Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 33

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»Nun, das wird ja morgen früh der Fall sein.«

»Oder auch nicht. Es ist wohl möglich, daß wir morgen abend grad um diese Stunde in den ewigen Jagdgründen sowohl mit Apachen wie mit Comanchen einige Dutzend Biber fangen oder gar einen alten Büffelstier töten und verzehren.«

»Ist die Gefahr so nahe?«

»Ich denke es, und dazu habe ich zwei Gründe. Erstens liegen die nächsten Dörfer der Apachen nicht allzu weit von hier, und Winnetou darf doch die Comanchen nicht zu nahe an diese kommen lassen. Und zweitens führte dieser mexikanische Offizier Reden, welche mich irgend einen Streich für heute vermuten lassen.«

»Sehr wahrscheinlich. Wir können uns auf das Calumet der Comanchen und auch auf mein Totem verlassen, zumal Winnetou Euch kennt und auch mich bereits gesehen hat. Aber wer zwischen zwei Mühlsteine kommt, selbst wenn er von dem einzelnen Steine nichts zu befürchten hat, der wird eben zermahlen.«

»So gehen wir entweder nicht dazwischen, oder wir sorgen dafür, daß sie nicht anfangen, zu mahlen. Wir rekognoszieren jetzt. Vielleicht ist es trotz der Dunkelheit möglich, irgend etwas zu sehen, was meinen Gedanken eine kleine Erleichterung gibt. Kommt leise und langsam hinter mir her! Wenn ich nicht irre, so bin ich schon einmal in diesem Tale gewesen; darum kalkuliere ich, daß ich mich schnell zurechtfinden werde.«

Es zeigte sich so, wie er vermutet hatte. Wir befanden uns in einem kleinen, fast kreisrunden Talkessel, dessen Breite man sehr leicht in fünf Minuten durchlaufen konnte. Er hatte einen Eingang, durch welchen wir gekommen waren, und einen Ausgang, welcher ebenso schmal wie der vorige war. Da hinaus waren die Kundschafter geschickt worden. In der Mitte des Tales befand sich das Comanchenlager. Die Wände des kleinen Kessels bestanden aus Fels, welcher steil anstieg und die Gewähr zu geben schien, daß niemand da weder hinauf noch herab, könne, Wir waren rundum gegangen und an den Posten vorübergekommen, welche sowohl am Ein-als auch am Ausgange standen. Jetzt näherten wir uns dem Lager wieder.

»Fatal!« brummte der Alte. »Wir stecken ganz richtig in der Falle, und es will mir kein Gedanke kommen, wie man sich da losmachen könne. Müßten es machen wie der Fuchs, der sich das Bein wegbeißt, mit dem er in das Eisen getappt ist.«

»Könnten wir den ›weißen Biber‹ nicht so weit bringen, daß er das Lager sofort verläßt, um ein anderes aufzusuchen?«

»Das wäre das einzige, was wir versuchen könnten. Aber ich glaube nicht, daß er darauf eingeht, ohne daß wir ihm sagen, daß er zwei Apachen bei sich hat. Und das wollen wir absolut vermeiden.«

»Vielleicht seht Ihr zu schwarz, Sir. Vielleicht sind wir hier ganz sicher. Die beiden Punkte, durch welche man herein kann, sind ja mehr als zur Genüge mit Wachen besetzt.«

»Ja, zehn Mann hüben und zehn Mann drüben, das sieht ganz gut aus. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir es mit einem Winnetou zu tun haben. Wie der sonst so kluge und vorsichtige ›weiße Biber‹ auf den dummen Gedanken gekommen ist, sich grad in so einem eingeschlossenen Tale festzusetzen, das ist ein Rätsel. Die beiden Apachenkundschafter müssen ihm ein ganz gewaltiges X für das richtige U aufs Kamisol geschrieben haben. Ich werde mit ihm sprechen. Sollte er bei seiner Meinung bleiben und es passiert etwas, so halten wir uns möglichst neutral. Wir sind Freunde der Comanchen, müssen uns aber auch hüten, einen Apachen zu töten. Na, da haben wir das Lager, und dort steht der Häuptling. Kommt mit hin zu ihm!«

Man erkannte gegen das Feuer hin den ›weißen Biber‹ an seinen Adlerfedern. Als wir zu ihm traten, fragte er:

»Hat mein Bruder sich überzeugt, daß wir uns in Sicherheit befinden?«

»Nein,« antwortete der Alte.

»Was hat er an diesem Ort auszusetzen?«

»Daß er einer Falle gleicht, in der wir alle stecken.«

»Mein Bruder irrt sich sehr. Dieses Tal ist keine Falle, sondern es gleicht ganz genau einem solchen Orte, den die Bleichgesichter Fort nennen. Es kann kein Feind herein.«

»Ja, zu den Eingängen vielleicht nicht, denn dieselben sind so eng, daß sie durch zehn Krieger leicht verteidigt werden können. Aber können die Apachen nicht an den Höhen herabsteigen?«

»Nein. Sie sind zu steil.«

»Hat mein roter Bruder sich hiervon überzeugt?«

»Sehr genau. Die Söhne der Comanchen sind am hellen Tage hierher gekommen. Sie haben alles untersucht. Sie haben die Probe gemacht, an dem Fels empor zu klettern; es ist ihnen nicht gelungen.«

»Vielleicht ist es leichter, von oben herab als von unten hinauf zu kommen. Ich weiß, daß Winnetou klettern kann wie das wilde Dickhornschaf der Berge.«

»Winnetou ist nicht hier. Die beiden Topias haben es mir gesagt.«

»Vielleicht haben sie sich geirrt; sie haben es vielleicht von jemand erfahren, der es selbst nicht genau wußte.«

»Sie haben es gesagt. Sie sind Feinde Winnetous, und ich glaube ihnen.«

»Aber, wenn es wahr ist, daß Winnetou auf Fort Inge war, so kann er nicht schon hier gewesen sein, seine Krieger gesammelt haben und sich bereits jenseits des Rio Conchos befinden. Mein Bruder möge die kurze Zeit mit dem langen Wege vergleichen.«

