie sich ganz von selbst versteht.

Nach einer kleinen Viertelstunde sahen wir die Birke stehen und drangen in den Wald ein. Wir fanden die Gegend genau so, wie Winnetou sie beschrieben hatte, und erreichten jenseits unser Tal und in demselben die Stelle, wo unsere Pferde geweidet hatten. Uns gegenüber öffnete sich die Seitenschlucht, welche hinauf nach der Lichtung und den beiden Gräbern führte.

Da, wo wir uns unter den Bäumen niedersetzten, konnten wir die Kiowas kommen sehen wenn sie überhaupt kamen, hatten aber nicht zu befürchten, von ihnen bemerkt zu werden, denn es war ja anzunehmen, daß sie nicht herüber nach unserer Seite kommen, sondern drüben der Seitenschlucht folgen würden.

Die Apachen verhielten sich schweigsam; Stone und Parker sprachen leise miteinander. Wie ich hörte, waren sie überzeugt, daß die Kiowas, und mit ihnen Santer, in unsere Hände fallen würden. Ich war dieser Sache nicht so sicher wie sie. Wir hatten nun höchstens noch zwanzig Minuten Tag, und die Kiowas kamen noch nicht; ich glaubte also, daß erst der nächste Morgen die Entscheidung bringen werde, zumal von dem Späher, den die Feinde nach dem Tale geschickt hatten, auch nichts zu sehen war. Bei uns unter den Bäumen wurde es schon dunkel.

Das Flüstern zwischen Parker und Stone hatte aufgehört; ein Luftzug strich über die Wipfel und verursachte jenes monotone Rauschen, welches eigentlich kein Rauschen, sondern besser ein ununterbrochener, leise und tief klingender Hauch zu nennen ist, von welchem man jedes andere, noch so unbedeutende Geräusch leicht zu unterscheiden vermag. So auch jetzt. Es war mir, als ob etwas hinter mir auf dem weichen Waldboden hinstreife. Ich horchte schärfer; ja, es bewegte sich etwas. Was war es? Ein vierfüßiges Tier hätte sich nicht so nahe zu uns herangewagt. Ein Reptil? Nein, auch nicht. Ich drehte mich schnell um und legte mich nieder, um von unten herauf besser sehen zu können. Dies geschah noch zur rechten Zeit, um mich einen dunklen Gegenstand bemerken zu lassen, welcher wohl hinter mir gelegen hatte und nun zwischen den Bäumen fortschlüpfte. Ich sprang auf und eilte ihm nach. Wie einen dunklen Schlag-im helleren Halbschatten sah ich ihn vor mir und griff zu, wobei ich ein Stück Zeug in die Hand bekam.

»Away!« rief eine erschrockene Stimme, und das Zeug wurde mir aus der Hand gerissen. Der Schatten war nicht mehr zu sehen; und ich blieb stehen und horchte, um ihn wenigstens zu hören. Aber meine Gefährten hatten meine schnellen Bewegungen bemerkt und den Ausruf vernommen. Sie sprangen auf und fragten mich, was es gebe.

»Still, seid still!« antwortete ich und lauschte von neuem. Es war nichts zu hören.

Es war ein Mensch gewesen, welcher uns belauscht hatte, und zwar ein Weißer, wie der englische Ausruf bewies, vielleicht gar Santer selbst, weil sich außer diesem kein anderes Bleichgesicht bei den Kiowas befand. Ich mußte ihm unbedingt nach, trotz der Dunkelheit nach!

»Setzt euch wieder nieder und wartet, bis ich zurückkehre!« gebot ich meinen Leuten und rannte fort.

Welche Richtung ich einzuschlagen hatte, darüber gab es keinen Zweifel; natürlich hinaus nach der Prairie zu, wo sich die Kiowas befanden; der Lauscher ging zu ihnen, nirgends wo anders hin.

Es galt, seine Flucht zu verlangsamen; wollte ich dies erreichen, so mußte ich ihn ängstlich machen. Ich rief ihm also zu:

»Halt, bleib stehen, sonst schieße ich!«

Und einige Sekunden später gab ich zur Bekräftigung dieser Drohung zwei Revolverschüsse ab. Dies war kein Fehler, weil unsere Anwesenheit nun doch einmal verraten war. Jetzt konnte ich annehmen, daß der Flüchtling aus Angst vor mir tiefer in den Wald eindringen werde, wo sich seine Flucht verzögern mußte, weil es dort nun völlig dunkel war. Ich hingegen, der ihm zuvorkommen wollte, sprang nach dem Waldesrande, wo ich noch sehen konnte, und eilte an demselben hin. Ich wollte in dieser Weise das ganze Tal hinab, bis es auf die Prairie mündete, und mich dort verstecken. Wenn der Mann dann kam, mußte er an mir vorüber, und ich konnte ihn fassen.

Dieser Plan war wohl ganz gut, konnte aber nicht zur Ausführung kommen, denn eben als ich einer Krümmung des Tales folgen wollte und um eine vorstehende Buschgruppe bog, sah ich Menschen und Pferde vor mir und konnte es kaum ermöglichen, mich noch rechtzeitig wieder nach rückwärts zu werfen und unter die Bäume zu schlüpfen.

Die Kiowas hatten hier hinter den Büschen ihr Lager aufgeschlagen, warum, das war gar nicht schwer zu erraten.

Erst hatten sie draußen auf der Prairie Halt gemacht und einen Kundschafter ausgesandt. Dieser hatte gar keine schwierige Arbeit zu verrichten, wie ich bald erfuhr. Santer war nämlich, weil er die Oertlichkeit schon kannte, den Indianern weit vorausgeritten, um die Gegend nach uns zu durchspähen und ihnen gleich bei ihrer Ankunft Nachricht zu geben; er war aber, als sie kamen, noch nicht wieder da, und so schickten sie einen roten Späher aus, welcher nur seiner Spur zu folgen brauchte und keine Gefahr zu fürchten hatte, weil im Falle einer solchen Santer jedenfalls zurückgekehrt wäre, um die Indianer zu warnen. Der Kundschafter schritt also in das Tal hinein, so weit es ihm gut dünkte, fand keinen Feind und ging wieder zurück, um dies zu melden. Da das Tal für die Nacht einen besseren Aufenthalt bot als die freie Prairie, so entschlossen sich die Kiowas, diese letztere zu verlassen und das erstere aufzusuchen. Santer konnte sie nicht umgehen, sondern er mußte sie finden, sobald er vorüberkam, obgleich sie aus Vorsicht kein Feuer brennen durften.

