Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 32

Durch die Mapirni

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Inhaltsverzeichnis

Ich war der Überzeugung gewesen, Gibsons noch im Bereiche der Vereinigten Staaten habhaft zu werden. Nun mußte ich ihm nach Mexiko und sogar in die allergefährlichste Gegend dieses Landes folgen. Der Weg, welcher erst hatte eingeschlagen werden sollen, um Chihuahua zu erreichen, berührt den Norden des wüsten Gebietes der Mapimi und führt meist durch freies, offenes Land. Nun aber hatten wir uns südlich wenden müssen, wo Gefahren uns erwarteten, denen wir wohl kaum gewachsen waren. Zu diesen niederschlagenden Gedanken trat die körperliche Ermüdung, deren sich selbst die Comanchen nicht mehr erwehren konnten. Wir hatten von der Hacienda del Caballero aus einen wahren Parforceritt gemacht. Den Roten war das getrocknete Fleisch ausgegangen, welches ihren Proviant gebildet hatte, und auch wir besaßen nur noch wenig von dem Speisevorrate, welchen uns der Haciendero hatte einpacken lassen. Das Terrain stieg nach und nach höher an. Wir erreichten Berge, welche wir am Mittage gesehen hatten, steinige Massen ohne alles pflanzliche Leben. Wir wandten uns zwischen ihnen hindurch, immer nach Süden. Zwischen den steilen Abhängen war die Hitze noch größer als draußen auf der freien Ebene. Die Pferde verlangsamten ihre Schritte immer mehr. Auch der Haupttrupp der Comanchen war hier sehr langsam geritten, wie man aus den Spuren ersah. Über uns schwebten mehrere Geier, welche uns seit Stunden gefolgt waren, als ob sie erwarteten, daß unsere Erschöpfung ihnen eine Beute bringen werde. Da färbte sich plötzlich, als wir um eine Felsenecke schwenkten, der Süden dunkler. Dort schien es bewaldete Berge zu geben, und sofort fielen die Pferde, als ob auch sie diese Bemerkung gemacht hätten, in lebhafteren Schritt. Das Gesicht Old Deaths heiterte sich auf.

»Jetzt ahne ich, wohin wir kommen,« sagte er. »Ich rechne, daß wir uns in der Nähe des Flußgebietes des Rio Sabinas befinden, welcher aus der Mapimi herabkommt. Wenn die Comanchen sich entschlossen haben, seinem Laufe aufwärts zu folgen, so hat die Not ein Ende. Wo Wasser ist, gibt es Wald und Gras und wohl auch Wild, selbst in dieser traurigen Gegend. Wollen den Pferden die Sporen zeigen. Je mehr wir sie jetzt anstrengen, desto eher können sie sich ausruhen.«

Die Fährte hatte sich wieder ostwärts gewendet. Wir gelangten in eine lange, schmale Schlucht, und als dieselbe sich öffnete, sahen wir ein grünes Tal vor uns liegen, welches durch einen Bach bewässert wurde. Nach diesem Bache stürmen und dort aus dem Sattel springen, war eines. Selbst wenn die Comanchen sich hätten beherrschen wollen, so hätten sie doch ihren Pferden den Willen lassen müssen. Aber als die letzteren getrunken hatten, saßen wir gleich wieder auf, um weiter zu reiten. Der Bach ergoß sich nach kurzer Zeit in einen größeren, welchem wir aufwärts folgten. Derselbe führte uns in einen Cañon, dessen steile Wände stellenweise mit Büschen bewachsen waren. Als wir diesen durchritten hatten, kamen wir an grünenden Berglehnen vorüber, deren Färbung unseren geblendeten Augen wohl tat. Mittlerweile hatte es zu dunkeln begonnen, und wir mußten uns nach einem Lagerplatz umsehen. Der Anführer der Comanchen bestand darauf, noch ein Stück weiter zu reiten, bis wir auch Bäume finden würden, und wir mußten uns seinem Willen fügen. Die Pferde stolperten über Steine, welche im Wege lagen. Fast war es Nacht; da wurden wir plötzlich angerufen. Der Anführer gab seine Antwort in freudigem Tone, denn der Ruf war in der Sprache der Comanchen erfolgt. Wir blieben halten. Old Death ritt mit dem Anführer vor, kehrte aber bald zurück und meldete:

»Die Comanchen lagern vor uns. Ihrer Fährte nach war das Zusammentreffen jetzt noch nicht zu erwarten. Aber sie haben sich nicht weiter gewagt, ohne die Gegend zu erkunden. Darum haben sie sich hier gelagert und am Mittag Kundschafter ausgeschickt, welche bis jetzt noch nicht zurückgekehrt sind. Kommt vor! Ihr werdet sogleich die Lagerfeuer sehen.«

»Ich denke, daß auf einem solchen Kriegszuge keine Lagerfeuer angebrannt werden,« sagte ich.

»Das Terrain wird es ihnen erlauben. Da sie Kundschafter vor sich her gesandt haben, so sind sie sicher, daß sich kein Feind in der Nähe befindet, welcher die Feuer sehen kann.«

Wir ritten vorwärts. Die Schlucht war zu Ende, und wir sahen wohl gegen zehn Feuer brennen, nicht mit hohen, sondern gedämpften Flammen, wie es bei Indianern stets der Fall ist. Es schien ein runder, baumleerer Talkessel zu sein, welchen wir vor uns hatten. Die Höhen stiegen, so viel ich bei der Dunkelheit erkennen konnte, rundum steil an, ein Umstand, welchen die Comanchen als günstig für ihre Sicherheit zu betrachten schienen.

Die Roten, bei denen wir uns befunden hatten, ritten stracks auf das Lager zu, während uns bedeutet wurde, zu warten, bis man uns holen werde. Es dauerte eine ziemliche Weile, bis einer kam, um uns zum Häuptling zu führen, der seinen Platz am mittleren Feuer hatte, um welches die andern im Kreise brannten. Er saß in Gesellschaft von zwei Männern, welche wohl ausgezeichnete Krieger waren. Sein Haar war grau, aber lang und in einen Schopf gebunden, in welchem drei Adlerfedern befestigt waren. Er trug Mokassins, schwarze Tuchhose, Weste und Jacke von hellerem Stoffe und hatte ein Doppelgewehr neben sich liegen. Im Gürtel sah man eine alte Pistole. Messer und ein Stück Fleisch hielt er in den Händen, legte aber, als er uns sah, beides weg. Er war eben mit dem Essen beschäftigt gewesen. Der Geruch gebratenen Pferdefleisches lag in der Luft. Dicht neben der Stelle, an welcher er saß, murmelte ein Quell aus der Erde hervor. Wir waren noch nicht von den Pferden gestiegen, so hatte sich schon ein weiter Kreis eng aneinander stehender Krieger um uns gebildet, unter denen ich mehrere weiße Gesichter bemerkte. Man bemächtigte sich sofort unserer Pferde, um sie fort zu schaffen. Da Old Death es geschehen ließ, ohne Einspruch zu erheben, konnte ich nichts Gefährliches darin sehen. Der Häuptling stand auf und die beiden Andern mit ihm. Er trat Old Death entgegen, reichte ihm ganz nach Art der Weißen die Hand und sagte in freundlich ernstem Tone:

