Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 31

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»Achtung!« schrie er. »Sie kommen über die Mauer. Sie haben sich junge Bäume als Leitern mitgebracht. Schnell auf die Plattform!«

Aber das ging gar nicht so rasch, wie er es wünschte. Die Peons befanden sich ein Stockwerk tiefer als wir, wo die Dienerschaft gewöhnlich ihren Aufenthaltsort hatte, und auch wir beide wurden verhindert, schnell empor zu steigen, denn zugleich mit dem Caballero traten dessen beide Damen auf den Korridor heraus und bestürmten uns mit den Ausdrücken ihrer Angst vor dem Überfalle. Wohl über zwei Minuten verflossen, bevor wir die Treppe hinter uns hatten, in einer solchen Lage eine kostbare Zeit. Die böse Folge des Zeitverlustes zeigte sich sofort, als wir auf die Plattform gelangten, denn da schwang sich bereits der erste Indianer über den Rand derselben. Ihm folgte schnell ein zweiter, dritter, vierter. Wir hatten unsere Waffen in den Händen, konnten ihnen aber nun den Zutritt nicht mehr verwehren, wenn wir sie nicht geradezu niederschießen wollten. Sie hatten mit Hilfe der erwähnten Jungen Bäume die Außenmauer und nach Passieren des Hofes auch die beiden Plattformen mit ungemeiner Schnelligkeit erstiegen. Wir standen jetzt auf der Mitte des obern Stockwerks, während sie sich noch am Ende desselben befanden.

»Richtet die Gewehre auf sie! Laßt sie nicht heran!« gebot Old Death. »Wir müssen vor allen Dingen Zeit gewinnen.«

Ich zählte zweiundfünfzig Rote, von denen bis jetzt kein einziger einen Laut ausgestoßen hatte. Wir waren von ihnen vollständig überrumpelt worden. Aber sie wagten sich doch nicht sogleich an uns heran, sondern standen am Rande der Plattform und hielten ihre Bogen und Pfeile in den Händen. Die Lanzen hatten sie unten zurückgelassen, da sie durch dieselben beim Klettern gehindert worden wären. Der Caballero trat ihnen einige Schritte entgegen und fragte in jenem Gemisch von Spanisch, Englisch und Indianisch, welches im dortigen Grenzgebiete zur Verständigung gebraucht wird:

»Was wollen die roten Männer bei mir? Warum betreten sie mein Haus, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen?«

Der Anführer, welcher vorher seine Flinte auf dem Rücken trug, sie aber jetzt in die Hand genommen hatte, trat einige Schritte vor und antwortete:

»Die Krieger der Comanchen sind gekommen, weil das Bleichgesicht ihr Feind ist. Die Sonne des heutigen Tages ist die letzte, welche er gesehen hat.«

»Ich bin kein Feind der Comanchen. Ich liebe alle roten Männer, ohne zu fragen, zu welchem Stamme sie gehören.«

»Das Bleichgesicht sagt eine große Lüge. In diesem Hause ist ein Häuptling der Apachen versteckt. Die Hunde von Apachen sind die Feinde der Comanchen. Wer einen Apachen bei sich aufnimmt, ist unser Feind und muß sterben.«

»Caramba! Wollt Ihr mir etwa verbieten, irgend jemand bei mir aufzunehmen, wenn es mir gefällt? Wer hat hier zu gebieten, Ihr oder ich?«

»Die Krieger der Comanchen haben dieses Haus erstiegen, sind also Herren desselben. Gib uns den Apachen heraus! Oder willst du leugnen, daß er sich bei dir befindet?«

»Zu leugnen fällt mir gar nicht ein. Nur derjenige, welcher sich fürchtet, sagt eine Lüge; ich aber habe keine Angst vor den Comanchen und will euch also offen – – -«

»Halt!« unterbrach ihn Old Death in gedämpftem Tone. »Macht keine Dummheit, Sennor!«

»Meint Ihr, daß ich leugnen soll?« fragte der Mexikaner.

»Selbstverständlich. Die Lüge ist eine Sünde; das gebe ich ja zu; aber die Wahrheit wäre hier der reine Selbstmord, und ich frage Euch, was sündhafter ist, eine Unwahrheit zu sagen, oder sich selbst umzubringen?«

»Selbstmord? Was vermögen diese Leute gegen unsere vierzehn Gewehre?«

»Viel, da sie einmal hier oben sind. Die Mehrzahl von ihnen würde allerdings fallen; aber wir bekämen auch so einige Pfeile und Messerklingen in den Leib, Sennor. Und selbst wenn wir siegen, so holen die Überlebenden die Andern von den Fünfhundert herbei. Laßt mich einmal machen! Ich werde mit ihnen reden.«

Er wendete sich an den Anführer der Roten:

»Die Worte meines Bruders versetzen uns in Erstaunen. Wie kommen die Comanchen auf den Gedanken, daß sich ein Apache hier befindet?«

»Sie wissen es,« antwortete der Gefragte kurz.

»So wißt Ihr mehr als wir.«

»Willst du sagen, daß wir uns irren? Darin sagst du eine Lüge.«

»Und du sagst da ein Wort, welches du mit dem Leben bezahlen mußt, wenn du es wiederholst. Ich lasse mich nicht einen Lügner nennen. Du siehst unsere Gewehre auf dich gerichtet. Es bedarf nur eines Winkes von mir, so stürzen so viele deiner Leute, wie wir an der Zahl sind, in den Tod.«

»Aber die Andern würden Euch ihnen nachsenden. Da draußen befinden sich noch viele Krieger der Comanchen, mehr als zehn mal zehn mal fünf. Sie würden kommen und dieses Haus von der Erde vertilgen.«

»Sie würden nicht über die Mauer kommen, denn wir sind nun gewarnt. Wir würden sie von hier oben aus mit so viel Kugeln begrüßen, daß keiner von ihnen übrig bliebe.«

»Mein weißer Bruder hat ein großes und breites Maul. Warum redet er zu mir? Ist etwa er der Besitzer dieses Hauses? Wer ist er, und wie nennt er sich, daß er es wagt, mit dem Anführer der Comanchen zu reden?«

Old Death machte eine wegwerfende Handbewegung:

»Wer ist der Anführer der Comanchen? Ist er ein berühmter Krieger, oder sitzt er bei den Weisen des Rates? Er trägt nicht die Feder des Adlers oder des Raben in seinem Haare, und ich sehe auch kein anderes Abzeichen der Häuptlinge an ihm. Ich aber bin ein Häuptling der Bleichgesichter. Von welchem Stamme der Comanchen seid Ihr denn, daß Ihr erst fragen müßt, wer ich bin? Mein Name lautet Koscha-pehve, und ich habe die Pfeife des Friedens geraucht mit Oyo-koltsa, dem Häuptling der Comanchen. Auch habe ich gestern mit seinem Sohne Avat-Vila gesprochen und die Nacht bei seinen Kriegern geschlafen. Ich bin ein Freund der Comanchen, aber wenn sie mich einen Lügner nennen, so werde ich ihnen mit einer Kugel antworten.«

Durch die Reihe der Roten ging ein Murmeln. Ihr Anführer wendete sich zu ihnen zurück und sprach leise zu ihnen. Den Blicken, mit denen sie Old Death betrachteten, war es anzusehen, daß sein Name einen großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Nach einer kurzen Beratung wendete sich der Anführer wieder zu dem Scout:

»Die Krieger der Comanchen wissen, daß der ›alte Tod‹ ein Freund des ›weißen Bibers‹ ist, aber seine Worte sind nicht diejenigen eines Freundes. Warum verheimlicht er uns die Anwesenheit des Apachen?«

»Ich verheimliche nichts, sondern ich sage euch offen, daß er sich nicht hier befindet.«

»Und doch haben wir ganz genau erfahren, daß Indanischo hier ist, und zwar von einem Bleichgesichte, welches sich in den Schutz der Comanchen begeben hat.«

»Wie ist der Name dieses Bleichgesichtes?«

»Der Name ist nicht für den Mund der Comanchen gemacht. Er klingt wie Ta-hi-ha-ho.«

»Etwa Gavilano?«

»Ja, so lautet er.«

»So haben die Comanchen einen großen Fehler begangen. Ich kenne diesen Mann. Er ist ein Bösewicht und hat die Lüge auf seiner Zunge. Die Krieger der Comanchen werden es bereuen, ihn unter ihren Schutz genommen zu haben.«

»Mein Bruder irrt sich sehr. Das Bleichgesicht hat uns die Wahrheit gesagt. Wir wissen, daß Winnetou den ›guten Mann‹ gebracht hat und dann über den Avat-Hona entkommen ist. Aber wir eilen ihm nach und werden ihn für den Marterpfahl einfangen. Wir wissen, daß der ›gute Mann‹ an einem Arme und einem Beine verwundet ist. Wir wissen sogar ganz genau den Ort, an welchem er sich befindet.«

»Wenn das wahr ist, so sage mir denselben!«

»Man steigt von hier aus zweimal in die Tiefe des Hauses hinab, bis wo es viele Türen rechts und links von einem schmalen Gange gibt. Dann öffnet man zur linken Hand die letzte Türe. Dort liegt der Apache auf dem Lager, welches zu verlassen er keine Kräfte hat.«

»Das Bleichgesicht hat dich belogen. Du würdest an dem beschriebenen Orte keinen Apachen finden.«

»So laß uns hinabsteigen, um nachzuforschen, wer die Wahrheit spricht, du oder das Bleichgesicht.«

»Das werde ich freilich nicht. Dieses Haus ist da für diejenigen Leute, welche es mit der Erlaubnis des Besitzers betreten, nicht aber für solche, welche es feindlich überfallen.«

»Nach diesen deinen Worten müssen wir glauben, daß der Apache sich hier befindet. Der ›weiße Biber, hat uns befohlen, ihn zu holen, und wir werden gehorchen.«

»Du irrst wieder. Ich verweigere euch die Erfüllung deines Wunsches nicht, weil sich der Apache etwa hier befindet, sondern weil dein Verlangen eine Beleidigung für mich ist. Wenn Old Death euch sagt, daß ihr belogen worden seid, so habt ihr es zu glauben. Wollt ihr euch trotzdem den Eingang erzwingen, so versucht es immerhin! Sehr ihr denn nicht ein, daß ein einziger von uns genügt, den Eingang zu verteidigen? Wenn er hier unten an der Treppe steht, so kann er jeden von euch niederschießen, welcher es wagen wollte, da hinabzusteigen. Ihr habt uns in feindlicher Absicht überfallen; darum weisen wir euch zurück. Geht hinunter vor das Tor und bittet um Einlaß, wie es sich gehört, so werden wir euch vielleicht als Freunde empfangen!«

»Der ›alte Bär‹ gibt einen Rat, welcher sehr gut für ihn selbst ist, aber nicht für uns. Wenn er ein gutes Gewissen hat, so mag er uns in das Haus steigen lassen. Tut er das nicht, so werden wir hier an dieser Stelle bleiben und einen Boten absenden, um die ganze Schar der Comanchen herbei zu holen. Dann wird er wohl gezwungen sein, uns eintreten zu lassen.«

»Gewiß nicht! Selbst wenn tausend Comanchen kämen, so könnte doch immer nur einer hier hinab und müßte es augenblicklich mit dem Leben bezahlen. Übrigens wird es dir nicht gelingen, einen Boten abzusenden, denn sobald er den Schutz der Mauer nicht mehr hat, werde ich ihn von hier aus mit meiner Kugel niederstrecken. Ich bin ein Freund der Comanchen, aber ihr seid als Feinde gekommen und werdet als solche behandelt.«

Während des ganzen Herüber-und Hinüberredens waren unsere Gewehre auf die Indianer gerichtet gewesen. Obgleich es ihnen gelungen war, die Plattform zu ersteigen, befanden sie sich gegen uns doch im Nachteile. Das sah ihr Anführer gar wohl ein, und darum begann er wieder leise mit ihnen zu verhandeln. Aber auch unsere Lage war keine beneidenswerte. Old Death kratzte sich bedenklich hinter den Ohren und sagte:

»Die Geschichte ist außerordentlich fatal. Die Klugheit verbietet uns, die Comanchen feindlich zu behandeln. Holen sie die Andern herbei, so ist es um uns geschehen. Ja, wenn wir den Apachen verstecken könnten, daß es unmöglich wäre, ihn zu finden! Aber ich kenne dieses Haus genau und weiß, daß kein solches Versteck vorhanden ist.«

»So schaffen wir ihn hinaus!« sagte ich.

