Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 40

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»Winnetou spricht mit der Seele des Rosses und hört den Puls seiner Adern. Er nimmt Swallow,« entschied der Apache.

Da ließ ein scharf zischender Laut sich hören, ein Pfeil flog Hawkens an den Arm, fiel aber, von dem brettsteifen, eisenharten Leder des Ärmels abgleitend, zur Erde und in demselben Augenblicke erscholl betäubendes ›ho – ho – hi‹ aus dem Dickicht hervor. Trotz dieser kriegerischen Demonstration aber ließ sich keiner der Wilden sehen, und Sam meinte, den Pfeil vom Boden nehmend und betrachtend:

»Hihihihi! Sam Hawkens’ Rock und so ein dummes Gewächs durchgehen! Habe dreißig Jahre lang einen Flicken auf den andern gesetzt und stecke nun drin wie San Jago in Abrahams Schoß, wenn ich mich nicht irre.«

Weiter hörte ich von seiner an das alte Kleidungsstück gerichteten Ode nichts, denn wir sprangen natürlich sofort in den Busch, um den unfreundlichen Gruß gehörig zu beantworten. Hätten wir uns in die ›Burg‹ flüchten wollen, so wäre das wegen der Enge des Einganges so langsam vor sich gegangen, daß, da wir alle ohne Deckung waren, Einer nach dem Andern weggeschossen werden konnte. Auch mußten wir dann die erbeuteten Pferde im Stiche lassen, da ihr Transport durch die schmale Felsenwindung uns ungemein aufgehalten hätte, und vor allem war aus dem Umstande, daß der Feind zu keinem Angriffe vorging, mit ziemlicher Sicherheit zu schließen, daß er nicht zahlreich genug sei und ihm die von mir und Sam hinweggenommenen oder doch wenigstens unbrauchbar gemachten Waffen fehlten.

Der ganze Lärm war nichts weiter gewesen, als eine Kundgebung des kriegerischen Mutes der Indianer; denn trotzdem wir weit in das Gebüsch eindrangen, bekamen wir doch keinen von ihnen zu Gesichte. Sie hatten sich schleunigst zurückgezogen, um auf Verstärkung zu warten, und wir waren durch das unschädliche Ereignis nun doch so weit gewitzigt worden, daß wir nicht länger halten blieben, sondern uns in den sicheren Talkessel begaben.

Einer der vorher zurückgebliebenen und also nicht ermüdeten Jäger ward als Wache aufgestellt, während die Andern nach ihren Wunden sahen und dann sich um das Mahl versammelten oder der Ruhe pflegten.

Am Feuer, welches den Versammlungsort aller derer bildete, welche das Bedürfnis, sich auszusprechen, fühlten, ging es lebhaft her. Jeder der um dasselbe Herumsitzenden hatte notwendig seine Taten zu erzählen und seine Ansicht auszusprechen. Alle waren der freudigen Meinung, daß von den Wilden nichts zu befürchten sei. Die Zahl der erbeuteten Skalpe war eine ansehnliche, das Abenteuer siegreich bestanden, und keine der Wunden zeigte eine gefährliche Beschaffenheit. Zudem schien unser Aufenthaltsort ein vollständig sicherer zu sein; für Proviant und Munition war reichlich gesorgt, und so konnten die Feinde den Eingang belagern, so lange es ihnen gefiel, oder sich die Köpfe an den ringsum starrenden Felsen einrennen.

Auch Old Firehand teilte diese Ansicht, und nur Winnetou schien ihr nicht beizustimmen. Er lag abseits von den Andern in der Nähe seines Pferdes und schien in tiefe, ernste Gedanken versunken.

»Das Auge meines roten Freundes blickt finster, und seine Stirne trägt die Falten der Sorge. Welche Gedanken wohnen in seinem Herzen?« fragte ich, zu ihm tretend.

»Der Häuptling der Apachen sieht den Tod durch die Pforte dringen und das Verderben von den Bergen steigen. Es flammt das Tal von der Glut des Feuers, und das Wasser ist rot vom Blute der Erschlagenen. Winnetou spricht mit dem großen Geiste. Das Auge der Bleichgesichter ist blind geworden vom Hasse, und ihre Klugheit ist den Gefühlen der Rache gewichen. Parranoh wird kommen und nehmen die Skalpe der Jäger; aber Winnetou ist gegürtet zum Kampfe und wird anstimmen den Totengesang auf den Leichen seiner Feinde.«

»Wie soll der Ponka betreten das Lager unserer Jäger? Er vermag nicht durch das Tor zu dringen.«

»Mein weißer Bruder spricht Worte, aber er glaubt ihnen nicht. Vermag eine Büchse aufzuhalten die Zahl der roten Männer, wenn sie durch die Enge brechen?«

Er hatte recht. Gegen eine geringe Anzahl Feinde konnte es wohl einem Einzigen glücken, den Paß zu verteidigen, nicht aber gegen eine so bedeutende Horde, wie sie uns gegenüberstand; denn wenn auch nur stets eine Person einzudringen vermochte, so stand ihr doch eben auch nur einer entgegen, und wenn die Hintersten nachdrängten, so konnten wohl einige der Vorderen getötet, nicht aber das Eindringen der Übrigen verhütet werden.

Ich sagte das Old Firehand; er aber antwortete:

»Und wenn sie es wagen, so wird es uns leicht sein, sie nacheinander auszulöschen, sowie sie durch die Schlucht kommen.«

Das klang wahr, und ich mußte mich zufrieden geben, obgleich ich wußte, daß der kleinste Umstand hinreichend sein konnte, diese Wahrheit zu Schanden zu machen.

Als der Abend hereinbrach, wurde die Wachsamkeit natürlich verdoppelt, und trotzdem ich auf meinen ausdrücklichen Wunsch erst zur Zeit des Morgengrauens Posten zu stehen hatte, zu welcher Zeit die Indsmen am liebsten ihre Überfälle vornehmen, so ließ es mir doch nirgends Ruhe, und ich hielt mich für alle Fälle bereit.

Die Nacht lag still und ruhig über dem Tale, in dessen Vordergrunde das Feuer brannte und sein zitterndes Licht über die Umgebung warf. Swallow, welcher sich in dem von Bergen umschlossenen Raume frei bewegen konnte, weidete im dunklen Hintergrunde des Kessels; ich ging, nach ihm zu sehen, und fand ihn ganz am Rande der steilansteigenden Höhen. Nachdem ich mit ihm die gewöhnlichen Liebkosungen gewechselt hatte, wollte ich mich eben wieder entfernen, als ein leises Gepolter mich lauschen machte.