»Mein Bruder Old Death überrascht die Krieger der Comanchen. Wie hätten sie ahnen können, ihn hier zu treffen. Er ist willkommen und wird mit uns gegen die Hunde der Apachen kämpfen.«

Er hatte, wohl damit auch wir ihn verstehen könnten, im Mischjargon gesprochen. Old Death antwortete in eben demselben:

»Der weise Manitou leitet seine roten und bleichen Kinder auf wunderbaren Wegen. Glücklich ist der Mann, welcher auf jedem dieser Wege einem Freunde begegnet, auf dessen Wort er sich verlassen kann. Wird der ›weiße Biber‹ auch mit meinen Gefährten die Pfeife des Friedens rauchen?«

»Deine Freunde sind auch meine Freunde, und wen du liebst, den liebe ich auch. Sie mögen sich an meine Seite setzen und aus dem Calumet des Häuptlings der Comanchen den Frieden trinken.«

Old Death setzte sich nieder, und wir folgten seinem Beispiel. Nur der Schwarze trat zur Seite, wo er sich ebenfalls im Grase niederließ. Die Roten standen stumm und bewegungslos wie Statuen im Kreise. Die Gesichtszüge der einzelnen Weißen zu erkennen, war mir unmöglich. Der Schein des Feuers reichte dazu nicht aus. Oyo-koltsa band sein Calumet vom Halse, stopfte den Kopf desselben voll Tabak aus dem Beutel, welcher ihm am Gürtel hing, und brannte ihn an. Nun folgte fast ganz genau dieselbe Zeremonie, welche beim Zusammentreffen mit seinem Sohne stattgefunden hatte. Dann erst gewannen wir die Gewißheit, keine Feindseligkeiten seitens der Comanchen befürchten zu müssen.

Während wir vor dem Lager warten mußten, hatte der Anführer der Fünfzig dem Häuptling über uns Mitteilung gemacht, wie wir jetzt aus dem Munde des Letzteren hörten. Er bat Old Death, ihm nun auch seinerseits zu erzählen, wie die Angelegenheit sich zugetragen habe. Der Alte tat es in einer Weise, daß -weder auf uns, noch auf Sennor Atanasio ein Mißtrauen fallen konnte.

Der ›weiße Biber‹ blickte eine Zeit lang sinnend vor sich nieder und sagte dann:

»Ich muß meinem Bruder Glauben schenken. Selbst wenn ich zweifeln wollte, finde ich in seiner Erzählung nichts, woraus ich schließen könnte, daß er mich täuschen will. Aber auch dem andern Bleichgesicht muß ich trauen, denn er hat keinen Grund, die Krieger der Comanchen zu belügen, und eine Lüge würde ihm das Leben kosten. Er befindet sich bei uns und hätte sich längst von uns entfernt, wenn er uns die Unwahrheit gesagt hätte. Ich kann also nichts anders denken, als daß einer von euch sich getäuscht hat.«

Das war sehr scharfsinnig gedacht, nämlich von seinem Standpunkte aus. Old Death mußte vorsichtig sein. Wie leicht konnte der Häuptling auf den Gedanken kommen, noch einmal eine Abteilung zurückzusenden, um den Haciendero des Nachts zu überraschen! Am allerbesten war es, eine glaubliche Erklärung des vermuteten Irrtums zu geben. Das dachte auch der Scout. Darum sagte er:

»Eine Täuschung liegt allerdings vor; aber nicht ich, sondern das Bleichgesicht wurde getäuscht. Wo wäre der Mann, welcher Old Death zu täuschen vermöchte! Das weiß mein roter Bruder auch.«

»So mag mein Bruder mir sagen, wie sich die Sache zugetragen hat!«

»Zunächst muß ich da sagen, daß der Häuptling der Comanchen selbst getäuscht worden ist.«

»Von wem?« fragte der ›weiße Biber‹ indem er plötzlich ein sehr ernstes Gesicht machte.

»Von den sämtlichen Bleichgesichtern, welche du bei dir hast, vermute ich.«

»Auf eine Vermutung darf ich nicht hören. Gib mir den Beweis! Wenn die mich täuschen, mit denen wir die Pfeife des Friedens geraucht haben, so müssen sie sterben!«

»Also nicht nur die Friedenshand hast du ihnen gegeben, sondern sogar das Calumet mit ihnen geraucht? Wäre ich bei dir gewesen, so hätte ich dich gehindert, es zu tun. Ich werde dir den verlangten Beweis geben. Sage mir, wessen Freund du bist, etwa des Präsidenten Juarez?«

Der Gefragte machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete:

»Juarez ist eine abgefallene Rothaut, welche in Häusern wohnt und das Leben der Bleichgesichter führt. Ich verachte ihn. Die Krieger der Comanchen haben ihre Tapferkeit dem großen Napoleon geliehen, welcher ihnen dafür Waffen, Pferde und Decken schenkt und ihnen die Apachen in die Hände gibt. Auch die Bleichgesichter sind Napoleons Freunde.«

»Das ist eben eine Lüge. Damit haben sie dich getäuscht. Sie sind nach Mexiko gekommen, um Juarez; zu dienen. Hier sitzen meine Gefährten als Zeugen. Du weißt doch, wen der große, weiße Vater in Washington in seinen Schutz genommen hat?«

»Juarez.«

»Und daß drüben jenseits der Grenze Soldaten angeworben werden, welche man auf heimlichen Wegen an Juarez herübersendet, weißt du auch. Nun, zu La Grange wohnt ein Mexikaner, welcher Sennor Cortesio heißt. Wir selbst sind bei ihm gewesen, und diese beiden Männer waren seine Nachbarn und Freunde. Er selbst hat es ihnen und uns gesagt, daß er viele Männer für Juarez anwirbt, und am Tage, bevor wir zu ihm kamen, einige der bei dir befindlichen Weißen zu Soldaten des Juarez gemacht hat. Die andern aber sind Truppen, welche die Angeworbenen begleiten müssen. Du bist ein Feind des Juarez und hast doch mit seinen Soldaten die Pfeife des Friedens geraucht, weil sie dich belogen haben.«

Das Auge des Häuptlings flammte zornig auf. Er wollte sprechen, doch Old Death fiel ihm in die Rede:

»Laß mich vor dir sprechen! Also diese Bleichgesichter sind Soldaten des Juarez. Sie kamen auf die Hacienda des Sennor Atanasio, der ein Freund Napoleons ist. Er hatte einen hohen, alten Anführer der Franzosen als Gast bei sich.