»Hinaus?« sagte der Alte. »Seid Ihr des Teufels, Sir? Auf welche Weise denn?«

»Habt Ihr die beiden heimlichen Türen vergessen? Sie befinden sich auf der hintern Seite, während die Comanchen vorn stehen und also nichts bemerken können. Ich schaffe ihn hinaus in das Gebüsch am Flusse, bis sie fort sind.«

»Dieser Gedanke ist freilich nicht schlecht,« sagte Old Death. »An diese Türen habe ich gar nicht gedacht. Hinaus zu bringen wäre er wohl; aber wie nun, wenn die Comanchen draußen Wächter aufgestellt haben?«

»Das glaube ich nicht. Viele über fünfzig sind es nicht. Einige müssen doch bei den Pferden bleiben, welche vorn an der Mauer stehen. Da ist es nicht zu erwarten, daß sie auch hinten Leute hingestellt haben. ‹&

»Gut, so können wir es versuchen, Sir. Ihr und einer der Peons mögt die Sache übernehmen. Wir werden es so einrichten, daß sie euch nicht hinabsteigen sehen, und auch dann stellen wir uns so zusammen, daß sie uns nicht zählen und also bemerken können, daß zwei von uns fehlen. Die Damen mögen euch helfen, und wenn ihr hinaus seid, das Schränkchen wieder vorschieben.«

»Und noch einen Vorschlag. Könnten wir nicht grad die Damen in die Krankenstube bringen? Wenn die Roten sehen, daß die Frauen da wohnen, werden sie doppelt überzeugt sein, daß sich kein Indianer dort befunden hat.«

»Ganz recht!« bemerkte Sennor Atanasio. »Ihr braucht nur einige Decken zu legen und aus den Zimmern meiner Frau und Tochter die Hängematten hinabzuschaffen. Haken zum Aufhängen derselben sind in jeder Stube des Hauses vorhanden. Die Damen mögen sich hineinlegen. Ihr aber findet für den Apachen das beste Versteck gleich unterhalb der Stelle des Flusses, an welchem Ihr vorhin gebadet habt. Dort hängen dichte blühende Petunienranken bis in das Wasser herab, unter denen wir unsern Kahn versteckt haben. Legt Ihr den Apachen hinein, so kann kein Comanche ihn finden. Petro mag mit Euch gehen. Erst wenn Ihr zurückgekehrt seid, werden wir den Indianern erlauben, das Innere des Hauses zu betreten.«

Ich stieg mit dem Peon, welcher Petro hieß, hinab, wo die beiden Damen voller Sorge auf die Entwickelung des Ereignisses warteten. Als wir ihnen mitteilten, um was es sich handle, waren sie uns zur Ausführung unseres Vorhabens schnell behilflich. Sie selbst trugen Decken und Hängematten herbei. In eine der erstren wurde der Apache gewickelt. Als er hörte, daß die Comanchen da seien, um nach ihm zu suchen, sagte er mit schwacher Stimme:

»Inda-nitscho hat viele Winter gesehen, und seine Tage sind gezählt. Warum sollen die guten Bleichgesichter sich seinetwegen ermorden lassen? Sie mögen ihn den Comanchen überantworten, ihn aber vorher töten. Er bittet sie darum.«

Ich antwortete ihm nur durch ein energisches Kopfschütteln. Dann trugen wir ihn aus der Stube. Das Schränkchen wurde zur Seite gerückt und der Transport des Verwundeten glücklich bis hinaus vor die Mauer bewerkstelligt. Bisher hatte uns niemand gesehen. Draußen gab es Strauchwerk, welches uns für den Augenblick verbarg. Zwischen diesem und dem nahen Flusse aber zog sich ein freier Streifen hin, den wir quer zu durchschreiten hatten. Ich lugte vorsichtig hinaus und gewahrte zu meiner Enttäuschung einen Comanchen, welcher am Boden saß und Lanze, Köcher und Bogen vor sich liegen hatte. Er hatte die hintere Seite der Mauer zu bewachen, ein Umstand, welcher die Ausführung unseres Planes unmöglich zu machen schien.

»Wir müssen wieder zurück, Sennor,« sagte der Peon, als ich ihm den Roten zeigte. »Wir könnten ihn zwar töten, aber das würde die Rache der Andern auf uns laden.«

»Nein, töten auf keinen Fall. Aber es muß doch möglich sein, ihn zu entfernen, ihn fortzulocken.,‹

»Das glaube ich nicht. Er wird seinen Posten nicht verlassen, bis er abgerufen wird.«

»Und doch habe ich einen Plan, welcher mir vielleicht gelingt. Du bleibst hier versteckt; ich aber lasse mich von ihm sehen. Sobald er mich bemerkt, tue ich, als ob ich erschrecke, und fliehe. Er wird mich verfolgen.«

»Oder Euch einen Pfeil in den Leib geben.«

»Das muß ich freilich riskieren.«

»Tut es nicht, Sennor! Es ist zu gewagt. Die Comanchen schießen mit ihren Bogen ebenso sicher, wie wir mit den Büchsen. Wenn Ihr flieht, kehret Ihr ihm den Rücken zu und könnt den Pfeil nicht sehen und ihm ausweichen.«

»Ich fliehe über den Fluß. Wenn ich auf dem Rücken schwimme, sehe ich ihn schießen und tauche sofort nieder. Er wird glauben, daß ich irgend etwas gegen die Seinen im Schilde führe und mir wahrscheinlich ins Wasser folgen. Drüben mache ich ihn für uns unschädlich; ich betäube ihn durch einen Hieb auf den Kopf. Du verlässest diesen Platz nicht eher, als bis ich zurückkehre. Ich habe vorhin beim Baden das Petuniengerank gesehen und weiß also, wo der Kahn sich befindet. Ich werde denselben holen und grad gegenüber anlegen.«

