Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 39

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»Wie bringen wir unsern Gefangenen fort?« fragte Old Firehand.

»Er wird getragen werden müssen,« antwortete ich. »Wird aber seine Schwierigkeiten haben, wenn er vollständig zur Besinnung kommt.«

»Tragen?« fragte Stone. »Ist mir seit etlichen Jahren nicht so wohl geworden und möchte diesem alten Knaben dieses Herzeleid auch nicht antun.«

Mit einigen Schnitten trennte er eine Anzahl der nebenstehenden Stämmchen von der Wurzel, nahm die Decke Parranohs wieder vor, schnitt sie in Streifen und meinte, uns vergnügt zunickend:

»Bauen da eine Schleife, einen Schlitten, ein Rutschholz oder so etwas zusammen, binden das Mannskind darauf fest und trollen uns damit von dannen.«

Der Vorschlag ward angenommen und ausgeführt, und bald setzten wir uns in Bewegung, die allerdings eine so deutliche Spur zurückließ, daß der hinterher gehende Winnetou alle Mühe hatte, sie nur einigermaßen zu verwischen. – – -

Es war früh am andern Tage. Noch hatten die Strahlen der Sonne nicht die Spitzen der umliegenden Berge berührt, und tiefe Ruhe herrschte im Lager. Ich aber war längst schon wach und auf den Felsen gestiegen, wo ich Harry wieder gefunden hatte.

Unten im Tale wälzten sich dichte Nebelballen um die Büsche, oben aber war die Luft rein und klar und wehte mir mit ermunternder Kühle um die Schläfe. Drüben hüpfte ein Kernbeißer unter Brombeerranken auf und ab und lockte mit schwellender, pfirsichblütroter Kehle sein unfolgsames Weibchen; etwas tiefer saß ein blaugrauer Katzenvogel und unterbrach seinen Gesang zuweilen durch einen possierlichen, miauenden Schrei, und von unten herauf ertönte die wundervolle Stimme des Entenvogels, der am Schlusse jeder Strophe seiner musikalischen Bravour mit einem lauten Entengequakel applaudierte. Meine Gedanken aber waren weniger bei dem Frühkonzerte, als vielmehr bei den Erlebnissen des vorhergehenden Tages.

Nach dem Berichte eines unserer heimkehrenden Jäger, welcher, still durch die Waldungen schleichend, die Ponkas auch bemerkt hatte, waren diese in noch größerer Anzahl vorhanden, als wir angenommen hatten; denn er war unten in der Ebene an einem zweiten Lagerplatze vorüber gekommen, an welchem sich auch die Pferde befunden hatten.

Es war also mit Bestimmtheit anzunehmen, daß ihr Kriegszug nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen unsere ganze Niederlassung gerichtet war, und aus diesem Grunde und der bedeutenden Anzahl der Feinde wegen durften wir unsere Lage keineswegs zu den beneidenswerten rechnen.

Die Vorbereitungen, welche getroffen werden mußten, einem Überfalle zu begegnen, hatten den gestrigen Nachmittag und Abend in der Weise ausgefüllt, daß wir keine Zeit gefunden hatten, über das Schicksal unseres Gefangenen eine Bestimmung zu treffen. Er lag wohlgebunden und gut bewacht in einer der Felsenkammern, und noch vorhin erst, gleich nach meinem Erwachen, hatte ich mich von der Zuverlässigkeit seiner Fesseln überzeugt.

Die nächsten Tage, vielleicht schon die heutigen Stunden mußten uns wichtige Entscheidungen bringen, und es war wirklich ein außergewöhnlicher Ernst, mit welchem ich an meine gegenwärtige Lage dachte, als ich durch nahende Schritte aus dem Sinnen wachgerufen wurde.

»Guten Morgen, Sir! Der Schlaf scheint Euch ebenso geflohen zu haben, wie mich.«

Ich dankte dem Gruße und antwortete:

»Wachsamkeit ist die notwendigste Tugend in diesem gefahrvollen Lande, Sir.«

»Fürchtet Ihr Euch vor den Braunen?« fragte Harry lächelnd, denn dieser war es.

»Ich weiß, daß Ihr diese Frage nicht im Ernste aussprecht. Aber wir zählen im ganzen dreizehn Mann und haben einen zehnfach überlegenen Feind vor uns. Offen können wir uns desselben gar nicht erwehren, und unsere einzige Hoffnung besteht darin, von ihm nicht entdeckt zu werden.«

»Ihr seht die Sache doch etwas zu schwarz. Dreizehn Männer von der Art und Weise unserer Leute vermögen schon ein Erkleckliches zu leisten, und selbst wenn die Rothäute unser Versteck aufspürten, würden sie sich nichts als blutige Köpfe holen.«

»Ich hege andere Meinung. Sie sind ergrimmt über unsern Überfall, noch mehr aber über den gestrigen Verlust ihrer Leute, und wissen jedenfalls ihren Häuptling in unsern Händen. Sie haben natürlich nach den Fehlenden gesucht, die Leichen gefunden und dabei Parranoh vermißt, und wenn eine so zahlreiche Horde um irgend eines Zweckes willen solche Strecken zurücklegt wie diese, so wird dieser Zweck auch mit der möglichsten Energie und Schlauheit zu erreichen gesucht.«

»Alles ganz recht, Sir, aber noch kein Grund zu schlimmen Befürchtungen. Ich kenne diese Leute auch. Feig und verzagt von Natur, wissen sie nur hinterrücks zu handeln und den Wehrlosen anzugreifen. Wir haben ihre Jagdgründe durchstreift vom Mississippi bis zum stillen Meere, von Mexiko bis hinauf zu den Seen, haben sie vor uns hergetrieben, uns mit ihnen herumgeschlagen, vor der Übermacht fliehen und uns verbergen müssen, aber immer, immer wieder die Faust am Messer gehabt und die Oberhand behalten.«

Ich sah ihn an, antwortete aber nicht, und es mußte in meinem Blicke etwas der Bewunderung Unähnliches gelegen haben, denn nach kurzer Pause fuhr er fort:

»Sagt, was Ihr wollt, Sir, es gibt Gefühle im Menschenherzen, denen der tatkräftige Arm gehorchen muß, gleichviel ob er der eines Mannes oder eines Knaben ist. Hätten wir gestern den Bee-fork erreicht, so wäre Euch ein Grab zu Gesicht gekommen, welches zwei Wesen birgt, die mir die Liebsten und Teuersten gewesen sind auf der ganzen, weiten Erdenrunde. Sie wurden hingeschlachtet von Männern, welche dunkles Haar und braune Haut besaßen, und seit jenen schrecklichen Tagen zuckt mir’s in der Hand, wenn ich eine Skalplocke wehen sehe, und mancher Indianer ist blutend vom Pferde geglitten, wenn die Pistole blitzte, aus welcher das tötende Blei in das Herz meiner Mutter fuhr, und deren Sicherheit Ihr ja auch bei New-Venango kennen gelernt habt.«