Nun war es gewiß, daß wir sie heut nicht in unsere Hände bekommen konnten, wahrscheinlich auch morgen nicht, wenn Santer so klug gewesen war, unsern Plan zu erraten. Was war zu tun? Sollte ich an meinen Posten zurückkehren und auf demselben warten, ob die Kiowas morgen früh doch in die Falle gehen würden? Oder sollte ich Winnetou aufsuchen, ihm meine Entdeckung mitteilen und ihn um andere Verhaltungsmaßregeln bitten? Es gab noch ein drittes, was ich tun konnte; aber dies war gefährlich für mich, nämlich hier bleiben. Es war jedenfalls von großem Werte für uns, zu erfahren, was die Roten beschließen würden, nachdem sie von Santer über das, was er gesehen hatte, unterrichtet worden waren. Wenn ich sie belauschen konnte! Aber ich riskierte viel, sehr viel, sogar alles dabei. Santer sagte jedenfalls, daß ich hinter ihm her sei, und das konnte, ja es mußte beinahe zu meiner Entdeckung führen. Dennoch beschloß ich, es zu wagen, falls nur irgend eine Möglichkeit des Gelingens abzusehen sei. Sie brannten kein Feuer, um nicht bemerkt zu werden; dieser Umstand, der sie schützte, mußte auch mir Schutz gewähren.

Unter den Bäumen lagen hohe Steinblöcke, mit Moos bewachsen und von Farnkräutern umgeben; vielleicht konnte ich mich hinter einen solchen verbergen.

Die Mehrzahl der Roten war noch mit den Pferden beschäftigt, welche angepflockt wurden, damit sie sich nicht entfernen und das Lager verraten könnten; die übrigen hatten sich am Waldesrande niedergesetzt oder -gelegt. An einer Stelle desselben ertönte eine halblaute, befehlende Stimme; dort stand also der Anführer, und ich durfte vermuten, daß er diesen Punkt auch später beibehalten werde. Dorthin mußte ich, wenn es nur halbwegs möglich war!

Auf dem Boden liegend, schob ich mich in dieser Richtung fort. Nach Deckung brauchte ich nicht sehr zu suchen, denn es war rundum dunkel, und die Roten befanden sich meist jenseits der Stelle, welche ich erreichen wollte. Entdeckt konnte ich für jetzt nur in dem Falle werden, daß einer mir in den Weg kam und über mich stolperte. Glücklicherweise geschah dies nicht, und ich gelangte glücklich an mein Ziel. Da lagen zwei Felsblöcke nebeneinander, der eine lang und hoch; der andere niedriger; da oben suchte man gewiß keinen Horcher; ich stieg von dem niedrigen auf den hohen und streckte mich auf demselben lang aus. Ich lag über zwei Meter hoch in ziemlicher Sicherheit, denn es war wohl kein Grund vorhanden, welcher einen Roten veranlassen konnte, mir nachzusteigen.

Die bis jetzt mit ihren Pferden beschäftigten Indianer kamen nun auch herbei und setzten oder legten sich nieder. Da, wo ich den Anführer vermutete, wurden einige halblaute Befehle gegeben, welche ich nicht verstand, weil mir die Sprache der Kiowas fremd war. Hierauf entfernten sich einige Rote. Sie waren jedenfalls die Wachen, welche ausgestellt wurden. Ich bemerkte, daß sie nur die Talseite des Lagers, nicht aber auch den Wald besetzten, und dies war ein glücklicher Umstand für mich, weil ich mich später entfernen konnte, ohne befürchten zu müssen, auf Vorposten zu stoßen.

Die Lagernden sprachen miteinander, zwar in gedämpftem Tone, doch immerhin so, daß ich jedes Wort hören konnte. Leider aber verstand ich es nicht. Wie vorteilhaft wäre es gewesen, wenn ich hätte erfahren können, was sie sagten! Wie oft muß ich erzählen, daß ich während meiner Streifzüge im Westen Indianer ganz verschiedener Stämme und auf meinen Reisen in anderen Ländern wiederholt Lagerplätze angeschlichen und die dort befindlichen Menschen belauscht habe. Dieser Angewohnheit verdanke ich viele meiner Erfolge, oft sogar auch das Leben. Wer es liest, denkt wohl nicht daran oder hat keinen Begriff davon, wie schwer und wie gefährlich ein solches Anschleichen ist. Und diese Schwierigkeit bezieht sich nicht nur auf die Anforderungen, welche dabei der körperlichen Gewandtheit, Kraft und Ausdauer gemacht werden, sondern auch und vor allen Dingen auf das geistige Geübtsein, auf die unerläßliche Intelligenz und die Kenntnisse, welche man besitzen muß. Was nützt es mir, wenn ich ein Indianer-, Beduinen-oder Kurdenlager, eine sudanesische Seribah oder eine südamerikanische Gauchostätte noch so meisterhaft zu beschleichen verstehe, aber der betreffenden Sprache nicht mächtig bin und also nicht erfahren kann, was gesprochen wird! Und meist ist grad der Inhalt der Gespräche viel wichtiger als alles andere, was man dabei erfährt. Darum ist es stets mein erstes Bestreben gewesen, die Sprache der Menschen, mit denen ich es zu tun bekam, kennen zu lernen. Winnetou beherrschte sechzehn Indianerdialekte und ist auch hierin mein hervorragendster Lehrer gewesen. Es ist mir später niemals vorgekommen, daß ich einen Lagerplatz beschlich, ohne zu verstehen, was auf demselben gesprochen wurde.

Ich mochte ungefähr zehn Minuten auf dem Steine gelegen haben, als ich einen Posten rufen hörte; darauf erfolgte die für mich sehr erwünschte Antwort:

»Ich bin es, Santer. Ihr seid also herein in das Tal gekommen?«

»Ja. Mein weißer Bruder mag weitergehen; er wird die roten Krieger sogleich sehen.«

Diese Worte konnte ich verstehen, weil mit Santer in dem aus indianischen und englischen Worten bestehenden Jargon, den ich nun auch kannte, gesprochen werden mußte. Er kam herbei; der Anführer rief ihn zu sich und sagte:

»Mein weißer Bruder ist viel länger fortgewesen, als vorher bestimmt worden war. Er wird wichtige Gründe dazu gehabt haben.«

»Wichtiger, als ihr ahnen könnt. Seit wann befindet ihr euch hier?«

»Seit nicht ganz der Zeit, welche die Bleichgesichter eine halbe Stunde nennen.«

»Ihr habt mein Pferd getroffen?«

»Ja, denn wir sind ja deiner Spur gefolgt. Da, wo du es angebunden hattest, machten wir Halt, und als wir dann hierher ritten, haben wir es mitgenommen.«

»Ihr hättet draußen auf der Prairie bleiben sollen! Es ist hier nicht geheuer.«

»Wir blieben nicht dort, weil es sich hier besser lagert und weil wir glaubten, daß hier keine Gefahr zu befürchten sei; du wärest sonst ja schnell zurückgekommen, um uns zu warnen.«

»Es ist umgekehrt. Ich blieb so lange aus, weil wir uns hier in großer Gefahr befinden und ich lange Zeit brauchte, zu entdecken, worin dieselbe besteht. Old Shatterhand ist hier.«

»Das dachte ich. Hat mein Bruder ihn gesehen?«

»Ja.«

»Wir werden ihn fangen und unserm Häuptling bringen, dem er die Beine zerschmettert hat. Der Tod am Marterpfahle ist ihm gewiß. Wo befindet er sich denn?«

Also die Kiowas hatten uns nicht nach ihrem Dorfe locken wollen, sondern angenommen, daß wir zu Winnetou zurückkehren würden.

