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In der »Festung«

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Inhaltsverzeichnis

Eine Reihe von Tagen war vergangen und Old Firehand hatte mit uns den Ritt nach seiner ›Burg‹ antreten können. Unser darauf glücklich zurückgelegter Weg hatte uns mitten durch das Gebiet feindlicher Stämme geführt, und jetzt nun wo die dabei drohenden Gefahren hinter uns lagen, konnten wir uns einmal nach Herzenslust ausruhen und pflegen.

Unsere Büchsen waren in den letzten Tagen, um durch den Knall derselben nicht die Rothäute auf uns aufmerksam zu machen, stumm geblieben; aber trotzdem hatten wir nicht Mangel gelitten, weil wir das Wild in Schlingen gefangen hatten. Ich saß mit Old Firehand am Lagerfeuer. Winnetou hatte die Wache und trat auf einem seiner Rundgänge zu uns heran. Old Firehand sagte zu ihm:

»Will mein Bruder sich nicht ans Feuer setzen? Der Pfad der Rapahos führt nicht an diese Stelle. Wir sind also sicher.«

»Das Auge des Apachen steht immer offen; er traut nicht der Nacht, denn sie ist ein Weib, « antwortete Winnetou.

Er schritt wieder in das Dunkel zurück.

»Er haßt die Frauen,« warf ich hin, um den Anfang zu geben zu einer jener traulichen Unterhaltungen, welche, geführt unter ruhig flimmernden Sternen, für lange Jahre in der Erinnerung bleiben.

Old Firehand öffnete das an seinem Halse hängende Futteral und entnahm demselben die sorglich darin verwahrte Pfeife, welche er gemächlich stopfte und dann in Brand steckte.

»Meint Ihr? Vielleicht auch nicht.«

»Seine Worte schienen es zu sagen.«

»Schienen,« nickte der Jäger; »aber es ist nicht so. Es gab einmal eine, um deren Besitz der mit Mensch und Teufel gekämpft hätte, und seit jener Zeit ist ihm das Wort ›Squaw‹ entfallen.«

»Warum führte er sie nicht in seine Hütte?«

»Sie liebte einen Andern.«

»Darnach pflegt ein Indianer nicht zu fragen.«

»Aber dieser Andere war sein Freund.«

»Und der Name dieses Freundes?«

»Ist jetzt Old Firehand.«

Ich blickte überrascht empor. Hier stand ich vor einer jener Katastrophen, an denen der Westen so reich ist und die seinen Gestalten und Ereignissen jenen energischen Charakter geben, durch welchen sie sich kräftig auszeichnen. Natürlich hatte ich kein Recht, weiter zu fragen; aber das Verlangen nach Weiterem mußte sich deutlich in meinen Mienen aussprechen; denn er fuhr nach einer Pause fort:

»Laßt die Vergangenheit ruhen, Sir! Wollte ich von ihr sprechen, wahrhaftig Ihr wäret trotz Eurer Jugend der Einzige, zu dem ich es täte; denn ich habe Euch lieb gewonnen in der kurzen Zeit, die wir beisammen sind.«

»Danke, Sir! Kann Euch offen sagen, daß auch ich nicht ganz empfindungslos bin.«

»Weiß es, weiß es; Ihr habt’s ja reichlich bewiesen, und ohne Eure Hilfe wäre ich in jener Nacht verloren gewesen. Ich hatte einen teufelsmäßig harten Stand und blutete wie ein vielangeschossener Büffel, als Ihr endlich kamet. Es war ärgerlich, daß ich meine Rechnung mit Tim Finnetey nicht selbst ausgleichen konnte, und ich gäbe auf der Stelle diese meine Hand darum, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, den Halunken mein eigenes Eisen schmecken zu lassen.«

Bei diesen Worten zuckte eine ingrimmige Erbitterung über das sonst so ruhige und offene Gesicht des Sprechenden, und wie er mit blitzenden Augen und festgeballten Fäusten mir so gegenüber lag, konnte ich nicht anders denken, als daß die erwähnte Rechnung mit diesem Parranoh oder Finnetey eine ganz außerordentliche gewesen sein müsse.

Ich gestehe gern, daß meine Wißbegierde immer größer wurde, und bei jedem Anderen an meiner Stelle wäre es ebenso gewesen; trat mir doch hier der mir bisher unbekannte Umstand entgegen, daß mein Winnetou einst einem Mädchen sein Herz geöffnet hatte. Das war selbst mir, seinem besten Freunde und Blutsbruder, ein Geheimnis geblieben; aber ich mußte mich gedulden, was mir auch gar nicht schwer fiel, da ich von der Zukunft ganz sicher Aufklärung erwarten konnte.

Die Genesung Old Firehands war schneller vorgeschritten, als wir erwartet hatten, und so waren wir nach verhältnismäßig kurzer Zeit aufgebrochen, um durch das Land der Rapahos und Pawnees bis an den Mankizila vorzudringen, an dessen Ufer Old Firehand seine ›Festung‹ hatte, wie er sich ausdrückte, die wir vielleicht in kurzer Zeit erreichen konnten, da wir schon vorgestern den Kehupahan überschwommen hatten.

Dort wollte ich für einige Zeit den Pelzjägern, welche er befehligte, mich anschließen, und dann über Dakotah und die Hundeprairie die Seen zu gewinnen suchen. Während dieses Beisammenseins bot sich oft Gelegenheit, einen Einblick in die Vergangenheit Old Firehands zu tun, und so verharrte ich jetzt schweigend in meiner Stellung, die ich nur zuweilen veränderte, um das Feuer zu schüren und ihm neue Nahrung zu geben.

Bei einer dieser Bewegungen funkelte der an meinem Finger steckende Ring im Strahle der Flamme. Old Firehands scharfes Auge hatte trotz der Schnelligkeit dieses Leuchtens den kleinen, goldenen Gegenstand genau erfaßt, und er fuhr mit betretener Miene aus seiner bequemen Lage empor.

»Was ist das für ein Ring, den Ihr hier tragt, Sir?« fragte er.

»Er ist das Andenken an eine der schrecklichsten Stunden meines Lebens.«

»Wollt Ihr ihn mir einmal zur Betrachtung geben?«

Ich erfüllte seinen Wunsch. Mit sichtbarer Hast griff er zu, und kaum hatte er einen näheren Blick auf den Ring geworfen, so erklang die Frage:

»Von wem habt Ihr ihn?«

Es war eine unbeschreibliche Aufregung, die sich seiner bemächtigt hatte, und auf meine Antwort:

»Ich erhielt ihn von einem Knaben in New-Venango,« stieß er hervor:

»In New-Venango? Waret Ihr bei Forster? Habt Ihr Harry gesehen? Ihr spracht von einer schrecklichen Stunde, von einem Unglücke!«

»Ein Abenteuer, bei welchem ich mit meinem braven Swallow in Gefahr kam, bei lebendigem Leibe gebraten zu werden,« erwiderte ich, die Hand nach dem Ringe ausstreckend.

»Laßt das!« wehrte er ab. »Ich muß wissen, wie dieser Reif in Euren Besitz gekommen ist. Ich habe ein heiliges Anrecht auf ihn, heiliger und größer als irgend ein anderes Menschenkind!«

»Laßt Euch ruhig nieder, Sir! Verweigerte mir ein Anderer die Zurückgabe, so würde ich ihn dazu zu zwingen wissen; Euch aber will ich das Nähere berichten, und Ihr werdet dann mir wohl auch Euer Anrecht beweisen können.«

»Sprecht; aber wißt auch Ihr, daß dieser Ring in der Hand eines Mannes, dem ich weniger vertraute als Euch, sehr leicht sein Todesurteil werden könnte. Also erzählt – erzählt!«

Er kannte Harry, er kannte auch Forster, und die Erregung, in welcher er sich befand, zeugte von dem großen Interesse, welches er an diesen Personen nahm. Ich hatte hundert Fragen auf der Zunge, aber ich drängte sie zurück und begann meinen Bericht von der damaligen Begegnung.

Auf den einen Ellbogen gestützt, lag er, das Feuer zwischen uns, mir gegenüber, und in jedem einzelnen seiner Züge sprach sich die Spannung aus, mit welcher er dem Laufe meiner Erzählung folgte. Von Wort zu Wort wuchs seine Aufmerksamkeit, und als ich zu dem Augenblicke kam, an welchem ich Harry vor mir auf das Pferd gerissen hatte, sprang er auf und rief.

»Mann, das war das Einzige, ihn zu retten! Ich zittere für sein Leben; rasch, rasch, sprecht weiter!«

Auch ich hatte mich in dem Wiederfühlen jener furchtbaren Aufregung erhoben und fuhr in meiner Schilderung fort. Er trat mir näher und immer näher; seine Lippen öffneten sich, als wolle er jedes einzelne meiner Worte trinken; sein Auge hing, weit aufgerissen, an meinem Munde, und sein Körper bog sich in eine Stellung, als säße er selbst auf dem dahinbrausenden Swallow, stürze sich selbst mit in die hochaufschäumenden Fluten des Flusses und strebe selbst in fürchterlicher Angst die steile, zackige Felswand empor. Längst schon hatte er meinen Arm erfaßt, den er unbewußt drückte, daß ich hätte die Zähne zusammenpressen mögen, und laut und ächzend drängte sich der Atem aus seiner von fürchterlicher Besorgnis zusammengepreßten Brust.

» Heavens!« rief er mit einem tiefen, tiefen Atemzuge, als er hörte, daß ich glücklich über den Rand der Schlucht gekommen war und den Knaben also in Sicherheit gebracht hatte. »Das war entsetzlich – fürchterlich! Ich habe eine Angst ausgestanden, als ob mein eigener Körper in den Flammen stecke, und doch wußte ich vorher, daß Euch die Rettung gelungen sei, denn sonst hätte er Euch ja den Ring nicht geben können.«

»Er hat es auch nicht getan; ich streifte ihn wider Willen von seinem Finger, und er hat den Verlust gar nicht bemerkt.«

»So mußtet Ihr das fremde Eigentum dem Besitzer unbedingt zurückstellen.«

Ich wollte es, doch floh er mich. Zwar folgte ich ihm, doch sah ich ihn erst am andern Morgen in Gesellschaft einer Familie wieder, welche dem Tode entgangen war, weil ihre Wohnung im obersten Winkel des Tales lag und der Brand seine Richtung abwärts genommen hatte.«

»Und da spracht Ihr von dem Ringe?«

»Nein, man ließ mich gar nicht vor, sondern schoß auf mich, und ich bin dann natürlich meines Weges fortgeritten.«

»So ist er, ja; so ist er! Er haßt nichts mehr als Feigheit und hat Euch für mutlos gehalten. Was ist aus Forster geworden?«

»Ich habe gehört, daß nur allein jene Familie davongekommen sei. Das Glutmeer, von welchem der Talkessel erfüllt war, hat alles verschlungen, was in seinen Bereich gekommen ist.«

»Es ist schrecklich und eine zu furchtbare Strafe für das allerdings unnütze und lächerliche Vorhaben, das Öl fortlaufen zu lassen, um den Preis desselben in die Höhe zu bringen!«

»Auch Ihr habt ihn gekannt, Sir?« fragte ich jetzt.