Der Häuptling senkte nachdenklich das Haupt. Er schien zu einem Resultate gekommen zu sein, welches mit der Meinung des Scout übereinstimmte, denn er sagte:

»Ja, die Zeit war kurz, und der Weg ist lang. Wir wollen die Topias noch einmal fragen.«

Er ging nach dem Lagerfeuer, und wir folgten ihm. Die Weißen blickten uns finster entgegen. Seitwärts von ihnen saßen Lange, sein Sohn und der Neger Sam. William Ohlert schrieb auf sein Blatt, taub und blind für alles Andere. Die vermeintlichen Topias blickten erst auf, als der Häuptling das Wort an sie richtete:

»Wissen meine Brüder ganz genau, daß – – -«

Er hielt inne. Von der Höhe des Felsens erklang das ängstliche Kreischen eines kleinen Vogels und gleich darauf der gierige Schrei einer Eule. Der Häuptling lauschte, Old Death auch. Als ob er damit spielen wolle, ergriff Gibson einen neben ihm liegenden Ast und stieß mit demselben in das Feuer, daß es einmal kurz und scharf aufflackerte. Er wollte es zum zweitenmal tun, wobei die Augen sämtlicher Weißen befriedigt auf ihn gerichtet waren; da aber tat Old Death einen Sprung auf ihn, riß ihm den Ast aus der Hand und rief drohend:

»Das laßt bleiben, Sir! Wir müssen es uns verbitten!«

»Warum?« fragte Gibson zornig. »Darf man nicht einmal das Feuer schüren?«

»Nein. Wenn da oben die Eule schreit, so antwortet man nicht hier unten mit diesem vorher verabredeten Zeichen.«

»Ein Zeichen? Seid Ihr denn toll?«

»Ja, ich bin so toll, daß ich einem jeden, der es wagt, noch einmal in dieser Weise in das Feuer zu stoßen, sofort eine Kugel durch den Kopf jagen werde!«

»Verdammt! Ihr gebärdet Euch ganz so, als ob Ihr hier der Herr wäret!«

»Der bin ich auch, und Ihr seid mein Gefangener, mit dem ich verteufelt kurzen Prozeß machen werde, wenn mir Eure Physiognomie nicht mehr gefällt. Bildet Euch ja nicht ein, daß Old Death sich von Euch täuschen läßt!«

»Das, das muß man sich bieten lassen? Müssen wir das wirklich, Sennores?«

Diese Frage war an die Andern gerichtet. Old Death hatte seine beiden Revolver in den Händen, ich ebenso. Im Nu standen die beiden Langes und Sam neben uns, auch mit den Revolvern. Wir hätten auf jeden geschossen, der so unvorsichtig gewesen wäre, nach seiner Waffe zu greifen. Und zum Überflusse rief der Häuptling seinen Leuten zu:

»Legt alle die Pfeile an!«

Im Nu hatten die Comanchen sich erhoben, und Dutzende von Pfeilen waren auf die Weißen gerichtet, welche inmitten der auf sie gerichteten Spitzen saßen.

»Da seht ihr es!« lachte Old Death. »Noch schützt euch das Calumet. Man hat euch sogar die Waffen gelassen. Aber sobald ihr nur die Hand nach einem Messer streckt, ist es aus mit dem Schutze, in welchem ihr noch steht.«

Da ertönte das Gekreisch und der Eulenruf abermals, hoch, grad wie vom Himmel herab. Die Hand Gibsons zuckte, als ob er nach dem Feuer greifen wolle; aber er wagte doch nicht, es zu tun. Nun wiederholte der Häuptling seine vorher unterbrochene Frage an die Topias.

»Wissen meine Brüder ganz genau, daß Winnetou sich jenseits des Conchos befindet?«

»Ja, sie wissen es, « antwortete der Ältere.

»Sie mögen sich besinnen, bevor sie mir Antwort geben!«

»Sie irren sich nicht. Sie waren in den Büschen versteckt, als er vorüberzog, und haben ihn gesehen.‹& Und nun fragte der Häuptling noch weiter und der Topia antwortete prompt. Schließlich sagte der ›weiße Biber‹:

»Deine Erklärung hat den Häuptling der Comanchen befriedigt. Meine weißen Brüder mögen wieder mit mir gehen!«

Diese Aufforderung war an Old Death und an mich gerichtet; aber der Erstere winkte den beiden Langes, mitzukommen. Sie taten es und brachten auch Sam mit.

»Warum ruft mein Bruder auch seine andern Gefährten herbei?« fragte der Häuptling.

»Weil ich denke, daß ich sie bald brauchen werde. Wir wollen in der Gefahr beisammenstehen.,‹

»Es gibt keine Gefahr.«

»Du irrst. Hat dich der Ruf der Eule nicht auch aufmerksam gemacht? Ein Mensch stieß ihn aus.”

»Der ›weiße Biber‹ kennt die Stimme aller Vögel und aller Tiere. Er weiß sie zu unterscheiden von den nachgemachten Tönen aus der Kehle des Menschen. Das war eine wirkliche Eule.«

»Und Old Death weiß, daß Winnetou die Stimmen vieler Tiere so getreu und genau nachahmt, daß man sie von den wirklichen nicht zu unterscheiden vermag. Ich bitte dich, vorsichtig zu sein! Warum schlug dieses Bleichgesicht in das Feuer? Es war ein verabredetes Zeichen, welches zu geben er beauftragt war.«

»So müßte er es mit den Apachen verabredet haben, und er kann doch mit ihnen nicht zusammengetroffen sein!«

»So hat es ein Anderer mit ihnen verabredet, und dieses Bleichgesicht hat den Auftrag erhalten, das Zeichen zu geben, damit der eigentliche Verräter sich durch dasselbe nicht vor euch bloßstelle.«

»Meinst du, daß wir Verräter unter uns haben? Ich glaube es nicht. Und selbst wenn dies der Fall wäre, so brauchten wir die Apachen nicht zu fürchten, denn sie können nicht an den ausgestellten Posten vorüber und auch nicht zu den Felsen herab.«

»Vielleicht doch. Mit Hilfe der Lassos können sie sich von Punkt zu Punkt herablassen, denn es ist – – – horch!«

Der Eulenruf erscholl abermals, und zwar nicht von der Höhe aus, sondern von weiter unten.