»Ob ihr ihn fangen werdet, das ist noch sehr ungewiß,« antwortete Santer.

»Es wird geschehen, denn diese Hunde haben nur dreißig Krieger bei sich, wir aber zählen über fünfmal zehn, und sie wissen nicht, daß wir da sind. Wir werden sie also vollständig überrumpeln.«

»Da irrst du dich gewaltig. Sie wissen, daß wir kommen wollen; sie wissen vielleicht sogar schon, daß ihr da seid, denn sie haben uns jedenfalls Späher entgegengesandt.«

»Uff! Sie wissen es?«

»Ja.«

»Dann können wir sie ja nicht überraschen!«

»Freilich nicht.«

»Es wird also, wenn wir sie angreifen, zum Kampfe kommen, welcher Blut kostet, denn Winnetou und Old Shatterhand sind jeder für zehn Krieger zu rechnen.«

»Ja, das sind sie. Der Tod Intschu tschunas und seiner Tochter hat sie jedenfalls mit Wut erfüllt; sie kochen Rache und werden sich wie tolle Hunde, wie wütende Raubtiere verteidigen. Aber unser müssen sie doch werden. Winnetou wenigstens muß ich auf alle Fälle fangen.«

»Warum ihn?«

»Der Nuggets wegen. Er ist nun wahrscheinlich der einzige, welcher den Fundort kennt.«

»Und wird ihn keinem Menschen verraten.«

»Auch dann nicht, wenn wir ihn gefangen nehmen?«

»Nein.«

»Ich martere ihn so lange, bis er mir das Geheimnis mitteilt.«

»Er wird dennoch schweigen. Dieser junge Hund der Apachen spottet aller Qualen. Und wenn er weiß, daß wir kommen, wird er sich hüten, in unsere Hände zu fallen.«

»O, ich weiß, wie wir es anfangen müssen, ihn in unsere Gewalt zu bekommen.«

»Wenn du es weißt, so sage es uns!«

»Wir brauchen nur die Falle, welche sie uns gestellt haben, schlau zu benutzen.«

»Eine Falle haben sie uns gelegt? Welche?«

»Sie wollen uns in eine enge Schlucht locken, in welcher wir keinen Platz zur Verteidigung haben, und uns da gefangen nehmen.«

»Uff! Weiß mein Bruder Santer dies genau?«

»Ja.«

»Kennt er auch die Schlucht?«

»Ich bin drin gewesen.«

»Erzähle mir, wie du es erfahren hast!«

»Ich habe viel, sehr viel gewagt. Wenn man mich bemerkt hätte, so wäre ich jedenfalls dem gräßlichsten Martertode verfallen, und ich bin verteufelt froh, daß es so glücklich abgelaufen ist. Diesen guten Erfolg habe ich nur dem Umstande zu verdanken, daß ich den Weg nach dem Nugget-tsil schon einmal gemacht hatte und die Oertlichkeit da oben, wo die Gräber stehen, kannte.«

»Die Gräber? Winnetou hat also, so wie ich es vermutete, seine Toten da oben begraben?«

»Ja. Das war für mich sehr vorteilhaft, denn dadurch ist die Aufmerksamkeit der Apachen abgelenkt worden. Ich sagte mir selbstverständlich, daß sie droben auf der Lichtung seien, und nahm mich außerordentlich in acht. Ich habe schon manches durchgemacht und darf mich rühmen, kein unerfahrener Westmann zu sein; aber so vorsichtig wie heut bin ich doch noch nie gewesen. Ich ging natürlich nicht im offenen Tale, sondern im Walde an der Lehne desselben. Da, wo es rechts in die Schlucht hinaufgeht, hatten die Kerls ihre Pferde. Es war keine Kleinigkeit, hinaufzukommen, ohne sich der Schlucht als Weg zu bedienen, aber es gelang mir doch. Droben mußte ich diese Vorsicht noch verdoppeln und alle meine Schlauheit zusammennehmen. Ich hielt es nicht für möglich, unbemerkt bis zur Blöße vordringen zu können; aber die Apachen hatten nur Augen und Ohren für das Begräbnis, und so wagte ich mich bis hinter einen Felsen, der am Rande der Lichtung liegt. Von dort aus konnte ich alles beobachten.«

»Mein weißer Bruder ist sehr kühn gewesen; daß er noch lebt, hat er nur dem Begräbnisse zu verdanken.«

»Das sagte ich ja schon! Als die Gräber zugemacht worden waren, schickte Winnetou seine Leute fort, um die Pferde holen zu lassen.«

»Dort hinauf? Ist das nicht schwer?«

»Sehr mühevoll!«

»Dann muß er einen Grund dazu gehabt haben!«

»Allerdings. Wir sollen, wenn wir sehen, daß sie mit den Pferden da hinauf sind, ihnen mit den unserigen nachklettern und dann ihrer Fährte weiter folgen, welche in die Falle führt.«

»Warum vermutest du das?«

»Ich vermute es nicht, sondern ich weiß es; ich habe es gehört.«

»Von wem?«

»Von Winnetou. Als er seine Leute nach den Pferden geschickt hatte, war er mit Old Shatterhand allein; sie standen gar nicht weit von meinem Verstecke, und was sie miteinander sprachen, das habe ich gehört.«

»Uff! Es ist ein großes Wunder geschehen! Winnetou ist belauscht worden! Das ist nur dadurch möglich geworden, daß seine Gedanken nicht bei uns, sondern bei seinem Vater und seiner Schwester waren.«

»O, sie waren doch auch bei uns. Er hatte einen Späher auf die höchste Bergesspitze geschickt, der von einem Baume aus unsere Ankunft erforschen sollte.«

»Hat er sie bemerkt?«

»Nein; ich weiß wenigstens nichts davon. Du siehst also, wie gut es ist, daß ich allein vorausgeritten bin; als einzelner Reiter bin ich dem Auge dieses Spähers entgangen.«

»Ja, du hast sehr klug gehandelt. Erzähle weiter!«

»Als die Roten die Pferde brachten, wurde nicht länger gewartet; sie verließen die Lichtung, um jenseits derselben ins Tal herabzukommen. Ist man über dasselbe hinüber, so gelangt man in eine sehr schmale und lange Schlucht, deren Seiten nicht zu erklettern sind; da hinein sollen wir gelockt werden.«

»So beabsichtigt Winnetou wohl, den Ein-und Ausgang derselben zu verschließen, zu besetzen?«

»Ja. Natürlich aber erst dann, wenn wir hinein sind.«

»Da muß er seine Leute teilen. Die eine Hälfte reitet durch die Schlucht und wartet am Ende derselben auf uns, während die andere Hälfte zurückbleibt und sich versteckt, um dann hinter uns her zu folgen.«

»Das dachte ich auch.«

»Ist der Boden felsig oder grasig dort?«

»In der Schlucht felsig, vor derselben, also im Tale, aber grasig.«

»So muß die zweite Abteilung der Apachen, wenn sie sich versteckt, Spuren hinterlassen, welche wir bemerken werden. Wir würden also auf keinen Fall in die Falle gegangen sein.«