Er zog die Waffe aus dem Gürtel und hielt sie mir vor die Augen. Dabei sprach er weiter:

»Ihr seid ein guter Schütze, Sir; aber aus diesem alten Rohre würdet Ihr auf fünfzehn Schritte nicht den Stamm eines Hikory treffen. Ihr mögt also denken, wie oft und viel ich mich geübt habe, um meines Zieles gewiß zu sein. Ich weiß mit allen Instrumenten umzugehen; aber wenn es sich um Indianerblut handelt, dann greife ich nur zu diesem da; denn ich habe geschworen, daß jedes Körnchen Pulver, welches jene mörderische Kugel trieb, mit dem Leben einer Rothaut bezahlt werden müsse, und ich glaube, ich stehe nicht sehr weit von der Erfüllung dieses Schwures. Dasselbe Rohr, welches die Mutter niederstreckte, soll auch das Werkzeug meiner Rache sein!«

»Ihr bekamt die Pistole von Winnetou?«

»Hat er Euch davon erzählt?«

»Ja.«

»Alles?«

»Nichts, als was ich eben sagte.«

»Ja, sie ist von ihm. Doch setzt Euch, Sir! Ihr sollt das Notwendigste erfahren, wenn die Sache auch nicht eine solche ist, über welche man viele Worte machen könnte.«

Er nahm neben mir Platz, warf einen beobachtenden Blick über das unter uns liegende Tal und begann:

»Vater war Oberförster da drüben im alten Lande und lebte mit seinem Weibe und einem Sohne in ungetrübtem Glücke, bis die Zeit der politischen Gärung kam, welche so manchen braven Mann um seine Ziele betrogen hat und auch ihn in den Strudel trieb, welchem er sich schließlich nur durch die Flucht zu entziehen vermochte. Die Überfahrt kostete ihm die Mutter seines Kindes, und da er nach der Landung mittellos und ohne Bekannte in einer andern und neuen Welt stand, so griff er zum ersten, was ihm geboten wurde, ging als Jäger nach dem Westen und ließ den Knaben bei einer wohlhabenden Familie zurück, in welcher derselbe als Kind aufgenommen wurde.

»Einige Jahre verflossen ihm unter Gefahren und Abenteuern, welche aus ihm einen von den Weißen geachteten, von ihren Feinden aber gefürchteten Westmann machten. Da führte ihn eine Jagdwanderung hinauf an den Quicourt, mitten unter die Stämme der Assineboins hinein, und hier traf er zum erstenmal mit Winnetou zusammen, welcher von den Ufern des Colorado kam, um sich am oberen Mississippi den heiligen Ton für die Calumets seines Stammes zu holen. Beide waren Gäste des Häuptlings Tah-scha-tunga, wurden Freunde und lernten in dem Wigwam desselben Ribanna, seine Tochter, kennen. Sie war schön, wie die Morgenröte, und lieblich wie die Rose des Gebirges. Keine unter den Töchtern des Stammes vermochte die Häute so zart zu gerben und das Jagdkleid so sauber zu nähen, wie sie, und wenn sie ging, um Holz zu holen für das Feuer ihres Kessels, so schritt ihre schlanke Gestalt wie die einer Königin über die Ebene und von ihrem Haupte floß das Haar in langen Strähnen fast bis zur Erde herab. Sie war der Liebling Manitous, des großen Geistes, war der Stolz des Stammes, und die jungen Krieger brannten vor Begierde, sich die Skalps der Feinde zu holen, um sie ihr zu Füßen legen zu dürfen.

»Aber keiner von ihnen fand Gnade vor ihren Augen, denn sie liebte den weißen Jäger, obgleich derselbe viel älter war als alle, die sich um sie bewarben. Von ihnen war Winnetou der jüngste, fast noch ein Knabe.

»Auch in des Weißen Seele waren die heiligsten Gefühle erwacht; er folgte der Spur ihres Fußes, wachte über ihrem Haupte und sprach mit ihr wie mit einer Tochter der Bleichgesichter. Da trat eines Abends Winnetou zu ihm.

»›Der weiße Mann ist nicht wie die Kinder seines Volkes. Aus ihrem Munde fallen die Lügen wie die Boudins aus einem Büffelmagen! Aber er hat stets die Wahrheit gesprochen zu Winnetou, seinem Freunde.‹

»›Mein roter Bruder hat den Arm eines starken Kriegers und ist der Weiseste beim Feuer der großen Beratung. Er dürstete nicht nach dem Blut des Unschuldigen, und ich habe ihm gegeben die Hand eines Freundes. Er spreche!‹

»›Mein Bruder hat lieb Ribanna, die Tochter Tah-schatungas?‹

»›Sie ist mir lieber als die Herden der Prairie und die Skalpe aller roten Männer.‹

»›Und er wird gut mit ihr sein und nicht hart reden zu ihren Ohren, sondern ihr sein Herz geben und sie schützen gegen die bösen Stürme des Lebens?‹

»›Ich werde sie auf meinen Händen tragen, und bei ihr sein in aller Not und Gefahr.‹

»›Winnetou kennt den Himmel und weiß die Namen und die Sprache der Sterne; aber der Stern seines Lebens geht hinunter, und in seinem Herzen wird es dunkel und Nacht. Er wollte die Rose vom Quicourt nehmen in seinen Wigwam und an ihre Brust legen sein müdes Haupt, wenn er zurückkehrt vom Pfade des Büffels oder von den Dörfern seiner Feinde. Aber ihr Auge leuchtet auf seinen Bruder, und ihre Lippen sprechen den Namen des guten Bleichgesichtes. Der Apache wird gehen aus dem Lande des Glückes, und sein Fuß wird einsam weilen an den Wogen des Pecos. Seine Hand wird nimmermehr berühren das Haupt eines Weibes, und nie wird die Stimme eines Sohnes dringen an sein Ohr. Doch wird er zurückkehren zur Zeit, wenn das Elenn durch die Pässe geht, und wird sehen, ob glücklich ist Ribanna, die Tochter Tah-scha-tungas. ‹

»Er drehte sich um, schritt in die Nacht hinaus und war am andern Morgen verschwunden.