»Es ist der Vogel wieder, « meinte der Comanche ohne alle Beunruhigung. »Deine Sorge ist sehr überflüssig.«

»Nein. Alle Teufel! Die Apachen sind da, mitten im Tale. Hörst du?«

Von dem Ausgange des Tales her erscholl ein lauter, schriller, erschütternder Schrei, ein Todesschrei. Und gleich darauf erzitterte die stille Luft von dem vielstimmigen Kriegsgeheul der Apachen. Wer dasselbe auch nur ein einzigesmal vernommen hat, der kann es nie, nie wieder vergessen. Kaum war dieses Geschrei erschollen, so sprangen alle Weißen am Feuer auf.

»Dort stehen die Hunde,« rief der Offizier, indem er auf uns deutete. »Drauf auf sie!«

»Ja drauf!« kreischte Gibson. »Schlagt sie tot!«

Wir standen im Dunkeln, so daß sie ein sehr unsicheres Zielen hatten. Darum zogen sie es vor, nicht zu schießen, sondern sich mit hochgeschwungenen Gewehren auf uns zu werfen. Jedenfalls war dies vorher verabredet, denn ihre Bewegungen waren so schnell und sicher, daß sie nicht die Folge einer augenblicklichen Eingebung sein konnten. Wir standen höchstens dreißig Schritte von ihnen entfernt. Aber dieser zu durcheilende Raum gab Old Death Zeit zu der Bemerkung:

»Nun, habe ich nicht recht? Schnell in die Höhe mit den Gewehren! Wollen sie gehörig empfangen.«

Sechs Gewehre richteten sich auf die gegen uns Anstürmenden, denn auch der Häuptling hielt das seinige in der Hand. Unsere Schüsse krachten – zweimal aus den Doppelbüchsen. Ich hatte keine Zeit, zu zählen, wie viele getroffen niederstürzten. Auch die Comanchen waren aufgesprungen und hatten ihre Pfeile den Kerls von der Seite zu und in den Rücken geschickt. Ich sah nur noch, daß Gibson trotz seines auffordernden Rufes nicht mit auf uns eingedrungen war. Er stand noch am Feuer, hatte Ohlerts Arm ergriffen und bemühte sich, ihn vom Boden empor zu zerren, Mein Auge konnte diese beiden nur für einen Augenblick erfassen. Weitere Beobachtungen waren unmöglich, denn das Geheul war schnell näher gekommen, und jetzt drangen die Apachen auf die Comanchen ein.

Da der Schein des Feuers nicht weit genug reichte, so konnten die Ersteren nicht sehen, wie viel Feinde sie vor sich hatten. Die Letzteren standen noch immer im Kreise, doch wurde dieser augenblicklich durchbrochen und durch den Anprall auf der einen Seite aufgerollt. Schüsse krachten, Lanzen sausten, Pfeile schwirrten, Messer blinkten. Dazu das Geheul der beiden gegnerischen Scharen und der Anblick des Chaos dunkler, miteinander ringender Gestalten, welche das Aussehen wütender Teufel hatten! Allen Apachen voran war einer mit gewaltigem Stoße durch die Linie der Comanchen gedrungen. Er hatte in der Linken den Revolver und in der Rechten den hoch erhobenen Tomahawk. Während jede Kugel aus dem ersteren mit Sicherheit einen Comanchen niederstreckte, sauste das Schlachtbeil wie ein Blitz von Kopf zu Kopf. Er trug keine Auszeichnung auf dem Kopfe, auch war sein Gesicht nicht bemalt. Wir sahen dasselbe mit größter Deutlichkeit. Aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so hätte die Art und Weise, in welcher er kämpfte, und der Umstand, daß er einen Revolver hatte, uns erraten lassen, wer er sei. Der ›weiße Biber‹ erkannte ihn ebenso schnell wie wir.

»Winnetou!« rief er. »Endlich habe ich ihn! Ich nehme ihn auf mich.«

Er sprang von uns fort und in das Kampfgewühl hinein. Die Gruppen schlossen sich so dicht hinter ihm, daß wir ihm nicht mit den Augen folgen konnten.

»Was tun wir?« fragte ich Old Death. »Die Apachen sind in der Minderzahl, und wenn sie sich nicht schnell zurückziehen, werden sie aufgerieben. Wir müssen sie warnen; ich muß hin, um Winnetou herauszuhauen!«

Ich wollte fort; der Alte aber ergriff mich beim Arme, hielt mich zurück und sagte:

»Macht keine Dummheit! Wir dürfen nicht verräterisch gegen die Comanchen handeln, denn wir haben das Calumet mit ihnen geraucht. Übrigens braucht Winnetou Eure Hilfe nicht; er ist selber klug genug. Ihr hört es ja.«

Ich hörte allerdings die Stimme meines roten Freundes; er rief:

»Wir sind betrogen worden. Weicht schnell zurück! Fort, fort!«

Das Feuer war während des kurzen aber sehr energischen Kampfes fast ausgetreten worden; aber es erleuchtete die Umgegend doch immer noch so, daß ich sehen konnte, was geschah. Die Apachen zogen sich zurück. Winnetou hatte eingesehen, daß eine viel zu große Übermacht gegen ihn stand. Ich wunderte mich außerordentlich darüber, daß er, ganz gegen seine sonstige Art und Weise, nicht vorher rekognosziert hatte, um die Feinde zu zählen; der Grund wurde mir aber bald darauf bekannt.

Die Comanchen wollten nachdrängen, wurden aber durch die Kugeln der Apachen daran verhindert. Besonders fleißig hörte ich dabei den Knall von Winnetous Silberbüchse, welche er von seinem Vater geerbt hatte. Der ›weiße Biber‹ ließ das Feuer wieder nähren, so daß es heller wurde, kam zu uns und sagte:

»Die Apachen sind uns entkommen; aber morgen mit dem frühesten werde ich sie verfolgen und vernichten.«

»Meinst du, daß dir das wirklich gelingen werde?« fragte Old Death.