Die Bleichgesichter hätten diesen Mann getötet, wenn sie ihn erkannt hätten. Darum mußte er sich krank stellen und sich niederlegen. Man bestrich sein Gesicht mit dunkler Farbe, um ihm das Aussehen eines Indianers zu geben. Als nun die Bleichgesichter ihn sahen und fragten, wer er sei, wurde geantwortet, er sei der ›gute Mann‹, der Häuptling der Apachen.«

Der Häuptling zog die Augenbrauen hoch. Er glaubte dem Erzähler, war aber doch so vorsichtig, zu fragen:

»Warum sagte man grad diesen Namen?«

»Weil die Apachen es mit Juarez halten. Die Bleichgesichter mußten also in diesem Manne einen Freund erkennen. Und er war alt und hatte graues Haar, welches er nicht verbergen konnte. Man wußte, daß der ›gute Mann‹ auch graues Haar hat; darum gab man ihm den Namen dieses Apachen.«

»Uff! Jetzt verstehe ich dich. Dieser Sennor muß ein sehr kluger Mann sein, daß er auf eine solche Ausrede gekommen ist. Aber wo war der Anführer des Napoleon, als meine Krieger kamen? Sie haben ihn nicht gesehen.«

»Er war bereits wieder fort. Du siehst also, es ist nur eine Ausrede gewesen, daß Winnetou den ›guten Mann‹ gebracht habe. Die Bleichgesichter haben das geglaubt. Dann sind sie auf dich und deine Krieger gestoßen. Sie haben gewußt, daß die Comanchen Freunde der Franzosen sind, und sich also auch für deren Freunde ausgegeben.«

»Ich glaube dir, aber ich muß einen sicheren Beweis haben, daß sie Anhänger des Juarez sind, sonst kann ich sie nicht bestrafen, denn sie haben aus unserm Calumet geraucht.«

»Ich wiederhole, daß ich dir diesen Beweis geben werde. Vorher aber muß ich dir sagen, daß sich unter diesen Bleichgesichtern zwei Männer befinden, welche ich gefangen nehmen will.«

»Warum?«

»Sie sind unsere Feinde, und wir haben unsere Pferde viele Tage lang auf ihrer Spur gehabt.«

Das war die beste Antwort. Hätte Old Death eine lange Erzählung über Gibson und William Ohlert gemacht, so hätte er das nicht erreicht, was er mit den kurzen Worten ›Sie sind unsere Feinde‹ erreichen konnte. Das zeigte sich sofort, denn der Häuptling sagte:

»Wenn sie deine Feinde sind, so sind sie auch die unserigen, sobald wir ihnen den Rauch des Friedens wieder genommen haben. Ich werde dir die Beiden schenken.«

»Gut! So laß den Anführer der Bleichgesichter hierher kommen! Wenn ich mit ihm rede, so wirst du bald erkennen, wie recht ich habe, wenn ich behaupte, daß er Anhänger des Juarez ist.«

Der Häuptling winkte. Einer seiner Krieger kam herbei und erhielt den betreffenden Befehl. Er schritt auf einen Weißen zu, sagte ihm einige Worte, und dann kam dieser zu uns, eine hohe, starke Gestalt, mit bärtigem Gesicht und von martialischem Aussehen.

»Was soll ich?« fragte er, indem er uns mit einem finstern, feindseligen Blicke maß. Ich war jedenfalls von Gibson erkannt worden, und dieser hatte ihm gesagt, daß von uns nichts Gutes zu erwarten sei. Meine Neugierde, zu hören, wie Old Death seinen Kopf aus der Schlinge ziehen werde, war nicht gering. Der alte, pfiffige Scout sah dem Frager mit sehr freundlichem Blicke in das Gesicht und antwortete auf das höflichste:

»Ich habe Euch von Sennor Cortesio in La Grange zu grüßen, Sennor.«

»Kennt Ihr ihn denn?« fragte der Mann schnell, ohne zu ahnen, daß er soeben an eine sehr gefährliche Angel beiße.

»Natürlich kenne ich ihn,« meinte der Alte. »Wir sind Freunde seit langer Zeit. Leider kam ich zu spät, um Euch bei ihm zu treffen, doch gab er mir die Richtung an, in welcher wir Euch treffen könnten.«

»Wirklich? So müßt Ihr freilich ein guter Freund von ihm sein. Welche Richtung nannte er?«

»Die Furt zwischen dem Las Moras und Rio Moral, und dann über Baya und Tabal nach Chihuahua. Ihr seid allerdings von dieser Route ein wenig abgewichen.«

»Weil wir unsere Freunde, die Comanchen trafen.«

»Eure Freunde? Ich denke, die Krieger der Comanchen sind Eure Gegner!«

Der Mann kam ganz sichtlich in große Verlegenheit; er räusperte sich und hustete, um Old Death ein Zeichen zu geben, welcher aber nichts zu bemerken schien. Old Death fuhr fort:

»Ihr haltet es ja mit Juarez; die Comanchen aber kämpfen für die Franzosen.«

Jetzt hatte sich der Mexikaner gefaßt. Er erklärte:

»Sennor, da irrt Ihr Euch sehr. Auch wir stehen auf der Seite der Franzosen.«

»Und schafft Angeworbene aus den Vereinigten Staaten nach Mexiko?«

»Ja, aber für Napoleon.«

»Ah so! Also Sennor Cortesio wirbt für Napoleon an?«

»Natürlich! Für wen anders?«

»Ich denke für Juarez.«

»Das fällt ihm gar nicht ein!«

»Schön! Ich danke Euch für diese Aufklärung, Sennor! Ihr könnt jetzt wieder an Euren Platz zurückkehren.«

Über das Gesicht des Mannes zuckte es zornig. Sollte er sich von diesem unscheinbaren Menschen wie ein Untergebener fortweisen lassen?

»Sennor,« sagte er, »woher habt Ihr das Recht, mich so einfach in dieser Weise gehen zu heißen?«

»An diesem Feuer sitzen nur Häuptlinge und hervorragende Personen.«

»Ich bin ein Offizier!«

»Des Juarez?« fragte Old Death schnell emporfahrend.

»Ja – nein, nein, Napoleons, wie ich bereits sagte.«

»Nun, soeben habt Ihr Euch glanzvoll versprochen. Ein Offizier, zumal in solchen Verhältnissen, sollte seine Zunge doch besser bewahren können. Ich bin mit Euch fertig, Ihr könnt gehen.«

Der Offizier wollte noch etwas sagen. Da aber machte der Häuptling eine gebieterisch fortweisende Armbewegung, welcher er gehorchen mußte.

»Nun, was sagt mein Bruder jetzt?« fragte Old Death.