»Als er zur Zeit des Frühlings zurückkehrte, fand er Ribanna, und ihre strahlenden Augen erzählten ihm besser als Worte von dem Glücke, welches ihr beschieden war. Er nahm mich, das erst einige Tage alte Kind, von ihrem Arme, küßte mir den kleinen Mund und legte seine Hand beteuernd auf mein Haupt:

»›Winnetou wird sein über dir wie der Baum, in dessen Zweigen die Vögel schlafen und die Tiere des Feldes Schutz finden vor der Flut, die aus den Wolken rinnt. Sein Leben sei dein Leben und sein Blut wie dein Blut. Nie wird der Hauch seines Atems stocken und die Kraft seines Armes erlahmen für den Sohn der Rose vom Quicourt; möge der Tau des Morgens fallen auf deine Wege und das Licht der Sonne auf deine Pfade, damit Freude habe an dir der weiße Bruder des Apachen.‹

»Jahre vergingen, und ich wuchs heran. Aber ebenso wuchs auch das Verlangen des Vaters nach dem zurückgelassenen Sohne. Ich nahm teil an den mutigen Spielen der Knaben und ward erfüllt von dem Geiste des Krieges und der Waffen. Da konnte der Vater seiner Sehnsucht nicht länger gebieten; er ging nach dem Osten und nahm mich mit. Mir ging an der Seite des Bruders und mitten im zivilisierten Leben eine neue Welt auf, von der ich mich nicht trennen zu können vermeinte. Vater kehrte allein zurück und ließ mich bei den Pflegeeltern des Bruders. Bald aber regte sich das Heimweh nach dem Westen mit solcher Macht in mir, daß ich es kaum zu bewältigen vermochte und nach dem nächsten Besuche des Vaters mit ihm wieder in die Heimat ging.

»Daselbst angekommen, fanden wir das Lager leer und vollständig ausgebrannt. Nach längerem Suchen entdeckten wir ein Wampum, welches Tah-scha-tunga zurückgelassen hatte, um uns bei unserer Ankunft von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen.

»Tim Finnetey, ein weißer Jäger, war früher oftmals in unserem Lager gewesen und hatte die Rose vom Quicourt zur Squaw begehrt; aber die Assineboins waren ihm nicht freundlich gesinnt, denn er war ein Dieb und hatte schon zu mehreren Malen ihre ›Catches‹ geöffnet. Er wurde abgewiesen und ging mit dem Schwur der Rache auf den Lippen. Vom Vater, der mit ihm in den Black Hills zusammengetroffen war, hatte er erfahren, daß Ribanna sein Weib sei, und er ging zu den Schwarzfüßen, um sie zu einem Kriegszuge gegen die Assineboins zu bewegen.

»Sie folgten seiner Stimme und kamen zu einer Zeit, in welcher die Krieger auf einem Jagdzuge abwesend waren. Sie überfielen, plünderten und verbrannten das Lager, töteten die Greise und Kinder und führten die jungen Frauen und Mädchen gefangen mit sich fort. Als die Krieger zurückkehrten und die eingeäscherte Stätte sahen, folgten sie den Spuren der Räuber, und da sie ihren Rachezug nur einige Tage vor unserer Ankunft angetreten hatten, so war es uns vielleicht möglich, sie noch einzuholen.

»Laßt mich’s kurz machen! Unterwegs stießen wir auf Winnetou, welcher über die Berge gekommen war, die Freunde zu sehen. Er wandte auf des Vaters Bericht, ohne ein Wort zu verlieren, sein Pferd, und nie im Leben werde ich den Anblick der beiden Männer vergessen, welche lautlos, aber mit glühendem Herzen und drängender, angstvoller Eile den Weg der Vorangezogenen verfolgten.

»Wir trafen sie am Bee-fork. Sie hatten die Schwarzfüße ereilt, welche im Flußtale lagerten und erwarteten nur die Nacht, um über sie herzufallen. Ich sollte bei der Pferdewache zurückbleiben; aber es ließ mir keine Ruhe, und als der Augenblick des Überfalles kam, schlich ich mich zwischen die Bäume vor und kam gerade an dem Rande des Gehölzes an, als der erste Schuß fiel. Es war eine furchtbare Nacht. Der Feind war uns überlegen, das Kampfgeschrei verstummte erst, als der Morgen zu grauen begann.

»Ich hatte das Gewirr der wilden Gestalten gesehen, das Ächzen und Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden gehört und betend im nassen Grase gelegen. Jetzt kehrte ich zur Wache zurück. Sie war verschwunden. Unsägliche Angst bemächtigte sich meiner, und als ich jetzt das Freudengeheul der Feinde vernahm, wußte ich, daß wir besiegt seien.

»Ich versteckte mich bis zum Abend und wagte mich dann auf den Platz, wo der Kampf stattgefunden hatte.

»Tiefe Stille herrschte ringsum, und der helle Schein des Mondes fiel auf die leblos daliegenden Gestalten. Gepackt von grausem Entsetzen irrte ich zwischen ihnen herum, und – da lag sie, die Mutter, mitten durch die Brust geschossen, die Arme krampfhaft um das kleine Schwesterchen geschlungen, dessen Köpfchen von einem tiefen Messerhiebe klaffte. Der Anblick raubte mir die Besinnung; ich fiel ohnmächtig über sie hin.

»Wie lange ich dagelegen hatte, ich wußte es nicht. Es wurde Tag und Abend und wieder Tag; da hörte ich leise Schritte in der Nähe. Ich richtete mich empor und – o der Wonne – ich sah den Vater und Winnetou, beide in zerfetzten Kleidern und mit Wunden bedeckt. Sie waren der Übermacht erlegen und gefesselt fortgeschleppt worden, hatten sich aber loszumachen gewußt und waren entflohen.«

Tief Atem holend hielt Harry inne und richtete sein Auge mit starrem Ausdrucke in die Weite. Dann sich rasch zu mir wendend, fragte er:

»Ihr habt noch Eure Mutter, Sir?«

»Ja.«

»Was würdet Ihr tun, wenn jemand sie Euch tötete?«

»Ich würde den Arm des Gesetzes walten lassen.«

»Gut. Und wenn derselbe zu schwach oder zu kurz ist, wie hier im Westen, so leiht man dem Gesetze den eigenen Arm.«

»Es ist ein Unterschied zwischen Strafe und Rache, Harry! Die erstere ist eine notwendige Folge der Sünde und eng verbunden mit dem Begriffe göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit; die zweite aber ist häßlich und betrügt den Menschen um die hohen Vorzüge, welche ihm vor dem Tiere verliehen sind.«