»Ganz gewiß! Denkt mein Bruder etwa anders als ich? So irrt er sich.«

»Hast du nicht, als ich dich vorhin warnte, auch gesagt, daß ich mich irre? Ich habe dieses Tal eine Falle genannt. Vielleicht wird es dir unmöglich, sie zu verlassen.«

»Laß nur den Tag erscheinen, dann sehen wir die Feinde, die wenigen, welche übrig geblieben sind, und werden sie schnell erlegen. Jetzt sind sie durch die Dunkelheit geschützt.«

»So ist es doch unnötig, auf sie zu schießen! Wenn ihr eure Pfeile verschossen habt, so gibt euch dieses Tal zwar Holz genug, neue zu fertigen; aber habt ihr auch Eisenspitzen dazu? Vergeudet eure Verteidigungsmittel nicht! Und wie sieht es mit den zehn Kriegern der Comanchen aus, welche den Eingang des Tales bewachten? Befinden sie sich noch dort?«

»Nein; sie sind hier. Der Kampf hat sie herbeigelockt.«

»So sende sie unverzüglich wieder hin, damit dir wenigstens der Rückzug offen bleibt!«

»Die Sorge meines Bruders ist ganz überflüssig. Die Apachen sind durch den Ausgang geflohen. Zum Eingange aber kann keiner gelangen.«

»Und doch rate ich dir, es zu tun. Die zehn Mann können dir hier nichts nützen; dort sind sie nötiger als hier.«

Der Häuptling folgte dieser Aufforderung, freilich mehr aus Achtung für Old Death als aus Überzeugung, daß diese Maßregel eine notwendige sei. Bald stellte es sich heraus, wie recht der Alte gehabt habe; denn als die zehn den betreffenden Befehl erhalten hatten und fort waren, ertönten vom Eingang des Tales her zwei Büchsenschüsse, welchen ein wildes Geheul antwortete. Einige Minuten später kehrten zwei von den zehn zurück, um zu melden, daß sie mit zwei Kugeln und vielen Pfeilen empfangen worden seien; sie beide seien die einzigen Übriggebliebenen.

»Nun, habe ich mich abermals geirrt?« fragte der Scout, »Die Falle ist hinten und vorn geschlossen, und wir stecken drin.«

Der ›weiße Biber‹ fand keine Erklärung. Er fragte im betroffenen Tone:

»Uff! Was soll ich tun?«

»Verschwende nicht die Kräfte und die Waffen deiner Leute! Stelle je zwanzig oder dreißig Mann gegen den Aus-und Eingang des Tales, um diese beiden Punkte bewachen zu lassen. Die übrigen Leute mögen sich zurückziehen, um zu ruhen, damit sie früh gute Kräfte haben. Das ist das Einzige und wohl auch das Beste, was man dir raten kann.«

Diesesmal befolgte der Häuptling den Rat sofort. Dann zählten wir die Gefallenen, und da dachte ich erst wieder an die Weißen. Nur die Toten lagen da; die Übrigen waren fort. Es fehlten mit Gibson und William Ohlert grad zehn Mann.

»Das ist schlimm!« rief ich aus. »Die Kerle haben sich zu den Apachen in Sicherheit gebracht.«

»Ja, und dort sind sie natürlich gut aufgenommen worden, da sie es mit den beiden Kundschaftern, den vermeintlichen Topias, gehalten haben.«

»So ist uns Gibson abermals verloren!«

»Nein. Wir haben das Totem des ›guten Mannes‹; die Apachen kennen mich; also versteht es sich ganz von selbst, daß wir von ihnen als Freunde aufgenommen werden. Dann werde ich es schon so weit bringen, daß Gibson und Ohlert uns ausgeliefert werden. Wir verlieren einenn Tag, das ist alles.«

»Aber wenn nun die Beiden sich auf und davon machen?«

»Das glaube ich nicht. Sie müßten quer durch die Mapimi, und das können sie nicht wagen… Aber, was ist denn das?«

Ein Haufe der Comanchen stand beisammen. Aus der Mitte desselben erklang ein markerschütterndes Stöhnen und Wimmern. Wir gingen hinzu und sahen einen Weißen, welcher nicht tot, sondern wieder zu sich gekommen war. Er hatte einen Lanzenstich durch den Unterleib erhalten, von hinten her, also von einem Comanchen, als die Weißen auf uns eindrangen.

Old Death kniete zu ihm nieder und untersuchte seine Wunde.

»Mann,« sagte er, »Ihr habt vielleicht noch zehn Minuten zu leben. Macht Euer Herz leicht, und geht mit keiner Lüge in die Ewigkeit. Ihr habt es mit den Apachen gehalten?«

»Ja,« antwortete der Gefragte wimmernd.

»Ihr wußtet, daß wir in dieser Nacht überfallen werden sollten?«

»Ja. Die beiden Topias hatten die Comanchen zu diesem Zwecke hierher geführt.«

»Und Gibson sollte das Zeichen mit dem Feuer geben?«

»Ja, Sir. Eigentlich mußte er so oft in das Feuer schlagen, als es hundert Comanchen waren. Dann hätte Winnetou sie nicht heute, sondern erst morgen an einem andern Orte angegriffen, weil er heute nur hundert Mann bei sich hatte. Morgen aber stoßen die Übrigen zu ihm.«

»Dachte es mir. Daß ich Gibson verhindert habe, noch viermal in das Feuer zu stöbern, hat die Apachen veranlaßt, uns jetzt schon zu überfallen. Nun aber haben sie die Ausgänge besetzt. Wir können nicht fort, und morgen wird sich dieses Tal zu einem offenen Grabe gestalten, in welchem wir langsam abgeschlachtet werden.«

»Wir werden uns wehren!« knirschte der Häuptling, welcher dabei stand, grimmig. »Dieser Verräter hier aber soll als räudiger Hund in die Jagdgründe gehen, um dort von den Wölfen gejagt zu werden, daß ihm der Geifer in Ewigkeit von der Zunge trieft.«

Er zog sein Messer und stieß es dem Verwundeten ins Herz.