»Ich war einige Male bei ihm in New-Venango. Er war ein stolzer, geldprotziger Mann, der wohl Ursache gehabt hätte, wenigstens mit mir etwas manierlicher umzuspringen.«

»Und Harry habt Ihr bei ihm gesehen?«

»Harry?« sagte er mit einem eigentümlichen Lächeln in seinem jetzt wieder ruhigen Angesichte. »Ja, bei ihm und in Omaha, wo der Junge einen Bruder hat: vielleicht auch noch sonst irgendwo.«

»Ihr könntet mir wohl etwas über ihn mitteilen!«

»Möglich, aber jetzt nicht, jetzt nicht! Eure Erzählung hat mich so mitgenommen, daß ich keine rechte Sammlung zu einer solchen Unterhaltung verspüre; aber zu gelegener Zeit sollt Ihr mehr über ihn erfahren, das heißt natürlich, so viel ich selbst von ihm weiß. Hat er Euch nicht gesagt, was er in Venango wollte?«

»Doch! Er hatte dort nur Absteigequartier genommen.«

»So, so! Also Ihr behauptet, daß er der Gefahr dort wirklich und ganz bestimmt entgangen ist?«

»Ganz sicher.«

»Und schießen habt Ihr ihn auch sehen?«

»Wie ich Euch sagte, und zwar ganz vorzüglich. Er ist ein ganz ungewöhnlicher Junge.«

»So ist es. Sein Vater ist ein alter Skalper, der keine einzige Kugel gießt, die nicht ihren Weg zwischen die bewußten zwei Indianerrippen fände. Von ihm hat er das Zielen gelernt, und wenn ihr etwa glaubt, daß er es nicht zur rechten Zeit und am richtigen Ort anzuwenden verstehe, so irrt Ihr ganz gewaltig.«

»Wo ist dieser Vater?«

»Er ist bald da, bald dort zu finden, und ich darf wohl sagen, daß wir einander so ziemlich kennen gelernt haben. Es ist möglich, daß ich Euch helfe, ihn einmal zu sehen.«

»Das würde mir lieb sein, Sir!«

»Werden ja sehen, Mann; habt es an dem Sohne verdient, daß Euch der Vater Dank sage.«

»O, das ist’s nicht, was ich meine!«

»Versteht sich, versteht sich; kenne Euch gut genug; aber hier habt Ihr Euren Ring. Werdet später erst sehen, was es heißt, daß ich ihn Euch wieder zustelle. Für jetzt aber will ich Euch den Apachen schicken; seine Wache ist um. Legt Euch aufs Ohr, damit ihr früh am Tage munter seid. Wir werden morgen einmal unsere Gäule anstrengen und zwei Tagreisen erzwingen müssen.«

»Zwei? Wollten wir morgen nicht bloß bis zum Green-Park?«

»Habe mich anders besonnen; good night!«

» Good guard; vergeßt nicht, mich zu wecken, wenn ich Euch abzulösen habe!«

»Schlaft nur zu! Kann’s auch ‘mal für Euch tun, die Augen offen zu halten; habt für mich genug getan!«

Mir war ganz wunderbar zu Mute. Ich wußte nicht, was ich von dieser Unterredung denken sollte, und als ich nun so allein dalag, gingen mir tausenderlei Vermutungen durch den Kopf, von denen ich nicht eine einzige stichhaltig fand. Lange noch, nachdem Winnetou zurückgekehrt war und sich zum Schlafen in seine Decke gewickelt hatte, warf ich mich ruhelos von einer Seite auf die andere. Die Erzählung hatte mich aufgeregt; jener fürchterliche Abend ging mit allen seinen Einzelheiten immer von Neuem an meiner Seele vorüber; zwischen seinen grausigen Gestaltungen tauchte immer und immer wieder Old Firehand empor, und noch im letzten Ringen zwischen Wachen und Träumen klangen mir die Worte ins Ohr: »Schlaft nur zu; habt genug für mich getan!«

Als ich am andern Morgen erwachte, fand ich mich allein am Feuer; doch konnten die beiden Andern nicht weit entfernt sein, denn der kleine, blecherne Kessel hing mit dem kochenden Wasser über der Flamme, und neben dem Stücke Fleisch, welches gestern abend übrig geblieben war, lag der offene Mehlbeutel.

Ich wickelte mich aus meiner Umhüllung und schritt nach dem Wasser, um mich zu waschen.

Dort standen, im eifrigen Gespräche begriffen, die Gefährten, und ihre Bewegungen, als sie mich erblickten, sagten mir, daß ich der Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen sei.

Kurze Zeit später waren wir zum Aufbruche bereit und schlugen eine Richtung ein, welche uns in einer Entfernung von vielleicht zwanzig Meilen vom Missouri parallel mit diesem Flusse auf das Tal des Mankizila zuführte.

Der Tag war kühl. Wir waren gut beritten, und da wir unsere Tiere während der letzten Tour geschont und immer gut gepflegt hatten, so legten wir nach und nach ein tüchtiges Stück grünes Land hinter uns.

Eigentümlich war die Veränderung, welche ich heute in dem Verhalten meiner Gefährten zu mir bemerkte. Es lag eine deutlich erkennbare Rücksicht, ich möchte sagen Hochachtung, in ihrem ganzen Benehmen, und es war mir ganz so, als ob in dem Blicke, den Old Firehand zuweilen über mich gleiten ließ, etwas einer zurückgehaltenen Zärtlichkeit Aehnliches liege.

Es war überhaupt augenfällig, welch beinahe liebevolle Aufmerksamkeit und Ergebenheit die zwei Leute gegen einander zeigten. Zwei Brüder, die sich durch die Bande des Blutes mit jeder Faser des Innern aneinander gefesselt fühlen, hätten nicht besorgter für einander sein können, und es dünkte mich, als begegne sich diese beiderseitige Fürsorge jetzt in meiner Person. Winnetou war mit Old Firehand fast noch freundlicher als mit mir, so daß ich hätte eifersüchtig werden mögen, wenn ich die Anlagen und den dazu nötigen Unverstand besessen hätte.

Als wir um die Mittagszeit Halt machten und Old Firehand sich entfernte, um die Umgebung des Lagerplatzes zu rekognoszieren, streckte sich, während ich den Proviant hervorholte, Winnetou an meiner Seite nieder und meinte:

»Mein Bruder ist kühn wie die große Katze des Waldes und stumm wie der Mund des Felsens.«

Ich schwieg zu dieser sonderbaren Einleitung.

»Er ist durch die Flammen des Öles geritten und hat nicht davon gesprochen zu Winnetou, seinem Freunde.«

»Die Zunge des Mannes, « antwortete ich, »ist wie das Messer in der Scheide. Es ist scharf und spitz und taugt nicht zum Spiele.«

»Mein Bruder ist weise und hat recht; aber Winnetou ist betrübt, wenn das Herz seines jungen Freundes sich ihm verschließt wie ein Stein, in dessen Schoße die Körner des Goldes verborgen liegen.«

»Ist das Herz Winnetous geöffnet gewesen dem Ohre seines Freundes?«

»Hat er ihm nicht gesagt alle Geheimnisse der Prairie? Hat er ihm nicht gezeigt und gelehrt die Spur zu sehen, den Lasso zu werfen, den Skalp zu lösen und alles zu tun, was ein großer Krieger kennen muß?«

»Winnetou hat es getan; aber hat er auch gesprochen von Old Firehand, der seine Seele besitzt und von dem Weibe, dessen Andenken nicht gestorben ist in seinem Herzen?«

»Winnetou hat sie geliebt, und die Liebe wohnt nicht in seinem Munde. Aber warum hat mein Bruder nicht erzählt von dem Knaben, den Swallow durch das Feuer trug?«

»Weil dies wie ein Eigenlob geklungen hätte. Kennst du diesen Knaben?«

»Ich habe ihn getragen auf meinen Armen; ich habe ihm gezeigt die Blumen des Feldes, die Bäume des Waldes, die Fische des Wassers und die Sterne des Himmels; ich habe ihn gelehrt, den Pfeil vom Bogen zu schießen und das wilde Roß zu besteigen; ich habe ihm geschenkt die Sprachen der roten Männer und ihm zuletzt gegeben das Feuergewehr, dessen Kugel getötet hat Ribanna, die Tochter der Assineboins.«

Erstaunt blickte ich ihn an. Es dämmerte eine Ahnung in mir auf, der ich kaum Worte zu geben wagte, und doch hätte ich es vielleicht getan, wenn nicht gerade jetzt Old Firehand zurückgekehrt wäre und unsere Aufmerksamkeit auf das Mahl gerichtet hätte. Aber während desselben mußte ich immerfort an die Worte Winnetous denken, aus denen in Verbindung mit dem, was Harry mir gesagt hatte, fast hervorging, daß Old Firehand des letzteren Vater sei. Das Benehmen desselben bei meiner Erzählung am gestrigen Abende stimmte allerdings mit dieser Vermutung überein; aber er hatte von diesem Vater als von einem Dritten gesprochen und nichts gesagt, was meine Vermutung zu einer festen Überzeugung machen konnte.

Nach einigen Stunden der Ruhe brachen wir wieder auf. Als ob unsere Tiere wüßten, daß ein Ort mehrtägiger Erholung vor ihnen liege, trabten sie munter dahin, und wir hatten eine ziemliche Strecke zurückgelegt, als mit der hereinbrechenden Dämmerung der Höhenzug, hinter welchem das Tal des Mankizila liegt, uns so nahe getreten war, daß das Terrain sich zu erheben begann und wir uns durch eine Schlucht bewegten, welche, wie es schien, uns senkrecht auf den Lauf des Flusses führen mußte.