»Ihr könnt nur deshalb so sprechen, weil Euch kein Indianerblut durch die kalten Adern rinnt. Wenn der Mensch aber sich freiwillig dieser Vorzüge entäußert und zur lebensgefährlichen Bestie wird, so darf er auch nur als eine solche behandelt und muß verfolgt werden, bis ihn die tötende Kugel ereilt hat. Als wir an jenem Tage die beiden Toten in die Erde gescharrt und so den Angriffen der Aasgeier entzogen hatten, da gab es in den Herzen von uns Dreien kein anderes Gefühl, als das des glühendsten Hasses gegen die Mörder unseres Glückes, und es war unser eigenes Gelübde, welches Winnetou aussprach, als er mit tiefgrollender Stimme schwur:

»›Der Häuptling der Apachen hat in der Erde gewühlt und den Pfeil der Rache gefunden. Seine Hand ist geballt; sein Fuß ist leicht, und sein Tomahawk hat die Schärfe des Blitzes. Er wird suchen und finden Tim Finnetey, den Mörder der Rose vom Quicourt, und seinen Skalp nehmen für das Leben Ribannas, der Tochter der Assineboins.‹«

»Wir Finnetey der Mörder?«

»Er war’s. In den ersten Augenblicken des Kampfes, als es schien, daß die überraschten Schwarzfüße unterliegen würden, schoß er sie nieder. Winnetou sah es, stürzte sich auf ihn, entriß ihm die Waffe und würde ihn getötet haben, wenn er nicht von Andern gepackt und nach verzweifelter Gegenwehr gefangen genommen worden wäre. Zur Verspottung ließ man ihm die ungeladene Pistole; sie kam später als sein Geschenk in meine Hand und hat mich nie verlassen, mochte ich meinen Fuß auf die Trottoirs der Städte oder den Grasboden der Prairie setzen.«

»Ich muß Euch sagen, daß…«

Er schnitt mir die Rede durch eine hastige Handbewegung ab.

»Was Ihr mir sagen wollt, weiß ich und habe es mir tausendmal schon selbst gesagt. Aber habt Ihr noch nie die Sage vom › flats-ghost‹ vernommen, welcher in wilden Stürmen über die Ebene braust und alles vernichtet, was ihm zu widerstehen wagt? Es liegt ein tiefer Sinn in ihr, welcher uns sagen will, daß der ungezügelte Wille sich wie ein brandendes Meer über die Ebene ergießen müsse, bevor die Ordnung zivilisierter Staaten hier festen Fuß fassen kann. Auch durch meine Adern pulsiert eine Woge jenes Meeres und ich muß ihrem Drange folgen, obgleich ich weiß, daß ich in der Flut versinken werde.«

Es waren ahnungsvolle Worte, welche er hiermit aussprach, und es folgte ihnen eine tiefe, gedankenreiche Stille, welche ich endlich mit einer Vorstellung unterbrach. Dieser Knabe dachte, sprach und handelte wie ein Erwachsener; das widerstrebte mir; das stieß mich ab; ich sprach in milden Worten auf ihn ein. Er hörte mich ruhig an und schüttelte den Kopf. Mit beredtem Munde gab er eine Schilderung des Eindruckes, welchen jene Schreckensnacht auf sein Gemüt hervorgebracht hatte, eine Beschreibung seines späteren Lebens, welches ihn zwischen den Extremen der Wildnis und Gesittung hin und her geworfen hatte, und ich fühlte, daß ich nicht das Recht hatte, ihn zu verurteilen.

Da ertönte von unten herauf ein scharfer Pfiff. Er unterbrach sich und meinte.-

»Vater ruft die Leute zusammen. Kommt nach unten. Es wird Zeit, den Gefangenen vorzunehmen.«

Ich erhob mich und ergriff seine Hand.

»Wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen, Harry?«

»Gern, wenn Ihr nichts Unmögliches von mir verlangt.«

»Überlaßt ihn den Männern!«

»Ihr bittet gerade das, was ich nicht gewähren kann. Tausend und abertausend Male hat es mich verlangt, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und den Tod entgegenschleudern zu können; tausend und abertausend Male habe ich mir diese Stunde ausgemalt mit allen Farben, welche der menschlichen Phantasie zu Gebote stehen; sie ist das Ziel meines Lebens, der Preis aller Leiden und Entbehrungen gewesen, die ich durchkämpft und durchkostet habe, und nun, da ich so nahe an der Erfüllung meines größten Wunsches stehe, soll ich auf die Erfüllung desselben verzichten? Nein, nein, und abermals nein!«

»Dieser Wunsch wird erfüllt werden, auch ohne Eure unmittelbare Beteiligung; der Menschengeist hat nach höheren Zielen zu streben, als dasjenige ist, welches Ihr Euch vorgesteckt habt, und das Menschenherz ist eines heiligeren und größeren Glückes fähig, als es die Befriedigung auch des glühendsten Rachegefühles bietet.«

»Denkt, wie Ihr wollt, Sir, nur laßt mir meine Meinung ebenfalls!«

»So wollt Ihr meinen Wunsch nicht erfüllen!«

»Ich kann nicht, wenn ich auch möchte. Kommt herab!«

Die außergewöhnliche Entwicklung des reich angelegten Knaben flößte mir ein hohes Interesse für ihn ein; ich mußte den Starrsinn, mit welchem er seinen blutigen Willen festhielt, beklagen, und eigentümlich berührt von unserer Unterhaltung, folgte ich ihm langsam nach.

Nachdem ich erst zu Swallow gegangen war, um dem braven Tiere meinen Morgengruß zu bringen, trat ich zu der Versammlung, welche rund um den jetzt an einen Stamm gebundenen Parranoh stand. Man beriet über die Art seines Todes.

»Ausgelöscht muß er werden, der Halunke, wenn ich mich nicht irre,« meinte eben Sam Hawkens; »aber ich möchte meiner Liddy nicht das Herzeleid antun, dieses Urteil auszuführen, meine ich.«

»Sterben muß er; das muß so sein,« stimmte Dick Stone, mit dem Kopfe nickend, bei, »und es soll mir Freude machen, ihn am Aste hängen zu sehen; denn ein Anderes hat er nicht verdient. Was meint Ihr, Sir?«

»Wohl,« antwortete Old Firehand. »Unser schöner Platz hier darf aber nicht mit dem Blute dieses Scheusals verunreinigt werden. Da draußen am Bee-fork hat er die Meinen gemordet, und draußen an derselben Stelle soll er auch seine Strafe finden. Der Ort, welcher meinen Schwur gehört, soll auch die Erfüllung desselben sehen.«

»Erlaubt, Sir,« fiel Stone ein, »warum soll ich den skalpierten Rotweißen umsonst auf dem Schleifholze hierher transportiert haben? Glaubt Ihr, daß ich ein Vergnügen daran finde, den Braunhäuten dafür nun meine Schmachtlocken zu überlassen?«

»Was meint Winnetou, der Häuptling der Apachen?« fragte Old Firehand, die Gründe dieses Einwurfs begreifend.