»Torheit!« rief Old Death zornig. »Du brauchtest an ihm nicht zum Mörder zu werden.«

»Ich habe ihn getötet, und nun ist seine Seele die Sklavin der meinigen. Wir aber wollen jetzt Kriegsrat halten. Die Krieger der Comanchen haben nicht Lust, zu warten, bis die Hunde der Apachen in Menge herbeigekommen sind. Wir können noch heut in der Nacht durch den Ausgang dringen.«

Er setzte sich mit seinen Unteranführern an dem Feuer nieder. Old Death mußte auch teilnehmen. Ich saß mit Lange, dessen Sohn und dem Neger so weit vom Feuer entfernt, daß ich nichts hören konnte, da die Verhandlung in unterdrücktem Tone geführt wurde. Doch ersah ich aus den Zügen und lebhaften Handbewegungen des Scout, daß dieser nicht der Meinung der Indianer war. Er schien die seinige lebhaft zu verteidigen, doch ohne Erfolg. Endlich sprang er zornig auf, und ich hörte ihn sagen:

»Nun, so rennt in euer Verderben! Ich habe euch bereits wiederholt gewarnt, ohne gehört zu werden. Ich habe stets recht gehabt und werde es auch diesesmal haben. Macht, was ihr wollt. Ich aber und meine Gefährten, wir bleiben hier zurück.«

»Bist du zu feig, mit uns zu kämpfen?« fragte einer der Unteranführer.

Old Death machte eine heftige Bewegung gegen ihn und wollte ihm eine strenge Antwort geben, besann sich aber und sagte ruhig.-

»Mein Bruder muß erst seinen Mut beweisen, bevor er mich nach dem meinigen fragen darf. Ich heiße Old Death, und das ist genug gesagt.«

Er kam zu uns und setzte sich da nieder, während die Roten noch eine Weile fortberieten. Endlich waren sie zu einem Entschlusse gekommen und standen von ihren Sitzen auf. Da ertönte von jenseits der das Lagerfeuer rund umgebenden Comanchen eine laute Stimme:

»Der ›weiße Biber‹ mag hierher sehen. Meine Büchse ist sehr hungrig auf ihn.«

Aller Augen wendeten sich nach der Stelle, von welcher aus die Worte ertönten. Dort stand Winnetou, hoch aufgerichtet mit angeschlagenem Gewehre. Die beiden Läufe desselben blitzten nacheinander auf. Der ›weiße Biber‹ stürzte getroffen nieder und neben ihm einer der Unterhäuptlinge:

»So werden sterben alle Lügner und Verräter!« erklang es noch. Dann war der Apache verschwunden. Das war so schnell geschehen, daß die Comanchen gar nicht auf den Gedanken gekommen waren, oder vielmehr gar nicht Zeit gefunden hatten, aufzuspringen. Nun aber fuhren sie alle empor und stürzten nach der Gegend, in welcher er verschwunden war. Nur wir vier blieben zurück. Old Death trat zu den beiden Häuptlingen. Sie waren tot.

»Welch ein Wagnis!« rief Lange. »Dieser Winnetou ist ein wahrer Teufel!«

»Pah!« lachte Old Death. »Das Richtige kommt noch. Paßt einmal auf!«

Kaum hatte er die Worte gesagt, so hörten wir ein durchdringendes Geheul.

»Da habt Ihr es!« meinte er. »Er hat nicht nur die beiden Häuptlinge für ihre Verräterei bestraft, sondern auch die Comanchen fortgelockt in den Bereich der Seinigen. Die Pfeile der Apachen werden ihre Opfer fordern. Horcht!«

Der scharfe, dünne Knall eines Revolvers war zu hören, drei-, fünf-, achtmal hintereinander.

»Das ist Winnetou,« meinte Old Death. »Er bedient sich seiner Revolver. Ich glaube, der Kerl steckt mitten unter den Comanchen, ohne daß sie ihm etwas anhaben können!«

Dem alten Westmanne waren solche Ereignisse etwas ziemlich Gewöhnliches. Sein Gesicht war so ruhig, als ob er im Theater den Verlauf eines Stückes verfolge, dessen Aufbau und Schluß ihm schon bekannt war. Die Comanchen kehrten zurück, da es ihnen nicht gelungen war, Winnetou zu treffen; anstatt dessen aber brachten sie mehrere der Ihrigen getragen, welche tot oder verwundet waren. Zivilisierte Leute hätten sich dabei sowohl aus Teilnahme, als auch aus Klugheit ruhig verhalten. Die Roten aber heulten und brüllten, als ob sie gepfählt werden sollten, und tanzten mit um die Köpfe geschwungenen Kriegsbeilen um die Leichen.

»Ich würde das Feuer auslöschen lassen, und mich an Stelle dieser Kerle sehr ruhig verhalten, « sagte Old Death. »Sie heulen ihren eigenen Todesgesang.«

»Was ist denn eigentlich im Kriegsrate beschlossen worden?« fragte Lange.

»Sich nach Westen durchzuschlagen und zwar sofort.«

»Welche Dummheit! Da gehen sie ja den Apachen, welche hier eintreffen sollen, grad entgegen.«

»Das wohl nicht, Master, denn es wird ihnen nicht gelingen, durchzukommen. Allerdings, wenn es ihnen glückte, so hätten sie Winnetou hinter sich und die von ihm erwarteten Hilfstruppen vor sich; sie befänden sich also in der Mitte und würden aufgerieben. Aber sie glauben die Apachen in der Minderzahl und sind gewiß, dieselben vernichten zu können. Übrigens wissen sie, daß der Sohn des ›weißen Bibers‹ mit seiner Schar, welche wir getroffen haben, nachkommen wird; das verdoppelt ihre Zuversicht. Nun werden sie erst recht vor Begierde brennen, den Tod der beiden Häuptlinge zu rächen. Aber die Comanchen sollten den Anbruch des Tages erwarten und dann nach der andern Seite durchbrechen, rückwärts, woher wir gekommen sind. Am Tage sieht man den Feind und die Hindernisse, welche derselbe einem bereitet. Aber meine Ansicht drang nicht durch. Uns freilich kann es gleichgültig sein, was sie tun. Wir machen nicht mit.«

»Das werden uns die Comanchen übelnehmen.«

»Habe nichts dagegen. Old Death hat gar keine Lust, sich nutzlos den Kopf einzurennen. Horcht! Was war das?«

Die Comanchen heulten noch immer, so daß sich nicht bestimmen ließ, welcher Art das Geräusch gewesen war, welches wir soeben gehört hatten.