»Halt!« tönte es da plötzlich aus den zur Seite stehenden Cottonsträuchern hervor, und zu gleicher Zeit ward zwischen den Zweigen der Lauf einer auf uns gerichteten Büchse sichtbar. »Wie heißt das Wort?«

»Tapfer!«

»Und?«

»Verschwiegen,« gab Old Firehand die Parole, indem er mit scharfem Blick das Gesträuch zu durchdringen suchte. Bei dem letzten Worte teilte sich dasselbe und ließ einen Mann hindurch, bei dessen Anblick ich ein freudiges Erstaunen fühlte.

Unter der wehmütig herabhängenden Krämpe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben würde, blickte zwischen einem Wald von verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche fast von erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge des gewaltigen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgan von den übrigen Gesichtsteilen nur die zwei kleinen, klugen Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List von Einem zum Andern von uns dreien sprangen.

Diese Oberpartie ruhte auf einem Körper, welcher uns bis auf das Knie herab vollständig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, der augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt worden war und dem kleinen Manne vor uns das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins steckten, die so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor einem Jahrzehnt ausgewachsen haben mußte, und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welchen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können.

In der Hand trug der Mann eine alte Flinte, die ich nur mit der äußersten Vorsicht angefaßt hätte, und als er sich so mit einer gewissen Würde auf uns zu bewegte, konnte man sich keine größere Karrikatur eines Prairiejägers denken, als ihn.

»Sam Hawkens!« rief Old Firehand. »Sind deine Äuglein blöde geworden, daß du mir die Parole abverlangst?«

»Meine es nicht, Sir! Halte aber dafür, daß ein Mann auf Posten auch zuweilen zeigen muß, daß er die Lösung nicht vergessen hat. Willkommen im Bajou, Mesch’schurs! Wird Freude geben, große Freude. Bin ganz närrisch vor Entzücken, mein einstiges ›Greenhorn‹ wiederzusehen, jetzt Old Shatterhand geheißen, und Winnetou, den großen Häuptling der Apachen dazu, wenn ich mich nicht irre.«

Er reichte mir beide Hände, drückte mich mit Inbrunst an seinen Jagdrock, daß dieser wie eine leere Holzschachtel prasselte, und spitzte die bärtigen Lippen, um mich zu küssen, welcher Zärtlichkeit ich aber durch eine geistesgegenwärtige Wendung entging. Sein früher dunkler Haar-und Bartwald war jetzt ziemlich grau geworden.

»Es freut mich herzlich und aufrichtig, Euch wiederzusehen, lieber Sam,« sagte ich ihm der Wahrheit gemäß. »Aber sagt, habt Ihr Old Firehand nicht erzählt, daß Ihr mich kennt und mein Lehrer gewesen seid?«

»Natürlich habe ich das!«

»Und Ihr habt mir nicht gesagt, daß ich meinen guten Sam Hawkens bei Euch treffen würde!«

Dieser freundliche Vorwurf war an Old Firehand gerichtet; er antwortete mir lächelnd:

»Ich wollte Euch überraschen. Ihr seht nun, daß ich Euch schon längst gekannt habe, denn wir haben oft von Euch gesprochen. Ihr werdet noch zwei andere gute Bekannte bei mir finden.«

»Etwa Dick Stone und Will Parker, die von Sam unzertrennlich sind?«

»Ja. Für die wird Euer Erscheinen auch eine große, frohe Überraschung bringen. Aber, Sam, welche von unsern Männern sind heut daheim?«

»Alle, außer Bill Bulcher, Dick Stone und Harris, meine ich, die fort sind, um ›Fleisch zu machen‹. Der kleine Sir ist auch wieder gekommen.«

»Weiß es, weiß es, daß er da ist. Wie ist’s sonst gegangen? Gab’s Rothäute?«

»Danke, danke, Sir; könnte mich nicht besinnen, welche gesehen zu haben, obgleich« – setzte er, auf sein Schießinstrument deutend, hinzu – » ›Liddy‹ Hochzeitsgedanken hat.«

»Und die Fallen?«

»Haben gute Ernte gehabt, sehr gute, wenn ich mich nicht irre, Könnt’s selbst sehen, Sir; werdet wenig Wasser im Tore finden, meine ich.«

Er drehte sich um und schritt, während wir weiter ritten, seinem Versteck wieder zu.

Die kleine Szene hatte mir gezeigt, daß wir in der Nähe der Festung angekommen seien, denn Sam Hawkens stand jedenfalls als Sicherheitswache in kurzer Entfernung vom Zugange zu derselben, und mit Aufmerksamkeit musterte ich die Umgebung, um das Tor zu entdecken.

jetzt öffnete sich links eine enge Kluft, welche von so nahe aneinandertretendem und oben von Brombeerranken überdachtem Gestein gebildet wurde, daß man beide Seitenwände mit den ausgespreizten Händen erreichen konnte. Die ganze Breite des Bodens nahm ein Bach ein, dessen hartes, felsiges Bett nicht die geringste Spur eines Fußes wiedergeben konnte und sein klares, durchsichtiges Wasser in das Flüßchen leitete, an dessen Rand wir in das Tal emporritten. Old Firehand bog hier ein, und wir folgten, langsam gegen den Lauf des Wassers reitend. jetzt verstand ich auch die Worte des Postens, daß wir wenig Wasser im Tore finden würden.

Kurze Zeit nur hatten wir diese Richtung eingeschlagen, als die Felsen zusammenrückten und uns in so geschlossener Masse entgegentraten, daß der Weg hier zu Ende zu sein schien. Aber zu meinem Erstaunen ritt Old Firehand immer zu und ich sah ihn mitten durch die Mauer verschwinden. Winnetou folgte, und als ich die rätselhafte Stelle erreichte, bemerkte ich nun allerdings, daß die dichten, von oben herabhängenden, wilden Epheuranken nicht eine Bekleidung des Steines, sondern einen Vorhang bildeten, hinter welchem die Öffnung tunnelartig fortlief und in dichte Finsternis führte.

Lange, lange Zeit und in verschiedenen Krümmungen folgte ich den beiden Voranreitenden durch das Dunkel, bis endlich wieder ein matter Tagesschein vor mir auftauchte und wir in eine ähnliche Kluft kamen wie diejenige, durch welche wir uns vorher gewunden hatten.

Als dieselbe sich öffnete, hielt ich überrascht an.

Wir befanden uns nämlich am Eingange eines mächtigen und weit ausgedehnten Talkessels, welcher rings von ungangbaren Felswänden umschlossen war. Ein blätterreicher Saum von Büschen umrahmte die mit lockigem Grase bestandene, fast kreisrunde Fläche, auf welcher mehrere Trupps von Pferden und Maultieren weideten, zwischen denen sich zahlreiche Hunde herumtrieben, die teils jener wolfsähnlichen Rasse, welche den Indianern ihre Wacht-und Lasttiere liefert, teils aber auch den kleinen, schnell fett werdenden Bastardarten angehörten, deren Fleisch nächst dem des Panthers bei jenen als der größte Leckerbissen gilt.

»Da habt ihr meine Burg,« wandte sich Old Firehand an uns, »in welcher es sich noch sicherer wohnen läßt, als selbst in Abrahams Schoße.«

»Gibt es eine Öffnung dort in den Bergen?« fragte ich, nach dem entgegengesetzten Ende des Tales deutend.

»Nicht so viel, daß ein ›Stunk‹ hindurchschlüpfen könnte, und von außen ist es fast unmöglich, die Höhen zu erklimmen. Es ist wohl schon manche Rothaut da draußen vorüber geschlichen, ohne zu ahnen, daß diese schroffen Felsenzacken nicht eine kompakte Masse bilden, sondern ein so allerliebstes Tal umschließen.«

»Aber wie habt Ihr diesen köstlichen Ort entdeckt?«

»Ich verfolgte ein Racoon bis in die Spalte, die damals noch nicht vom Epheu verdeckt wurde, und habe natürlich sofort Besitz von dem Platze ergriffen.«

»Allein?«

»Erst ja, und hundertmal bin ich dem Tode entronnen, weil ich vor den Verfolgungen der rothäutigen Halunken hier ein sicheres und untrügliches Versteck fand. Später aber habe ich meine Jungens‹ mit hergenommen, wo wir nun unsere Häute sammeln und den Schrecken des Winters trotzen können.«

Noch während der letzten Worte tönte ein gellender Pfiff weit über den grünenden Plan, und kaum war er erklungen, so öffneten sich an verschiedenen Stellen ringsum die Büsche, und es kamen eine Anzahl Gestalten zum Vorschein, denen man das Bürgerrecht des Westens auf mehrere tausend Schritte anzusehen vermochte.

Wir trabten der Mitte des Platzes zu und waren bald von den Leuten umringt, welche ihre Freude über die Ankunft Firehands in den kernigsten Ausdrücken kund gaben. Unter ihnen befand sich auch Will Parker, der sich vor Freude über meinen Anblick fast wie närrisch benahm und auch von Winnetou freundlich begrüßt wurde.

Mitten in dem Lärm, der allerdings nur in dieser vollständigen Abgeschlossenheit erlaubt sein konnte, sah ich dann Winnetou beschäftigt, sein Pferd, von welchem er gestiegen war, abzusatteln. Als dies geschehen war, gab er dem Tiere mit einem leichten Schlage die Weisung, sich um das Abendbrot zu kümmern, nahm Sattel, Zaum und Decke auf die Schulter und schritt davon, ohne die Umstehenden eines Blickes zu würdigen.

Ich folgte, da unser Anführer zu sehr in Anspruch genommen war, um sich jetzt viel mit uns beschäftigen zu können, seinem Beispiele, machte den braven Swallow vollständig frei und unternahm, die neugierigen Frager kurz abfertigend, eine Rekognoszierung des Platzes.

Wie eine riesenhafte Seifenblase waren die Gesteinsmassen bei der Bildung des Gebirges von den plutonischen Gewalten emporgetrieben worden und hatten bei ihrem Zerplatzen eine hohle, nach oben offene und von außen unzugängliche Halbkugel gebildet, welche dem eingesunkenen Krater eines ungeheuren Vulkans glich. Luft und Licht, Wind und Wetter waren dann beschäftigt gewesen, den harten Boden zu zersetzen und der Vegetation zugänglich zu machen, und die angesammelten Wassermengen hatten sich nach und nach durch eine Seite der Felswand gebohrt und den Bach gebildet, der heute unser Führer gewesen war.

Ich wählte zu meinem Gange den äußersten Saum des Tales und schritt zwischen dem Gebüsch und der meist senkrecht aufsteigenden, oft sogar überhängenden Felswand entlang. In derselben bemerkte ich zahlreiche mit Tierfellen verschlossene Öffnungen, welche jedenfalls zu Wohnungen oder Lagerräumen führten, deren die Jägerkolonie ja notwendig bedurfte.