»Sein Gesicht klagt ihn an,« antwortete der ›weiße Biber‹, »aber auch das ist noch kein Beweis.«

»Du bist aber überzeugt, daß er Offizier und bei jenem Sennor Cortesio gewesen ist?«

»Ja.«

»Er muß also zu der Partei gehören, für welche Cortesio anwirbt?«

»So ist es. Beweise mir aber, daß dieser Mann für Juarez anwirbt, so bin ich befriedigt!«

»Nun, hier ist der Beweis.«

Er griff in die Tasche und zog den Paß hervor, welcher mit Juarez‹ unterschrieben war. Er öffnete ihn und fuhr fort:

»Um uns selbst zu überzeugen, daß Cortesio für Juarez arbeitet und daß alle Bleichgesichter, welche zu ihm kommen, Freunde von Juarez sind, haben wir so getan, als ob auch wir uns anwerben lassen wollten. Er hat uns angenommen und jedem von uns einen Paß gegeben, welcher mit dem Namen Juarez unterzeichnet ist. Mein Gefährte kann dir den seinigen ebenfalls zeigen.«

Der Häuptling nahm den Paß und betrachtete ihn genau. Ein grimmiges Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Der ›weiße Biber‹ hat nicht die Kunst der Weißen gelernt, auf dem Papiere zu sprechen,« sagte er; »aber er kennt das Zeichen ganz genau, welches er hier sieht; es ist das Totem des Juarez. Und unter meinen Kriegern ist ein junger Mann, ein Halbblut, welcher als Knabe viel bei den Bleichgesichtern gewesen ist und die Kunst versteht, das Papier sprechen zu lassen. Ich werde ihn rufen.«

Er rief laut einen Namen aus. Ein junger, hell gefärbter Mann trat herbei und nahm auf einige Worte des Häuptlings den Paß in die Hand, kniete neben dem Feuer nieder und las, zugleich übersetzend, die Worte vor. Ich verstand ihn nicht; aber Old Deaths Gesicht wurde heller und immer heller. Als der Halbwilde geendet hatte, gab er den Paß mit sichtlichem Stolz, eine solche Kunst ausgeübt zu haben, zurück und entfernte sich. Old Death steckte den Paß ein und fragte:

»Soll auch mein Gefährte den seinigen zeigen?«

Der Häuptling schüttelte den Kopf.

»Weiß mein roter Bruder nun, daß diese Bleichgesichter ihn belogen haben und seine Feinde sind?«

»Er weiß es nun ganz gewiß. Er wird seine hervorragendsten Krieger sofort versammeln, um mit ihnen zu beraten, was geschehen soll.«

»Soll ich an dieser Beratung teilnehmen?«

»Nein. Mein Bruder ist klug im Rate und mutig bei der Tat; aber wir brauchen ihn nicht, denn er hat bewiesen, was er beweisen wollte. Was nun zu geschehen hat, ist nur Sache der Comanchen, welche belogen worden sind.«

»Noch eins. Es gehört zwar nicht zu der bisherigen Angelegenheit, ist aber von großer Wichtigkeit für uns. Warum ist mein roter Bruder so weit südwärts gezogen? Warum wagt er sich hinauf auf die Höhen der Wüste?«

»Die Comanchen wollten erst weiter nördlich reiten; aber sie haben erfahren, daß Winnetou mit großen Scharen nach dem Rio Conchos ist, und daß infolgedessen die Dörfer der Apachen hier unbewacht stehen. Wir haben uns daher schnell nach Süden gewendet und werden hier eine so große Beute machen, wie noch keine heimgeschafft wurde.«

»Winnetou nach dem Rio Conchos! Hin! Ist diese Nachricht zuverlässig? Von wem hast du sie? Wohl von den zwei Indianern, welche nordwärts von hier auf euch trafen?«

»Ja. Ihr habt ihre Fährte gesehen?«

»Wir sahen sie. Was für Indianer waren es?«

»Sie sind vom Stamme der Topia, Vater und Sohn.«

»Befinden sie sich noch bei dir, und darf ich mit ihnen sprechen?«

»Mein Bruder darf alles tun, was ihm gefällt.«

»Auch mit den beiden Bleichgesichtern sprechen, welche du mir ausliefern wirst?«

»Wer soll dich daran hindern?«

»So habe ich nur noch eine Bitte: Erlaube mir, um das Lager zu gehen! Wir sind in Feindesland, und ich möchte mich überzeugen, daß alles zu unserer Sicherheit Erforderliche geschehen ist.«

»Tue es, obgleich es nicht nötig ist. Der ›weiße Biber‹ hat das Lager und die Wachen geordnet. Auch sind unsere Kundschafter vor uns. Also ist alles in Ordnung.«

Seine Freundschaft für Old Death mußte sehr groß sein, da er sich nicht beleidigt fühlte durch das Verlangen des Scout, selbst nach den getroffenen Sicherheitsmaßregeln zu sehen. Die beiden vornehmen Comanchen, welche vollständig wortlos bei ihm gesessen hatten, erhoben sich jetzt und schritten in gemessener Haltung davon, um die Teilnehmer der Beratung zusammen zu holen. Die andern Comanchen nahmen nun wieder an ihren Feuern Platz. Die beiden Langes und Sam bekamen einen Platz an einem derselben angewiesen und drei tüchtige Stücke gebratenen Pferdefleisches vorgelegt. Old Death aber nahm mich beim Arme und zog mich fort nach dem Feuer, an welchem die Weißen allein saßen. Als man uns dort kommen sah, stand der Offizier auf, kam uns zwei Schritte entgegen und fragte in englischer Sprache in feindseligem Tone:

»Was hatte denn eigentlich das Examen zu bedeuten, Master, welches Euch beliebte, mit mir anzustellen?«

Der Alte grinste ihn freundlich an und antwortete:

»Das werden Euch nachher die Comanchen sagen; darum kann ich mir die Antwort ersparen. Übrigens befinden sich unter euch Pferdediebe. Sprecht ja nicht in einem so hochtrabenden Tone mit Old Death! Es stehen sämtliche Comanchen zu mir und gegen euch, so daß es nur eines kleinen Winkes von mir bedarf, und es ist um euch geschehen.«

Er wendete sich mit stolzer Gebärde von ihnen ab, blieb aber stehen, um mir Gelegenheit zum Sprechen zu lassen. Gibson und William Ohlert saßen ebenfalls in der Runde. Der letztere sah außerordentlich leidend und verkommen aus. Seine Kleidung war zerrissen und sein Haar verwildert. Die Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er schien weder zu sehen noch zu hören, was um ihn vorging, hatte einen Bleistift in der Hand und ein Blatt Papier auf dem Knie liegen und stierte in einemfort auf dasselbe nieder. Mit ihm hatte ich zunächst nichts zu tun. Er war willenlos. Darum wendete ich mich an seinen Verführer:

»Treffen wir uns endlich, Master Gibson? Hoffentlich bleiben wir von jetzt an für längere Zeit beisammen.«

Er lachte mir geradezu in das Gesicht und antwortete:

»Mit wem redet Ihr denn da, Sir?«

»Mit Euch natürlich!«

»Nun, so natürlich ist das wohl nicht. Ich ersehe nur aus Eurem Blicke, daß ich gemeint bin. Ihr nanntet mich Gibson, glaube ich?«