Auch das Pferd hob den Kopf in die Höhe; aber da der kleinste Atemzug unsere Gegenwart verraten konnte, so ergriff ich es beim Riemen und deckte die Hand auf die sich unter dem Verdachte schon erweiternden Nüstern. Während wir von oben herab nicht leicht bemerkt werden konnten, war es mir möglich, von unten hinauf gegen den lichten Himmel jeden Gegenstand zu erkennen, und mit angestrengtem Auge suchte ich nach der Ursache, welche den herabgefallenen Stein von seinem Orte gelöst hatte.

In den ersten Augenblicken nach dem Falle des Steines war nichts Auffallendes zu bemerken. Jedenfalls hatte man das von dem Steine verursachte Geräusch ebensogut bemerkt, wie ich, und wartete nun eine Weile, um sich zu überzeugen, daß dasselbe nicht gehört oder beachtet werde.

Diese Ansicht war eine richtige, denn nachdem ich mich einige Zeit lang ruhig verhalten hatte, sah ich zuerst mehrere Gestalten, welche sich von dem dunklen Felsen lösten und nach unten stiegen; bald aber gewahrte ich eine ganze Reihe Indianer, welche einer hinter dem Anderen über den Kamm der Höhe kamen und mit langsamen, vorsichtigen Schritten dem Ersten folgten, welcher mit der Örtlichkeit außerordentlich vertraut zu sein schien und kaum noch zweier Minuten bedurfte, um die Talsohle zu erreichen.

Hätte ich meinen Stutzen bei mir gehabt, so wäre es mir leicht gewesen, ihn durch einen Schuß herunter zu holen und damit zugleich das notwendige Alarmsignal zu geben. Er war der Führer, und die Anderen durften bei dem gefahrdrohenden Terrain sich keinen Schritt weiter wagen, wenn er ihnen weggeschossen wurde. Aber leider hatte ich nur die Revolver im Gürtel, welche für einen Fernschuß untauglich waren.

Gab ich mit ihnen das Lärmzeichen, so waren die Feinde doch unten, ehe Hilfe herbeikommen konnte, und ich befand mich dann in der gefährlichsten Lage; denn selbst wenn ich mich zurückziehen wollte, so mußte ich meinen von mehreren Sträuchern gedeckten Standort verlassen und mich den Schießgewehren der Rothäute bloßgeben. Deshalb befolgte ich eine andere Taktik.

Parranoh, – denn dieser war jedenfalls der Vordere – welcher allem Anscheine nach seinen jetzigen Weg nicht zum erstenmal zurücklegte, befand sich soeben in der Nähe einer Felsklippe, welche er umklettern mußte. Konnte ich dieselbe vor ihm erreichen, so mußte er mir gerade in die Kugel laufen, und ich stieg deshalb kurz entschlossen nach oben. Hinter dem Felsblocke verborgen und von ihm gedeckt, konnte ich ihnen allen Trotz bieten und sie einzeln, wie sie kamen, auslöschen.

Kaum hatte ich den ersten Schritt getan, so fiel vom am Wassertore ein Schuß, welchem bald mehrere folgten. Ich begriff sofort die Klugheit der Indianer, welche einen Scheinangriff auf den Eingang vornahmen, um unsere Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Punkte der uns drohenden Gefahr abzulenken. Mit verdoppelter Eile und Anstrengung kletterte ich deswegen empor und war der Klippe schon so nahe, daß ich sie bereits mit der Hand erreichen konnte, als die lockere Steinmasse unter mir nachgab und ich kopfüber von Stein zu Stein, von Riff zu Riff den zurückgelegten Weg wieder hinunterstürzte und, unten angekommen, für einige Momente die Besinnung verlor.

Als ich wieder zu denken vermochte und die Augen öffnete, sah ich die ersten der Indsmen nur noch wenige Schritte von mir entfernt und sprang, obgleich furchtbar zerschlagen und zerquetscht, in die Höhe, feuerte die Schüsse des einen Revolvers rasch hintereinander auf die dunklen Gestalten ab, warf mich auf Swallow und galoppierte dem Feuer zu; – ich durfte das brave Pferd nicht irgend einer Gefahr aussetzen, indem ich es zurückließ.

Die Ponkas, welche sich nun doch bemerkt sahen, stießen ihren schon wiederholt vernommenen Schlachtruf aus und stürmten, wie sie einer nach dem anderen den Boden des Kessels erreichten, mir nach.

Am Lagerplatze vom Pferde springend, fand ich ihn von den Jägern verlassen; sie hatten sich am Eingange zusammengeschart und waren auf meine Schüsse hin eben nach der Richtung unterwegs, aus welcher sie dieselben gehört hatten. Ich wurde von ihnen mit hastigen Fragen empfangen.

»Die Indianer kommen,« rief ich; »rasch in die Höhlen!«

Es war dies das einzige Mittel, uns vom Untergange zu retten, mit welchem wir von der Übermacht bedroht waren. In den Höhlen waren wir sicher und konnten von ihnen aus nicht nur den Indsmen standhalten, sondern sie bis auf den letzten Mann niederschießen. Deshalb eilte ich schon während meines Rufes nach dem ›Boudoir‹, welches mir zur Schlafstelle gedient hatte; aber es war zu spät.

Die Rothäute waren mir auf dem Fuße gefolgt und ganz gegen ihre gewöhnliche Art und Weise, obgleich sie sich noch nicht gesammelt hatten, sofort auf die Jäger eingedrungen, welchen die unerklärliche Anwesenheit des Feindes so überraschend kam, daß sie erst an Abwehr dachten, als die feindlichen Waffen unter ihnen zu arbeiten begannen.

Vielleicht hätte ich meinen Zufluchtsort noch zu erreichen vermocht; aber ich sah Harry, Old Firehand und Will Parker vom Feinde bedroht und sprang ihnen zu Hilfe.

»Fort, fort, an die Felswand!« rief ich, mitten in den Knäuel hineinfahrend, so daß die Angreifer für einen Augenblick aus der Fassung gebracht wurden und wir Raum gewannen, das senkrecht aufsteigende Gestein zu erreichen, wo wir den Vorteil hatten, im Rücken gedeckt zu sein.