»O doch! Diese Kerls sind pfiffiger, als du denkst. Die zweite Abteilung ist nämlich nicht zurückgeblieben, sondern mit durch die Schlucht geritten.«

»Uff! Wie wollen sie uns da hinten und vorn einschließen?«

»Das fragte ich mich auch. Es gab nur eine einzige Antwort darauf, nämlich die, daß diese Abteilung nun auf einem andern Wege uns in den Rücken und wieder an die Schlucht gelangen will.«

»Da hat mein Bruder abermals sehr klug gedacht. Hast du diesen andern Weg entdeckt?«

»Ja. Ich bin zunächst auch in die Schlucht hinein, obgleich dies gefährlich war; aber ich mußte sie doch kennen lernen. Ganz hindurch konnte ich natürlich nicht, weil ich da auf die Apachen getroffen wäre, welche sie hinten besetzt hatten. Ich kehrte also sehr bald um, hatte sie aber noch nicht ganz verlassen, als ich eilige Schritte hörte. Glücklicherweise lagen mehrere hohe Steine an der Seite, hinter welche ich mich schnell niederducken konnte; ein Apache kam vorüber, er sah mich nicht.«

»Ob dies vielleicht der Späher von der Bergeshöhe gewesen ist?«

»Wahrscheinlich.«

»So hat er uns kommen sehen und eilte, dies Winnetou zu melden.«

»Vielleicht auch nicht. Winnetou hat, als er sein bisheriges Lager oben bei den Gräbern verließ, ihn davon benachrichtigt und ihm sagen lassen, daß er nachkommen soll.«

»Nein, denn da wäre derjenige bei ihm gewesen, der ihm diese Nachricht zu bringen hatte; er kam aber allein. Es ist also so, wie ich denke. Er hat unsere Ankunft bemerkt und sich so beeilt, Winnetou davon zu benachrichtigen. Wie gut, daß du noch Zeit fandest, dich zu verbergen! Was tatest du dann?«

»Ich überlegte. Wenn die Feinde uns in den Rücken kommen wollten, so geschah dies am leichtesten dadurch, daß sie an einer bequemen Stelle, wo wir vorüber mußten, heimlich auf uns warteten. Welche Stelle konnte das sein? Jedenfalls dieses Tal hier, in welchem wir uns befinden, und zwar der hintere Teil desselben, wo rechts die Schlucht zur Höhe geht. Wenn die Apachen sich dort diesseits unter den Bäumen verstecken, so müssen sie uns kommen sehen und können uns unbemerkt bis zur Falle folgen und diese hinter uns verschließen. Das sagte ich mir, und darum kehrte ich nach hier zurück und schlich mich dahin, wo ich glaubte, daß ich sie finden werde, falls meine Berechnung richtig sein sollte.«

»Und fandest du sie?«

»Nicht gleich, denn ich war eher dort als sie; aber ich hatte noch nicht lange gewartet, so kamen sie.«

»Wer? Hast du sie deutlich gesehen und gezählt?«

»Old Shatterhand war es, mit den beiden andern Weißen und etwas über zehn Indianern.«

»So befehligt also Winnetou die andere Abteilung, welche das Ende der engen Schlucht besetzt hält.«

»So ist es. Die Kerls setzten sich nieder. Ich hatte heut so viel gewagt und war glücklich dabei gewesen; darum wagte ich es auch noch, mich ganz nahe an sie hinanzuschleichen, um zu hören, was sie zu einander sagten.«

»Was sprachen sie?«

»Nichts. Als ich noch nicht ganz bei ihnen war, unterhielten sich die beiden anderen Weißen miteinander, aber nicht laut genug für mich; dann aber, als ich nahe genug war, sie zu verstehen, schwiegen sie. Die Apachen waren still, und auch Old Shatterhand sagte kein Wort. Ich lag so nahe hinter ihm, daß ich ihn beinahe mit der Hand berühren konnte. Wie würde er sich ärgern, wenn er das wüßte!«

Da hatte Santer sehr recht. Ich ärgerte mich, und wie! Dieser Mensch war wirklich ein ebenso schlauer wie verwegener Kerl! Winnetou und mich zu belauschen, als wir oben bei den Gräbern allein mit einander sprachen! Uns dann bis in die Schlucht zu folgen, unsern Plan vollends zu erraten und endlich gar noch da, wohin ich von Winnetou geschickt wurde, auf uns zu warten! Er hatte hinter mir gelegen, ja, ich hatte ihn sogar schon bei einem Zipfel seines Rockes festgehabt! Das war Pech, außerordentliches Pech, so großes Pech, wie sein Glück heut groß gewesen war! Wenn es mir gelungen wäre, ihn festzuhalten, so hätten, wie ich jetzt weiß, die Ereignisse für mich einen ganz andern Verlauf genommen; vielleicht hätte mein Leben überhaupt eine völlig andere Richtung bekommen. So hängt das Schicksal des Menschen scheinbar oft von einem Augenblicke, von einer einzigen, vielleicht gar nicht wichtigen Tat oder Unterlassung oder Begebenheit ab, aber auch nur scheinbar, denn über jedem seiner Kinder wacht der große Weltenlenker, ohne dessen Willen keine Sonne sich bewegt und kein Schmetterling von Blüte zu Blüte flattert.

Bei dem Aerger, den ich empfand, war es wenigstens eine kleine Genugtuung für mich, daß ich jetzt hier so viel erlauschte, während Santer bei uns gar nichts erfahren hatte.

»So nahe bist du diesem Hunde gewesen?« rief der Kiowa aus. »Warum hast du ihm dein Messer nicht von hinten in das Herz gestoßen?«

»Konnte mir nicht einfallen!«

»Warum nicht?«

»Weil ich dadurch alles verdorben hätte. Welch einen Lärm hätte das gegeben! Die Apachen wären zu Winnetou gerannt, und dieser hätte erfahren, daß sein Plan verraten ist. Da wäre es mir nicht mehr möglich gewesen, ihn zu fangen, und wie wollte ich dann zu den Nuggets kommen, welche ich haben muß!«

»Du wirst sie überhaupt nicht erhalten. Befindet sich Old Shatterhand noch dort, wo du ihn verlassen hast?«

»Ich hoffe es.«

»Du hoffst es nur? So ist es also möglich, daß er fort ist? Ich denke, er will auf uns warten!«

»Das wollte er; aber nun kann es sein, daß er diesen Vorsatz aufgegeben hat.«

»Welchen Grund könnte er dazu haben?«

»Er weiß, daß er beobachtet worden ist.«

»Uff! Wie konnte er es erfahren?«

»Durch ein Loch, durch ein fatales, verfluchtes Loch, welches sich im Erdboden befand, vielleicht von irgend einem Tier gegraben.«