»Diese Toren!« zürnte Old Death. »Winnetou ist ganz der Mann, den unzeitigen Lärm, den sie da vollführen, sich zu nutze zu machen. Vielleicht legt er Bäume nieder, um den Ausgang zu verschließen, denn es klang ganz wie das Krachen und Prasseln eines fallenden Baumes. ich möchte darauf schwören, daß keiner von den Comanchen entkommen wird, eine schreckliche, aber gerechte Strafe dafür, daß sie mitten im Frieden ahnungslose Indianerortschaften überfallen und sogar die Abgesandten ermordet haben. Wenn es Winnetou gelingt, die Ausgänge zu verschließen, so kann er seine Leute zurückziehen, hier im Tale zusammennehmen und die Unvorsichtigen von hinten angreifen. Ich traue ihm das zu.«

Endlich war die vorläufige Totenklage zu Ende, und die Comanchen verhielten sich still, traten zusammen und erhielten die Weisungen des Unteranführers, welcher nunmehr den Befehl übernahm.

»Sie scheinen jetzt aufbrechen zu wollen,« sagte Old Death. »Wir müssen zu unsern Pferden, damit sie sich nicht etwa an denselben vergreifen. Master Lange, geht mit Eurem Sohne und Sam hin, um sie zu holen. Wir beide bleiben hier, denn ich vermute, daß der Häuptling uns noch eine kleine Rede halten wird.«

Er hatte recht. Als die drei fort waren, kam der jetzige Anführer langsamen Schrittes auf uns zu und sagte:

»Die Bleichgesichter sitzen ruhig an der Erde, während die Comanchen sich zu ihren Pferden begeben. Warum stehen sie nicht auch auf?«

»Weil wir noch nicht erfahren haben, was von den Comanchen beschlossen worden ist.«

»Wir werden das Tal verlassen.«

»Aber es wird euch nicht gelingen, hinaus zu kommen.«

»Old Death ist wie eine Krähe, deren Stimme stets häßlich klingt, Die Comanchen werden alles niederreiten, was sich ihnen in den Weg stellt.«

»Sie werden nichts und niemand niederreiten als sich selbst. Wir aber bleiben hier.«

»Ist Old Death nicht unser Freund? Hat er nicht die Pfeife des Friedens mit uns geraucht? Ist er nicht verpflichtet, mit uns zu kämpfen? Die Bleichgesichter sind tapfere und kühne Krieger. Sie werden uns begleiten und sich an unsere Spitze stellen.«

Da stand Old Death auf, trat ganz nahe an den Comanchen heran, lachte ihm in das Gesicht und antwortete:

»Mein Bruder hat einen schlauen Gedanken. Die Bleichgesichter sollen voranreiten, um den Roten den Weg zu öffnen und dabei unterzugehen. Wir sind Freunde der Comanchen, aber wir haben nicht ihren Häuptlingen zu gehorchen. Wir sind zufällig auf sie getroffen, aber wir haben uns nicht verpflichtet, an ihrem Kriegszuge teilzunehmen. Wir sind mutig und tapfer; mit diesen Worten hat mein Bruder die Wahrheit gesagt. Wir helfen unsern Freunden bei jedem Kampfe, welcher mit Sinn und Überlegung geführt wird; aber wir nehmen nicht teil an Plänen, von denen wir schon vorher wissen, daß sie mißlingen werden.«

»So werden die Weißen nicht mitreiten? ich hatte sie für kühne Leute gehalten!«

»Wir sind es. Aber wir sind auch vorsichtig. Wir sind die Gäste der Comanchen. Wann ist bei ihnen die Sitte aufgekommen, ihre Gäste, die sie doch beschützen sollten, grad an die Spitze zu stellen, wo der Tod unvermeidlich ist? Mein Bruder ist schlau, aber wir sind nicht dumm. Auch mein Bruder ist ein sehr tapferer Krieger, und darum bin ich überzeugt, daß er seinen Leuten voranreiten wird, denn das ist die Stelle, wohin er gehört.«

Der Rote wurde verlegen. Seine Absicht, uns zu opfern, um sich zu retten, war sehr unverfroren. Als er sah, daß er bei uns nicht durchkam, wurde er nicht nur verlegen, sondern auch zornig. Sein bisher ruhiger Ton wurde strenger, als er sich erkundigte:

»Was werden die Bleichgesichter tun, wenn die Comanchen fort sind? Werden sie sich etwa den Apachen anschließen?«

»Wie wäre das möglich, da mein Bruder die Apachen doch vernichten will! Es sind dann also gar keine vorhanden, denen wir uns anschließen könnten.«

»Aber es werden welche nachkommen. Wir dürfen nicht dulden, daß die Bleichgesichter hier zurückbleiben. Sie müssen mit uns fort.«

»Ich habe bereits gesagt, daß wir bleiben.«

»Wenn die Weißen nicht mit uns gehen, müssen wir sie als unsere Feinde betrachten.«

»Und wenn die Roten uns als solche ansehen, werden wir sie auch als Feinde behandeln.«

»Wir werden ihnen ihre Pferde nicht geben.«

»Und wir haben sie uns bereits genommen. Da werden sie uns eben gebracht.«

In der Tat kamen unsere Freunde gerade mit unsern Pferden heran. Der Häuptling zog die Brauen finster zusammen und sagte:

»So haben die Weißen also bereits ihre Vorkehrungen getroffen. Ich sehe, daß sie uns feindlich gesinnt sind, und werde sie von meinen Kriegern gefangen nehmen lassen.«

Der Scout ließ ein kurzes, unheimlich klingendes Lachen hören und antwortete:

»Der Häuptling der Comanchen täuscht sich sehr in uns. Ich habe dem ›weißen Biber‹ bereits gesagt, daß wir hier bleiben werden. Wenn wir diesen Entschluß nun ausführen, so enthält er nur das, was ich gesagt habe, aber nicht die mindeste Feindseligkeit gegen die Comanchen. Es ist also gar kein Grund vorhanden, uns gefangen zu nehmen.«

»Wir werden es aber dennoch tun, wenn die Weißen mir nicht sofort versprechen, mit uns zu reiten und sich an unsere Spitze zu stellen.«

Der Blick Old Deaths schweifte forschend umher. Über sein Gesicht glitt jenes Grinsen, welches bei ihm stets anzeigte, daß er im Begriffe stehe, jemandem eine Schlappe beizubringen. Wir drei standen am Feuer. Wenige Schritte von uns hielten die Andern mit den Pferden. Kein einziger Comanche befand sich mehr in der Nähe. Sie waren alle zu ihren Pferden gegangen. Old Death sagte in deutscher Sprache, so daß der Comanche seine Worte nicht verstehen konnte:

»Wenn ich ihn niederschlage, dann schnell auf die Pferde und mir nach, dem Eingange des Tales zu, denn die Comanchen befinden sich auf der andern Seite.«

»Mein Bruder mag nicht diese Sprache reden. Ich will wissen, was er seinen Gefährten zu sagen hat.«

»Das soll der Häuptling sofort erfahren. Ihr habt heute wiederholt meinen Rat mißachtet und seid durch den darauf folgenden Schaden selbst jetzt noch nicht klug geworden. Ihr geht dem sicheren Tode entgegen und wollt uns zwingen, euch und uns selbst hineinzuführen. Ihr kennt, wie es scheint, Old Death noch immer nicht. Meinst du, ich ließe mich zwingen, etwas zu tun, was ich zu unterlassen beschlossen habe? Ich sage dir, daß ich mich weder vor dir noch all deinen Comanchen fürchte. Du willst uns gefangen nehmen? Merkst du denn nicht, daß du dich in meiner Hand befindest. Sich diese Waffe! Nur die kleinste Bewegung, so schieße ich dich nieder!«

Er hielt ihm den Revolver entgegen. Der Indianer wollte nach seinem Messer greifen; aber sofort saß ihm Old Deaths Waffe auf der Brust.

»Die Hand weg!« donnerte ihn der Alte an. Jener ließ die Hand sinken.

»So! Ich mache keinen Spaß mit dir. Du zeigst dich als Feind von uns, und so gebe ich dir die Kugel, wenn du mir nicht augenblicklich gehorchst!«

Die bemalten Züge des Roten kamen in Bewegung. Er blickte sich forschend um, aber Old Death bemerkte:

»Suche nicht Hilfe von deinen Leuten! Selbst wenn sie sich hier befänden, würde ich dich niederschießen. Deine Gedanken sind so schwach, wie diejenigen eines alten Weibes, dessen Gehirn vertrocknet ist. Du bist von Feinden eingeschlossen, denen ihr unterliegen müßt, und doch schaffst du dir in. uns weitere Feinde, welche noch mehr zu fürchten sind, als die Apachen. Wie wir bewaffnet hier stehn, schießen wir hundert von euch nieder, bevor ein Pfeil von euch uns erreichen kann. Willst du deine Leute mit aller Gewalt in den Tod führen, so tue es. Für uns aber gelten deine Befehle nicht.«

Der Indianer stand eine kurze Weile schweigend. Dann sagte er:

»Mein Bruder muß bedenken, daß meine Worte nicht so gemeint waren!«

»Ich nehme deine Worte, wie sie klingen. Was du mit denselben meinst, das geht mich nichts an.«

»Nimm deine Waffe weg, und wir wollen Freunde bleiben!«

»Ja, das können wir. Aber bevor ich die Waffe von deiner Brust nehme, muß ich Sicherheit haben, daß es mit deiner Freundschaft ehrlich gemeint ist.«

»Ich habe es gesagt, und mein Wort gilt.«

»Und soeben noch sprachst du davon, daß du deine Worte anders meinst, als sie klingen. Man kann sich also auf deine Rede und dein Versprechen nicht verlassen.«

»Wenn du mir nicht glaubst, so kann ich dir keine weitere Sicherheit geben.«

»O doch. Ich verlange von dir, daß du mir deine Friedenspfeife gibst und – – -«

»Uff!« rief der Indianer, ihn erschrocken unterbrechend. »Das Calumet gibt man nicht weg.«

»Ich bin damit aber noch gar nicht zufrieden. Ich verlange nicht nur dein Calumet, sondern auch deine Medizin.«

»Uff, uff, uff! Das ist unmöglich!«

»Du sollst mir beides nicht für immer geben, nicht schenken. In dem Augenblicke, in welchem wir uns friedlich trennen, erhältst du es wieder.«

»Kein Krieger gibt seinen Medizinbeutel aus der Hand!«

»Und doch verlange ich ihn. Ich kenne eure Sitte. Habe ich dein Calumet und deine Medizin, so bin ich du selbst und jede Feindseligkeit gegen uns würde dich um die Freuden der ewigen Jagdgründe bringen.«

»Und ich gebe sie nicht her!«

»Nun, so sind wir also fertig. Ich werde dir jetzt die Kugel geben und dir dann auch deinen Skalp nehmen, so daß du nach deinem Tode mein Hund und Sklave wirst. Ich werde meine linke Hand dreimal erheben. Beim drittenmal schieße ich, wenn du mir nicht gehorchst.«

Er erhob die Hand zum ersten-, und zum zweitenmal, während er mit der Rechten den Revolver noch immer auf das Herz des Roten gerichtet hielt. Schon war die dritte Handbewegung halb vollendet, da sagte der Indianer:

»Warte! Wirst du mir beides wiedergeben?«

»Ja.«

»So sollst du es haben. Ich werde – -«

Er erhob die Hände, wie um nach dem Medizinbeutel und der Pfeife, welche beide er um den Hals hängen hatte, zu greifen.