Der Peon gab sich Mühe, mich von meinem Vorsatze abzubringen, aber ich durfte nicht auf seine Einwendungen hören, da ich nicht wußte, in welcher andern Weise wir den uns erteilten Auftrag ausführen könnten. Ich verließ also die Stelle, an welcher wir uns befanden. Um dieselbe nicht zu verraten, schlich ich mich eine Strecke im Gebüsch an der Mauer hin und trat dann hervor, mir den Anschein gebend, als ob ich um die Ecke gekommen sei. Der Comanche sah mich nicht sofort. Bald aber drehte er mir das Gesicht zu und sprang schnell auf. Ich wendete mein Gesicht halb ab, damit er dasselbe später nicht erkennen möge. Er rief mir zu, stehen zu bleiben, und als ich nicht gehorchte, riß er den Bogen vom Boden auf, einen Pfeil aus dem Köcher und spannte den ersteren. Einige rasche Sprünge, und ich hatte das Ufergebüsch erreicht, noch ehe er schießen konnte. Ich sprang augenblicklich in das Wasser und legte mich, nach dein andern Ufer schwimmend, auf den Rücken. Nach wenigen Augenblicken brach er durch das Gesträuch, sah mich und zielte. Der Pfeil flog von der Sehne, und ich tauchte sofort nieder. Ich war nicht getroffen. Als ich wieder emporkam, sah ich ihn erwartungsvoll mit vorgebeugtem Körper am Ufer stehen. Er bemerkte, daß ich unverwundet war. Einen zweiten Pfeil hatte er nicht bei sich, da der Köcher liegen geblieben war. Da warf er den Bogen fort und sprang in das Wasser. Das war es, was ich wollte. Um ihn zu locken, gab ich mir den Anschein, als ob ich ein schlechter Schwimmer sei, und ließ ihn ziemlich nahe an mich herankommen. Dann tauchte ich nieder und arbeitete mich möglichst rasch flußabwärts. Als ich wieder emportauchte, befand ich mich ganz in der Nähe des Ufers. Er hielt weit oberhalb von mir und schaute, wo ich wieder an die Oberfläche kommen werde. jetzt hatte ich den beabsichtigten Vorsprung, schwamm an das Ufer, erstieg dasselbe und sprang zwischen Bäumen weiter, aber dem Wasserlaufe entgegen. Ich sah eine sehr starke, moosbewachsene Lebenseiche stehen, welche für meinen Zweck paßte. Ungefähr fünf Schritte von ihr entfernt rannte ich vorüber, noch eine Strecke weit, schlug dann einen Bogen und kehrte zu ihr zurück, um mich hinter ihr zu verstecken. Eng an den Stamm geschmiegt, erwartete ich die Ankunft des Roten, welcher auf alle Fälle meinen sehr sichtbaren Spuren folgte. Da kam er angesaust, triefend vor Nässe wie ich und laut keuchend, den Blick auf meine Fährte gerichtet. Er sprang vorüber, ich natürlich nun hinter ihm her. Sein lautes Keuchen hinderte ihn, meine Schritte zu hören, zumal ich nur mit den Fußspitzen auftrat. Ich mußte weite Sprünge machen, um ihn einzuholen. Dann noch ein tüchtiger Satz prall auf seinen Körper, so daß er mit voller Wucht nach vorn zu Boden stürzte. Da kniete ich schon auf ihm und hatte ihn beim Halse. Zwei Faustschläge auf den Schädel, und er bewegte sich nicht mehr. Unweit der Stelle, an welcher er lag, war eine Platane umgebrochen. Sie lag nach der Seite des Flusses, dessen Wasser vielleicht zwei Ellen unter ihren verdorrten Wipfeln dahinflossen. Das gab eine ganz vortreffliche Gelegenheit, wieder in den Fluß zu kommen, ohne eine Fährte zu hinterlassen. Ich stieg auf den Stamm und lief auf demselben hin, bis ich mich über dem Wasser befand, in welches ich sprang. Fast grad gegenüber sah ich die Blüten der Petunien leuchten. Dorthin schwamm ich, band das Boot los, stieg ein und ruderte nach der Uferstelle, an welcher der Apache eingenommen werden sollte. Dort hing ich das Boot an eine Wurzel und stieg aus. Wir mußten uns beeilen, fertig zu werden, bevor der Comanche wieder zu sich kam. Der Apache wurde nach dem Kahne getragen und ihm mit Hilfe der Decke und seiner Kleider ein passables Lager gemacht. Der Peon kehrte sofort zur Mauer zurück. Ich ruderte den Kahn wieder unter die Petunien, band ihn dort fest, schwamm wieder zurück und entledigte mich des leinenen Anzuges, um denselben auszuringen. Als ich ihn wieder angelegt hatte, suchte ich mit dem Auge das jenseitige Ufer ab, ob der Comanche bereits erwacht sei und unser Tun beobachtet habe. Ich konnte aber trotz aller Anstrengung nichts von dem Feinde sehen. Wir kehrten durch die verborgene Tür in die Estanzia zurück. Inzwischen war kaum eine Viertelstunde vergangen. Ich erhielt von der Sennora einen trockenen Anzug und konnte nun jedem Comanchen ins Gesicht lachen, welcher hätte behaupten wollen, daß ich außerhalb des Hauses und sogar im Flusse gewesen sei.

Nun legten sich die Damen in ihre Hängematten, und wir gingen hinauf auf die Plattform, natürlich nachdem wir unsere Waffen wieder an uns genommen hatten. Die beiden Parteien befanden sich noch in Unterhandlung. Old Death war bei der Behauptung geblieben, daß die Durchsuchung des Hauses eine Beleidigung für ihn und den Haciendero sei. Als ich ihm kurz mitteilte, daß der Apache in Sicherheit sei, gab er langsam nach und erklärte endlich, daß es fünf Comanchen erlaubt sein solle, sich zu überzeugen, daß der Apache sich nicht hier befinde.

»Warum nur fünf?« fragte der Anführer. »Ist nicht einer von uns wie der andere? Was einer tut, sollen alle tun. Old Death kann uns Vertrauen schenken. Wir werden nichts berühren. Keiner von uns wird etwas stehlen.«

»Gut! Ihr sollt sehen, das wir großmütig sind. Ihr sollt alle in das Haus dürfen, damit sich jeder überzeugen kann, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Aber ich verlange, daß ihr vorher alle eure Waffen ablegt, und daß wir den, welcher eine Person oder eine Sache ohne unsere Erlaubnis anrührt, hier behalten dürfen, um ihn zu bestrafen.«

Die Roten berieten sich über diese Forderung und gestanden sie uns dann zu. Sie legten ihre Bogen, Köcher und Messer ab und stiegen dann hintereinander ein. Schon ehe ich mit Petro fortgegangen war, hatten die Vaqueros draußen auf der Ebene gehalten, gut beritten und bewaffnet, die Blicke zu uns herauf gerichtet. Sie hatten auf ein Zeichen ihres Herrn gewartet und sich nur deshalb ruhig verhalten, weil dieses nicht gegeben wurde.