»Allerdings.«

»Nun, so heiße ich nicht.«

»Seid Ihr nicht in New Orleans vor mir davongelaufen?«

»Master, bei Euch rappelt es wohl unter dem Hute! Ich heiße nicht Gibson.«

»Ja, wer so viele Namen hat, kann sehr leicht einen von ihnen verleugnen. Nanntet Ihr Euch nicht in New-Orleans Clinton? Und in La Grange hießt Ihr wieder Sennor Gavilano?«

»Das ist allerdings mein richtiger und eigentlicher Name. Was wollt Ihr überhaupt von mir? Ich habe nichts mit Euch zu schaffen. Laßt mich in Ruhe! Ich kenne Euch nicht!«

»Glaube es. Ein Polizist kommt zuweilen in die Lage, nicht erkannt zu werden. Mit dem Leugnen entkommt Ihr mir nicht. Ihr habt Eure Rolle ausgespielt. Ich bin Euch nicht von New York aus bis hierher gefolgt, um mich von Euch auslachen zu lassen. Ihr werdet mir von jetzt an dahin folgen, wohin ich Euch führe.«

»O! Und wenn ich es nicht tue?«

»So werde ich Euch hübsch auf ein Pferd binden, und ich denke, daß das Tier mir dann gehorchen wird.«

Da fuhr er auf, zog den Revolver und schrie.

»Mann, sagt mir noch ein solches Wort, so soll Euch der Teufel auf – – -«

Er kam nicht weiter. Old Death war hinter ihn getreten und schlug ihm den Gewehrkolben auf den Arm, daß er den Revolver fallen ließ.

»Führt nicht das große Wort, Gibson!« sagte der Alte. »Es befinden sich hier Leute, welche sehr im stande sind, Euch den großen Mund zu stopfen!«

Gibson hielt sich den Arm, wendete sich um und schrie:

»Herr, soll ich Euch das Messer zwischen die Rippen geben? Meint Ihr, weil Ihr Old Death heißt, soll ich mich vor Euch fürchten?«

»Nein, mein Junge, fürchten sollst du dich nicht; aber gehorchen wirst du. Wenn du noch ein Wort sagst, welches mir in die Nase fährt, so niese ich dich mit einer guten Büchsenkugel an. Hoffentlich wissen es uns die Gentlemen Dank, wenn wir sie von so einem Halunken befreien, wie Ihr seid.«

Sein Ton und seine Haltung waren nicht ohne Einfluß auf Gibson. Dieser meinte bedeutend kleinlauter:

»Aber, ich weiß ja gar nicht, was ihr wollt. Ihr verkennt mich. Ihr verwechselt mich mit einem Andern!«

»Das ist sehr unwahrscheinlich. Du hast ein so ausgesprochenes Spitzbubengesicht, daß es nie mit einem andern verwechselt werden kann. Und übrigens sitzt der Hauptzeuge gegen dich hier neben dir.«

Er deutete bei diesen Worten auf William Ohlert.

»Der? Ein Zeuge gegen mich?« fragte Gibson. »Das ist wieder ein Beweis, daß ihr mich verkennt. Fragt ihn doch einmal!«

Ich legte William die Hand auf die Schulter und nannte seinen Namen. Er erhob langsam den Kopf, stierte mich verständnislos an und sagte nichts.

»Master Ohlert, Sir William, hört Ihr mich nicht?« wiederholte ich. »Euer Vater sendet mich zu Euch.«

Sein leerer Blick blieb an meinem Gesichte haften, aber er sprach kein Wort. Da fuhr Gibson ihn in drohendem Tone an:

»Deinen Namen wollen wir hören. Nenne ihn sofort.«

Der Gefragte wendete den Kopf nach dem Sprecher und antwortete halblaut in ängstlichem Tone wie ein eingeschüchtertes Kind:

»Ich heiße Guillelmo.«

»Was bist du?«

»Dichter.«

Ich fragte weiter:

»Heißest du Ohlert? Bist du aus New York? Hast du einen Vater?« Aber alle Fragen verneinte er, ohne sich im mindesten zu besinnen. Man hörte, daß er abgerichtet war. Es war gewiß, daß, seit Ohlert sich in den Händen dieses raffinierten Mannes befand, sich sein Geist mehr und mehr umnachtet hatte.

»Da habt ihr euern Zeugen!« lachte der Bösewicht. »Er hat euch bewiesen, daß ihr euch auf einem falschen Wege befindet. Also habt die Gewogenheit, uns von jetzt an ungeschoren zu lassen!«

»Will ihn doch um etwas Besonderes fragen,« sagte ich. »Vielleicht ist sein Gedächtnis doch noch stärker als die Lügen, die ihr ihm eingepaukt habt.«

Mir war ein Gedanke gekommen. Ich zog die Brieftasche hervor. Ich hatte das Zeitungsblatt mit Ohlerts Gedicht in derselben, nahm es heraus und las langsam und mit lauter Stimme den ersten Vers. Ich glaubte, der Klang seines eigenen Gedichtes werde ihn aus seiner geistigen Unempfindlichkeit reißen. Aber er blickte fort und fort auf sein Knie nieder. Ich las den zweiten Vers, ebenso vergeblich. Dann den dritten:

»Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,

Daß er vergebens um Erlösung schreit,

Die schlangengleich sich ums Gedächtnis schlingt

Und tausend Teufel ins Gehirn dir speit?«

Die letzten beiden Zeilen hatte ich lauter als bisher gelesen. Er erhob den Kopf; er stand auf und streckte die Hände aus. Ich fuhr fort:

»O sei vor ihr ja stets in wachen Sorgen- – –

Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!«

Da schrie er auf, zu mir hinspringend und nach dem Blatte greifend. Ich ließ es ihm. Er bückte sich zu dem Feuer nieder und las selbst, laut, von Anfang bis zu Ende. Dann richtete er sich auf und rief in triumphierendem Tone, so daß es -weit durch das nächtliche stille Tal schallte:

»Gedicht von Ohlert, von William Ohlert, von mir, von mir selbst! Denn ich bin dieser William Ohlert, ich selbst. Nicht du heißest Ohlert, nicht du, sondern ich!«

Die letzten Worte waren an Gibson gerichtet. Ein fürchterlicher Verdacht stieg in mir auf. Gibson befand sich im Besitze von Williams Legitimationen – sollte er, trotzdem er älter als dieser war, sich für ihn ausgeben wollen? Sollte er – -? Aber ich fand keine Zeit, diesen Gedanken auszudenken, denn der Häuptling kam, ganz die Ratsversammlung und seine Würde vergessend, herbeigesprungen, stieß William auf den Boden nieder und gebot:

»Schweig, Hund! Sollen die Apachen hören, daß wir uns hier befinden? Du rufst ja den Kampf und den Tod herbei!«

William Ohlert stieß einen unverständlichen Klageruf aus und sah mit einem stieren Blick zu dem Indianer empor. Das Aufflackern seines Geistes war plötzlich wieder erloschen. Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und steckte es wieder zu mir. Vielleicht gelang es mir mit Hilfe desselben später wieder, ihn zum Bewußtsein seiner selbst zu bringen.