Jedenfalls bestand dieselbe aus mehr Personen, als sich uns bei dem Empfange gezeigt hatten; wenigstens konnte ich das aus der Anzahl Squaws schließen, welche ich während meines Ganges erblickte; aber die meisten waren wohl auf Jagdzügen abwesend und kehrten erst bei Beginn des Winters, dessen Nahen allerdings in nicht mehr langer Zeit zu erwarten war, zurück.

Während ich so dahinschlenderte, bemerkte ich auf einer der, wie es schien, unbesteigbaren Klippen eine kleine, aus knorrigen Ästen ausgeführte Hütte. Von ihr aus mußte das ganze Tal mit allen seinen Einzelheiten vollständig zu überschauen sein, und ich beschloß, hinaufzusteigen. Bald fand ich, wenn auch keinen Pfad, so doch die Spuren von Fußtritten, die sich da hinaufgearbeitet hatten, und folgte ihnen empor.

Nur noch eine kurze Strecke hatte ich zurückzulegen, da sah ich aus der schmalen und niederen Türe eine Gestalt schlüpfen, welche wohl kaum durch mein Kommen gestört worden sein konnte; denn sie bemerkte mich gar nicht und trat, den Rücken mir zugewendet, an den Rand des Felsens und warf, das Auge mit der erhobenen Hand beschattend, einen Blick hinunter in die Tiefe.

Sie trug ein buntes, starkstoffiges Jagdhemde, an der äußeren Naht von der Hüfte bis zum Knöchel mit Fransen verzierte Leggins; die kleinen Mokassins waren reich mit Glasperlen und Stachelschweinborsten besetzt. Um den Kopf war turbanartig ein rotes Tuch geschlungen, und eine ebenso gefärbte Schärpe vertrat die Stelle des gewöhnlicheren Gürtels.

Als ich den Fuß auf die kleine Plattform setzte, vernahm die Person das Geräusch meiner Schritte und wandte sich schnell um. War es Wahrheit oder Täuschung? Ich rief freudig überrascht aus:

»Harry! Ist’s möglich?« und trat mit raschen Schritten auf ihn zu.

Aber ernst und kalt blickte sein Auge, und kein Zug seines jetzt tiefer gebräunten Angesichtes verriet auch nur die leiseste, freundliche Regung über mein Kommen.

»Wenn es nicht möglich wäre, würdet Ihr mich nicht hier treffen, Sir,« antwortete er. »Aber die Berechtigung zur Frage liegt wohl mehr auf meiner als auf Eurer Seite. Welche Ursache gab Euch die Erlaubnis, Euern Weg in unser Lager zu nehmen?«

War das ein Empfang, wie ich ihn verdient hatte? Kälter und gemessener noch als er erwiderte ich nur das eine Wort:

» Pshaw!« und glitt, ihm den Rücken wendend, vorsichtigen Fußes wieder hinab.

Es war also doch so, wie ich vermutet hatte, daß er der Sohn Old Firehands sei, und nun war mir auch das Andere so ziemlich klar.

Obgleich ich nur einen Knaben vor mir hatte, wollte mir das Verhalten desselben nach all dem Geschehenen doch einen kleinen Ärger verursachen. Die Behauptung Old Firehands, daß Harry mich für feig gehalten habe, stimmte allerdings mit der damaligen Äußerung des Letzteren vollständig überein, aber es war mir absolut unmöglich, zu sagen, worin diese Feigheit eigentlich bestanden habe. Ich bezwang meine Verstimmung und kehrte nach dem Lagerplatze zurück.

Es ward Abend. In der Mitte das weiten Talkessels brannte ein hoch empor züngelndes Feuer, um welches sämtliche anwesende Bewohner der ›Festung‹ sich versammelt hatten. Auch Harry, welcher, wie ich bald bemerkte, den Männern in jeder Beziehung gleichberechtigt war, hatte mitten unter denselben Platz genommen und betrachtete mich, wie es mir schien, mit weniger gehässigen Blicken als vorhin.

Es wurden eine Reihe selbsterlebter Abenteuer erzählt, denen ich aufmerksam lauschte, bis ich mich erhob, um nach alter Gewohnheit mich einmal nach meinem Pferde umzusehen. Ich verließ das Feuer und schritt in das Dunkel hinaus, über welches sich der Himmel so freundlich, klar und sonnenhell ausbreitete, als strahlten seine Millionen Lichter nicht auf eine Erde hernieder, deren höchstorganisierte Wesen sich mit den Waffen in der Hand einander gegenüber stehen, um sich zu zerfleischen.

Ein leises, freudiges Wiehern am Saume des Gebüsches, welches den Bach berandete, rief mich zu Swallow, welcher mich erkannt hatte und nun den Kopf zärtlich an meiner Schulter rieb. Er war mir doppelt lieb geworden, seit er mich durch Glut und Flut getragen hatte, und liebkosend drückte ich meine Wange an seinen schlanken, weichen Hals.

Ein kurzes Schnaufen seiner Nüstern, welches mir als Warnungszeichen bekannt war, ließ mich zur Seite blicken. Eine Gestalt kam auf uns zugeschritten, und ich sah den Zipfel des um den Kopf geschlungenen Tuches sich bewegen. Es war Harry

»Verzeiht, wenn ich störe,« klang seine jetzt etwas unsichere Stimme. »Ich dachte an Euren Swallow, welchem ich das Leben zu danken habe, und wollte das brave Tier gern begrüßen.«

»Hier steht es. Ich werde diese Begrüßung nicht durch meine Gegenwart beeinträchtigen. Good night!«

Ich wandte mich zum Gehen, hatte aber kaum ein Dutzend Schritte getan, als ich den halblauten Ruf vernahm:

»Sir!«

Ich blieb stehen. Zögernden Fußes kam Harry mir nach, und das eigentümliche Vibrieren seiner Stimme verriet die Verlegenheit, welche er nicht so schnell überwinden konnte.

»Ich habe Euch beleidigt!«

»Beleidigt?« erwiderte ich kühl und ruhig; »Ihr irrt, Sir! Ich kann Euch gegenüber wohl Nachsicht, nie aber das Gefühl des Beleidigtseins empfinden.«

Es dauerte eine Minute, ehe er eine Antwort auf diese vielleicht unerwarteten Worte fand.

»Dann verzeiht meinen Irrtum.«

»Gern; ich bin an ihn gewöhnt.«

»Eure Nachsicht werde ich wohl nicht wieder in Anspruch nehmen.«

»Sie steht Euch trotzdem zu jeder Zeit zur Verfügung.«

Schon wollte ich mich wieder abwenden, als er mir mit einem schnellen Schritt nahe trat und die Hand auf den Arm legte,

»Lassen wir Persönlichkeiten jetzt unberührt. Ihr habt mit der größten Gefahr für Euer eigenes Leben mir dasjenige meines Vaters an einem Abende zweimal erhalten; ich muß Euch danken und wenn Ihr noch so böse und abstoßende Worte sprecht. Ich erfuhr erst vorhin, was Ihr getan habt.«

»Jeder Westmann ist zu dem bereit, was ich getan habe, und es geschehen noch ganz andere Dinge als das ist, was Ihr da erwähnt. Was der Eine für den Andern tut, ist ihm von noch Anderen vielleicht schon zehnfach geschehen und kaum der Rede wert. Ihr dürft nicht nach dem Maßstabe urteilen, welchen Eure Kindesliebe Euch in die Hand gibt.«

»Erst war ich es, jetzt aber seid Ihr’s, der ungerecht gegen sich selbst ist. Wollt Ihr’s auch gegen mich sein?«

»Nein!«

»Dann darf ich wohl eine Bitte sagen?«

»Sprecht sie aus!«

»Zürnt mir, Sir; seid böse auf mich, so sehr Ihr nur immer könnt, wenn ich nicht recht tue, aber sprecht nicht wieder von Nachsicht! Wollt Ihr?«

»Ich will.«

»Danke! Und nun kehrt mit mir zum Feuer zurück, um den Andern gute Nacht zu sagen. Ich werde Euch Euren Schlafraum anweisen, und wir müssen bald die Ruhe suchen, da es morgen einen zeitigen Aufbruch geben wird.«

»Aus welchem Grunde?«

»Ich habe am Bee-fork meine Fallen gestellt, und Ihr sollt mit mir gehen, nach dem Fange zu sehen.«

Einige Minuten später standen wir vor einer der erwähnten Felltüren, welche er zurückschlug, um mich in einen dunklen Raum zu führen, der indes bald durch eine primitive und mit Hilfe des ›Punks‹ entzündete Hirschtalgkerze erleuchtet wurde.

»Hier ist Euer bed-room (Schlafzimmer), Sir. Die Companymänner pflegen sich in diese Räume zurückzuziehen, wenn sie unter freiem Himmel einen Rheumatismus befürchten.«

»Und Ihr meint, daß dieser schlimme Gesell auch mir nicht unbekannt sei?«

»Will Euch das Gegenteil wünschen; aber das Tal ist feucht, da die rundum liegenden Berge dem Winde den Zutritt verwehren, und Vorsicht ist zu allen Dingen nütze, wie man drüben in der Heimat sagt. Schlaft wohl!«

Er bot mir die Hand und schritt dann mit freundlichem Kopfnicken hinaus.

Als ich allein war, blickte ich mich in der kleinen Klause um. Sie war nicht eine natürliche Höhle, sondern durch menschliche Hand in das Gestein gehauen worden. Den felsigen Fußboden hatte man mit gegerbten Häuten belegt; ebenso waren die Wände mit denselben behangen, und an der hinteren Wand stand die Lagerstätte, bestehend aus einer allerdings nur aus glatten Kirschbaumstämmchen zusammengesetzten Bettstelle, über welche sich auf einer dicken Lage weißer Yutafelle eine sehr hinreichende Anzahl echter Navajodecken breiteten.

Mehrere in den Ritzen eingeschlagene Holzpflöcke trugen Gegenstände, welche mich bald zu der Überzeugung brachten, daß Harry mir sein eigenes Kabinett abgetreten habe.

Nur die große Müdigkeit, welche ich nun doch fühlte, vermochte mich, in dem engen, abgeschlossenen Raume zu bleiben; denn wer seine Nächte in der Unendlichkeit der freien, offenen Prairie zugebracht hat, kann sich nur schwer entschließen, sich gleich darauf zur Benutzung desjenigen Gefängnisses zu bequemen, welches der zivilisierte Mensch eine ›Wohnung‹ nennt.