»Muß das sein, wenn ich mich nicht irre?« rief uns eine Stimme aus einem im Felsen befindlichen Risse entgegen, welcher gerade so breit war, daß sich ein Mann hineinzwängen konnte. »Nun ist Sam Hawkens, der alte Trapper, verraten!«

Das listige Männlein war der Einzige gewesen, der seine Geistesgegenwart bewahrt und die wenigen Sekunden benutzt hatte, sich zu salvieren. Leider machten wir ihm diese Bemühungen erfolglos, indem wir gerade den Ort, an welchem sich sein Versteck befand, zum Ziele unseres Laufes wählten. Trotzdem aber streckte er schleunigst die Hand nach Harry aus und faßte ihn beim Arme.

»Der kleine Sir mag mit hereinkommen in das Nest, meine ich; ist gerade noch Platz für ihn, wie mir scheint.«

Natürlich waren die Rothäute uns gefolgt und drangen mit wilder Energie auf uns ein, und ein Glück war es, daß infolge des Scheinangriffes die Jäger alle ihre Waffen bei sich führten. Freilich waren im Nahekampf die Büchsen vollständig nutzlos, desto erfolgreicher aber wütete das Schlachtbeil unter den Wilden.

Nur Hawkens und Harry machten Gebrauch von ihren Schießgewehren. Ersterer lud und letzterer, welcher vorn im Risse stak, gab die Schüsse ab, die zwischen Old Firehand und mir aus der Spalte hervorblitzten.

Es war ein wilder, grauenhafter Kampf, wie kaum die Phantasie ihn sich auszumalen vermag. Das halberloschene Feuer warf seinen flackernden, dunkelglühenden Schein über den Vordergrund des Tales, auf welchem sich die einzelnen kämpfenden Gruppen wie der Hölle entstiegene und einander zerfleischende Dämone abzeichneten. Durch das Geheul der Indianer drangen die ermunternden Rufe der Trapper und die scharfen, kurzen Laute der Revolverschüsse; der Erdboden schien zu erzittern unter den schweren, stampfenden Tritten der miteinander ringenden Feinde.

Es blieb uns kein Zweifel darüber, daß wir verloren seien. Die Zahl der Ponkas war eine zu bedeutende, als daß wir hoffen durften, uns gegen sie zu halten. Eine zufällige Wendung zu unsern Gunsten war ebensowenig zu erwarten wie die Möglichkeit, uns durchzuschlagen, und deshalb hegte ein jeder die vollständige Überzeugung, daß er in kurzer Zeit aufgehört haben werde, zu den Lebenden zu gehören. Aber nicht umsonst wollten wir sterben, und wenn wir uns auch in das uns bestimmte Schicksal ergaben, so wehrten wir uns doch nach allen Kräften und mit derjenigen Kaltblütigkeit, welche dem Weißen ein so großes Übergewicht über den roten Bewohner der amerikanischen Steppen gibt.

Mitten in dem blutigen Ringen gedachte ich des alten Elternpaares, welches ich in der Heimat zurückgelassen hatte und dem nun keine Kunde mehr von dem in die Ferne gezogenen Sohne zukommen sollte, gedachte – doch nein, ich warf diese Gedanken alle von mir, denn der gegenwärtige Augenblick erforderte nicht nur die kräftigste körperliche Anstrengung, sondern auch die größte geistige Aufmerksamkeit.

Hätte ich meinen Stutzen gehabt! Aber der lag in der Kammer, die ich nicht hatte erreichen können. Ich hatte vorhergesehen, wie es kommen werde, hatte geraten und gewarnt, und nun mußte ich die Fehler der Andern mitbüßen. Es überkam mich ein noch nie gefühlter Ingrimm und eine Erbitterung, welche meine Kräfte verdoppelte, so daß ich den Tomahawk mit solcher Nachdrücklichkeit handhabte, daß es anerkennend aus der Spalte scholl:

»Recht so, Sir, recht so! Sam Hawkens und Ihr, das paßt zusammen, meine ich. Schade, daß wir ausgelöscht werden! Könnten noch manches Rattenfell mit einander holen, wenn ich mich nicht irre.«

Wir kämpften still und lautlos; es war eine ruhige, aber desto fürchterlichere Arbeit, und die Worte des kleinen Fallenstellers wurden deshalb deutlich gehört. Auch Will Parker hatte sie vernommen und rief, trotz der gestern erhaltenen Verletzungen mit der umgedrehten Büchse die wuchtigsten Hiebe austeilend:

»Sam Hawkens, blick hierher, altes Coon, wenn du sehen willst, wie es zu machen ist. Heraus aus dem Loche mit dir, und sage, ob das Greenhorn – hahaha, Will Parker ein Greenhorn, hörst du es, Sam Hawkens? – ob das Greenhorn etwas gelernt hat?«

Kaum zwei Schritte von meiner Rechten entfernt stand Old Firehand. Die Art und Weise, wie er mit beiden Händen im Leben der ihn umdrängenden Gegner wühlte, flößte mir die größte Bewunderung ein. Über und über mit Blut bespritzt, lehnte er an der Felsenmauer. Die langen, grauen Haare hingen in zusammengeklebten Strähnen von seinem Kopfe; die ausgespreizten Beine schienen in der Erde zu wurzeln, und in der einen Faust das schwere Beil, in der andern das scharfe, leichtgekrümmte Messer, hielt er die mächtig an ihn Drängenden von sich ab. Noch mehr als ich war er mit Wunden bedeckt; aber noch hatte keine derselben ihn zum Falle gebracht, und ich mußte immer wieder von neuem meinen Blick auf seine hohe, reckenhafte Gestalt richten.

Da entstand eine Bewegung in dem Knäuel der Rothäute, und Parranoh erschien, sich eine Bahn durch ihre dichte Menge brechend. Kaum erblickte er Firehand, so rief er:

»Endlich habe ich dich; denk an Ribanna, und stirb!«

Er wollte sich an mir vorüber auf ihn stürzen; da packte ich ihn bei der Schulter und holte zum tödlichen Hiebe aus. Mich erkennend, sprang er zurück, so daß mein Tomahawk die Luft durchsauste.