»Zürne ihm nicht!« bat Old Death den Häuptling. »Sein Geist ist umnachtet. Er wird fortan ruhig sein. Und nun sage mir, ob diese beiden Männer die Topias sind, von denen du zu mir sprachest!«

Er deutete auf zwei indianisch gekleidete Gestalten, welche mit an dem Feuer der Weißen saßen.

»Ja, sie sind es,« antwortete der Gefragte. »Sie verstehen die Sprache der Comanchen nicht gut. Du mußt mit ihnen in der Sprache der Grenze reden. Aber sorgt dafür, daß dieser Weiße, dessen Seele nicht mehr vorhanden ist, sich still verhalte, sonst muß ich ihm den Mund verbinden lassen!«

Er kehrte wieder zu dem Feuer der Beratung zurück. Old Death entfernte sich noch nicht, ließ vielmehr seinen Blick scharf und forschend über die beiden Indianer gleiten und fragte den Ältesten von ihnen:

»Meine roten Brüder sind von dem Hochlande von Topia herabgekommen? Sind die Krieger, welche da oben wohnen, die Freunde der Comanchen?«

»Ja,« antwortete der Mann. »Wir leihen unsere Tomahawks den Kriegern der Comanchen.«

»Wie kommt es aber, daß eure Fährte vom Norden herbei führte, wo nicht eure Brüder wohnen, sondern diejenigen, -welche die Feinde der Comanchen sind, die Llanero-und Taraconapachen?«

Diese Frage schien den Indianer in Verlegenheit zu setzen, was man deutlich sehen konnte, weil weder er, noch sein Sohn eine Malerei im Gesicht trug. Er antwortete nach einer Weile:

»Mein weißer Bruder tut da eine Frage, welche er sich sehr leicht selbst beantworten kann. Wir haben das Kriegsbeil gegen die Apachen ausgegraben und sind nach Norden geritten, um den Aufenthaltsort derselben auszukundschaften.«

»Was habt ihr da gefunden?«

»Wir haben Winnetou gesehen, den größten Häuptling der Apachen. Er ist mit allen seinen Kriegern aufgebrochen, um den Krieg über den Rio Conchos zu tragen. Da kehrten wir zurück, dies den Unsern zu melden, damit dieselben sich beeilen möchten, über die Dörfer der Apachen herzufallen. Wir trafen dabei auf die Krieger der Comanchen und haben sie hierher geführt, damit auch sie das Verderben über unsere Feinde bringen möchten.«

»Die Comanchen werden euch dankbar dafür sein. Aber seit wann haben die Krieger der Topias vergessen, ehrliche Leute zu sein?«

Es war klar, daß der Alte irgend einen Verdacht gegen die Beiden hegte; denn er sprach zwar sehr freundlich mit ihnen, aber seine Stimme hatte eine eigentümliche Färbung, einen Klang, welchen ich stets an derselben beobachtet hatte, wenn er die heimliche Absicht hegte, jemand zu überlisten. Den vermeintlichen Topias waren seine Fragen sehr unbequem.

Der jüngere blitzte ihn mit feindseligen Augen an. Der ältere gab sich alle Mühe, freundlich zu antworten, doch hörte man, daß seine Worte nur widerstrebend über seine Lippen kamen.

»Warum fragt mein weißer Bruder nach unserer Ehrlichkeit?« sagte er jetzt. »Welchen Grund hat er, an ihr zu zweifeln?«

»Ich habe nicht die Absicht, euch zu kränken. Aber wie kommt es, daß ihr nicht bei den Kriegern der Comanchen sitzet, sondern euch hier bei den Bleichgesichtern niedergelassen habt?«

»Old Death fragt mehr, als er sollte. Wir sitzen hier, weil es uns so gefällt.«

»Aber ihr erweckt dadurch die Meinung, daß die Comanchen die Topias verachten. Es sieht ganz so aus, als ob sie Vorteil von euch ziehen wollen, euch aber nicht erlauben, bei ihnen zu sitzen.«

Das war eine Beleidigung. Der Rote brauste auf:

»Sprich nicht solche Worte, sonst hast du mit uns zu kämpfen. Wir haben bei den Comanchen gesessen und sind nun zu den Bleichgesichtern gekommen, um von ihnen zu lernen. Oder ist es vielleicht verboten, zu erfahren, wie es in den Gegenden und Städten der Weißen zugeht?«

»Nein; das ist nicht verboten. Aber ich an eurer Stelle würde vorsichtiger verfahren. Dein Auge hat den Schnee vieler Winter erblickt; darum solltest du wissen, was ich meine.«

»Wenn ich es nicht weiß, so sage es mir!« erklang es höhnisch. Da trat Old Death nahe zu ihm hin, bückte sich ein wenig zu ihm nieder und fragte in fast strengem Tone:

»Haben die Krieger der Comanchen mit euch die Pfeife des Friedens geraucht, und habt ihr auch den Rauch des Calumets durch eure Nasen geblasen?«

»Ja.«

»So seid ihr streng verpflichtet, nur das zu tun, was zu ihrem Vorteile dient.«

»Meinst du etwa, daß wir dies nicht tun wollen?«

Die Beiden sahen einander scharf in die Augen. Es war, als ob ihre Blicke sich umkrallen wollten, um miteinander zu ringen. Dann antwortete Old Death:

»Ich sehe es dir an, daß du mich verstanden und meine Gedanken erraten hast. Wollte ich dieselben aussprechen, so wäret ihr beide verloren.«

»Uff !« rief der Rote, indem er emporsprang und zu seinem Messer griff. Auch sein Sohn richtete sich drohend auf und zog den Tomahawk aus dem Gürtel. Old Death aber beantwortete diese feindlichen Bewegungen nur mit einem ernsten Kopfnicken und sagte:

»Ich bin überzeugt, daß ihr euch nicht lange bei den Comanchen befinden werdet. Wenn ihr zu denen zurückkehrt, welche euch ausgesandt haben, so sagt ihnen, daß wir ihre Freunde sind. Old Death liebt alle roten Männer und fragt nicht, zu welchem Stamme sie gehören.«

Da zischte ihm der Andere die Frage entgegen:

»Meinst du vielleicht, daß wir nicht zu dem Stamme der Topias gehören?«

»Mein roter Bruder mag bedenken, wie unvorsichtig es von ihm ist, diese Frage auszusprechen. Ich habe meine Gedanken verschwiegen, weil ich nicht dein Feind sein will. Warum verrätst du sie selbst? Stehst du nicht inmitten eines fünfhundertfachen Todes?«

Die Hand des Roten zuckte mit dem Messer, als ob er zustoßen wolle. »Sage mir also, wofür du uns hältst!« forderte er den Alten auf:

Dieser ergriff den Arm, dessen Hand das Messer hielt, zog den Indianer ein Stück beiseite, bis hin zu mir und sagte leise, doch so, daß ich es hörte, zu ihm die Worte: »Ihr seid Apachen!« Der Indianer trat einen Schritt zurück, riß seinen Arm aus der Hand des Alten, zückte das Messer zum Stoße und sagte.