Von uns vierzehn Männern waren der Haciendero und Old Death bestimmt, den Comanchen alle Räume zu öffnen. Zwei blieben auf der Plattform zurück, und je fünf kamen in die beiden Korridore zu stehen, um mit den Waffen in den Händen jeder etwaigen Ausschreitung der Roten sofort entgegen zu treten. Ich stand mit im untern Korridor und stellte mich an die Türe der Stube, in welcher der Apache gelegen hatte. Die Comanchen kamen stracks herab und auf diese Türe zu. Old Death öffnete dieselbe. Es war den Indianern anzusehen, daß sie überzeugt waren, den ›guten Mann‹ da zu sehen. Anstatt dessen aber sahen sie die beiden Damen, welche lesend in ihren Hängematten lagen.

»Uff!« rief der Anführer enttäuscht. »Da sind die Squaws!«

»Ja,« lachte Old Death. »Und da soll der Häuptling der Apachen liegen, wie das Bleichgesicht gelogen hat. Tretet doch ein, und sucht nach ihm!«

Der Blick des Anführers durchflog den Raum; dann antwortete er:

»Ein Krieger tritt nicht in das Wigwam der Frauen. Hier ist kein Apache. Mein Auge würde ihn erblicken.«

»So sucht in den andern Räumen!«

Über eine Stunde dauerte es, bevor die Indianer ihre Untersuchung beendet hatten. Als sie keine Spur des Gesuchten fanden, kehrten sie noch einmal zurück. Die Damen mußten die Stube verlassen, welche nun noch einmal auf das genauste durchforscht wurde. Die Roten hoben sogar die Decken und Matratzen empor, welche direkt auf dem Boden lagen. Auch diesen letzteren untersuchten sie, ob es da vielleicht eine hohle Stelle gebe. Endlich waren sie überzeugt, daß der Gesuchte sich nicht auf der Estanzia befinde. Als der Anführer dies eingestand, sagte Old Death:

»Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubtet es nicht. Ihr habt einem Lügner mehr Vertrauen geschenkt als mir, der ich ein Freund der Comanchen bin. Wenn ich zu dem ›weißen Biber‹ komme, werde ich mich bei ihm beschweren.«

»Will mein weißer Bruder denn zu ihm? So kann er mit uns reiten.«

»Das ist nicht möglich. Mein Pferd ist ermüdet; ich kann erst morgen weiter reiten; die Krieger der Comanchen aber werden schon heut diese Gegend verlassen.«

»Nein. Wir bleiben hier. Die Sonne geht zur Ruhe, und wir reiten nicht des Nachts. Wir brechen bei der Ankunft des Tages auf und da kann mein Bruder mit uns wandern.«

»Gut! Aber ich begleite euch nicht allein. Es sind noch vier Gefährten bei mir.«

»Auch sie werden dem ›weißen Biber‹ willkommen sein. Meine weißen Brüder mögen uns erlauben, in dieser Nacht in der Nähe dieses Hauses zu ruhen.«

»Dagegen habe ich nichts,« antwortete der Mexikaner. »Ich habe euch bereits gesagt, daß ich ein Freund der roten Männer bin, wenn sie friedlich zu mir kommen. Um euch das zu beweisen, werde ich euch ein Rind schenken, welches geschlachtet werden soll. Ihr mögt euch ein Feuer anbrennen, um es zu braten.«

Dieses Versprechen machte einen sehr guten Eindruck auf die Comanchen. Sie waren jetzt wirklich überzeugt, uns unrecht getan zu haben, und zeigten sich von ihrer friedfertigsten Seite. Freilich mochte dazu am meisten das Ansehen beitragen, in welchem Old Death bei ihnen stand. Sie hatten wirklich nichts angerührt und verließen nun das Haus, ohne von uns dazu aufgefordert zu werden. Die Treppen waren hinabgelassen, und das Tor stand offen. Einige bewaffnete Peons blieben als Wächter auf der Plattform zurück. Man durfte trotz des veränderten Benehmens der Roten keine Vorsicht versäumen. Wir andern gingen mit hinab, und nun kamen auch die Vaqueros herbei und erhielten den Befehl, ein Rind einzufangen. Die sämtlichen Pferde der Comanchen standen an der vordern Seite der Umfassungsmauer. Drei Posten hatten bei ihnen gehalten. Auch an der andern Seite war eine Wache aufgestellt gewesen. Diese Leute wurden jetzt herbeigeholt. Der eine von ihnen war derjenige, den ich über den Fluß gelockt hatte. Sein sehr unzureichendes Gewand war noch naß. Er war auf seinen Posten zurückgekehrt und hatte noch keine Gelegenheit gehabt, dem Anführer das Geschehene zu melden. jetzt trat er zu ihm und erzählte es ihm, doch so, daß wir Weißen nichts hörten. Er schien mit seinem Berichte zu Ende zu sein, als sein Auge auf mich fiel. Wegen der Bemalung seines Gesichtes konnte ich keine Veränderung seiner Züge bemerken, aber er machte eine Bewegung des Zornes, deutete auf mich und rief dem Anführer einige indianische Worte zu, deren Bedeutung ich nicht verstand. Der Letztgenannte betrachtete mich mit drohend forschendem Blicke, trat auf mich zu und sagte:

»Das junge Bleichgesicht ist vorhin über den Fluß geschwommen! Du hast diesen roten Krieger niedergeschlagen?«

Old Death nahm sich meiner an, indem er herbeitrat und den Anführer fragte, was er mit seinen Worten wolle. Der Gefragte erzählte, was geschehen war. Der Alte aber lachte lustig auf und sagte:

»Die roten Krieger scheinen sich nicht darauf zu verstehen, die Angesichter der Weißen zu unterscheiden. Es fragte sich überhaupt, ob es ein Bleichgesicht gewesen ist, welches dieser Sohn der Comanchen gesehen hat.«