»Können Löcher sprechen?«

»Unter Umständen, ja. Dieses wenigstens hat gesprochen. Ich wollte mich fortschleichen und drehte mich um. Dabei mußte ich das Körpergewicht auf die Hände legen und brach mit der rechten durch den weichen Boden in ein darunter befindliches Loch, wobei ein Geräusch entstand, welches Old Shatterhand hörte. Er drehte sich augenblicklich um und muß mich gesehen haben, denn als ich nun schnell aufsprang und fort wollte, war er ebenso rasch auf und hinter mir her. Beinahe hätte er mich erwischt, denn er ergriff meinen Rock; ich riß mich aber los und huschte nach der Seite. Er rief zwar, daß ich stehen bleiben solle, sonst werde er schießen, doch fiel es mir natürlich nicht ein, diese Dummheit zu begehen. Ich machte mich im Gegenteile noch tiefer in den Wald hinein, wo mir das Dunkel Sicherheit gewährte, und setzte mich da nieder, um zu warten, bis ich ohne Gefahr weiter konnte.«

»Was taten seine Leute?«

»Sie wollten wahrscheinlich mit nach mir suchen; aber er verbot es ihnen. Er befahl ihnen, bis zu seiner Wiederkehr zu bleiben, und suchte dann weiter. Ich hörte noch einige Augenblicke lang seine Schritte, dann wurde es still.«

»Er ging also fort?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Das weiß ich nicht. Er wird nicht weit gelaufen sein und ist, als er einsah, daß ich nicht zu finden war, jedenfalls wieder umgekehrt.«

»Hat er dich erkannt?«

»Wohl kaum; dazu war es zu finster.«

»Vielleicht ist er gar hierhergegangen und steckt nun irgendwo, um uns zu beobachten!«

»Unmöglich! Er konnte ja gar nicht sehen, wohin ich dann ging. Er ist auf alle Fälle zu seinem Posten zurückgekehrt. Ich schlich, als ich lange genug gewartet hatte, mich fort, aus dem Walde hinaus und in das Freie, wo ich rascher laufen konnte. Da rief mich deine Wache an, und ich erfuhr, daß ihr euch hier befindet.«

Es trat jetzt eine Pause ein. Der Anführer hatte erfahren, was er wissen mußte, und schien nun darüber nachzudenken. Nach einiger Zeit hörte ich ihn fragen:

»Was gedenkt mein weißer Bruder nun zu tun?«

»Ich gedenke, zunächst zu erfahren, was du beschließen wirst.«

»Wie ich von dir hörte, ist es ganz anders geworden, als wir vermuteten. Wenn es uns gelungen wäre, die Apachen zu überrumpeln, so wären sie tot oder lebendig in unsere Hände gefallen, ohne daß es uns wohl Blut gekostet hätte. Nun aber erwarten sie uns. Old Shatterhand hat dich bemerkt; er weiß also, daß sein Plan verraten ist, und wird die größte Vorsicht anwenden. Es ist am besten, wir verlassen diese Gegend.«

»Verlassen? Fort willst du? Was fällt dir ein! Fürchtest du dich vor dieser handvoll Apachen?«

»Mein weißer Bruder wird mich nicht beleidigen wollen! Ich kenne keine Furcht; aber wenn ich einen Feind sowohl mit als auch ohne Blutvergießen in meine Hand bekommen kann, so wähle ich das letztere; das tut jeder kluge Krieger, auch wenn er sonst noch so tapfer ist.«

»Meinst du etwa, daß wir durch das Verlassen dieser Gegend diese Weißen und die Apachen fangen können?«

»Ja.«

»Oho! Möchte wissen, wie!«

»Sie werden uns verfolgen.«

»Das ist nicht so gewiß.«

»Es ist gewiß. Winnetou muß sich an dir rächen, und er weiß, daß du bei uns bist; er wird also keinen Augenblick von unserer Fährte lassen. Wir machen diese Spur mit Absicht so deutlich, daß sie leicht zu erkennen ist, und reiten direkt nach unserem Dorfe, wohin ich das gefangene Bleichgesicht Sam Hawkens geschickt habe.«

»Und du bist der Ansicht, daß die Apachen uns dorthin folgen werden?«

»Ja, sie werden sogar mit sehr großer Eile hinter uns her kommen.«

»Ah! Um mich zu fangen? Soll mir das etwa Freude machen? Ich soll mich wieder von ihnen jagen lassen, während ich hier die beste Gelegenheit habe, meine Absichten zu erreichen!«

»Du wirst hier nichts, gar nichts erreichen und befindest dich während unseres Rittes heimwärts nicht in der allergeringsten Gefahr.«

»Wenn sie uns aber einholen, ist die Gefahr für mich so groß, wie sie nur sein kann!«

»Sie werden uns aber nicht einholen, denn wir nehmen einen Vorsprung, welcher uns vor ihnen Sicherheit gibt. Wir brechen jetzt sofort auf, und sie können uns erst dann folgen, wenn sie bemerken, daß wir fort sind; das wird aber kaum vor morgen mittag sein.«

»Jetzt fort, jetzt gleich? Das gebe ich nicht zu. Was wird euer Häuptling sagen, wenn er erfährt, daß du einen so großen Vorteil, den du hier in den Händen hast, aufgibst, ohne dazu gezwungen zu sein. Bedenke das!«

Der Anführer nahm diese Verwarnung auf, ohne eine Antwort zu geben; sie machte also Eindruck auf ihn. Santer merkte das gar wohl und fuhr fort:

»Ja, wir befinden uns hier so im Vorteile, wie wir es durch deinen neuen Plan gar nicht erreichen können. Wir haben nichts weiter zu tun, als die Falle, welche man uns gestellt hat, umzudrehen, so daß die Apachen hineingehen.«

»Uff! Wie sollen wir das machen?«

»Wir greifen die beiden Abteilungen, welche uns in der Schlucht einschließen wollen, einzeln an, so daß wir gar nicht eingeschlossen werden können.«

»Da müßten wir erst Old Shatterhands Abteilung nehmen. Meinst du das?«

»Ja.«

»Wir ziehen also morgen an ihr vorüber und tun so, als ob wir gar nicht wüßten, daß sie uns folgt.«

»Nein. So lange brauchen wir gar nicht zu warten. Wir vernichten sie schon heut.«

»Uff! Mein weißer Bruder mag mir sagen, wie er das anfangen will!«

»Es ist so einfach und selbstverständlich, daß es eigentlich gar nicht notwendig sein sollte, es dir zu erklären. Ich kenne die Stelle, an welcher sich Old Shatterhand mit seinen Leuten jetzt befindet, doch ganz genau und führe euch hin. Die Augen der Kiowas sind an die Dunkelheit gewöhnt, und ihre Bewegungen gleichen denen der Schlange, die nicht gehört werden kann, wenn sie durch das Moos des Waldes gleitet. Wir umzingeln die drei Weißen mit ihren Apachen und fallen auf ein gegebenes Zeichen über sie her. Es kann uns ganz gewiß keiner von ihnen entgehen. Wir stechen sie nieder, ehe es ihnen nur einfällt, sich zur Wehr zu setzen.«

»Uff, uff, uff!« ließen sich einige der Zuhörer zustimmend vernehmen. Der Vorschlag Santers gefiel ihnen also.