»Hund, du lügst!«

Old Death machte keine Bewegung, den Stoß von sich abzuwehren. Er raunte dem Aufgeregten leise zu:

»Du willst den Freund Winnetous töten?«

War es der Inhalt dieser Worte oder war es der scharfe, stolze Blick des Alten, welcher die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte, kurz und gut, der Indianer ließ den Arm sinken. Er näherte seinen Mund dem Ohre Old Deaths und sagte drohend:

»Schweig!«

Dann wendete er sich ab und setzte sich wieder nieder. Sein Gesicht war so ruhig und von undurchdringlichem Ausdrucke, als ob gar nichts geschehen sei. Er sah sich durchschaut, aber es war ihm nicht die geringste Spur von Mißtrauen oder Furcht anzusehen. Kannte er Old Death so genau, um ihm keinen Verrat zuzutrauen? Oder wußte er sich aus irgend einem andern Grunde sicher? Auch sein Sohn setzte sich ganz ruhig neben ihm nieder und steckte den Tomahawk wieder in den Gürtel. Die beiden Apachen hatten es gewagt, sich als Führer an die Spitze ihrer Todfeinde zu stellen, eine Kühnheit, welche bewundernswert war. Wenn ihre Absicht gelang, so waren die Comanchen dem sichern Verderben geweiht. Wir wollten nun die Gruppen verlassen, aber eine unter den Comanchen entstehende Bewegung veranlaßte uns, stehen zu bleiben. Wir sahen, daß die Beratung zu Ende war. Die Teilnehmer hatten sich erhoben, und den Roten war von ihrem Häuptlinge ein Befehl geworden, infolgedessen auch sie ihre Feuer verließen und einen dichten Kreis um dasjenige bildeten, an welchem wir uns befanden. Die Weißen wurden von ihnen eingeschlossen. Der ›weiße Biber‹ trat in würdevoller Haltung in den Kreis und erhob den Arm, zum Zeichen, daß er sprechen wolle. Tiefes Schweigen herrschte rundum. Die Weißen ahnten noch nicht, was jetzt kommen werde. Sie waren aufgestanden. Nur die beiden vermeintlichen Topias blieben sitzen und blickten ruhig vor sich nieder, als ob der Vorgang sie gar nichts angehe. Auch William Ohlert saß noch auf seinem Platze und starrte auf den Bleistift, den er wieder in den Fingern hielt.

Jetzt begann der Häuptling in langsamer, schwer betonter Rede:

»Die Bleichgesichter sind zu den Kriegern der Comanchen gekommen und haben ihnen gesagt, daß sie ihre Freunde seien. Darum wurden sie von ihnen aufgenommen und haben mit ihnen die Pfeife des Friedens geraucht. Jetzt aber haben die Comanchen erfahren, daß sie von den Bleichgesichtern belogen wurden. Der ›weiße Biber‹ hat alles, was für sie und was gegen sie spricht, genau abgewogen und mit seinen erfahrensten Männern beraten, was geschehen soll. Er ist mit ihnen darüber einig geworden, daß die Bleichgesichter uns belogen haben und unsere Freundschaft und unsern Schutz nicht länger verdienen. Darum soll von diesem Augenblicke an der Bund mit ihnen aufgehoben sein und die Feindschaft soll an die Stelle der Freundschaft treten.«

Er hielt für einen Augenblick inne. Der Offizier ergriff schnell die Gelegenheit, indem er fragte:

»Wer hat uns verleumdet? jedenfalls sind es die vier Männer gewesen, welche mit ihrem Schwarzen gekommen sind, eine Gefahr über uns heraufzubeschwören, welche wir nicht verdient haben. Es ist von uns bewiesen worden, und wir wiederholen es, daß wir Freunde der Comanchen sind. Die Fremden aber mögen den Beweis bringen, daß sie es ehrlich mit unsern roten Brüdern meinen! Wer sind sie, und wer kennt sie? Haben sie Böses über uns gesprochen, so verlangen wir, es zu erfahren, um uns verteidigen zu können. Wir lassen uns nicht richten, ohne angehört worden zu sein! Ich bin Offizier, also ein Häuptling unter den Meinen. Ich kann und muß verlangen, an jeder Beratung, welche über uns stattfinden soll, teilnehmen zu dürfen!«

»Wer hat dir die Erlaubnis gegeben, zu sprechen?« fragte der Häuptling in strengem, stolzem Tone. »Wenn der ›weiße Biber‹ redet, so hat jeder zu warten, bis er ausgesprochen hat! Du verlangst, gehört zu werden. Du bist gehört worden, als Old Death vorhin mit dir sprach. Es ist erwiesen, daß ihr Krieger von Juarez seid. Wir aber sind Freunde von Napoleon; folglich seid ihr unsere Feinde. Du fragst, wer diese vier Bleichgesichter seien, und ich sage dir: sie sind tapfere, ehrliche Kriegen Wir kannten Old Death viele Winter vorher, bevor wir eure Gesichter erblickten. Du forderst, an unserer Beratung teilnehmen zu dürfen, Ich sage dir, daß selbst Old Death nicht die Erlaubnis dazu erhalten hat. Die Krieger der Comanchen sind Männer. Sie bedürfen nicht der List der Bleichgesichter, um zu wissen, was klug oder unklug, was richtig oder falsch ist. Ich bin jetzt zu euch getreten, um euch zu sagen, was wir beschlossen haben. Ihr habt das ruhig anzuhören und kein Wort dazu zu sagen, denn – -«

»Wir haben das Calumet mit euch geraucht,« unterbrach ihn der Offizier. »Wenn ihr uns feindselig behandelt, so -«