»Ein Weißer war es,« antwortete der Betreffende in bestimmtem Tone. »Und kein anderer als dieser hier. Ich habe sein Gesicht gesehen, als er schwimmend auf dem Rücken lag. Auch hatte er dasselbe weiße Gewand an.«

»So! In den Kleidern ist er über den Fluß geschwommen? Dein Anzug ist noch naß. Der seinige müßte es auch noch sein. Fühle ihn aber an, so wirst du dich überzeugen, daß er vollständig trocken ist.«

»Er hat den nassen ausgezogen und im Hause einen andern angelegt.«

»Wie ist er hineingekommen? Haben nicht eure Krieger hier an dem Tore gestanden? Kein Mensch kann in das Haus oder aus demselben, ohne diese Treppen zu besteigen, an welchen sämtliche Krieger der Comanchen standen. Kann mein junger Gefährte also außerhalb des Hauses gewesen sein?«

Sie gaben das zu, und der überlistete Posten war endlich auch selbst der Meinung, daß er sich geirrt habe. Als dann der Haciendero bemerkte, es treibe sich seit einiger Zeit eine Bande von Pferdedieben in dieser Gegend herum, zu denen der Mensch jedenfalls gehöre, so war die Angelegenheit erledigt. Nur der Umstand blieb rätselhaft, daß keine Spur vorhanden gewesen war, aus welcher man hätte ersehen können, nach welcher Richtung dieser Mann davongegangen sei. Um dieses Rätsel zu lösen, ritt der Anführer mit dem Posten und einigen andern durch die Furt und dann nach der betreffenden Stelle. Glücklicherweise aber begann es bereits dunkel zu werden, so daß eine genaue Untersuchung des Ortes nicht mehr stattfinden konnte. Old Death, der Schlaue, nahm mich mit sich, um am Flusse entlang zu spazieren. Die Augen auf die Reiter am jenseitigen Ufer gerichtet und uns scheinbar nur mit diesen beschäftigend, gingen wir langsam fort und blieben bei den Petunien stehen, Dort sagte der Alte so leise, daß nur ich und der im Kahne Befindliche es hören konnten:

»Old Death steht da mit dem jungen Bleichgesichte, welches den ›guten Mann‹ hier versteckt hat. Erkennt mich der Häuptling der Apachen vielleicht an der Stimme?«

»Ja,« lautete die ebenso leise Antwort.

»Die Comanchen glauben jetzt, daß sich der ›gute Mann‹ nicht hier befindet. Sie werden beim Anbruche des Tages fortreiten. Aber wird mein Bruder es so lange im Kahne aushalten können?«

»Der Apache hält es aus, denn der Duft des Wassers erquickt ihn, und das Fieber wird nicht wiederkehren. Der Häuptling der Apachen möchte aber gern wissen, wie lange Old Death mit seinen Gefährten hier bleibt.«

»Wir reiten morgen mit den Comanchen fort.«

»Uff! Warum gesellt sich mein Freund zu unsern Feinden?«

»Weil wir einige Männer suchen, welche bei ihnen zu finden sind.«

»Werden die weißen Männer auch mit Kriegern der Apachen zusammentreffen?«

»Das ist leicht möglich.«

»So möchte ich dem jungen Krieger, welcher sein Leben wagte, um mich hier zu verbergen, gern ein Totem geben, welches er den Söhnen der Apachen zeigen kann, um ihnen stets willkommen zu sein. Old Death ist ein schlauer und erfahrener Jäger; ihn werden die Hunde der Comanchen nicht ertappen, wenn er mir, sobald es dunkel geworden ist, ein Stück weißes Leder und ein Messer bringt. Vor Anbruch des Tages kann er dann das Totem abholen, welches ich während der Nacht anfertigen werde.«

»Ich werde beides bringen, das Leder und das Messer. Wünschest du noch anderes?«

»Nein. Der Apache ist zufrieden. Möge der gute Manitou stets über die Pfade Old Deaths und des jungen Bleichgesichtes wachen.«

Wir kehrten jetzt wieder zurück. Keinem war es aufgefallen, daß wir eine Minute lang am Flusse gestanden hatten. Der Alte erklärte mir:

»Eine große Seltenheit ist es, daß ein Weißer das Totem eines Indianerhäuptlings bekommt. Ihr habt viel Glück, Sir! Die Handschrift des ›guten Mannes‹ kann Euch von großem Nutzen sein.«

»Und Ihr wollt es wirklich wagen, ihm das Leder und Messer zu besorgen? Wenn Ihr dabei von den Comanchen erwischt werdet, so ist es um den Apachen und um Euch geschehen!«

»Unsinn! Haltet Ihr mich für einen Schulknaben? Ich weiß stets sehr genau, was ich wagen kann und was nicht.«

Der Anführer der Indsmen kehrte unverrichteter Sache zurück. Die Spur war nicht mehr deutlich zu erkennen gewesen.

Der Tag verging ohne Störung und die Nacht ebenso. Früh wurde ich von Old Death geweckt. Er gab mir ein viereckiges Stück weißgegerbtes Leder. Ich betrachtete dasselbe und konnte nichts Besonderes bemerken, denn einige feine Einschnitte auf der glatten Seite des Leders schienen mir ganz bedeutungslos zu sein.

»Das ist das Totem?« fragte ich. »Ich kann nichts Außerordentliches an ihm entdecken.«

»Ist auch nicht nötig. Gebt es dem ersten Apachen, der Euch begegnet, und er wird Euch darüber aufklären, weichen Schatz Ihr besitzt. Die Schrift dieses Totem ist jetzt noch unsichtbar, weil der ›gute Mann‹ keine Farbe bei sich hatte. Aber wenn Ihr es einem Apachen gebt, wird er die Einschnitte färben, worauf die betreffenden Figuren erkennbar sein werden. Doch laßt dieses Leder um Gottes willen nicht einen Comanchen sehen, da man Euch für einen Freund der Apachen halten würde. jetzt zieht Euch um, und kommt hinab. Die Comanchen sind in kurzer Zeit zum Aufbruche bereit.«

Die Wilden waren beschäftigt, ihr Frühmahl zu halten, welches aus den gestern abend übrig gebliebenen Fleischresten bestand. Dann holten sie ihre Pferde zusammen, um sie am Flusse zu tränken. Dies geschah glücklicherweise oberhalb der Stelle, an welcher der Apache versteckt lag. Nun kam auch der Haciendero mit seinen beiden Damen zum Vorscheine, welche vor den Roten nicht mehr die mindeste Sorge sehen ließen. Als er unsere Pferde Sah, welche von den Vaqueros herbeigebracht wurden, meinte er kopfschüttelnd zu Old Death:

»Das sind keine Pferde für Euch, Sennor. Ihr wißt, welchen Wert ein gutes Pferd besitzt. Dieser Sennor Lange und sein Sohn gehen mich nichts an, ebensowenig der Neger. Ihr aber seid ein alter Freund von mir, und da Ihr diesen jungen Herrn so in Euer Herz geschlossen habt, so habe ich ihm auch das meinige geöffnet. Ihr beide sollt bessere Pferde haben.«

Wir nahmen das Anerbieten das Hacienderos dankend an. Auf seinen Befehl fingen die Vaqueros zwei halbwilde Pferde ein, welche wir an der Stelle der unserigen nehmen mußten. Dann verabschiedeten wir uns von ihm und seinen Damen und brachen mit den Comanchen auf.

Die Sonne war noch nicht über den Horizont emporgestiegen, als wir über den Elm-Creek setzten und dann im Galoppe nach Westen flogen, voran wir Fünf mit dem Anführer der Comanchen, und dessen Leute hinter uns her. Ich hatte dabei ein Gefühl der Unsicherheit, denn es war mir immer, als müsse mir ein Pfeil oder eine Lanze in den Rücken fahren. Die auf ihren kleinen, struppigen, mageren und doch so ausdauernden Pferden sitzenden Indianer machten in ihrer Bewaffnung, Bemalung und der ganzen Art und Weise, sich zu geben, nicht den Eindruck, als ob wir uns ihnen anvertrauen könnten. Old Death beruhigte mich aber darüber, als ich eine darauf bezügliche Bemerkung machte. Noch war nicht darüber gesprochen worden, wann und wo wir den Haupttrupp der Comanchen treffen würden. Jetzt erfuhren wir, daß derselbe nicht etwa angehalten habe, um die Rückkehr der abgesandten Fünfzig zu erwarten, sondern daß der Anführer der letzteren den Befehl erhalten hatte, den ›guten Mann‹ auf der Hacienda gefangen zu nehmen und unter einer Bedeckung von zehn Mann nach den Dörfern der Comanchen zu schicken, wo der Marterpfahl seiner wartete. Die übrigen vierzig sollten im Eilritte nach dem Rio Grande kommen und dort der Spur des Haupttruppes folgen, um zu demselben zu stoßen. Da der ›weiße Biber‹ von Gibson erfahren hatte, daß Winnetou über den Fluß entkommen sei und die Apachen natürlich sofort alarmieren werde, so hielt er die größte Eile für geboten, um die Feinde doch noch zu überraschen, bevor sie sich im Verteidigungszustande befanden. Für uns kam es vor allen Dingen darauf an, Gibson noch bei den Comanchen zu finden.

Nach ungefähr zwei Stunden kamen wir an die Stelle, an welcher sich unsere indianischen Begleiter gestern von der Hauptschar getrennt hatten. Im Süden von uns lag am Rio Grande der Eagle-Paß mit Fort Dunkan, welches die Roten zu vermeiden hatten. Nach abermals zwei Stunden zeigten sich spärliche Grasspuren, und wir hatten die Nueces-Wüste hinter uns. Die Fährte, welcher wir folgten, bildete eine schnurgerade Linie, welche von keiner andern gekreuzt wurde; die Comanchen waren unbemerkt geblieben, Der Boden schmückte sich nach und nach mit einem intensiveren Grün, und endlich sahen wir im Westen Wald auftauchen. Das verkündete die Nähe des Rio Grande del Norte.

»Uff!« meinte der Anführer im Tone der Erleichterung. »Kein Bleichgesicht ist uns begegnet, und niemand wird uns verwehren, sogleich über den Fluß zu gehen. Die Hunde der Apachen werden uns bald bei sich sehen und vor Schreck heulen beim Anblicke unserer tapferen Krieger.«

Wir ritten eine Zeit lang langsam unter Platanen, Ulmen, Eschen, Hackberries und Gummibäumen hin, und dann erreichten wir den Fluß. Der ›weiße Biber‹ war ein guter Führer der Seinen. Die meilenweite Spur, welche uns als Wegweiser gedient hatte, führte linienrecht auf die Stelle zu, an welcher es eine Furt gab. Der Rio Grande war hier sehr breit; er hatte aber wenig Wasser. Nackte Sandbänke ragten aus demselben hervor, aber sie bestanden aus losem Triebsande, in welchem es gefährliche Stellen gab, wo man leicht versinken konnte. Hier am Ufer hatten die Comanchen während der verflossenen Nacht ihr Lager aufgeschlagen, wie man aus den Spuren ersehen konnte. Wir mußten annehmen, daß sie ebenso zeitig wie wir aufgebrochen seien; aber so schnell hatten sie nicht reiten können wie wir, denn sie befanden sich nun im Streifgebiete der Apachen und waren infolgedessen zu Vorsichtsmaßregeln gezwungen, durch welche ihrer Schnelligkeit Abbruch geschehen mußte. So sah man, daß ihr Übergang über den Fluß nicht ohne große Vorsicht bewerkstelligt worden war. Zahlreiche Fußstapfen bewiesen, daß einige von ihnen abgestiegen seien, um die trügerischen Sandablagerungen zu untersuchen. Die gangbaren Stellen waren mit in den Boden gesteckten Zweigen bezeichnet worden. Für uns war es leichter, hinüber zu kommen, da wir nur ihren Spuren zu folgen brauchten. Der Fluß wurde durch die Bänke in mehrere Arme geteilt, welche unsere Pferde zu durchschwimmen hatten. Drüben hatten wir wieder eine schmale Baum-und Strauchregion zu durchqueren, welcher Gras und endlich wieder Sand folgte. Wir befanden uns in der zwischen dem Rio Grande und der Bolson de Mapimi gelegenen Region, die so recht zum Umherstreifen wilder Indianerhorden geeignet ist. Eine weite Sandebene, welche nur durch große oder kleinere Kaktusstrecken unterbrochen wird. Durch diese Ebene führte die sehr deutliche Spur in beinahe westlicher, nur ein wenig nach Süden geneigter Richtung. Aber wenn ich der Ansicht gewesen war, daß wir die Comanchen heute erreichen würden, so hatte ich mich geirrt. Der durch die Pferdehufe weit nach hinten geschleuderte Sand bewies uns, daß sie sich großer Eile befleißigt hatten. Gegen Mittag durchkreuzten wir eine schmale, niedrige und öde Hügelkette, worauf nun wieder dieselbe sandige Ebene folgte.