Ihr Anführer war nicht so schnell mit seinem Urteile da, meinte aber auch nach einer kurzen Weile des Nachdenkens:

»Es kann allerdings gelingen, wenn wir recht vorsichtig verfahren.«

»Es kann nicht, sondern es muß gelingen! Die Hauptsache ist, daß wir sie völlig unhörbar umzingeln, und das ist ja gar nicht schwer. Dann gibt es einige sichere Messerstöße, und die Sache ist abgetan. Die Beute, welche wir diesen Kerls abnehmen, gehört euch; ich will nichts davon haben. Dann machen wir uns über Winnetou her.«

»Auch noch in der Nacht?«

»Nein, sondern am Morgen. Seine Person ist mir so wichtig, daß ich sie beim Angriffe in den Augen haben muß; dies ist aber bei Nacht nicht möglich. Wir machen es so, wie es die Apachen gemacht haben, wir teilen uns. Die eine Hälfte von uns führe ich noch während der Nacht in die Schlucht, in welcher wir gefangen werden sollen. Sie bleibt da, bis der Tag zu grauen beginnt, und dringt dann weiter vor, bis sie am Ende der Schlucht von Winnetou angegriffen wird, denn dieser wird denken, daß sich Old Shatterhand mit seinen Leuten hinter ihr befindet. Die andere Abteilung sucht mit mir beim ersten Tagesscheine den Weg, auf welchem Old Shatterhand hierher ins Tal zurückgekehrt ist; ich weiß, daß ich ihn sicher finden werde. Ich bin überzeugt, daß er erst grad durch den Wald und dann um den Fuß des Berges herum nach dem Ausgange der Schlucht führt, wo Winnetou hält. Dieser wird alle seine Aufmerksamkeit nach dem Innern der Schlucht richten und unsere erste Abteilung bemerken. Dabei und dadurch wird es ihm entgehen, daß wir uns ihm von hinten nähern. Er wird also so eingeschlossen, wie er uns einschließen wollte, und da er nur fünfzehn Mann oder wenig mehr bei sich hat, so muß er sich ergeben, wenn er nicht mit den Seinen vernichtet werden will. Das ist mein Plan.«

»Wenn er so ausgeführt werden kann, wie mein Bruder ihn entworfen hat, so ist er gut.«

»Er hat also deine Zustimmung?«

»Ja. Ich will Winnetou lebendig haben, um ihn dem Häuptling zu bringen, weiter nichts, und durch deinen Vorschlag können wir dies schon jetzt erreichen, ohne noch länger warten zu müssen.«

»So laß uns nicht zaudern, ihn auszuführen!«

»Old Shatterhand im Dunkel des Waldes zu umzingeln, ohne daß er es bemerkt, das ist sehr schwer. Ich werde dazu diejenigen meiner Krieger auswählen, welche auch des Nachts scharfe Augen haben und im Schleichen am geübtesten sind.«

Er begann, die Namen dieser Leute zu nennen, und da wurde es hohe Zeit für mich, zu meinen Leuten zurückzukehren, die ich sonst, wenn die Kiowas schnell aufbrachen, gar nicht warnen konnte. Ich glitt also von dem hohen Steine auf den niedrigen und von diesem auf den Boden herab und schlich mich fort. Als ich die oben erwähnte, vorstehende Buschecke hinter mir hatte, trat ich aus dem Walde ins Freie hinaus und rannte, wobei der Sternenschimmer mir hinreichend leuchtete, das Tal hinauf, bis ich mich parallel mit meinen Leuten befand. Da durchquerte ich den Waldesrand und traf sie an, mit großer Spannung meiner wartend.

»Wer kommt da?« fragte Dick Stone, als er meine Schritte hörte. »Seid Ihr es, Sir?«

»Ja,« antwortete ich.

»Wo habt Ihr denn so lange Zeit gesteckt? Nicht wahr, ein Kerl war da? Natürlich ein roter Kiowa, der auf einer Schleicherei zufällig auf uns stieß?«

»Nein; Santer ist’s gewesen.«

»Alle Wetter! Dieser? Und wir haben ihn nicht ertappt! Rennt dieser Kerl uns da in die Hände, und wir greifen nicht zu! Sollte man das für möglich halten!«

»Es ist noch mehr vorgekommen, was eigentlich unmöglich sein sollte. Ich habe jetzt keine Zeit, es Euch zu sagen, denn wir müssen rasch von hier fort. Später werdet Ihr es hören.«

»Fort von hier? Warum?«

»Die Kiowas kommen, uns jetzt zu überfallen.«

»Ist das Euer Ernst, Sir?«

»Ja. Ich habe sie belauscht. Sie wollen uns jetzt hier auslöschen und dann morgen früh Winnetou angreifen. Sie kennen unsern Plan. Darum schnell fort von hier!«

»Wohin?«

»Zu Winnetou.«

»Mitten durch den dunklen Wald? Das wird Kopfstöße und Beulen geben.«

»Nehmt die Augen in die Hände! Also fort!«

Ein Gang des Nachts durch den weglosen Urwald ist freilich für die Schönheit des menschlichen Angesichts eine höchst gefährliche Sache, weil sie anstößig in des Wortes eigenster Bedeutung ist. Wir mußten, meiner Aufforderung gemäß, die “Augen in die Hände nehmen”, das heißt, uns weit mehr auf den Tastsinn als auf das Gesicht verlassen. Zwei tasteten mit ihren Händen voran, und die anderen folgten ihnen in der Weise, daß sich der Hintermann immer an dem Vordermanne anhielt. Es währte auf diese Weise über eine Stunde, bis wir den Wald hinter uns hatten; das Schwerste dabei war, die Richtung einzuhalten. Als wir uns dann im Freien befanden, ging es besser und schneller. Wir gingen um den Berg herum und auf die Schlucht zu, an deren Ausgange Winnetou lagerte.

Dieser hatte, wenigstens von der Seite aus, von welcher wir kamen, nichts Feindseliges zu erwarten, aber doch einen Posten ausgestellt, welcher uns mit lauter Stimme anrief. Ich antwortete ebenso laut; die Apachen erkannten diese Stimme und sprangen von der Erde auf.

»Mein Bruder Old Shatterhand kommt?« fragte Winnetou im Tone der Befremdung. »Da muß etwas geschehen sein. Wir haben vergeblich auf die Kiowas gewartet.«

»Sie wollen erst morgen früh kommen, doch nicht nur durch die Schlucht, sondern auch von dieser Seite, um euch zu vernichten.«

»Uff! Um dies zu beschließen, müßten sie erst dich besiegt haben und überhaupt wissen, was wir zu tun beabsichtigten.«

»Sie wissen es.«

»Unmöglich!«

»Sie wissen es wirklich. Santer ist oben bei den Gräbern gewesen und hat alles gehört, was du mir sagtest, als wir allein waren.«

Ich konnte das Gesicht Winnetous nicht erkennen, aber er antwortete mir nicht. Dieses momentane Schweigen verriet mir die Größe seines Erstaunens. Dann setzte er sich wieder nieder, forderte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen, und sagte:

»Wenn du das weißt, mußt du ihn ebenso belauscht haben wie er uns.«

»Allerdings.«

»So sind unsere Berechnungen zunichte. Erzähle, was geschehen ist!«

Ich folgte dieser Aufforderung. Die Apachen drängten sich heran, um sich kein Wort entgehen zu lassen. Zuweilen wurde meine Rede durch ein erstauntes »Uff« unterbrochen; Winnetou aber schwieg, bis ich zu Ende war; dann fragte er:

»Mein Bruder Shatterhand hielt es unter diesen Umständen für das Allerbeste, seinen Posten aufzugeben?«

»Ja. Ich hätte allerdings noch zweierlei tun können, entweder das eine oder das andere, aber keins von beiden hätte mit der Sicherheit, die ich für notwendig hielt, zum Ziele geführt.«

»Was hätte dies sein können?«

»Erstens hätten wir, um nicht überfallen zu werden, uns nur eine Strecke zurückziehen und dann den Morgen abwarten können, anstatt uns ganz bis hierher zu entfernen.«

»Das wäre falsch gewesen, denn am Morgen hättet ihr über fünfzig Feinde gegen euch gehabt, und unser Plan wäre doch vereitelt gewesen. Was ist das zweite?«

»Wir hätten auf unserm Posten bleiben können. Als mir dieser Gedanke kam, hätte ich ihn gar zu gern ausgeführt. Santer wollte die Kiowas zu uns führen; er schlich ihnen also voran und mußte der erste sein, der bei uns ankam. Wenn ich scharf aufpaßte, mußte ich ihn kommen hören, konnte ihn durch einen Faustschlag betäuben und mich dann mit ihm davonmachen.«

»Mein Bruder ist ein kühner Krieger, aber eine solche Verwegenheit wäre ihm gewiß verderblich geworden. Mit Santer auf den Armen hättest du dich nicht schnell genug entfernen können und wärest überwältigt und getötet worden.«

»Das stand freilich zu erwarten; auch war es nicht so ganz sicher und gewiß, daß Santer der vorderste sein werde. Er konnte die Kiowas nur bis in die Nähe bringen und dann zurückbleiben, um sie die Arbeit machen zu lassen. Darum hielt ich es für das Allerbeste, dich aufzusuchen.«

»Daran hast du sehr recht getan. Mein Bruder handelt stets so, wie ich handeln würde, wenn ich mich an seiner Stelle befände.«

»Auch sagte ich mir, daß es geraten sei, zu dir zu gehen, weil wir nun besprechen können, was zu geschehen hat.«

»Was zu geschehen hat! Was wird mein Bruder Old Shatterhand uns da vorschlagen?«

»Hier kann man nicht eher einen Vorschlag machen, als bis man weiß, was die Kiowas unternommen haben, nachdem sie bemerkten, daß wir nicht mehr da waren.«

»Muß man dies erst erfahren? Kann man es nicht vielleicht auch erraten?«

»Ja, erraten kann man es, aber das Erraten bietet nie die Sicherheit wie das Sehen und Hören, das wirkliche Erfahren. Man kann sich irren.«

»Hier nicht. Die Kiowas sind keine Kinder, sondern erwachsene Krieger; sie werden von allem, was hier möglich ist, das Klügste tun, und das ist nur eins.«

»Sie reiten fort? Nach ihrem Dorfe?«

»Ja. Wenn sie dich nicht angetroffen haben, so wissen sie, daß Santers Absicht nun nicht auszuführen ist, und der Anführer wird wieder auf seinen Vorschlag zurückkommen. Ich bin überzeugt, daß sie es aufgeben, uns hier noch anzugreifen.«

»Santer wird doch versuchen, sie dazu zu bereden!«

»Das tut er gewiß, aber niemand wird auf ihn hören. Sie reiten fort.«

»Und wir? Was tun da wir? Reiten wir, wie sie erwarten, ihnen nach?«

»Oder ihnen voran!«

»Auch gut! Da kommen wir ihnen vor und können sie überrumpeln.«

»Ja, das könnten wir; aber es gibt etwas weit Besseres. Wir müssen Santer haben, und wir wollen Sam Hawkens befreien. Unser Weg führt uns also nach dem Dorfe Tanguas, wo sich Hawkens in Gefangenschaft befindet; aber es braucht nicht ganz derselbe Weg zu sein, den diese Kiowas von hier aus einschlagen. Diesen müssen wir vermeiden, weil man uns auf demselben erwartet. Wenn wir ihn einschlagen, können wir nicht unbemerkt bleiben, und dies ist doch erforderlich, wenn wir das, was wir beabsichtigen, erreichen wollen.«

»Kennt mein Bruder Winnetou das Dorf des Häuptlings Tangua?«

»Ja.«

»Und weißt du ganz genau, wo es liegt?«

»So genau, wie ich die Lage meines eigenen Pueblo kenne. Es liegt am Salt Fork des Red River-Nordarmes.«

»Also südöstlich von hier?«

»Ja.«

»So werden wir aus Nordwesten erwartet und sollten es ermöglichen, von der entgegengesetzten Richtung, also aus Südosten, zu kommen.«

»Das ist es, was auch ich will. Mein Bruder Shatterhand hat stets dieselben Gedanken wie ich. Es ist ganz so, wie Intschu tschuna, mein Vater, sagte, als wir das Blut der Brüderschaft miteinander getrunken hatten: “Die Seele lebt im Blute. Die Seelen dieser beiden jungen Krieger mögen ineinander übergehen, daß sie eine einzige Seele bilden. Was Old Shatterhand dann denkt, das sei auch Winnetous Gedanke, und was Winnetou will, das sei auch der Wille Old Shatterhands!” So hat er gesprochen, und so ist es geschehen. Sein Auge blickte in unsere Herzen und es sah unsere Zukunft offen. Es wird ihn auch in den ewigen Jagdgründen freuen und seine Seligkeit erhöhen, daß seine Vorhersagung so eingetroffen ist. Howgh!«

Er schwieg bewegt, und alle, die wir uns bei ihm befanden, achteten dieses Schweigen. Es war ein stummer und doch so beredter Ausdruck der Pietät, die der Sohn seinem toten Vater widmete. Erst nach einigen Minuten räusperte er sich wie verlegen über die Rührung, der er sich hingegeben hatte, und fuhr fort:

»Ja, wir werden das Dorf Tanguas aufsuchen, doch nicht auf dem geraden und kürzesten Wege, den die Kiowas einschlagen, sondern sein Gebiet umreiten, damit wir von der anderen Seite kommen. Diese ist unbewacht, und da kann uns das, was wir beabsichtigen, leichter gelingen. Es fragt sich nur, wann wir von hier aufbrechen sollen. Wie denkt Old Shatterhand hierüber?«

»Wir könnten sogleich fortreiten; der Weg ist weit, und je früher wir ihn antreten, desto eher kommen wir an das Ziel. Aber ich möchte doch nicht raten, dies zu tun.«

»Warum nicht?«

»Weil wir nicht wissen, wann die Kiowas diese Gegend verlassen.«

»Wahrscheinlich schon heut abend.«

»Das nehme auch ich als wahrscheinlich an; aber möglich ist es doch, daß es erst morgen geschieht. Es erscheint mir auch als noch gar nicht so ausgeschlossen, daß sie doch wieder auf den Gedanken kommen, uns noch anzugreifen. Auf alle Fälle müssen wir, wenn wir eher fortgehen als sie, darauf gefaßt sein, daß sie unsere Fährte entdecken und derselben folgen. Dann merken oder erraten sie, was wir vorhaben, und vereiteln es.«