»Schweig, Hund!« donnerte ihn der Häuptling an. »Du hattest jetzt eine Beleidigung auf den Lippen. Bedenke, daß ihr von über fünfhundert Kriegern umgeben seid, welche bereit sind, dieselbe augenblicklich zu rächen! Ihr habt das Calumet nur infolge einer Täuschung, einer Lüge bekommen. Aber die Krieger der Comanchen kennen den Willen des großen Geistes. Sie achten die Gesetze, welche bei ihnen herrschen, und wissen, daß ihr euch noch jetzt unter dein Schutze des Calumets befindet und daß sie euch als Freunde behandeln müssen, bis ihr aus demselben getreten seid. Rot ist der heilige Pfeifenton, aus welchem das Calumet geschnitten wird. Rot ist die Farbe des Lichtes, des Tages und der Flamme, mit welcher das Calumet in Brand gesteckt wird. Ist sie erloschen, so gilt der Friede, bis das Licht von neuem erscheint. Wenn das Licht des Tages beginnt, ist die Ruhe vorüber und unser Bund zu Ende. Bis dahin seid ihr unsere Gäste. Dann aber wird Feindschaft sein zwischen uns und euch. Ihr sollt hier sitzen und schlafen, und niemand wird euch berühren. Aber sobald der Tag zu grauen beginnt, sollt ihr davonreiten in der Richtung, aus welcher ihr mit uns gekommen seid. Ihr sollt einen Vorsprung haben von einer Zeit, welche ihr fünf Minuten nennt; dann werden wir euch verfolgen. Ihr sollt bis dahin alles behalten und mitnehmen dürfen, was euch gehört; dann aber werden wir euch töten und es uns holen. Die beiden aber unter euch, welche Old Death für sich haben will, sollen zwar auch bis dahin unsere Gäste sein, weil sie auch das Calumet mit uns rauchten; aber sie werden nicht mit euch reiten dürfen, sondern hier bleiben als Gefangene Old Deaths, welcher mit ihnen machen kann, was ihm beliebt. Das ist der Beschluß, den ihr hören sollt. Der ›weiße Biber‹, der Häuptling der Comanchen, hat gesprochen!«

Er wendete sich ab.

»Was?« rief Gibson. »Ich soll ein Gefangener dieses alten Mannes sein? Ich werde – -«

»Seid still!« unterbrach ihn der Offizier. »Es ist an den Anordnungen des Häuptlings nichts mehr zu ändern. Ich kenne die Roten. Übrigens bin ich überzeugt, daß der gegen uns gezielte Schlag auf die Verleumder zurückfallen wird. Noch ist es nicht Morgen. Bis dahin kann sehr viel geschehen. Vielleicht ist die Rache näher, als man denkt.«

Sie setzten sich wieder nieder, wie sie vorhin gesessen hatten. Die Comanchen aber nahmen ihre Sitze nicht wieder ein, sondern verlöschten ihre Feuer und lagerten sich in einem vierfachen Kreis um die Weißen, so daß diese von allen Seiten eingeschlossen waren. Old Death nahm mich aus diesem Kreise hinaus. Er wollte rekognoszieren gehen.

»Meint Ihr, daß wir Gibson nun sicher haben, Sir?« fragte ich ihn.

»Wenn nicht etwas Unerwartetes geschieht, so kann er uns nicht entgehen,« antwortete er.

»Am allerbesten wäre es wohl, wir bemächtigten uns der Beiden sofort?«

»Das ist unmöglich. Die verteufelte Friedenspfeife macht uns zu schaffen. Vor dem Anbruche der Morgenröte werden die Comanchen nicht dulden, daß wir Hand an Gibson legen. Dann aber können wir ihn kochen oder braten, mit oder ohne Gabel verzehren, ganz wie es uns beliebt.«

»Ihr spracht von etwas Unerwartetem. Befürchtet ihr so etwas?«

»Leider! Ich kalkuliere, daß sich die Comanchen von den beiden Apachen in eine gefährliche Falle haben locken lassen.«

»So haltet Ihr sie in der Tat für Apachen?«

»Ihr sollt mich aufhängen dürfen, wenn sie keine sind. Zunächst kam es mir verdächtig vor, als ich hörte, daß zwei Topias vom Rio Conchos her gekommen seien. Das darf man wohl einem roten Comanchen, nicht aber so einem alten Scout weismachen, wie ich bin. Als ich sie dann sah, wußte ich sofort, daß mein Verdacht mich nicht irre geführt habe. Die Topias gehören zu den halbzivilisierten Indianern. Sie haben einen weichen, verschwommenen Gesichtsausdruck. Nun seht Euch dagegen diese scharfen, spitzen, kühn geschnittenen Züge der zwei Roten an! Und gar dann, als ich sie sprechen hörte! Sie verrieten sich sofort durch die Aussprache. Und dann, als ich dem Einen ins Gesicht sagte, daß er ein Apache sei, hat mir da nicht sein ganzes Verhalten recht gegeben?«

»Könnt Ihr Euch nicht täuschen?«

»Nein. Er nannte Winnetou den ›größten Häuptling der Apachen‹. Wird ein Feind der Apachen sich eines Ausdruckes bedienen, welcher eine solche Ehre und Auszeichnung enthält? Ich wette mein Leben, daß ich mich nicht irre.«

»Ihr habt allerdings gewichtige Gründe. Aber wenn Ihr wirklich recht haben solltet, so sind diese Leute geradezu zu bewundern. Zwei Apachen, welche sich in eine Schar von über fünfhundert Comanchen wagen, das ist mehr als ein Heldenstück!«

»O, Winnetou kennt seine Leute!«

»Ihr meint, daß er sie gesandt hat?«

»Jedenfalls. Wir wissen von Sennor Atanasio, wann und wo Winnetou den Rio Grande überschwommen hat. Er kann unmöglich schon am Rio Conchos sein, zumal mit seinen sämtlichen Kriegern. Nein, wie ich ihn kenne, so ist er direkt nach der Bolson de Mapimi geritten, um seine Apachen zu sammeln. Er hat sofort verschiedene Späher ausgesandt, um die Comanchen aufzusuchen und in die Mapimi zu locken. Während diese ihn am Rio Conchos vermuten und die Dörfer der Apachen für von aller Verteidigung entblößt halten, erwartet er sie hier und wird über sie herfallen, um sie mit einem einzigen Schlage zu vernichten.«

»Alle Wetter! Dann sitzen wir mitten drin; denn die beiden Apachen betrachten uns als ihre Feinde!«

»Nein. Sie wissen, daß ich sie durchschaut habe. Ich brauchte dem ›weißen Biber‹ nur ein einziges Wort zu sagen, so müßten sie eines gräßlichen Todes sterben. Daß ich das nicht tue, ist ihnen der sicherste Beweis, daß ich ihnen nicht nur nicht feindlich, sondern sehr freundlich gesinnt bin.«

»So begreife ich nur eins noch nicht, Sir! Ist es nicht Eure Pflicht, die Comanchen zu warnen?«

»Hm! Ihr berührt da einen verteufelt heiklen Punkt. Die Comanchen sind Verräter und halten es mit Napoleon. Sie haben die unschuldigen Apachen mitten im Frieden überfallen und elendiglich hingemordet. Das muß nach göttlichem und menschlichem Rechte bestraft werden. Aber wir haben die Friedenspfeife mit ihnen geraucht und dürfen nicht an ihnen zu Verrätern werden.«

»Da habt Ihr freilich recht. Aber meine ganze Sympathie gehört diesem Winnetou.«

»Die meinige auch. Ich wünsche ihm und den Apachen alles Gute. Wir dürfen seine zwei Leute nicht verraten; aber dann sind die Comanchen verloren, auf deren Seite wir auch stehen müssen. Was ist da zu tun? ja, wenn wir Gibson und Ohlert hätten, so könnten wir unsers Weges ziehen und die beiden Feinde sich selbst überlassen.«

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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