»Auch du?« brüllte er. »Dich muß ich lebendig haben. Gebt ihm ein Lariat!«

An mir vorbeispringend, noch ehe ich das Beil wieder schwingen konnte, erhob er die Pistole; der Schuß krachte; Old Firehand schlug die Arme weit auseinander in die Luft, sprang mit einem mächtigen, krampfhaften Satze vorwärts mitten unter die Feinde und stürzte dann lautlos zusammen.

Es war mir, als sei die Kugel in meine Brust gefahren, so durchzuckte mich der Fall des Helden; ich schlug den Indianer, mit welchem ich es in diesem Augenblicke zu tun hatte, nieder und wollte auf Parranoh los, als ich eine dunkle Gestalt bemerkte, welche sich mit schlangenhafter Behendigkeit durch die Feinde wand und gerade vor dem Mörder die geschmeidigen Glieder in die Höhe streckte.

»Wo ist die Kröte von Atabaskah? Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen, zu rächen den Tod seines weißen Bruders!«

»Ha, der Hund von Pimo! Fahr’ zum Teufel!«

Mehr hörte ich nicht. Der Vorgang hatte meine Aufmerksamkeit in so hohem Grade in Anspruch genommen, daß ich die Verteidigung meiner selbst versäumte. Eine Schlinge legte sich mir um den Hals, ein Ruck – zu gleicher Zeit fühlte ich einen schmetternden Schlag auf den Kopf, und ich verlor das Bewußtsein. -

Als ich erwachte, war es vollständig dunkel und still um mich, und ich besann mich vergebens auf die Art und Weise, wie ich in diese Finsternis gekommen sei. Ein brennender Schmerz, welchen ich im Kopfe fühlte, erinnerte mich endlich an den empfangenen Schlag, und nun reihten sich die Einzelheiten des Vergangenen zu einem vollständigen Bilde des Geschehenen aneinander. Zu dem erwähnten Schmerze kam noch die Qual, welche mir von den empfangenen Wunden und den Fesseln verursacht wurde, die man mir mit raffinierter Festigkeit um die Hände und Füße gelegt hatte, so daß sie mir tief in das Fleisch einschnitten und ich kaum zu irgend welcher Bewegung fähig war.

Da hörte ich ein Geräusch neben mir, als ob ein Mensch sich räuspere.

»Ist noch jemand hier?« fragte ich.

»Hm, freilich! Fragt der Mann gerade so, als ob Sam Hawkens Niemand wäre, wenn ich mich nicht irre.«

»Ihr seid es, Sam? Sagt doch um aller Welt willen, wo wir sind!«

»So leidlich unter Dach und Fach, Mann. Haben uns in die Lederhöhle gesteckt; wißt’s schon, wo die Felle lagen, meine ich, die wir so schön vergraben haben. Sollen aber keines finden, sage ich, keines!«

»Und wie ist es mit den Anderen?«

»Passabel, Sir. Old Firehand ist ausgelöscht, Dick Stone ist ausgelöscht, Will Parker ist ausgelöscht – war doch ein Greenhorn, der Mann, hihihi, ein Greenhorn, sage ich, wollt’s aber nicht glauben, wenn ich mich nicht irre – Bill Bulcher ist ausgelöscht, Harry Korner ist ausgelöscht, alle, alle sind ausgelöscht, nur Ihr brennt noch und der Apache; auch der kleine Sir lebt ein wenig, wie mir scheint – und Sam Hawkens, hm, vielleicht haben sie auch ihn noch nicht ganz ausgelöscht, hihihihi!«

»Wißt Ihr es gewiß und wahrhaftig, daß Harry wirklich noch lebt, Sam?« fragte ich angelegentlich.

»Denkt Ihr wohl, daß so ein alter Skalper nicht weiß, was er sieht, Mann? Haben ihn da neben uns gesteckt in das andere Loch und Euren roten Freund dazu. Wollte gern auch mit da hinein, habe aber keine Audienz bekommen, wie mir scheint.«

»Wie steht es mit Winnetou?«

»Loch an Loch, Sir! Wird, wenn er davonkommt, aussehen wie der alte Rock, in welchen sie Sam Hawkens so vorsichtig eingeschnallt haben: Flick an Flick und Fleck auf Fleck.«

»An das Davonkommen ist wohl nicht zu denken. Aber wie kam er lebendig in ihre Hände?«

»Gerade so wie Ihr und ich. Hat sich gewehrt wie ein Heide – hm, ist doch wohl auch einer, wenn ich mich nicht irre, hihihi – wollte lieber untergehen, als sich am Pfahle braten lassen, half aber nichts; wurde doch niedergeschlagen und halb entzwei gerissen. Nicht davonkommen wollt Ihr? Sam Hawkens hat große Lust dazu, wie mir scheint.«

»Was tut man mit der Lust, wenn es nicht möglich ist.«

»Nicht möglich? Hin, klingt gerade wie Will Parker! Sind gute Leute, die Roten, gute Leute; haben dem alten Coon hier alles genommen; alles, die Pistole, die Pfeife – hihihi, werden sich wundern, wenn sie daran riechen; duftet ganz wie Skunk! Wird ihnen aber gerade lieb sein – auch die Liddy ist zum Teufel – die arme Liddy; was für ein Schakal wird sie nun wohl nehmen! – und der Hut und die Haube – werden sich wundern über den Skalp, hihihi, kostete mich drei dicke Bündel Dickschwanzfelle damals in Tekama; wißt’s ja schon, meine ich – aber das Messer haben sie ihm gelassen, dem Sam Hawkens; steckt im Ärmel. Der alte, graue Bär da steckte es hinein, als er merkte, daß es mit dem Quartiere in der Ritze vorüber sei.«

»Das Messer habt Ihr noch? Werdet wohl nicht gut dazu kommen können, Sam!«

»Meine es auch, Sir; müßt dem Sohne meiner Mutter schon ein wenig helfen!«

»Komme gleich! Wollen sehen, was in dieser Sache zu tun ist.«

Noch hatte ich nicht begonnen, mich zu ihm hinzuwälzen, die einzige Bewegung, durch welche es mir möglich war, an ihn zu kommen, als die Felltüre geöffnet wurde und Parranoh mit einigen der Indianer eintrat. Er hielt den Feuerbrand, welchen er in der Hand trug, so, daß der Schein desselben uns überleuchtete. Ich gab mir nicht die Mühe, für noch bewußtlos zu gelten, würdigte ihn aber keines einzigen Blicks.