»Winnetou fürchtet nicht die Pfeile der Ponkas; er trägt in seinem Gürtel die Haut des Hundes von Atabaskah und schenkt den Leib des Feindes seinem weißen Bruder.«

»Und Ihr?« wandte sich der Fragende jetzt auch zu mir.

»Macht’s kurz mit ihm! Furcht vor den Indianern wird wohl keiner von uns haben; aber ich halte es nicht für nötig, uns in nutzlose Gefahr zu begeben und dabei unsern Aufenthalt zu verraten. Der Mensch ist ein solches Wagnis nicht wert.«

»Ihr könnt ja hier bleiben, Sir, um Euer Schlafkabinett zu bewachen,« riet mir Harry mit zweifelhaftem Achselzucken. »Was aber mich betrifft, so verlange ich unbedingt das Urteil an demselben Orte vollstreckt, an welchem die Opfer des Mörders liegen. Das Schicksal bestätigt mein Verlangen dadurch, daß es ihn uns hier und nirgends anderswo in unsere Hände gab. Was ich verlange, bin ich denen schuldig, an deren Grabe ich den Schwur getan habe, nicht zu ruhen und zu rasten, bis sie gerächt seien.«

Ich wandte mich, ohne zu antworten, ab.

Der Gefangene stand aufrecht an den Stamm gelehnt und verzog trotz der Schmerzen, welche die tief in sein Fleisch eindringenden Fesseln ihm verursachen mußten, und trotz der ernsten Bedeutung, welche die Verhandlung für ihn hatte, keine Falte seines von Alter und Leidenschaft durchfurchten Angesichtes. In seinen abschreckenden Gesichtszügen stand die ganze Geschichte seines Lebens geschrieben, und der Anblick des nackten, in blutigen Farben spielenden Schädels erhöhte den schlimmen Eindruck, welchen der Mann selbst auf den unparteiischen Beschauer machen mußte.

Nach einer längeren Beratung, an welcher ich mich unbeteiligt hielt, löste sich der Kreis auf, und die Jäger rüsteten sich zum Aufbruche.

Der Wille des Knaben war also doch durchgedrungen, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß uns daraus Unheil entstehen müsse. Old Firehand trat zu mir und legte die Hand auf meine Schulter.

»Laßt es ruhig geben, wie es gehen will, Sir, und legt keinen falschen Maßstab an Dinge, welche nicht nach der Schablone Eurer sogenannten Bildung geschnitten sind.«

»Ich gestatte mir kein Urteil über Eure Handlungsweise, Sir. Das Verbrechen muß seine Strafe finden, das ist einmal richtig; doch werdet Ihr mir nicht zürnen, wenn ich meine, daß ich mit der Exekution nichts zu tun habe. Ihr geht nach dem Bee-fork?«

»Wir gehen, und da Ihr Euch nun doch mit der Sache nicht befassen wollt, so ist es mir lieb, jemand hier zu wissen, dem ich die Sicherheit unsers Lagerplatzes anvertrauen darf.«

»Wird nicht an mir liegen, wenn etwas geschieht, was wir nicht wünschen, Sir. Wann kommt Ihr zurück?«

»Kann’s nicht bestimmt sagen; richtet sich nach dem, was wir draußen finden. Also lebt wohl, und haltet die Augen offen!«

Er trat zu denen, welche bestimmt waren, ihn mit dem Gefangenen zu begleiten. Dieser wurde vom Baume losgebunden, und als Winnetou, welcher gegangen war, um sich von der Sicherheit der Passage zu überzeugen, zurückkehrte und die Meldung machte, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, schob man Finnetey einen Knebel in den Mund und schritt dem Ausgange zu.

»Mein weißer Bruder bleibt zurück?« fragte der Apache, ehe er sich dem Zuge anschloß.

»Der Häuptling der Apachen kennt meine Gedanken; mein Mund braucht nicht zu sprechen.«

»Mein Bruder ist vorsichtig, wie der Fuß, ehe er in das Wasser der Krokodile tritt; aber Winnetou muß gehen und sein bei dem Sohne Ribannas, welche starb von der Hand des Atabaskah.«

Er ging; ich wußte, daß meine Ansicht auch die seinige war und er nur aus Sorge für die Andern und ganz besonders für Harry sich entschlossen hatte, ihnen zu folgen.

Nur wenige der Jäger waren zurückgeblieben, unter ihnen Dick Stone. Ich rief sie zu mir und machte ihnen die Mitteilung, daß ich beabsichtige, einmal hinauszugehen, um mir die Büsche anzusehen.

»Wird wohl nicht nötig sein, Sir,« meinte Stone. »Der Posten steht da draußen und hält die Augen offen, und außerdem ist ja auch der Apache auf Umschau ausgewesen. Bleibt hier, und pflegt Euch; werdet schon noch Arbeit bekommen.«

»Inwiefern?«

»Na, haben ja Augen und Ohren, die Rothäute, und werden schon merken, daß es da draußen was zu fangen gibt.«

»Gebe Euch vollständig recht, Dick, und werde deshalb ,mal zuschauen, ob sich irgend etwas regen will. Nehmt Ihr indessen den Ort hier in Eure Obhut! Werde nicht sehr lange auf mich warten lassen.«

Ich holte den Stutzen und begab ich hinaus. Der Wachtposten versicherte mir, nichts Verdächtiges bemerkt zu haben; aber ich hatte gelernt, nur meinen eigenen Augen zu trauen, und durchbrach den Saum des Gebüsches, um dasselbe nach Indianerspuren abzusuchen.

Gerade dem Eingange unsers Talkessels gegenüber bemerkte ich einige abgeknickte Zweige und fand bei näherer Untersuchung des Bodens, daß hier ein Mensch gelegen und bei seiner Entfernung die Eindrücke, welche sein Körper auf das abgefallene Laub und den lockeren Humusboden hervorgebracht, mit Sorgfalt verwischt und möglichst unbemerkbar gemacht hatte.

Man hatte uns also belauscht, unsern Aufenthalt entdeckt, und jeder Augenblick konnte uns einen Angriff bringen. Da ich aber schloß, daß der Feind zunächst wohl sein Augenmerk auf Parranoh und seine Eskorte richten werde, so war es vor allen Dingen notwendig, Old Firehand womöglich noch rechtzeitig zu warnen, und ich beschloß, dem vorangegangenen Zuge schleunigst zu folgen.