Ich mußte die Ausdauer der indianischen Pferde bewundern. Der Nachmittag war weit vorgeschritten, und doch zeigten sie noch keine Spur von Ermüdung. Die drei Gäule von Lange, Sohn und dem Neger konnten nur mit Mühe folgen. Old Deaths und mein Pferd aber bewiesen, daß wir bei dem Tausche sehr im Vorteile gewesen waren. Schon drohte es, dunkel zu werden, als wir zu unserem Erstaunen sahen, daß die Fährte plötzlich ihre bisherige Richtung änderte. Vor ungefähr einer Viertelstunde hatten wir den von San Fernando nach Baya führenden Reitweg durchschnitten; jetzt brach die Spur nach Südwesten ab. Warum? Es mußte ein Grund dazu vorhanden gewesen sein. Old Death erklärte es uns. Man sah aus den Hufeindrücken, daß die Comanchen hier gehalten hatten. Grad von Norden her stieß die Fährte zweier Reiter auf diejenige der Roten. Der Alte stieg ab, untersuchte die erstere und sagte dann:

»Hier sind zwei Männer, welche Indianer waren, zu den Comanchen gekommen. Sie haben ihnen eine Nachricht gebracht, welche die Krieger des ›weißen Bibers‹ veranlaßt hat, ihre Richtung zu ändern. Wir können nichts als dasselbe tun.«

Der Anführer stieg auch ab und bestätigte die Ansicht des Alten, nachdem er die Fährte untersucht hatte. Wir wendeten uns infolgedessen auch nach Süden, So lange es möglich war, die Fährte zu erkennen, ritten wir, denn es sollte heute eine möglichst große Strecke zurückgelegt werden. Selbst als es dämmerte, waren die Hufstapfen noch von der glatten Sandfläche zu unterscheiden. Dann aber verlief alles schwarz in schwarz. Wir wollten halten. Da blies mein Pferd die Nüstern auf, wieherte laut und wollte weiter. Es roch wahrscheinlich Wasser, und darum tat ich ihm den Willen. Nach einigen Minuten kamen wir wirklich an einen Fluß, an welchem wir Halt machten.

Nach einem so anstrengenden und heißen Ritte, wie dem heutigen, war das aufgefundene Wasser eine wahre Erquickung für Menschen und Tiere. In kurzer Zeit war ein Lagerplatz gewählt; die Roten stellten Wachen auf und ließen die Tiere unter Aufsicht derselben weiden. Wir Weißen setzten uns zueinander, Old Death erging sich in Berechnungen, was für ein Wasser es sei, an welches wir so unerwartet geraten waren, und kam endlich zu der Überzeugung, daß es der Morelos sei, welcher bei Fort Dunkan in den Rio grande fließt. Die am nächsten Morgen angestellte Untersuchung ergab, daß wir uns an einem ganz hübschen Wasserlaufe befanden, über den nicht weit von uns die Comanchen geschwommen waren. Wir taten dasselbe und folgten ihrer Spur von neuem. Um die Mittagszeit wendete sich die Fährte nach Westen, und wir sahen in dieser Richtung nackte Berge vor uns aufsteigen. Old Death machte ein bedenkliches Gesicht. Von mir über die Ursache desselben befragt, antwortete er:

»Die Geschichte gefällt mir nicht. Ich kann den ›weißen Biber‹ nicht begreifen, daß er sich in diese Gegend wagt. Wißt Ihr etwa, was für eine schöne Gegend da vor uns liegt?«

»Ja, die Bolson de Mapimi.«

»Und kennt Ihr diese Wüste?«

»Nein.«

»Diese Mapimi ist ein wahrer Mehlwürmertopf, aus welchem zu allen Zeiten die wilden Völkerschaften hervorgebrochen sind, um sich räuberisch auf die angrenzenden Länder zu werfen. Dabei dürft Ihr aber nicht etwa denken, daß es ein fruchtbares Land sein müsse, weil es eine solche Menschenzahl ausbrütet. Aber man hat immer die Erfahrung gemacht, daß wüste Gegenden der Ausgangspunkt von Völkerwanderungen sind. Den Stämmen, die da oben auf dieser Hochebene und in den Schluchten, Gründen und Tälern wohnen, ist nicht beizukommen. Ich weiß ganz genau, daß sich mehrere Horden der Apachen dort festgesetzt haben. Ist es die Absicht der Comanchen, diese zu überfallen, so können sie mir ungeheuer leid tun, nicht die Apachen, sondern die Comanchen. Im Norden streifen die Apachen zwischen dem Rio del Norte und dem Rio Pecos, und den ganzen Nordwesten bis über den Gila hinüber haben sie inne. Die Comanchen wagen sich also in eine Falle, welche sehr leicht über ihnen zuklappen kann.«

»O weh! Da stecken auch wir mit drin!«

»Ja, aber ich fürchte mich nicht allzusehr. Wir haben den Apachen nichts getan, und so hoffe ich, daß sie uns nicht feindselig behandeln. Im Notfalle wird Euer Totem von guter Wirkung sein.«

»Ist es nicht unsere Pflicht, die Comanchen zu warnen?«

»Versucht es doch einmal, Sir! Sagt einem zehnmal, daß er dumm sei, er glaubt es dennoch nicht. Ich habe vorhin dem Anführer gesagt, was ich denke. Er schnauzte mich ab, und sagte, er habe der Spur des ›weißen Bibers, zu folgen. Wenn wir das nicht tun wollten, so stehe es uns frei, zu reiten, wohin es uns behebe.«

»Das war grob!«

»Ja, die Comanchen nehmen keinen Kursus in Anstandslehre und Konversation. Soll mich wundern, wenn sich da oben nicht irgend etwas über uns zusammenbraut. Über die Grenze sind wir hinüber; ob und wie wir wieder herüberkommen, das steht in einem Buch gedruckt, welches ich noch nicht gelesen habe.« – – -

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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