»Da haben wir dich ja endlich!« knirschte er mich an. »Bin dir bisher ein Kleines schuldig geblieben, sollst dich aber nun jetzt nicht zu beklagen haben. Kennst du den da?«

Er hielt mir einen Skalp vor das Gesicht; es war derjenige, welchen Winnetou ihm selbst genommen hatte. Er wußte also, daß ich es war, der ihn damals niederstach. Der Apache hatte ihn nicht darüber aufgeklärt, des war ich sicher, da ich wußte, er werde jede an ihn gerichtete Frage mit stolzem Schweigen beantworten, aber Finnetey hatte mich an jenem Abende vielleicht beim Scheine des Feuers bemerkt oder im Augenblicke unseres Zusammenprallens einen Blick in mein Gesicht geworfen. Als ich nicht antwortete, fuhr er fort:

»Sollt es auch erfahren, ihr alle, wie es ist, wenn man die Haut über die Ohren gezogen bekommt; wartet nur ein wenig, bis es Tag geworden ist; sollt eure Freude an meiner Dankbarkeit erleben!«

»Wird euch nicht so wohl werden, wie mir scheint!« meinte Hawkens, der es nicht über das Herz bringen konnte, ruhig zu sein. »Wäre doch neugierig, welche Haut dem alten Sam Hawkens über das Ohr gezogen werden sollte; habt die meinige ja schon in den Händen, ist vom Hair-dresser gemacht worden – wie hat Euch die Arbeit gefallen, alter Yambarico?«

»Schimpfe nur zu! Wirst schon noch Haut genug haben, um geschunden werden zu können.« Und nach einer Pause, während welcher er unsere Fesseln besichtigt hatte, fragte er:

»Habt wohl nicht geglaubt, daß Tim Finnetey Eure Mausefalle hier kennt? War in dem Tale, noch ehe der – der Hund von Firehand, verdamme seine Seele, etwas von ihm geahnt hat, und wußte auch, daß ihr euch hergemacht hattet, Der da hat mir’s erzählt!«

Er zog ein Messer aus dem Gürtel und hielt den hölzernen Griff desselben vor Sams Augen. Dieser warf einen Blick auf die eingeschnittenen Buchstaben und rief:

»Fred Owins? Hm, war ein Halunke allezeit! Will wünschen, daß er das Messer hat selber kosten müssen.«

»Keine Sorge, Mann! Dachte, sich mit dem Geheimnisse loszukaufen, war aber nichts, haben ihm Leben und Haut genommen, gerade so, wie ihr es auch erfahren sollt, nur umgedreht, erst die Haut und dann das Leben.«

»Macht, was Ihr wollt! Sam Hawkens ist mit seinem Testamente fertig; hat Euch das Ding vermacht, das sie Perücke nennen, wenn ich mich nicht irre. Könnt’s gut gebrauchen, hihihi!«

Parranoh versetzte ihm einen Fußtritt und schritt, gefolgt von seinen schweigsamen Begleitern, wieder hinaus.

Eine Weile verhielten wir uns schweigend und bewegungslos; dann aber, als wir uns sicher glaubten, warfen wir uns gegenseitig herum, so daß wir endlich hart nebeneinander zu liegen kamen. Obgleich mir die Hände fest aneinander gebunden waren, gelang es mir doch, das Messer aus seinem Ärmel zu ziehen, und mit Hilfe desselben ihm die Armfesseln zu durchschneiden. Dadurch bekam er die Hände frei, und einige Augenblicke später standen wir mit ungebundenen Gliedern aufrecht vor einander und frottierten uns die durch die Bande taub gewordenen Körperteile.

»So recht, Sam Hawkens; scheinst mir kein so unebenes Geschöpf zu sein!« belobte sich der kleine Mann selbst. »Hast zwar schon in mancher schlimmen Patsche gesteckt; aber so bös ist es doch noch nie gewesen wie heute. Soll mich verlangen, wie du die Ohren aus der Mütze bringen wirst, wenn ich mich nicht irre!«

»Laßt uns vor allen Dingen sehen, wie es draußen steht, Sam!«

»Meine es auch, Sir; ist das Notwendigste.«

»Und dann vor allen Dingen Waffen. Ihr habt ein Messer, ich aber bin vollständig leer.«

»Wird sich schon was finden lassen!«

Wir traten an die Tür und zogen die beiden Felle, welche als Portièren dienten, ein wenig auseinander.

Eben brachten einige der Indianer die beiden Gefangenen aus der Nebenhöhle gezogen, und vom Lagerplatze kam Parranoh herbeigeschritten. Es war jetzt schon ziemlich hell geworden, so daß wir das Tal vollständig überblicken konnten. Nicht weit vom Wassertore entfernt war Swallow mit dem von dem armen Will Parker erbeuteten Braunen in Zwist geraten, und der Anblick des mir an das Herz gewachsenen Tieres ließ mich auf eine Flucht zu Fuße, die jedenfalls die geratenste war, sofort verzichten. In nicht gar zu großer Entfernung davon graste der starkknochige und ausdauernde Klepper Winnetous, ein Pferd, welchem sein Wert nur schwerlich anzusehen war, und wenn es uns gelang, zu einigen Waffen zu kommen, und die Tiere zu erreichen, so war es vielleicht möglich, zu entfliehen.

»Seht Ihr etwas, Sir?« kicherte Hawkens.

»Was?«

»Hm, da drüben den alten Burschen, welcher sich so behaglich im Grase wälzt.«

»Sehe ihn.«

»Und auch das Ding, das daneben am Steine lehnt?«

»Auch das.«

»Hihihi, legt dem alten Coon da das Schießholz so mundrecht in den Weg! Wenn ich wirklich Sam Hawkens heiße, so muß das auch die Liddy sein, meine ich, und einen Kugelbeutel wird der Mann wohl auch haben!«

Ich konnte nicht viel auf die Freude des kleinen Helden achten, denn Parranoh nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Leider war es mir nicht möglich, zu verstehen, was er zu den beiden Gefangenen sprach, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe er von ihnen ging; aber seine letzten Worte, welche er mit erhobener Stimme sprach, vermochte ich deutlich zu hören, und sie klärten mich auf über den Inhalt seiner ganzen Rede.