Nachdem ich der Wache die nötigen Anweisungen gegeben hatte, schritt ich den Spuren unserer Leute, welche längs des Flusses sich aufwärts begeben hatten, nach und kam auf diesem Wege an dem Schauplatz unserer gestrigen Taten vorüber. Wie ich geahnt, so war es geschehen; die Ponkas hatten die Toten entdeckt, und aus der Menge des niedergetretenen Grases war zu schließen, daß sie sich in bedeutender Anzahl an dem Orte eingefunden hatten, um die Leichname ihrer Brüder zu holen.

Noch war ich nicht sehr weit über diesen Punkt hinausgekommen, als ich auf neue Spuren stieß. Sie kamen seitwärts aus dem Gebüsch und führten auf dem Wege weiter, welchen unsere Jäger eingeschlagen hatten. Ich folgte ihnen, wenn auch mit möglichster Vorsicht, so doch mit größter Eile, und legte so in verhältnismäßig kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, so daß ich bald die Stelle erreichte, an welcher sich das Wasser des Bee-fork in die Fluten des Mankizila ergoß.

Da ich den Platz nicht kannte, an welchem die Exekution vor sich gehen sollte, so mußte ich meine Vorsicht jetzt verdoppeln und folgte, die Spuren nur von der Seite im Auge behaltend, ihrer Richtung durch das nebenanlaufende Gebüsch.

Jetzt machte das Flüßchen eine Biegung und grenzte an dieser Stelle eine Lichtung ab, von welcher sich der sogenannte ›schwarze Wuchs‹ zurückgezogen und den Gräsern den nötigen Raum zur ungehinderten Entwickelung gelassen hatte. Mitten auf dem freien Platz stand eine Gruppe von Balsamfichten, unter deren Zweigen die Jäger in lebhaftem Gespräche saßen, während der Gefangene an einen der Stämme gebunden war.

Gerade vor mir, höchstens drei Manneslängen von meinem Standorte entfernt, lugten eine kleine Anzahl Indianer durch den Buschrand hinaus auf die Blöße und es war mir augenblicklich klar, daß die Andern rechts und links abgegangen waren, um die Belauschten von drei Seiten einzuschließen und durch einen plötzlichen Überfall niederzumachen, oder in den Fluß zu treiben.

Es war kein Augenblick Zeit zu verlieren. Ich nahm den Henrystutzen an die Wange und drückte ab. Für die ersten Sekunden verursachten meine Schüsse das einzige Geräusch, welches zu hören war, denn sowohl Freunde wie Feinde befanden sich in lebhafter Überraschung über die unerwartete Durchkreuzung ihres Vorhabens. Sodann aber gellte der Kampfesruf der Indianer fast hinter jedem Strauche hervor; eine Wolke von Pfeilen drang von allen Seiten aus dem Gebüsche, und im Nu war der Platz von heulenden, keuchenden und schreienden Menschen bedeckt, welche im wütendsten Handgemenge miteinander kämpften.

Fast zu gleicher Zeit mit den Indianern war auch ich vorgesprungen, und kam gerade recht, einen der Rothäute niederzuschlagen, welcher auf Harry eindrang. Dieser war emporgesprungen und hatte die Pistole erhoben, um Parranoh niederzuschießen, war aber von dem Indianer, welcher die Absicht bemerkt hatte, daran verhindert worden. Mit dem Rücken gegeneinander oder an die Baumstämme gelehnt, verteidigten sich die Jäger mit allen ihnen zu Gebote stehenden Kräften gegen die sie umzingelnden Wilden. Es waren lauter wohlgeschulte Trapper, welche schon manchen harten Strauß ausgefochten hatten und keine Furcht kannten; aber es war klar, daß sie hier der Übermacht erliegen mußten, zumal sie vorhin den Indianern ein offenes Ziel geboten hatten und infolgedessen fast alle verwundet waren.

Einige der Braunen hatten gleich im ersten Augenblicke sich auf Parranoh geworfen, um ihn seiner Bande zu entledigen, und so sehr dies auch Firehand und Winnetou, welche von ihm weggedrängt worden waren, zu hintertreiben suchten, so war ihnen diese Absicht doch endlich gelungen. Mit einem kräftigen Schlage schleuderte der muskulöse Mann die Arme in die Luft, um das stockende Blut wieder in Bewegung zu bringen, entriß der Hand eines seiner Leute den Tomahawk und knirschte, auf Winnetou eindringend:

»Komm her, du Hund von Pimo! Du sollst jetzt meine Haut bezahlen.«

Der Apache, welcher sich mit dem Schimpfnamen seines Stammes angeredet hörte, hielt ihm stand, war aber schon verwundet und wurde in demselben Augenblick noch von andrer Seite angefallen. Old Firehand war rund von Feinden umgeben, und wir Andern waren so in Anspruch genommen, daß wir an eine gegenseitige Hilfe nicht denken konnten.

Längerer Widerstand wäre hier die größte Torheit und ein falsches Ehrgefühl am unrechten Platze gewesen. Deshalb rief ich, Harry am Arme durch den Kranz der Feinde, welcher uns umgab, reißend:

»Ins Wasser, Männer, ins Wasser!« und fühlte dasselbe auch schon im nächsten Augenblicke über mir zusammenschlagen.

Mein Ruf war trotz des laut tobenden Kampfes gehört worden, und wer sich loszumachen vermochte, folgte ihm. Der Fork war, wenn auch tief, doch so schmal, daß es nur weniger Ruderschläge bedurfte, um das jenseitige Ufer zu erreichen; aber in Sicherheit waren wir natürlich damit noch lange nicht, vielmehr beabsichtigte ich, die zwischen ihm und dem Mankizila auslaufende Landspitze zu durchschneiden und dann den letzteren zu überschwimmen, und schon winkte ich dem Knaben nach der Richtung hin, welche wir auf diese Weise einzuschlagen hatten, als die kleine krummbeinige Gestalt Sams im triefenden Jagdrocke und schwappernden Mokassins an uns vorüberschoß und, die kleinen Äuglein schlau auf die verfolgenden Feinde zurückwerfend, mit einem raschen Satze seitwärts im Weidengestrüpp verschwand.

Sofort waren wir hinter ihm her; denn die Zweckmäßigkeit seines Vorhabens war zu einleuchtend, als daß ich an meinem vorherigen Plane hätte festhalten mögen.