Die Abgeschlossenheit meines Boudoirs mochte doch wohl schuld sein, daß mich der Schlaf etwas fester als gewöhnlich in seine Arme nahm; denn noch hatte ich mich nicht erhoben, als ich durch eine weckende Stimme wachgerufen wurde.

» Pooh! Sir, ich glaube gar, Ihr seid noch nicht ganz fertig, die Decken zu messen, meine ich. Streckt Euch noch ein wenig, aber nicht in die Länge, sondern in die Höhe; das wird gut sein, wie mir scheint!«

Ich sprang empor und sah mir den Störenfried, welcher unter der zurückgeschlagenen Tür stand, an. Es war Sam Hawkens. Während er gestern nur mit der Büchse versehen gewesen war, sah ich ihn jetzt in vollständiger Trapperausrüstung meiner warten, ein Beweis, daß er uns begleiten werde.

»Bin gleich fertig, lieber Sam.«

»Hoffe es; der kleine Sir steht, denke ich, schon am hole.«

»Ihr geht mit?«

»Scheint so, wenn ich mich nicht irre. Der kleine Sir soll doch das ›Gerät‹ nicht etwa tragen, und Old Shatterhand ist das auch nicht zuzumuten.«

Vor die Türe tretend, bemerkte ich Harry welcher am Eingange der Schlucht meiner wartete. Sam nahm einige zusammengebundene Fallen auf, warf sie über die Achsel und schritt, ohne sich zu überzeugen, daß ich ihm auch nachfolgte, auf die unser Harrenden zu.

»Lassen wir die Pferde hier?« fragte ich.

»Meine nicht, daß Euer Tier gelernt hat, ein regelrechtes Eisen zu legen oder einen Dickschwanz vom Grunde des Flusses herauf zu angeln. Wir müssen die Beine auseinander nehmen, wenn wir zu rechter Zeit fertig sein wollen. Kommt also!« antwortete Sam in seiner bekannten Weise.

»Muß doch erst nach dem Pferde sehen, Alter!«

»Ist nicht notwendig! Der kleine Sir hat’s schon getan, wenn ich nicht irre.«

Ohne daß er es wußte, sagte er mir mit den letzten Worten etwas höchst Erfreuliches. Harry hatte sich also schon bei grauendem Tage um Swallow bekümmert, ein Zeichen, daß er auch an seinen Herrn gedacht habe. Jedenfalls hatte sein Vater von mir gesprochen und den Anstoß zur Änderung seiner Meinung gegeben. Eben wollte es mich wundern, daß er, der Wachsame, noch nicht zu sehen war, als er mit Winnetou und einem der Jäger durch den Bach gewatet kam.

Winnetou machte Harry sein indianisches Kompliment:

»Der Sohn Ribannas ist stark wie die Krieger vom Ufer des Gila. Sein Auge wird viele Biber sehen und seine Hand nicht tragen können die große Zahl der Felle.« Und den Blick bemerkend, welchen ich, nach Swallow suchend, über das Tal warf, meinte er beruhigend: »Mein guter Bruder kann gehen; sein Freund wird sorgen für das Roß, welches auch besitzt die Liebe des Apachen.«

Nachdem wir durch die Kluft gegangen waren, wandten wir uns, der Richtung, aus der wir gestern kamen, entgegengesetzt, nach links und schritten den Lauf des Wassers abwärts, bis wir an die Stelle gelangten, an der es sich in den Mankizila ergoß.

Dichtes, fast undurchdringliches Gestrüpp bestand die Ufer des Flusses, und die Ranken des wilden Weines kletterten an den engstehenden Stämmen empor, liefen von Zweig zu Zweig, ließen sich, fest ineinander geschlungen, von oben hernieder, stiegen am nächsten Baum wieder in die Höhe und bildeten so ein Wirrwarr, in welches man sich nur mit Hilfe des Messers Eingang zu verschaffen vermochte.

Sam, der Kleine, war immer vor uns hergegangen, und seine vollbepackte Gestalt erinnerte mich lebhaft an die slovakischen Mausefallenhändler, welche sich drüben in meinem freundlichen Heimatsstädtchen von Zeit zu Zeit sehen ließen. Trotzdem in der Nähe kein feindliches Wesen zu vermuten war, vermied sein großbeschuhter Fuß mit bewundernswerter Behendigkeit jeden Punkt, welcher eine Spur seines leisen Trittes zurückbehalten konnte, und die kleinen Äuglein streiften mit ununterbrochener Beweglichkeit bald rechts, bald links über die reiche Vegetation, welche trotz der späten Jahreszeit mit der Üppigkeit zu wetteifern vermochte, welche die jungfräulichen Bottoms des Mississippitales hervorbringen.

jetzt hob er einige Ranken in die Höhe und kroch, sich bückend, unter ihnen hindurch.

»Kommt, Sir,« forderte Harry, ihm folgend, mich auf. »Hier zweigt unser Biberpfad ab.«

Wirklich zog sich hinter dem grünen Vorhange eine schmale, offene Linie durch das Dickicht und wir schlüpften, immer parallel mit dem Flusse, eine ansehnliche Weile zwischen dem Baum-und Strauchgewirr hindurch, bis Sam bei einem halb knurrenden, halb pfeifenden Laute, welcher vom Wasser her vernehmlich wurde, innehielt und, sich zu uns wendend, die Hand an den Mund legte.

»Wir sind da,« flüsterte Harry, »und die Wache hat Verdacht geschöpft.«

Nach einer Weile, während welcher die tiefste Stille in der Umgebung herrschte, schlichen wir wieder vorwärts und gelangten an eine Biegung des Flusses, welche uns Gelegenheit bot, eine ansehnliche Biberkolonie zu beobachten.

Ein breiter, für einen vorsichtigen menschlichen Fuß gangbarer Damm war weit in das Wasser hinein gebaut, und die vierfüßigen Bewohner desselben waren eifrig beschäftigt, ihn zu befestigen und zu vergrößern. Drüben am andern Ufer sah ich eine Anzahl der fleißigen Tiere bemüht, vermittelst ihrer scharfen Zähne schlanke Stämmchen so zu durchnagen, daß sie in das Wasser fallen mußten; andere waren mit dem Transporte dieser Bäume beschäftigt, die sie schwimmend vor sich herschoben, und noch andere beklebten den Bau mit fettem Erdreiche, welches sie vom Ufer herbeibrachten und vermittelst der Füße und des breiten, als Kelle gebrauchten Schwanzes an das Holz-und Strauchwerk befestigten.

Mit Interesse betrachtete ich das Treiben des regsamen Völkchens und hatte ganz besonders meine Aufmerksamkeit auf ein ungewöhnlich großes Exemplar gerichtet, welches in wachsamer Haltung auf dem Damme saß und allem Augenscheine nach als Sicherheitsposten fungierte. Da plötzlich spitzte der dicke Kerl die kurzen Ohren, machte eine halbe Drehung um seine Achse, stieß den schon erwähnten Warnungsruf aus und war im nächsten Augenblicke unter dem Wasser verschwunden.

Im Nu folgten die andern nach, und es war höchst possierlich zu sehen, wie sie beim Untertauchen den Hinterkörper in die Höhe warfen und der Wasserfläche mit dem platten Schwanze einen Schlag versetzten, daß es weithin schallte und das Wasser hoch in die Höhe spritzte.

Freilich war es nicht Zeit, sich humoristischen Betrachtungen hinzugeben; denn diese unerwartete Störung konnte bloß durch das Nahen eines feindlichen Wesens hervorgerufen worden sein, und der größte Feind dieser friedlichen und so gesuchten Tiere ist – der Mensch.

Noch war deshalb der letzte der Biber nicht unter der Wasserfläche verschwunden, so lagen wir schon, die Waffe in der Hand, unter den tief herabhängenden Zweigen einiger Pinien und erwarteten mit Spannung das Erscheinen des unwillkommenen Gastes. Nicht lange dauerte es, so bewegten sich eine Strecke aufwärts von uns die Spitzen des Röhrichtes, und nur wenige Augenblicke später sahen wir zwei Indianer schleichenden Schrittes am Ufer herabkommen. Der eine hatte mehrere Fallen über der Schulter hängen; der andere trug eine Anzahl Felle, beide aber waren vollständig bewaffnet und beobachteten eine Haltung, welcher man es anmerkte, daß sie sich in Feindesnähe wußten.

» Zounds!« zischte Sam durch die Zähne; »sind die Schurken über unsere Fallen geraten und haben geerntet, wo sie nicht gesäet haben, wenn ich nicht irre. Wartet, ihr Halunken, meine Liddy hier mag euch sagen, wem die Eisen gehören und die Pelze!«

Er nahm die Büchse langsam auf und machte sich schußfertig. Ich war von der Notwendigkeit, die beiden Rothäute ohne Lärm niederzustoßen, so sehr überzeugt, daß ich den alten Trapper am Arme faßte. Auf den ersten Blick hatte ich bemerkt, daß es Ponkas waren, und die Färbung des Gesichtes gab mir die Gewißheit, daß sie sich nicht auf einem Jagdzuge, sondern auf dem Kriegspfade befanden. Sie waren also nicht allein in der Nähe und jeder Schuß konnte ihnen Helfer oder doch wenigstens Rächer herbeirufen.

»Nicht schießen, Sam! Nehmt das Messer. Sie haben den Kriegspfeil ausgegraben und sind also wohl nicht nur zu zweien.«

Der kleine, schießlustige Mann entgegnete:

»Das sehe ich natürlich auch, sollte ich meinen, und freilich ist es besser, sie im Stillen auszulöschen; aber mein altes Messer ist zu sehr abgeschliffen, als daß es sich durch zwei solcher Männer hindurchbeißen könnte.«

»Pah! Ihr nehmt den Einen und ich den Andern; come on!«

»Hm! Viere von unsern besten Fallen; kostet jede dreieinhalb Dollars. Würde mich freuen, wenn sie zu den gestohlenen noch ihre eigenen beiden Felle hergeben müßten!«

»Vorwärts, Sam, ehe es zu spät ist!«

Die beiden Indianer standen jetzt von uns abgewendet, gerade vor uns und suchten nach Fußspuren im Boden. Leise, leise schob ich mich, die Büchse zurücklassend und das Messer zwischen die Zähne nehmend, vorwärts. Da flüsterte es ängstlich ganz nahe an meinem Ohre:

»Bleibt, Sir! Ich werde es an Eurer Stelle tun.« Harry sprach diese Worte.