»Mach dich gefaßt, Pimo! Der Pfahl wird eben eingeschlagen, und du,« – setzte er, sich mit einem haßerfüllten Blicke zu Harry wendend, hinzu – »wirst an seiner Seite gebraten.«

Er gab seinen Leuten einen Wink, die Gefesselten nach dem Platze zu bringen, an welchem sich die Indsmen um das jetzt wieder helllodernde Feuer gelagert hatten, und schritt dann in hochaufgerichteter und würdevoller Haltung davon.

Jetzt galt es, schleunigst zu handeln, denn waren die Beiden einmal in die Mitte der Versammlung gebracht, so war keine Hoffnung mehr, zu ihnen zu kommen.

»Sam, kann man sich auf Euch verlassen?« fragte ich.

»Hm, weiß es nicht, wenn Ihr’s nicht wißt! Müßt’s ‘mal probieren, wie mir scheint.«

»Ihr nehmt den rechts und ich den Linken. Dann rasch die Riemen entzwei!«

»Und dann zu Liddy, Sir!«

»Seid Ihr fertig?«

Er nickte mit einem Ausdrucke im Gesichte, dem man deutlich das Vergnügen an dem bevorstehenden Streiche anmerkte.

»Nun, dann drauf!«

Mit leisen, aber raschen Sprüngen schnellten wir hinter den die Gefangenen nach sich schleppenden Indianern her, und obgleich sie gezwungen waren, eine infolge ihrer Last gegen uns gewandte Haltung einzunehmen, gelang es uns doch, unbemerkt an sie zu kommen.

Sam stieß den einen von hinten mit so gut geführtem Stiche nieder, daß der Getroffene lautlos zusammenbrach; ich aber riß, da ich vollständig waffenlos war, dem Andern zuerst das Messer aus dem Gürtel, und zog es ihm dann mit solchem Drucke durch die Kehle, daß der Schrei, welchen er auszustoßen im Begriffe gestanden hatte, als ein pfeifendes Gurgeln sich durch die Schnittwunde drängte und er ebenfalls niedersank.

Einige rasche Schnitte befreiten die Gebundenen von ihren Fesseln, so daß sie sich frei sahen, noch ehe bei der Raschheit des ganzen Vorganges derselbe von irgend jemand bemerkt worden war.

»Vorwärts; holt euch Waffen!« rief ich, da ich wohl einsah, daß ohne dieselben ein Entkommen nicht denkbar war, riß dem von mir Getöteten den Schießbeutel vom Leibe und stürmte Winnetou nach, weicher in richtiger Erfassung der Umstände nicht nach dem Tore zu, sondern mitten unter die am Feuer Lagernden hineinsprang.

Wie in jedem Augenblicke, in dem es sich um Tod und Leben handelt, der Mensch ein ganz Anderer ist als sonst, so gab auch uns die Erwägung dessen, was auf dem Spiele stand, die notwendige Behendigkeit. Noch ehe sich die Überfallenen besonnen hatten, waren wir schon, die ihnen entrissenen Waffen in der Hand, zwischen ihnen hindurch.

»Swallow, Swallow!« rief ich dem Pferde zu, saß wenige Augenblicke später auf seinem Rücken, sah Winnetou auf das seinige springen und Hawkens den ersten besten Spritzer besteigen.

»Herauf zu mir, um des Himmels willen rasch!« bedeutete ich Harry, welcher vergebens versuchte, auf Finneteys Braunen zu kommen, welcher wie rasend um sich schlug. Ich ergriff ihn beim Arme, riß ihn zu mir empor und wandte nach dem Ausgange um, durch welchen soeben Sam verschwand.

Es war ein Moment der höchsten Aufregung. Wütendes Geheul erfüllte die Luft; Schüsse krachten; Pfeile schwirrten um uns, und dazwischen tönte das Getrappe und Schnauben der Pferde, auf welche sich die Wilden warfen, um uns zu verfolgen.

Ich war der hinterste von uns Dreien und kann unmöglich sagen, wie ich durch den engen, gewundenen Paß hinaus ins Freie kam, ohne von dem Feinde erreicht zu werden. Hawkens war nicht mehr zu sehen; Winnetou bog rechts in das Tal hinab, welches wir vor einigen Tagen bei unserer Ankunft heraufgeritten waren, und blickte sich dabei nach mir um, ob ich ihm folgen werde.

Eben standen wir im Begriffe, die Biegung zurückzulegen, da fiel hinter uns ein Schuß, und ich fühlte, wie Harry zusammenzuckte. Er war getroffen worden.

»Swallow, mein Swallow, greif aus!« ermunterte ich in höchster Angst das Tier, und in demselben rasenden Laufe wie damals nach der Explosion in New-Venango schoß es vorwärts.

Als ich mich umblickte, sah ich Parranoh auf seinem Mustang dicht hinter mir; die Anderen waren mir durch die Krümmungen des Weges versteckt. Obgleich ich nur einen flüchtigen Blick auf ihn werfen konnte, bemerkte ich doch den wütenden Ingrimm, mit welchem er uns zu ereilen trachtete, und verdoppelte meine Zurufe an das brave Pferd, von dessen Schnelligkeit und Ausdauer alles abhing; denn wenn ich auch einen Kampf mit dem wilden Manne nicht scheute, so wurde ich doch durch den Knaben an jeder freien Bewegung verhindert und konnte nichts tun als nur vorwärts streben.

Wie im Sturme flogen wir an dem Laufe des Wassers entlang. Winnetous Fuchs schleuderte die langen, knochenstarken Glieder von sich, daß die Funken stoben und das lockere Geröll hinter ihm einen förmlichen Steinregen bildete. Swallow hielt ihm gleichen Schritt, obgleich er doppelte Last zu tragen hatte; aber, obwohl ich mich nicht mehr umblickte, wußte ich doch, daß Parranoh uns hart auf den Fersen blieb; denn der Hufschlag seines Braunen ließ sich in steter Nähe vernehmen.

»Ihr seid verwundet, Harry?« fragte ich im vollen jagen.

»Ja.«

»Und gefährlich?«

Das lebenswarme Blut rann ihm aus seiner Wunde über meine Hand, mit welcher ich ihn um den Leib gefaßt hielt. Er war mir zu lieb geworden, als daß mich dies nicht mit der lebhaftesten Besorgnis erfüllt hätte.