»Halt!« fiel Old Death ihm in die Rede. »Nieder mit den Händen, sonst schieße ich! Ich traue dir erst dann, wenn ich diese beiden Gegenstände wirklich besitze. Mein Gefährte mag sie dir von dem Halse nehmen, um sie mir an den meinigen zu hängen.«

Der Comanche ließ die Hände wieder sinken. Ich nahm ihm die Sachen ab und hing sie Old Death um, worauf dieser den ausgestreckten Arm mit dem Revolver zurückzog.

»So!« sagte er. »Jetzt sind wir wieder Freunde, und mein Bruder mag nun tun, was ihm beliebt. Wir werden hier zurückbleiben, um abzuwarten, wie der Kampf ausfällt!«

Der Häuptling hatte wohl noch nie eine solche Wut wie jetzt gefühlt. Seine Hand fuhr nach dem Messer, aber er wagte doch nicht, dasselbe herauszuziehen. Doch tat er wenigstens das Eine, in zischendem Tone hervorzustoßen:

»Die Bleichgesichter sind jetzt sicher, daß ihnen nichts geschieht, aber sobald sie mir das Calumet und die Medizin zurückgegeben haben, wird Feindschaft zwischen ihnen und uns sein, bis sie am Marterpfahle gestorben sind!«

Er wendete sich um und eilte von dannen.

»Wir sind jetzt so sicher wie in Abrahams Schoß,« sagte der Scout, »trotzdem aber wollen wir keine Vorsichtsmaßregel unterlassen. Wir bleiben nicht hier beim Feuer, sondern ziehen uns nach dem Hintergrunde des Tales zurück und warten da ganz ruhig ab, was nun geschehen wird. Kommt, Mesch’schurs, nehmt die Pferde mit!«

Jeder nahm sein Pferd am Zügel. So begaben wir uns in die bezeichnete Gegend, wo wir die Pferde anpflockten und uns am Fuße der Talwand unter den Bäumen niederließen. Das Feuer leuchtete vom verlassenen Lagerplatze her. Rundum herrschte tiefe Stille.

»Warten wir die Sache ab,« sagte der Scout. »Ich vermute, daß der Tanz sehr bald beginnen wird. Die Comanchen werden unter einem satanischen Geheul losbrechen, aber mancher von ihnen wird seine Stimme zum letztenmal erhoben haben. Da – da habt ihr es ja schon!«

Das Geheul, von welchem er gesprochen hatte, erhob sich jetzt, als ob eine Herde wilder Tiere losgelassen worden sei.

»Horcht! Hört ihr einen Apachen antworten?« fragte der Alte. »Gewiß nicht. Die sind klug und machen ihre Arbeit in aller Stille ab.«

Die Felswände gaben das Kriegsgeschrei in vervielfachter Stärke zurück, ebenso wiederholte das Echo die beiden Schüsse, welche jetzt fielen.

»Das ist wieder Winnetous Silberbüchse, « sagte der Scout, »ein sicheres Zeichen, daß die Comanchen angehalten werden.«

Wenn abgeschossene Pfeile und geworfene Lanzen einen Schall oder Knall verursachten, so wäre das Tal ganz gewiß jetzt von einem wilden Getöse erfüllt gewesen. So hörten wir nur die Stimmen der Comanchen und die fortgesetzten Schüsse Winnetous. Das dauerte wohl gegen zwei Minuten. Dann aber erklang ein mark-und beindurchdringendes ›Iwiwiwiwiwiwi‹ zu uns herüber.

»Das Apachen sein!« jubelte Sam. »Haben gesiegt und Comanchen zurückgeschlagen.«

Jedenfalls hatte er recht; denn als dieses Siegesgeheul verklungen war, trat tiefe Stille ein, und zu gleicher Zeit sahen wir am Feuer die Gestalten von Reitern erscheinen, zu denen sich mehrere und immer mehrere gesellten. Es waren die Comanchen. Der Durchbruch war nicht gelungen. Für einige Zeit herrschte beim Feuer eine außerordentliche Verwirrung. Wir sahen, wie Menschen herbeigetragen wurden, welche tot oder verwundet waren, und das bereits erwähnte Klagegeheul hob jetzt von neuem an. Old Death rückte in größtem Ärger auf seinem Platze hin und her und schimpfte in allen Tonarten über die Unvernunft der Comanchen. Nur eins erwähnte er beifällig, nämlich, daß sie eine Schar von Posten in der Richtung der beiden Ausgänge fortschickten, denn das war eine ganz nötige Vorsichtsmaßregel. Als nach langer Zeit die Totenklagen verstummt waren, schienen die Comanchen sich zu einer Beratung niedergesetzt zu haben. Von da an verging wohl eine halbe Stunde; dann sahen wir mehrere der Krieger sich von dem Lager entfernen und in der Richtung nach der hintern Seite des Tales zerstreuen, wo wir uns befanden.

»Jetzt werden wir gesucht,« sagte Old Death. »Sie haben wohl eingesehen, welche Dummheiten sie begangen haben, und werden nicht zu stolz sein, auf unsern Rat zu hören.«

Einer der ausgesandten Boten kam in unsere Nähe. Old Death hustete leise. Der Mann hörte es und kam herbei.

»Sind die Bleichgesichter hier?« fragte er. »Sie sollen an das Feuer kommen.«

»Wer sendet dich?«

»Der Häuptling.«

»Was sollen wir dort?«

»Eine Beratung soll abgehalten werden, an welcher die Bleichgesichter diesesmal teilnehmen dürfen.«

»Dürfen? Wie gütig von euch! Sind wir es endlich einmal wert, von den klugen Kriegern der Comanchen angehört zu werden? Wir liegen hier, um zu ruhen. Wir wollen schlafen. Sage das dem Häuptlinge! Eure Feindschaft mit den Apachen ist uns von jetzt an sehr gleichgültig.«

Jetzt legte sich der Rote aufs Bitten. Das blieb nicht ohne Erfolg auf den gutherzigen Alten, denn er sagte:

»Nun wohl, wenn ihr ohne unsern Rat keinen Weg der Rettung findet, so sollt ihr ihn haben. Aber es beliebt uns nicht, uns von eurem Häuptlinge kommandieren zu lassen. Sage ihm, daß er her zu uns kommen solle, wenn er mit uns sprechen will.«

»Das tut er nicht, denn er ist ein Häuptling.«

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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