»Danke, bringe es auch noch fertig!«

Mit diesen leise geflüsterten Worten hatte ich auch schon den Rand des Gebüsches erreicht, sprang empor, hatte im nächsten Augenblicke den mir am nächsten stehenden der Indianer mit der Linken beim Nacken und stieß ihm mit der Rechten das Messer zwischen die Schultern, daß er sofort lautlos zusammenbrach. Ich tat dies freilich nur notgedrungen; da es Ponkas waren, durften sie nicht geschont werden, denn wenn sie die ›Festung‹ entdeckten, galt es unser Leben. Rasch drehte ich mich mit der zurückgezogenen Klinge zur Seite, um nötigenfalls den Andern auch zu nehmen; aber auch dieser lag auf der Erde, und Sam stand mit ausgespreizten Beinen über ihm, hatte sich die lange Skalplocke um die Linke gewickelt, und zog ihm die losgeschnittene Kopfhaut vom Schädel.

»So, mein Junge; nun kannst du in den ewigen Jagdgründen so viele Fallen stellen, wie es dir beliebt, aber die unsrigen wirst du dort nicht gebrauchen können.«

Und den blutenden Skalp im Grase abwischend, fügte er mit kurzem Lachen hinzu:

»Das eine Fell haben wir, und das andere wird sich Old Shatterhand nehmen.«

»Nein,« antwortete ich. »Ihr wißt ja, wie ich über das Skalpieren denke. Es wundert mich sehr, zu sehen, daß Ihr Euch jetzt damit befaßt!«

»Das hat seine guten Gründe, Sir. Seit wir uns zum letzten Male sahen, nämlich Ihr und ich, habe ich viel Böses erlebt und mich in der Weise mit den Roten herumschlagen müssen, daß ich keine Schonung kenne. Sie haben mich auch nicht geschont. Da seht her!«

Er riß sich den traurigen Filz vom Kopfe und zog dabei die eigene langhaarige Haut mit ab. Ich kannte den Anblick schon, welchen der kahle, blutigrote Schädel bot.

»Was sagt Ihr dazu, Sir, wenn ich mich nicht irre? Hatte meine Haube von Kindesbeinen an ehrlich und mit vollem Rechte getragen und kein Lawyer hat es gewagt, sie mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees um mich waren und mir die Haare nahmen. Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir dort eine neue Haut gekauft. Nannten es eine Perücke, und kostete mich drei dicke Bündel Biberfelle, meine ich. Schadet aber nichts; denn die neue ist zuweilen praktischer als die alte, besonders im Sommer; kann sie abnehmen, wenn mich schwitzt. Aber trotzdem hat manche Rothaut dafür untergehen müssen, und ein Skalp macht mir mehr Vergnügen als der feinste Dickschwanz.«

Während dieser Worte hatte er sich Hut und Perücke wieder aufgestülpt; aber es war jetzt keine Zeit zu solchen Erinnerungen und langen Reden, denn hinter jedem Baume konnte die Sehne eines Bogens schwirren oder der Hahn einer Büchse knacken, und es war vor allen Dingen notwendig, das Lager zu alarmieren und die Jäger auf die Nähe der Indianer aufmerksam zu machen. Darum forderte ich Hawkens auf:

»Greift zu, Sam; wir wollen die Indsmen unsichtbar machen!«

»Habt recht, Sir! ist notwendig, das, meine ich. Aber der kleine Sir mag doch ein wenig hinter die Büsche treten; ich wette meine Mokassins gegen ein Paar Ballettschuhe, daß es in kurzer Zeit hier rote Männer geben wird.«

Harry folgte der Warnung des Alten, und wir verbargen die Leichen, welche wir vorsichtigermaßen nicht in das Wasser stoßen durften, unter dem Uferschilf. Als wir damit fertig waren, meinte Hawkens:

»So, das wäre getan, und nun geht Ihr mit dem kleinen Sir nach der ›Festung‹ und warnt unsere Leute, während ich diese Spuren zurückgehen werde, um etwas mehr zu erfahren, als die beiden Braunen uns gesagt haben.«

»Mögt nicht lieber Ihr zum Vater gehen, Sam Hawkens?« fragte Harry. »Ihr versteht besser, mit den Fallen umzugehen und vier Augen sehen mehr als zwei.«

»Hm! Wenn der kleine Sir es nicht anders will, so muß ich’s schon tun, meine ich; aber wenn ›der Stock anders schwimmt‹, als er es jetzt denkt, so mag ich nicht die Schuld haben.«

»Habt sie auch nicht, Alter! Wißt schon, daß ich nicht gern etwas Anderes tue, als was mir beliebt. Euern Skalp habt Ihr; muß sehen, daß ich mir mein Teil auch hole. Kommt, Sir!«

Er ließ den kleinen Trapper stehen und wand sich durch das Dickicht weiter vorwärts. Ich folgte ihm.

Obgleich es die Umstände erforderten, daß ich meine volle Aufmerksamkeit auf die Umgebung richtete, konnte ich doch nicht umhin, an das Verhalten des Knaben zu denken, welcher mit der vollständigen Gewandtheit eines erfahrenen Waldläufers sich geräuschlos durch das Gestrüpp arbeitete und in jeder seiner Bewegungen ein Bild der angestrengtesten Vorsicht bot.

Es war nicht anders möglich, er mußte schon von Jugend auf mit dem Leben im »Jagdlande‹ vertraut sein, mußte Eindrücke empfangen haben, welche seine Sinne geschärft, sein Gefühl gehärtet und dem Laufe seines Schicksales eine so ungewöhnliche Richtung gegeben hatten.

Wohl beinahe eine Stunde lang waren wir ununterbrochen vorwärts gedrungen, als wir an eine zweite Biberkolonie kamen, deren Bewohner aber nicht außerhalb ihrer Wohnungen zu erblicken waren.

»Hier hatten wir die Fallen gestellt, welche wir den Rothäuten wieder abgenommen haben, Sir, und weiter droben teilt sich der Bee-fork ab, wo wir ursprünglich hinwollten. Doch wird’s wohl anders kommen, denn seht, die Spuren laufen nach dem Walde, aus welchem sie gekommen sind. Wir müssen sie verfolgen.«

Er stand im Begriffe, weiter zu gehen, als ich ihn zurückhielt.

»Harry!«

Er blieb stehen und sah mich fragend an.

»Wollt Ihr nicht lieber umkehren und das Andere mir allein überlassen?«

»Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«

»Kennt Ihr die Gefahren, welche unser da vorn vielleicht warten?«

»Warum sollte ich nicht? Sie können unmöglich größer sein als diejenigen, denen ich schon getrotzt und die ich überwunden habe.«

»Ich möchte Euch erhalten!«

»Das will ich und das werde ich ja auch. Oder glaubt Ihr etwa, daß mich der Anblick eines buntbemalten Mannes zu erschrecken vermöge?«

Wieder ging es vorwärts. Wir entfernten uns jetzt vom Flusse und schritten leicht zwischen den schlanken und freien Stämmen des Hochwaldes hin, welcher ein dichtes, grünes Dach über den mit feuchten Moosen überzogenen Boden wölbte; infolge der weichen Beschaffenheit desselben konnten wir die Fußeindrücke ohne besonderen Scharfsinn erkennen.

Da blieb Harry, welcher immer noch voranschritt, stehen. Es waren jetzt die Spuren nicht von zwei, sondern von vier Männern zu erkennen, welche zusammen gegangen waren und sich hier getrennt hatten. Die beiden von uns unschädlich gemachten hatten die vollständige Kriegsbewaffnung getragen, und da ich annahm, daß eine größere Anzahl ihrer Stammesgenossen vorhanden sei, die nur durch ein wichtiges Unternehmen veranlaßt sein konnten, einen so weiten Weg mitten durch das Gebiet feindlicher Horden zu machen, so kam ich jetzt auf den Gedanken, daß dieses Unternehmen vielleicht mit dem gestörten Bahnüberfalle in Verbindung stehe und einer jener Rachezüge sei, bei denen die Indianer alles aufbieten, um eine erlittene Beleidigung oder einen gehabten Verlust quitt zu machen.

»Was tun?« fragte Harry. »Diese Spuren führen in der Richtung nach unserem Lager, welches wir der Entdeckung nicht aussetzen dürfen. Verfolgen wir sie, oder teilen wir uns, Sir?«

»Und diese vierfache Spur geht jedenfalls zum Lager der Rothäute, welche sich natürlich verborgen haben und die Rückkehr ihrer Kundschafter abwarten. Vor allen Dingen müssen wir dieses aufsuchen, um Gewißheit über ihre Zahl und Zwecke zu bekommen. Der Eingang zu unserer Ritterburg wird ja von einem Posten bewacht, der das Seinige schon tun wird, unser Geheimnis zu bewahren.«

»Ihr habt Recht. Gehen wir vorwärts!«

Der Wald lief von der Höhe, zu welcher das Flußtal emporstieg, eine ansehnliche Strecke in die Ebene hinein und war von tiefen, felsigen Rinnen durchschnitten, in welchen Farnkraut und wildes Beergesträuch üppig wucherte. Eben nahten wir uns leise einer dieser Einsenkungen, als ich einen brenzlichen Geruch bemerkte und, dadurch aufmerksam gemacht, mit schärferem Blicke die Waldung zu durchdringen suchend, eine leichte, dünne Rauchsäule wahrnahm, welche oft unterbrochen oder auch ganz verschwindend, in spielender Bewegung gerade vor uns zu den Baumkronen in die Höhe stieg.

Dieser Rauch konnte nur von einem Indianerfeuer kommen; denn während der Weiße das Holz gleich in seiner ganzen Länge in die Glut wirft und dadurch eine breite und hochleckende Flamme hervorbringt, welche stets eine ansehnliche und oft verräterische Menge Rauches erzeugt, schiebt der Wilde die Scheite nur mit den Spitzen in das Feuer, wodurch nur eine kleine Flamme mit kaum wahrnehmbarem Rauch entsteht. Winnetou pflegte von solchen großen Feuern der Weißen zu sagen: »Die Bleichgesichter machen mit ihrem Feuer so viel Hitze, daß sie sich nicht daran setzen können, um sich zu wärmen.«

Ich hielt Harry zurück und machte ihn auf meine Bemerkung aufmerksam.

»Streckt Euch hinter jenes Gestrüpp; ich werde mir die Leute ansehen!«

»Warum nicht auch ich?«

»Einer genügt; bei zweien ist die Gefahr des Entdeckens eine doppelt große.«

Er nickte zustimmend und schritt, behutsam jede Spur verwischend, seitwärts, während ich, von Stamm zu Stamm Deckung suchend, gegen die Rinne schlich.