»Werdet Ihr den Ritt aushalten können?«

»Ich hoffe es.«

Ich feuerte das Pferd zu immer rasenderem Laufe an. Es führte nicht umsonst den Namen ›Swallow‹. Wie eine Schwalbe flog es dahin; seine Hufe schienen kaum den Boden zu berühren.

»Haltet Euch nur fest, Harry. Wir sind schon halb gerettet!«

»Es liegt mir nichts am Leben. Laßt mich immerhin herunterfallen, wenn meine Last Euch hindert, zu entkommen!«

»Nein, nein, Ihr sollt leben. Ihr habt ein Anrecht dazu!«

»Jetzt nicht mehr, da der Vater tot ist. Ich wollte, ich wäre mit ihm gefallen!«

Eine Pause folgte, während welcher wir unseren Lauf oder vielmehr unseren Flug fortsetzten.

»Ich bin schuldig an seinem Tode,« klagte sich jetzt der Knabe an. »Wäre ich Euch gefolgt, so wäre Parranoh in der ›Festung‹ niedergeschossen worden, und die Indsmen hätten ihn nicht getötet!«

»Laßt das Geschehene. Wir haben mit der Gegenwart zu tun!«

»Nein, laßt mich herab. Parranoh bleibt zurück und wir können Atem holen!«

»So wollen wir’s versuchen!«

Mit dem festen Vorsatze, Stich zu halten, blickte ich zurück.

Längst hatten wir den Lauf des Wassers verlassen und waren in die freie Ebene eingebogen, über welche wir parallel mit dem Saume des uns zur Linken liegenden Waldes dahinflogen. Parranoh war jetzt eine ziemliche Strecke zurückgeblieben, und Swallow bewies sich also dem Braunen weit überlegen. Hinter dem weißen Häuptlinge, einzeln oder in kleinen Gruppen, folgten die Indianer, welche die Verfolgung nicht aufgeben wollten, trotzdem wir immer größeren Vorsprung gewannen.

Mich wieder umdrehend, sah ich, daß Winnetou abgesprungen war und hinter seinem Pferde stand. Er lud die erbeutete Büchse. Auch ich parierte meinen Hengst. Ich ließ Harry niedergleiten, stieg nach und legte ihn in das Gras. Zum Laden blieb mir nicht mehr Zeit; denn Parranoh war schon zu nahe. Ich sprang also wieder auf und griff zum Tomahawk.

Der Verfolger hatte unsere Bewegung wohl bemerkt, ließ sich aber von der Hitze fortreißen und stürmte, das Schlachtheil schwingend, auf mich ein. Da krachte der Schuß des Apachen; der Feind zuckte zusammen und stürzte, zu gleicher Zeit von meiner Waffe getroffen, mit tief gespaltenem Haupte vom Pferde.

Winnetou wandte den leblosen Körper mit dem Fuße um und sprach:

»Die Schlange von Atabaskah wird nicht mehr zischen und den Häuptling der Apachen nennen mit dem Namen eines Pimo. Mein Bruder nehme seine Waffen zurück.«

Wirklich trug der Gefallene Messer, Beil, Revolver und Stutzen von mir; ich nahm eiligst mein Eigentum wieder an mich und sprang zu Harry zurück, während Winnetou den Braunen einfing.

Die Indsmen waren uns fast so nahe gekommen, daß sie uns mit ihren Kugeln erreichen konnten. Wir saßen wieder auf und fort ging es mit erneuter Schnelligkeit.

Da plötzlich blitzte es zu unserer Linken hell und glänzend auf wie Waffenschimmer; eine zahlreiche Truppe Reiter flog von dem Waldessaume her zwischen uns und die Verfolger hinein, schwenkte gegen diese um und stürmte in gestreckten Galopp ihnen entgegen.

Es war ein Detachement Dragoner von Wilkes Fort. Kaum hatte Winnetou die Helfer erblickt, so riß er seinen Gaul herum, schoß an ihnen vorüber und mit hochgeschwungenem Tomahawk unter die Ponkas hinein, welche kaum Zeit gehabt hatten, den Lauf ihrer Pferde zu hemmen. Ich hingegen stieg ab, um nach der Wunde Harrys zu sehen.

Sie war nicht gefährlich. Ich zog das Messer und schnitt, da mir nichts anderes zur Verfügung stand, einen Streifen meines Jagdhemdes los, mit Hilfe dessen ich in der Eile einen notdürftigen Verband anlegte, um wenigstens die Blutung zu stillen.

»Werdet Ihr aufsitzen können, Harry?« fragte ich.

Er lächelte und trat zu dem Braunen, dessen Zügel mir Winnetou im Vorübersprengen zugeworfen hatte. Mit einem Sprunge saß er oben.

»Nun das Blut nicht mehr fließt, fühle ich von der Wunde nichts mehr. Dort fliehen die Roten. Vorwärts, ihnen nach, Sir!«

Es war so, wie er sagte. Ihres Anführers beraubt, dessen Zuruf sie zum Widerstande ermutigt oder wenigstens ihre Flucht geregelt hätte, jagten sie, die Dragoner immer in ihren letzten Gliedern, denselben Weg zurück, welchen wir gekommen waren, und es war also zu vermuten, daß sie in unserem Talkessel ihre Zuflucht suchen wollten.

Jetzt ließen wir wieder ausgreifen, schossen an den zahlreich am Boden liegenden gefallenen Indianern vorüber und erreichten infolge der Schnelligkeit unserer Tiere die Soldaten noch eine ziemliche Strecke vor dem Wassertore.

Es kam sehr viel darauf an, die Wilden sich nicht in der Felsenwindung festsetzen zu lassen, sondern gleich mit ihnen einzudringen; deshalb trieb ich Swallow durch Busch und Dorn, über Stock und Stein an der ganzen Reihe der Verfolgenden vorüber und war bald an der Seite Winnetous, welcher sich immerfort würgend an die Fersen der Flüchtenden geheftet hatte.

Jetzt bogen sie links nach dem Tore ein, und eben wollte der vorderste sein Pferd in die Enge lenken, als aus derselben ein Schuß fiel und er leblos vom Tiere stürzte. Sofort krachte es zum zweitenmal; der nächste ward bügellos, und da die bestürzten Wilden sich auf diese Weise den Eingang verwehrt und zu gleicher Zeit von uns fast umzingelt sahen, so brachen sie in der Richtung nach dem Mankizila durch und flohen, immer wieder verfolgt von den Dragonern, dem Wasserlaufe entlang davon.