»Der Vater, der Vater!« rief Harry angstvoll. »Ich muß zu ihm; ich darf ihn nicht verlassen!«

»Kommt nur,« drängte ich und zog ihn immer vorwärts. »Wir vermögen nicht, ihn zu retten, wenn es nicht schon ihm selbst gelungen ist!«

Mit möglichster Raschheit uns durch das Dickicht windend, gelangten wir schließlich wieder an den Bee-fork, und zwar oberhalb der Stelle, an welcher wir in das Wasser gesprungen waren. Sämtliche Indianer hatten ihre Richtung auf den Mankizila zu genommen, und als wir drüben anlangten, konnten wir mit ziemlicher Sicherheit unsern Weg fortsetzen. Sam Hawkens aber schien zu zaudern.

»Seht Ihr dort die Büchsen liegen, Sir?« fragte er.

»Die Indsmen haben sie abgeworfen, ehe sie in das Wasser gingen.«

»Hihihihi, Sir, sind das dumme Männer, uns ihre Schießhölzer liegen zu lassen, wenn ich mich nicht irre!«

»Ihr wollt sie haben? Es ist Gefahr dabei.«

»Gefahr? Sam Hawkens und Gefahr!«

In raschen Sprüngen, welche ihm das Ansehen eines gejagten Känguru gaben, eilte er davon und las die Gewehre zusammen. Ich war ihm natürlich gefolgt und zerschnitt die Sehnen der Bogen, welche zerstreut am Boden umherlagen, so daß sie wenigstens für einige Zeit unbrauchbar wurden.

Niemand störte uns in dieser Beschäftigung, denn die Rothäute ahnten sicherlich nicht, daß einige von den Verfolgten die Verwegenheit besitzen könnten, nach dem Kampfplatze zurückzukehren. Hawkens hatte die Gewehre in den Händen, betrachtete sie mit mitleidigen Blicken und warf dann alle miteinander in das Wasser.

»Schönes Zeug, Sir, schönes Zeug! Können die Ratten hinein hecken in die Läufe, meine ich, ohne daß sie viel gestört werden. Aber kommt; es ist hier nicht geheuer, wenn ich mich nicht irre!«

Wir schlugen den geradesten Weg mitten durch dick und dünn ein, um so bald wie möglich das Lager zu erreichen. Nur ein Teil der Indianer war am Bee-fork gewesen, und da ich gesehen hatte, daß man uns belauscht und also Kenntnis von unserm Aufenthaltsorte genommen hatte, so stand zu vermuten, daß die Übrigen die Abwesenheit der Jäger zu einem Überfalle der Zurückgebliebenen benutzt hatten.

Noch hatten wir eine ziemliche Strecke zurückzulegen, als wir einen Schuß aus der Richtung des Talkessels vernahmen.

»Vorwärts, Sir!« rief Hawkens und beschleunigte seine Bewegungen.

Harry hatte noch kein Wort wieder gesprochen, und mit angstvollen Zügen drängte er in hastiger Eile vorwärts. Es war gekommen, wie ich vorhergesagt hatte, und wenn ich auch nicht unternehmen konnte, einen Vorwurf auszusprechen, so sah ich es ihm doch deutlich an, daß er dieselbe Einsicht hegte.

Die Schüsse wiederholten sich, und es blieb uns kein Zweifel, daß die zurückgebliebenen Jäger in einem Kampfe mit den Indianern sich befanden. Hier war Hilfe notwendig, und trotz der Unwegsamkeit des Gehölzes gelang es uns doch in kurzem, das Tal zu erreichen, in welches der Ausgang unseres ›Schlosses‹ mündete. Wir hielten auf den Punkt zu, welcher diesem Ausgang gegenüberlag, und wo ich die Spuren des Indianers entdeckt hatte. Jedenfalls lagen die Rothäute im Saume des Waldes verborgen und blockierten von da aus das Wassertor. Wir mußten ihnen also in den Rücken kommen, wenn wir einen Erfolg erzielen wollten.

Da hörte ich seitwärts hinter uns ein Geräusch, als dringe jemand in aller Eile durch die Büsche. Auf ein Zeichen von mir traten die beiden Anderen ebenso wie ich hinter das dichte Blätterwerk eines Strauches und erwarteten das Erscheinen desjenigen, welcher dieses Geräusch verursachte. Wie groß war unsere Freude, als wir Old Firehand erkannten, hinter welchem Winnetou und noch zwei Jäger folgten.

Sie waren also der Verfolgung entkommen, und wenn Harry seine Freude über das Wiedersehen auch nicht in auffälliger Weise kundgab, so war ihm dieselbe doch in einer Weise anzumerken, welche mir die Überzeugung gab, daß sein Herz gar wohl mächtiger Gefühle fähig sei und mich mit ihm vollständig aussöhnte.

»Habt Ihr die Schüsse gehört?« fragte Old Firehand hastig.

»Ja,« antwortete er.

»So kommt! Wir müssen den Unsrigen Hilfe bringen. Denn wenn der Eingang auch so schmal ist, daß ein einzelner Mann ihn recht gut zu verteidigen vermag, so wissen wir doch nicht, was geschehen ist.«

»Nichts ist geschehen, Sir, wenn ich mich nicht irre,« meinte Sam Hawkens. »Die Rothäute haben unser Nest entdeckt, und sich nun davor gelegt, um zu sehen, was wir drinnen ausbrüten wollen, meine ich. Bill Bulcher, welcher die Wache hat, wird ihnen ein wenig Blei gegeben haben, und so hat der ganze Lärm also nichts zu bedeuten, als daß wir uns noch einige Rattenfelle holen sollen.«

»Möglich, daß es so ist; aber wir müssen trotzdem vorwärts, um uns Gewißheit zu verschaffen. Auch ist zu bedenken, daß unsere Verfolger bald hier sein werden und wir es dann mit einer doppelten Anzahl Indianer zu tun haben.«

»Aber unsere versprengten Leute?« warf ich ein.

»Hm, ja, wir brauchen jeden Arm so notwendig, daß wir keinen von ihnen entbehren können. Der Einzelne wird sich den Eingang nicht erzwingen können. Wir müssen also sehen, ob sich nicht vielleicht noch irgendwer zu uns finden will.«

»Meine weißen Brüder mögen hier bleiben an diesem Orte. Winnetou wird gehen, um zu sehen, an welchem Baume die Skalpe der Ponkas hängen.«

Ohne eine Antwort auf diesen Vorschlag abzuwarten, ging der Apache von dannen, und wir konnten nichts Anderes tun, als ihm Folge leisten, indem wir uns niederließen, um seine Rückkehr zu erwarten. Während dieser Zeit gelang es uns wirklich, noch zwei von unseren zerstreuten Leuten an uns zu ziehen. Auch sie hatten das Schießen vernommen, und waren herbeigeeilt, um die vielleicht notwendige Hilfe zu bringen. Der Umstand, daß wir alle den geradesten Weg mitten durch den Wald eingeschlagen hatten, war die alleinige Ursache unseres glücklichen Zusammentreffens, und wenn es auch keinen gab, der ohne Wunde dem Überfall entgangen war, so besaßen wir doch immer noch die gute Zuversicht, daß wir uns glücklich aus der Affaire ziehen würden. Wir waren ja neun Personen, eine Anzahl, die bei kräftigem Zusammengreifen schon etwas auszurichten vermochte.