Auf dem Grunde derselben saßen oder lagen, eng aneinander gedrängt, eine solche Menge Rothäute, daß die Vertiefung sie kaum zu fassen vermochte; unten am Ausgange derselben stand, bewegungslos wie eine eherne Statue, ein junger, langhaariger Bursche, und auch hüben und drüben am Rande bemerkte ich Wachen, denen mein Nahen glücklicherweise vollständig entgangen war.

Ich versuchte, die Lagernden zu zählen, und nahm deshalb jeden Einzelnen ins Auge, hielt aber bald in größter Überraschung inne. Als der nächste am Feuer saß – war es denn nur auch möglich? – der weiße Häuptling Parranoh oder Tim Finnetey, wie er von Old Firehand genannt worden war. Ich hatte in jener Nacht sein Gesicht beim Scheine des Mondes und dann beim Niederstoßen seiner Person zu deutlich gesehen, um mich jetzt täuschen zu können, und doch wurde ich irre an mir selbst; denn von seinem Kopfe hing die prächtigste Skalplocke herab, während Winnetou sie ihm doch genommen und nicht eine Minute lang aus seinem Gürtel gebracht hatte.

Da machte der Wachtposten, welcher diesseits der Schlucht stand, eine Bewegung nach dem Orte zu, an welchem ich, von einem Felsstücke verborgen, lag, und ich mußte mich deshalb schleunigst zurückziehen.

Glücklich bei Harry angelangt, winkte ich ihm, mir zu folgen, und schritt nun den Weg, welchen wir gekommen waren, wieder bis zu der Stelle zurück, an welcher sich die Spuren teilten. Von hier aus verfolgten wir die neue Fährte, welche durch das dichteste Pflanzengewirr immer gerade auf das Tal zu lief, durch welches wir gestern gekommen und von dem Posten angerufen worden waren.

Es war mir jetzt klar, daß die Ponkas sich verstärkt hatten und uns dann Schritt um Schritt gefolgt waren, um sich an uns zu rächen. Unser Aufenthalt während der Krankheit Old Firehands hatte ihnen Zeit gegeben, alle verfügbaren Kräfte zusammenzuziehen; aber warum sich wegen uns Dreien eine so große Zahl streitbarer Krieger versammelt hatte, warum sie nicht schon längst über uns hergefallen waren und statt dessen uns ruhig hatten ziehen lassen, das konnte ich nicht begreifen, wenn ich nicht annehmen wollte, daß Parranoh von der Jägerniederlassung wisse und seine Pläne auf sämtliche Angehörigen derselben erstrecke.

Die beiden Vorangeschlichenen hatten uns gut Bahn gebrochen, so daß wir verhältnismäßig schnell vorwärts kamen und uns gar nicht mehr weit von dem senkrecht unsere Richtung durchschneidenden Tale befinden konnten, als ich ein leises Klirren vernahm, welches hinter einem dichten Gebüsch wilder Kirschenstämmchen hervorklang.

Harry mit einer Handbewegung bedeutend, sich zu verstecken, legte ich mich sogleich auf den Boden nieder, zog das Messer und kroch auf einem Umwege der erwähnten Richtung zu. Das nächste nicht an diesen Ort Gehörige, was ich erblickte, war ein Haufen eiserner Biberfallen, neben welchem ein Paar krumme Beinchen sichtbar wurden, deren Füße in riesigen Mokassins staken. Weiter heranschleichend, bemerkte ich auch einen langen, weiten Jagdrock, auf dessen oberem Teile die breite, runzelige Krempe eines uralten Filzhutes lag, und etwas abwärts von dieser Krempe sah ich die geraden und dornig abstehenden Spitzen eines verworrenen Bartes, aus welchem zwei kleine Äuglein munter und aufmerksam durch das Blätterwerk lugten.

Es war Sam, der Kleine. Aber wie war er nur hierhergekommen, da ich ihn doch längst in der ›Burg‹ vermutete? Das war jedenfalls leicht und sofort zu erfahren; ich durfte ihn ja nur fragen, und als ich deshalb so geräuschlos wie möglich an ihn herankroch, machte mir der Schreck, welchen er über den unvermuteten Überfall haben mußte, schon im voraus Vergnügen.

Leise, ganz leise griff ich nach der Büchse, welche an seiner Seite lag, zog die alte, vorsündflutliche Liddy an mich heran und öffnete den rostbedeckten Hahn derselben. Bei dem dadurch verursachten Knacken fuhr er so schnell herum, daß ihm das überhängende Zweigwerk Hut und Perücke abstreifte, und als er seine eigene Büchse auf sich gerichtet sah, wurde unmittelbar unter der in allen Regenbogenfarben spielenden Papageinase ein mächtig großes Loch sichtbar, welches vor Erstaunen immer weiter aufgerissen wurde.

»Sam Hawkens,« flüsterte ich, »wenn Ihr Euren Mund nicht bald zumacht, werde ich Euch das ganze Dutzend Fallen hineinschieben, welches hier liegt!«

» Good lack, Ihr habt mich erschreckt, Sir, wenn ich mich nicht irre!« antwortete der Trapper, welcher trotz seiner Bestürzung keinen einzigen unvorsichtigen Laut von sich gegeben hatte und schleunigst Hut und Perücke ihren verlorenen Herrschersitz wieder anwies. »Hol’ Euch der Teufel! Mir ist’s in alle Glieder gefahren, meine ich; denn wenn Ihr eine Rothaut gewesen wäret, so -«

»So hättet Ihr Eure letzten Boudins gegessen gehabt. Hier habt Ihr Euer Schießgewehr! Und nun sagt, wie Ihr dazu kommt, Euch hier schlafen zu legen.«

»Schlafen? Na hört ‘mal, von Schlafen war wohl gar keine Rede, wenn Ihr mir auch auf den Leib gerückt seid, ohne daß ich es gemerkt habe. Hatte meine drei Gedanken eben nur bei den zwei Rattenfellen, welche ich mir noch holen wollte, und Ihr braucht da drinnen den Andern beileibe nicht zu erzählen, daß der alte Sam überrumpelt worden ist.«

»Werde still sein.«

»Wo habt Ihr den kleinen Sir?«

»Steht da hinten. Wir hörten Eure Fallen klirren, und ich mußte natürlich wissen, was das für Glocken wären.«

»Glocken? Ist’s so laut gewesen? Sam Hawkens, was bist du für ein alter, dummer Waschbär! Liegt das alte Maultier da, um Skalpe zu fangen, und macht dabei einen Lärm, der droben in Kanada zu hören ist, wie mir scheint! Aber wie seid Ihr denn in die Richtung geraten? Seid wohl auch hinter den beiden Rothäuten her?«

Ich bejahte diese Frage und erzählte ihm, was ich gesehen hatte.

»Hm, wird viel Pulver kosten, viel Pulver, Sir! Kam da mit meinen Fallen das Wasser herauf und sah plötzlich zwei Braune, wenn ich mich nicht irre, die spionierend dort am Rande des Gebüsches, kaum acht Schritte von uns entfernt, standen. Natürlich duckte ich mich ins Gesträuch und gewahrte nun, daß der Eine abwärts, der Andere aber aufwärts ging, um das Tal abzusuchen, Wird ihnen aber schlecht bekommen, meine ich! Ich ließ den Einen an mir vorüber und machte mich dann hierher, um die Burschen zu fragen, was sie gesehen haben, wenn sie nachher hier wieder zusammentreffen.«

»Glaubt Ihr es?«

»Meine es! Wenn Ihr klug sein wollt, so macht Euch da hinüber auf die andere Seite, damit wir sie dazwischen kriegen, und laßt den kleinen Sir nicht länger warten. Könnte sonst vor lauter Ungeduld einen Fehler machen.«

Ich folgte der Weisung und kehrte zu Harry zurück. Nachdem ich ihm in kurzen Worten Bericht erstattet hatte, nahmen wir eine, Sam gerade gegenüber liegende Stellung ein und warteten auf die Rückkehr der beiden Rothäute.

Lange wurde unsere Geduld auf die Probe gestellt, und es vergingen fast einige Stunden, ehe wir den leisen Schritt eines heranschleichenden Menschen hörten. Es war einer von den Erwarteten, ein alter, verwetterter Bursche, der für die erbeuteten Skalps so wenig Platz an seinem Gürtel gefunden hatte, daß er die Außennähte seiner weiten Hosen in dicken Lagen mit dem Haare seiner erlegten Feinde ausgefranst hatte.

Kaum war er in unseren Bereich getreten, als er auch schon von hüben und drüben gepackt und ›ausgelöscht‹ wurde.

Ebenso erging es dem Andern, welcher nach kurzer Zeit erschien, und nun kehrten wir, vereint, wie wir ausgegangen waren, in die Festung zurück.

Vor dem Tore suchten wir den Posten auf, welcher hinter dem beschützenden Gesträuch verborgen gelegen und den spionierenden Wilden, der in einer Entfernung von kaum einigen Schritten an ihm vorübergeschlichen war, wohl bemerkt hatte. Es war Will Parker.

Sam blickte ihn erstaunt an.

»Bist ein Greenhorn gewesen, Will, und wirst ein Greenhorn bleiben, bis dich mal die red-men beim Schopfe haben, meine ich. Hast wohl geglaubt, der Braune gehe hier nur Ameisen fangen, daß du das Eisen stecken gelassen hast?«

»Sam Hawkens, wirf die Schlinge um deine Zunge, sonst tue ich jetzt an dir, was ich vorhin unterlassen habe! Will Parker ein Greenhorn! Der Spaß wäre schon einige Körner Pulver wert, altes Coon. Aber deiner Mutter Sohn ist wohl nicht klug genug, um einzusehen, daß man einen Kundschafter laufen läßt, um nicht die übrigen durch seinen Untergang aufmerksam zu machen?«

»Sollst recht haben, Mann, wenn du nämlich nicht zu Indianerfellen kommen willst, wie mir scheint.«

Mit den letzten Worten wandte er sich dem Wasser zu, drehte sich aber, ehe er zwischen den Felsen verschwand, noch einmal um und warnte den Wachehaltenden:

»Mache deine Augen auf! Da drüben im ›Gutter‹ gibt’s ein ganzes Nest Pfeilmänner. Könnten ihre Nasen auch zwischen deine Beine stecken wollen. Wäre schade um dich, wenn ich mich nicht irre, jammerschade!«

Tief unter den um ihn hängenden Fellen begraben, schritt er uns voran, und bald standen wir an dem Ausgange der Schlucht und konnten den Talkessel überblicken. Ein scharfer Pfiff des alten Trappers genügte, um sämtliche Bewohner unseres Versteckes herbeizurufen, und mit gespannter Aufmerksamkeit folgten alle dem Berichte unseres Abenteuers.