Nicht geringer als die Bestürzung der Wilden war auch mein Erstaunen über die Schüsse, welche unsere Absicht so kräftig unterstützten oder vielmehr unnötig machten. Aber ich sollte nicht lange im Zweifel über den mutigen Schützen sein, denn noch war der Hufschlag der Davonreitenden nicht verhallt, so lugte aus einem Walde von struppigen Barthaaren eine gewaltige Nase, über welcher ein Paar kleine, listige Äuglein funkelten, vorsichtig hinter der Felskante hervor, und da kein feindliches Wesen zu bemerken war, so schoben sich die übrigen Körperteile vertrauensvoll hinter dem rekognoszierenden Riechorgane her.

»Segne meine Augen, Sir! Welche Büchse hat denn auch Euch wieder hierhergeschossen, wenn ich mich nicht irre?« fragte der kleine Mann, ebenso erstaunt über meinen Anblick, wie ich über den seinen.

»Sam, Ihr seid’s? Wie kommt denn Ihr in das Tor? Habe Euch doch mit diesen meinen eigenen Augen fortreiten sehen!«

»Fortreiten, Sir? Danke für den Ritt! War eine Bestie, die gar nicht von der Stelle kam und ihre alten Knochen mir so zwischen den Beinen herumschüttelte, daß diesem alten Coon die seinigen auseinander gegangen wären, wenn er das dumme Tier nicht hätte laufen lassen. Bin dann wieder zurückgeschlichen, hihihi; dachte mir, daß die Roten alle hinter euch her seien und die ›Festung‹ leer gelassen haben würden, wie mir scheint. Fand es auch so. Haben sich schön gewundert, als sie wieder zurückkamen, und machten Gesichter, meine ich, Gesichter, hihihi! Aber wo bringt Ihr denn die Kommißleute her, Sir?«

»Wir werden wohl erfahren, welche Absicht sie grad jetzt, so sehr zur richtigen Zeit, in diese abgelegene Gegend führt. Ihr plötzliches Erscheinen kommt mir wie ein Wunder vor, und ich möchte fast sagen, daß sie uns gerettet haben.«

»Das sage ich nicht. Old Shatterhand, Winnetou und Sam Hawkens sind Leute, die sich selbst zu retten verstehen. Aber um diesen roten Ponkas für lange Jahre einen Denkzettel anzuhängen, dazu kamen sie grad zum rechten Augenblicke. Meint Ihr, daß wir ihnen jetzt gleich nachreiten?«

»Wozu? Sie werden auch ohne uns mit den Indsmen fertig. Das hat Winnetou auch gedacht, denn er ist mit Harry hinein in das ›Schloß‹ geritten. Wollen auch hinein, um nach unsern Toten zu sehen.«

Als wir den Eingang passiert hatten und in dem für uns so verhängnisvoll gewordenen Talkessel ankamen, sahen wir an der Stelle, wo in der vergangenen Nacht der Kampf stattgefunden hatte, Winnetou und Harry mit der Leiche Old Firehands beschäftigt. Der weinende Harry hielt den Kopf seines Vaters im Schoße, und der Apache untersuchte die Schußwunde. Grad als wir hinkamen, hörten wir Winnetou rufen:

»Uff, uff, uff! Er ist noch nicht tot – er lebt!«

Das war ein Wort, welches uns förmlich elektrisierte. Harry jauchzte vor Freude hell auf. Wir beteiligten uns natürlich an den Bemühungen des Apachen und hatten wirklich die Genugtuung, daß Old Firehand nach einiger Zeit die Augen öffnete. Er erkannte uns und hatte für seinen Sohn ein leises Lächeln; sprechen aber konnte er nicht; das Bewußtsein schwand ihm sehr bald wieder. Ich untersuchte ihn auch. Die Kugel war ihm rechtsseitig vorn in die Lunge gedrungen und hinten wieder hinausgegangen, eine sehr schwere und mit vielem Blutverluste verbundene Verwundung; aber trotzdem und obgleich er erst vor kurzem an der Bahn verwundet worden war, stimmte ich der Meinung des Apachen bei, daß der Blessierte infolge seiner mehr als kräftigen Natur bei allerdings außerordentlich sorgfältiger Behandlung zu retten sein werde. Er wurde nach Winnetous bewährter Weise verbunden und erhielt ein so vorzügliches Lager, wie die Örtlichkeit und die Umstände es gestatteten.

Dann konnten wir an uns selbst auch denken; es war von uns keiner ohne Verletzung davon gekommen, und so flickten wir einander zusammen, so gut es gehen wollte. Die Andern aber hatten die Mißachtung meiner Warnung alle mit dem Tode bezahlt.

Gegen Mittag stellten sich die Dragoner ein. Sie hatten die Ponkas vollständig zu Paaren getrieben und dabei keinen einzigen Mann eingebüßt. Der kommandierende Offizier teilte uns mit, daß ihr Erscheinen kein zufälliges gewesen sei. Er hatte gehört, daß die Ponkas die Absicht gehabt hätten, den Zug entgleisen zu lassen, und sofort beschlossen, sie dafür zu züchtigen. Er war zu ihnen aufgebrochen und ihnen, als er hörte, daß sie einen Kriegs-und Rachezug unternommen hätten, auf dem Fuße gefolgt. Um seine Pferde ausruhen zu lassen, blieb er mit den Truppen drei Tage in dem Tale, während welcher Zeit die Toten beerdigt wurden, und lud uns ein, Old Firehand, sobald dieser den Transport aushalten könne, nach Wilkes Fort zu bringen, wo er wenn auch keine aufopferndere Pflege, so doch bessere ärztliche Behandlung finden werde. Wir sagten natürlich zu.

Daß mein alter Sam Hawkens über den Tod Dick Stones und Will Parkers tief betrübt war, versteht sich ganz von selbst. Er versicherte wiederholt, jeden Ponka, der ihm begegne, in Zukunft ohne Gnade erschießen zu wollen. Ich aber beurteilte auch diesen Fall anders: Parranoh war ein Weißer; ich stand also vor einer abermaligen Wiederholung meiner alten Erfahrung, daß der Indianer nur durch die Bleichgesichter das geworden ist, was er heute ist. – – -

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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