»Mein Bruder spricht abermals meine Gedanken aus. Wir müssen hier bleiben, bis sie fort sind; dann sind wir sicher, daß sie uns nicht schaden können. Aber an dem Platze, wo wir uns jetzt befinden, dürfen wir die Nacht nicht zubringen, denn wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß sie uns hier aufsuchen; das darf ihnen nicht gelingen.«

»Dann müssen wir uns aber nach einer Stelle begeben, von welcher aus wir, wenn es Tag wird, diesen Schluchtausgang beobachten können.«

»Ich weiß einen solchen Ort. Meine Brüder mögen ihre Pferde bei den Zügeln nehmen und mir folgen!«

Wir holten unsere Pferde, welche in der Nähe weideten, und folgten ihm in die Prairie hinaus. Nach einigen hundert Schritten kamen wir an eine größere Baumgruppe, hinter welcher wir wieder Halt machten. Hier konnten wir lagern, ohne von den Kiowas, wenn sie es ja noch in dieser Nacht auf uns abgesehen haben sollten, aufgefunden zu werden. Und wenn der Morgen anbrach, lag uns die Schlucht gegenüber, und es war leicht, alles zu beobachten, was etwa dort geschah.

Die Nacht war ebenso kalt wie die vorigen Nächte; ich wartete, bis mein Pferd sich legte, und lagerte mich dann so an seinen Leib, daß er mich erwärmte. Das Tier lag so ruhig, als wüßte es, welchen Dienst ich von ihm verlangte, und ich wachte bis zum Morgen nur einmal auf.

Wir kamen, als es hell geworden war, nicht hinter den Bäumen hervor und beobachteten die Schlucht weit über eine Stunde lang. Es regte sich nichts da drüben. Darum hielten wir es nun für angezeigt, nach den Kiowas zu forschen. Für den Fall, daß sie doch noch da waren, mußten wir vorsichtig sein und uns ihnen heimlich nähern; dies erforderte aber viel Zeit; darum machte ich Winnetou den Vorschlag:

»Sie sind über die Prairie nach dem Nugget-tsil gekommen und werden den Berg jedenfalls auf demselben Wege verlassen. Warum da mühsam nach ihnen suchen! Wenn wir die Berge bis nach der Stelle umreiten, auf welcher sie dein Späher gestern erblickte, müssen wir unbedingt sehen, ob sie fort sind oder nicht. Warum lange Zeit auf etwas verwenden, was man viel kürzer und mühelos erreichen kann!«

»Mein Bruder hat das Richtige getroffen. Wir werden nach seinen Worten handeln.«

Wir stiegen auf unsere Pferde und ritten in einem nach Süden gerichteten und nach Westen ausgebogenen Halbkreise um die Berge. Dies war derselbe Weg, nur rückwärts, den die Apachen geritten waren, als wir nach der Spur Santers suchten, nachdem er die Flucht ergriffen hatte. Als wir dann die südlich von dem Nugget-tsil liegende Prairie erreichten, kam es so, wie ich gedacht hatte: Wir sahen zwei große, starke Fährten; die von gestern führte in das Tal hinein, und die von heut nacht kam aus demselben heraus; die Kiowas waren also fort; darüber war kein Zweifel möglich. Trotzdem ritten wir, um ganz sicher zu gehen, in das Tal hinein und untersuchten dasselbe so weit nach hinten, bis uns auch die dortigen Spuren vollständig überzeugten, daß es von den Kiowas verlassen worden war.

Nun folgten wir ihrer neuen, von dem Nugget-tsil wegführenden Fährte, welche mit der herbeiführenden zusammenfiel und so scharf ausgeprägt war, daß wir die Absicht, sie uns zu zeigen, gar nicht verkennen konnten. Sie wollten eben, daß wir ihnen folgen sollten, und hatten sich darum selbst an Stellen, an denen sonst keine Spur zurückgeblieben wäre, geradezu Mühe gegeben, deutliche Eindrücke zu hinterlassen. Winnetou ließ ein kleines Lächeln um seine Lippen spielen und sagte:

»Diese Kiowas sollten uns doch kennen und grad darum ihre Spur verbergen, die wir dennoch entdecken würden. Daß sie dies nicht tun, muß doch unser Mißtrauen erwecken. Sie wollen sehr klug handeln, tun aber das Gegenteil, weil sie kein Gehirn in den Köpfen haben.«

Er sagte dies so laut, daß es auch der gefangene Kiowa hörte, den wir selbstverständlich noch immer bei uns hatten. Und sich direkt an diesen wendend, fügte er hinzu:

»Du wirst wahrscheinlich sterben müssen, denn wenn wir Sam Hawkens nicht frei bekommen, oder wenn wir erfahren, daß er gequält worden ist, werden wir dich töten; aber falls dies nicht geschieht und wir dir die Freiheit wiedergeben sollten, so sage euren Kriegern, daß sie wie kleine Knaben handeln, welche noch nichts gelernt haben und ausgelacht werden müssen, wenn sie sich als Erwachsene gebärden. Es wird uns nicht einfallen, diesen ihren Spuren weiterzufolgen.«

Er lenkte diesen Worten gemäß von der nach Südosten führenden Fährte ab, indem er sich grad östlich wendete. Wir befanden uns zwischen dem Quellgebiete des südlichen Canadian und demjenigen des nördlichen Red River-Armes, und es war Winnetous Absicht, diesen letzteren aufzusuchen.

Die Pferde derjenigen Apachen, welche Santer mit mir verfolgt hatten, waren ziemlich angegriffen; darum konnte unser Ritt nicht so schnell von statten gehen, wie wir es wünschten. Dazu kam, daß der Proviant, den wir mitgenommen hatten, fast zur Neige ging. Sobald er zu Ende war, sahen wir uns auf die Jagd angewiesen, und dies mußte bei der Absicht, welche wir verfolgten, uns zum großen Nachteile gereichen, denn erstens nahm es unsere Zeit, von der wir eigentlich keine Stunde zu versäumen hatten, in Anspruch, und zweitens konnten wir während der Jagd die Vorsicht nicht anwenden, welche unbedingt geboten war; wir waren gezwungen, Spuren zu machen und zurückzulassen, was wir sonst vermieden hätten.

Glücklicherweise trafen wir am Spätnachmittage auf einen kleinen Bisontrupp. Das waren Nachzügler der großen Büffelherden, die ihre Wanderung nach Süden schon vollendet hatten. Wir schossen zwei Kühe und bekamen von ihnen so viel Fleisch, daß wir für eine ganze Woche versehen waren und nun nur noch an den eigentlichen Zweck unsers Rittes zu denken brauchten.

Am nächsten Tage erreichten wir den nördlichen Arm des Red River, dem wir abwärts folgten. Er führte wenig Wasser, doch waren die Ufer grün, während wir bisher verdorrtes Büffelgras unter uns gehabt hatten. Das gab Futter für unsere Pferde.

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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