Es verging eine geraume Zeit, ehe Winnetou zurückkehrte; aber als er kam, sahen wir einen frischen Skalp in seinem Gürtel. Er hatte also einen der Indianer in aller Stille ›ausgelöscht‹, und unseres Bleibens konnte hier nun nicht länger sein; denn wenn der Tod eines der Ihrigen bemerkt wurde, so mußten die Indsmen sofort erkennen, daß wir hinter ihnen seien.

Auf Old Firehands Rat sollten wir eine dem Buschrande parallel laufende Linie bilden, dem Feinde in den Rücken fallen und ihn aus seinem Verstecke hinauswerfen. Infolgedessen trennten wir uns, nachdem wir unsere vom Wasserbade naß gewordenen Gewehre wieder schußfähig gemacht hatten, und kaum waren einige Minuten vergangen, so krachte eine der neun Büchsen nach der anderen. Jede Kugel forderte ihren Mann, und ein lautes Schreckensgeheul der Überraschten erfüllte die Luft.

Da unsere Linie eine ziemlich gedehnte war, und unsere Schüsse immer von neuem fielen, so hielten die Wilden unsere Zahl für größer als sie war und nahmen die Flucht. Aber anstatt in den freien Talraum hinaus zu gehen, wo ihre Körper uns ein sicheres Ziel geboten hätten, brachen sie zwischen uns durch und ließen die Gefallenen zurück.

Bill Bulcher, der Wachthabende, hatte das Nahen der Rothäute bemerkt und sich zu rechter Zeit noch nach der ›Festung‹ zurückgezogen. Sie waren ihm gefolgt, hatten aber nach einigen Schüssen, die er und der herbeieilende Dick Stone von dem engen Felsengange aus, in den sie ihm nicht folgen konnten, unter sie gefeuert, sich wieder zurückgezogen und im Gebüsch festgesetzt, aus welchem wir sie jetzt vertrieben hatten.

Die beiden Genannten staken noch immer im Wassertore; denn da sie sich nicht bloßgeben durften, so konnten sie nicht eher zum Vorschein kommen, als bis wir uns gezeigt hatten. Als dies geschehen war, standen sie und alle andern Zurückgebliebenen bei uns und hörten den Bericht über das Geschehene.

In diesem Augenblicke kam es von der Seite heraufgedonnert wie eine Herde wilder Büffel. Sofort sprangen wir ins Gesträuch und machten uns schußfertig. Wie groß aber war unser Erstaunen, als wir eine Anzahl aufgezäumter Pferde erblickten, auf deren vorderstem ein Mann in Jägertracht saß, dessen Züge vor dem aus einer Kopfwunde rinnenden Blute nicht zu erkennen waren. Auch am Körper trug er mehrere Verletzungen, und es war ihm anzusehen, daß er sich in einer nicht beneidenswerten Lage befunden hatte.

Gerade vor dem Orte, an welchem sich gewöhnlich der Posten befand, hielt er an und schien sich nach dem letzteren umzusehen. Als er ihn nicht bemerkte, ritt er kopfschüttelnd weiter und sprang beim Wassertore vom Pferde. Da ließ sich neben mir Sams laute Stimme vernehmen:

»Jetzt lasse ich mich schinden und ausnehmen wie einen Dickschwanz, wenn das nicht Will Parker ist. So sauber fällt kein Anderer vorn Pferde wie dieser Mann, meine ich!«

»Sollst recht haben, altes Coon! Will Parker ist’s, das Greenhorn – weißt’s noch, Sam Hawkens? Will Parker und ein Greenhorn, hahaha!« Und als wir Anderen nun auch hervortraten, rief er:

»Segne meine Augen. Da sind sie ja alle, die Springfüße, die mit meiner Mutter Sohne so tapfer vor den Rothäuten herliefen! Na, Sir, nehmt’s nicht übel, aber zuweilen ist das Laufen besser, als irgend etwas Anderes.«

»Weiß es, Mann; doch sag’, was willst du mit den Pferden?« fragte Old Firehand.

»Hm! Hatte so meine Ansicht, daß die Roten den alten Will Parker überall eher suchen würden, als in ihrem eigenen Lager. Bin deshalb erst hinüber nach dem Gutter; war aber nichts mehr da zu finden. Darum machte sich das Greenhorn – hörst du, Sam Hawkens, hahaha – das Greenhorn nach dem ›Couch‹, wo sie die Pferde hatten. Waren ausgeflogen, die Vögel, und hatten Zwei bei den Tieren gelassen, damit sie mir die Felle geben sollten; ist ihnen auch nach Willen geschehen! War böse Arbeit, sage ich, und hat mir einige Löcher eingetragen; aber Will Parker dachte, den Indsmen eine Freude zu machen, wenn er ihnen von ihren Pferden helfe. Habe die schlechten hinaus in die Prairie gejagt und die guten mitgebracht; da sind sie!«

»Hm, das muß so sein,« rief Dick Stone vor Erstaunen über die Heldentat des Sprechers.

»Freilich muß das so sein,« antwortete Parker, »denn wenn wir den Pfeilmännern ihre Pferde nehmen, so kommt ›ihr Holz ins Schwimmen‹ und sie müssen elend untergehen. Aber da liegen ja drei von ihnen! Aha, hier gewesen, und darum war es im couch so leer. Seht Euch doch den Braunen an, Sir; ein Pferd wie ›Tabak‹, muß dem Häuptling gehören!«

»Den wir so schön an die Luft geführt haben, wenn ich mich nicht irre,« grollte Sam, der Kleine. »War ein heilloser Streich, meine ich.«

Old Firehand hörte den Vorwurf nicht. Er war zu dem Braunen getreten, und betrachtete das Tier mit bewundernden Blicken.

»Ein Kapitalroß,« wandte er sich zu mir, »wenn mir die Wahl gelassen würde, so wüßte ich nicht, ob ich Swallow nähme oder diesen da.«

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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