Schweigend hörte Old Firehand ihn bis zu Ende, aber als ich ihm von Parranoh sagte, entfuhr ihm ein Ausruf der Verwunderung und zugleich der Freude.

»Wär’s möglich, daß Ihr Euch nicht getäuscht hättet, Sir? Dann könnte ich meinen Schwur wahr machen und ihn zwischen meine Fäuste nehmen, wie es jahrelang mein einziger, mein heißester Wunsch gewesen ist.«

»Die Haare allein machen mich irre.«

»O, die sind gleichgültig! Sam Hawkens mag Euch als Beispiel dienen, und es ist doch nicht ganz unglaublich, daß Ihr ihn in jener Nacht nicht recht getroffen habt. Die Seinen haben ihn gefunden und mitgenommen. Während ich krank war, hat er sich erholt, hat uns beobachten lassen und ist dann gefolgt.«

»Aber warum griff er uns nicht an?«

»Weiß es nicht; wird aber jedenfalls seinen Grund haben, den wir auch erfahren. Seid Ihr müde, Sir?«

»Könnte es nicht behaupten.«

»Ich muß den Mann selbst sehen. Wollt Ihr mich begleiten?«

»Versteht sich. Nur muß ich Euch auf das Gefährliche dieses Ganges aufmerksam machen. Die Indianer werden vergebens auf ihre ausgesandten Späher warten, sich bald nach ihnen umsehen und die Toten finden. Wir geraten zwischen die Suchenden und werden vielleicht von den Unserigen abgeschnitten.«

»Das alles ist möglich; aber ich kann unmöglich bleiben und ruhig zuwarten, bis sie uns finden. Dick Stone!« Dieser letztere war gestern fort gewesen, um ›Fleisch zu machen‹, und sah mich also erst jetzt. Er begrüßte mich auch herzlich und wurde dann von Old Firehand gefragt:

»Hast du es gehört, wohin es gehen soll?«

»Denke es.«

»Hole dein Gewehr! Wir sehen nach Rothäuten.«

»Bin dabei, Sir! Reiten wir?«

»Nein; es geht nur bis zum ›Gutter‹. Ihr Andern aber rührt die Hände und deckt die Catches mit Rasen zu. Man kann nicht wissen, wie es geht, und wenn die Braunen ja zwischen unsere Felsen kommen, sollen sie wenigstens nichts von dem finden, was sie brauchen können. Harry, du gehst zu Will Parker, und du, Bill Bulcher, magst auf Ordnung sehen, wenn wir fort sind!«

»Vater, laß mich bei dir sein,« bat Harry.

»Kannst mir zu nichts dienen, Kind. Ruhe dich aus; wirst schon noch zur rechten Stelle kommen!«

Harry wiederholte seine Bitte; aber Firehand hielt an seiner Bestimmung fest, und so schritten wir bald wieder zu dreien durch das Bett des Baches hinaus.

Draußen angekommen schritten wir nach einigen kurzen Weisungen an der Wache vorüber, dem Orte zu, an welchem sich Hawkens versteckt gehabt hatte. Die von dort nach der Schlucht führende Richtung war jedenfalls die für uns vorteilhafteste; denn wir hatten von beiden Seiten Deckung und waren sicher, denjenigen von den Indianern zu begegnen, welche annehmbarerweise ihren Versteck verlassen hatten, um nach dem Verbleiben der uns Begegneten zu sehen.

Winnetou hatte kurz nach unserm frühzeitigen Aufbruche am Morgen das Lager auch verlassen und war noch nicht zurückgekehrt. Er wäre uns auf dem jetzigen Gange der willkommenste Begleiter gewesen, und ich konnte mich einer leisen Sorge um ihn nicht erwehren. Es war ja ein Zusammentreffen mit dem Feinde so leicht möglich, und in diesem Falle war er trotz seiner Tapferkeit verloren.

Eben dachte ich an diesen Umstand, als sich plötzlich neben uns die Büsche teilten und der Apache vor uns stand. Unsere Hände, welche beim ersten Rascheln der Zweige nach den Waffen gegriffen hatten, fuhren von denselben zurück, als wir ihn erkannten.

»Winnetou wird gehen mit den weißen Männern, um zu sehen Parranoh und die Ponkas,« sagte er.

Erstaunt blickten wir ihn an. Er wußte also schon von der Anwesenheit der Indianer.

»Hat mein roter Bruder die Krieger der grausamsten Verwandten der Sioux gesehen?« fragte ich.

»Winnetou muß wachen über seinen Bruder Old Shatterhand und über den Sohn Ribannas. Er ist hinter ihnen gegangen und hat gesehen ihre Messer fahren in das Herz der roten Krieger. Parranoh hat sich genommen den Schädel eines Mannes vom Volke der Osagen; sein Haar ist eine Lüge, und seine Gedanken sind voller Falschheit. Winnetou wird ihn töten.«

»Nein, der Häuptling der Apachen wird ihn nicht berühren, sondern ihn mir lassen!« entgegnete Old Firehand.

»Winnetou hat ihn schon einmal geschenkt seinem weißen Freunde!«

»Er wird mir nicht wieder entgehen, denn meine Hand -«

Nur das letzte Wort hörte ich noch; denn in dem Augenblicke, in welchem es gesprochen wurde, sah ich zwei glühende Augen hinter dem Strauche, welcher die Biegung der Fußspuren verbarg, hervorleuchten und hatte mit einem raschen Sprunge den Mann gepackt, dem sie angehörten.

Es war der, von welchem gesprochen wurde, Parranoh, und kaum stand ich vor ihm und warf ihm die Finger um die Kehle, so raschelte es zu beiden Seiten, und eine Anzahl Indianer sprangen hervor, ihrem Häuptlinge zu Hilfe.

Die Freunde hatten meine Bewegung gesehen und stürzten sich sofort auf meine Angreifer. Ich hatte den weißen Häuptling unter mir. Meine Kniee auf seiner Brust, die Finger der Linken um den Hals und die Rechte um seine Hand, weiche das Messer gepackt hatte, krümmte er sich unter mir wie ein Wurm und machte die wütendsten Anstrengungen, mich von sich zu stoßen. Mit den Füßen wie ein angeketteter Stier um sich schlagend, versuchte er, in riesenkräftigen Rucken sich emporzuschnellen; der falsche, langbehaarte Schädel lag neben ihm, und die Augen traten weit mit Blut unterlaufen aus ihren Höhlen; vor dem Munde stand ihm der gärende Schaum der Wut, und die nackte, von dem Skalpmesser Winnetous barbierte Kopfblöße schwoll unter der Anstrengung aller Fasern und Nerven und dem wilden Schlage des zusammengedrückten Pulses mit einer erschreckenden Häßlichkeit auf. Mir war, als hätte ich ein rasendes Tier unter mir, und mit aller Gewalt krampfte ich meine Finger um seine Kehle, so daß er einigemal konvulsivisch zusammenzuckte, den Kopf hintenüber legte und, die Augen verdrehend, unter einem immer leiser werdenden Zittern die Glieder von sich streckte; -er war besiegt.

Jetzt endlich blickte ich, mich erhebend, um mich, und es bot sich mir eine Szene, wie sie die Feder nie zu beschreiben vermag. Keiner der Kämpfenden hatte, aus Sorge, dem Feinde Hilfe herbeizurufen, eine Schußwaffe gebraucht, sondern nur das Messer und der Tomahawk waren tätig gewesen. Keiner von ihnen stand aufrecht, sondern alle lagen am Boden und wälzten sich in ihrem oder dem Blute ihres Gegners.

Winnetou stand eben im Begriffe, einem unter ihm Liegenden die Klinge in die Brust zu stoßen; er bedurfte meiner nicht. Old Firehand lag auf einem der Gegner und versuchte, einen Zweiten, welcher ihm den Arm zerfleischte, von sich abzuhalten. Ich eilte ihm zu Hilfe und schlug den Dränger mit seinem eigenen Beile, welches ihm entfallen war, nieder. Dann ging’s zu Dick Stone, welcher zwischen zwei toten Rothäuten unter einem riesigen Manne lag, der sich alle Mühe gab, einen tödlichen Stich anzubringen. Es gelang ihm nicht; das Beil des Stammesgenossen machte seiner Bemühung ein Ende.

Stone erhob sich und brachte seine Gliedmaßen in Ordnung.

» By god, Sir, das war Hilfe zur rechten Zeit! Drei gegen einen ist doch, wenn man nicht schießen darf, ein wenig zu viel; habt Dank!«

Auch Old Firehand streckte mir die Hand entgegen und wollte eben sprechen, als sein Blick auf Parranoh fiel.

»Tim Finn – ist’s möglich? Der Häuptling selber! Wer hat’s mit ihm zu tun gehabt?«

»Old Shatterhand hat ihn niedergeworfen,« antwortete Winnetou statt meiner. »Der große Geist hat ihm die Kraft des Büffels gegeben, der die Erde pflügt mit seinem Horne.«

»Mann,« rief Old Firehand, »wie Euch, so hab’ ich noch keinen getroffen, so weit ich auch herumgekommen bin. Aber wie ist es möglich, daß Parranoh mit den Seinen hier versteckt sein konnte, da Winnetou dort in der Nähe war?«

»Der weiße Häuptling ist nicht verborgen gewesen an der Seite des Apachen,« antwortete Winnetou. »Er hat bemerkt die Spuren seiner Feinde und ist ihnen nachgegangen auf ihrem Pfade. Seine Männer werden ihm nachkommen, und meine weißen Brüder müssen Winnetou schnell folgen in ihre Wigwams.«

»Hat recht, der Mann!« bekräftigte Dick Stone. »Wir werden sehen müssen, daß wir zu den Unsrigen kommen.«

»Gut,« erwiderte Old Firehand, von dessen Arm das Blut in hellen Strömen floß; »auf alle Fälle aber müssen wir die Spuren des Kampfes möglichst beseitigen. Gehe doch ein wenig vorwärts, Dick, damit wir nicht etwa überrascht werden.«

»Soll geschehen, Sir, aber nehmt mir doch zuerst einmal das Messer aus dem Fleische. Ich kann nicht gut zu dem Dinge kommen.«

Einer von den Dreien hatte ihm das Messer in die Seite gestoßen, und durch das Ringen war es immer weiter hineingedrungen. Glücklicherweise stak es an keiner gefährlichen Stelle und hinterließ bei seiner Entfernung eine für Stones Eisennatur nur leichte Wunde.

In kurzer Zeit war das Notwendige getan und Dick Stone wurde herbeigeholt.

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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