Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 37

Оглавление

Mit jeder Sekunde wuchs die Gefahr. Der glühende Strom hatte die Lagerräume erreicht, und nun sprangen die Fässer mit kanonenschußähnlichern Knalle und ergossen ihren sofort in heller Lohe brennenden Inhalt in das auf diese Weise immer mehr anwachsende und immer rascher vorwärts schreitende Feuermeer. Die Atmosphäre war zum Ersticken heiß; ich hatte das Gefühl, als koche ich in einem Topfe siedenden Wassers, und doch wuchsen Hitze und Trockenheit mit solcher Rapidität, daß ich innerlich zu brennen vermeinte. Fast wollten mir die Sinne schwinden; aber es galt nicht bloß mein Leben, sondern noch viel mehr dasjenige des Knaben.

» Come on, Swallow, voran, voran, Swall -!«

Die fürchterliche Hitze versengte mir das Wort im Munde; ich konnte nicht weiter sprechen. Es war aber auch ein solcher Zuruf gar nicht notwendig, denn das brave, herrliche Tier raste ja mit einer schier unmöglichen Geschwindigkeit dahin. So viel sah ich, diesseits des Flusses war kein Ausweg. Die Flammen beleuchteten die Felswände hell genug, um sehen zu lassen, daß die letzteren nicht zu erklimmen seien, deshalb ins Wasser, ins Wasser – hinüber auf die andere Seite!

Ein leiser Schenkeldruck – ein Sprung des gehorsamen Mustangs, und hochauf schlugen die Wellen über uns zusammen. Ich fühlte neue Kraft, neues Leben durch meine Adern pulsieren, aber das Pferd war unter mir verschwunden. Doch das war jetzt gleich; nur hinüber – immer hinüber! Swallow war schneller gewesen als das lohende Element; jetzt aber kam es flammend und himmelhoch züngelnd den Fluß herabgewälzt und fand in dem aus der Quelle hineingeleiteten Petroleum immer neue Nahrung. In einer Minute, in einer Sekunde, ach, vielleicht schon in einem Augenblicke mußte es mich erreichen. Der jetzt bewußtlose Knabe hing mit todesstarren Armen an mir; ich schwamm wie noch nie, nie in meinem Leben, oder nein, ich schwamm nicht, sondern schnellte mich in wahnsinnigen Sätzen über die von zuckenden Lichtern bis auf den Grund hinab durchblitzte Flut. Ich fühlte eine Angst, so furchtbar – so furchtbar – – – Da schnaufte es an meiner Seite. »Swallow, du treuer, wackerer -bist du’s?« – Hier ist das Ufer – – – wieder in den Sattel – ich komme nicht hinauf – es ist, als sei mir das innerste Mark verdorrt – – Herr Gott, hilf, ich kann nicht liegen bleiben – -noch einmal; es gelingt — »Swallow, fort – fort —wohin du willst, nur hinaus, hinaus aus diesem Höllenbrande!«

Es ging weiter, nur das wußte ich; wohin, danach fragte ich nicht. Die Augen lagen mir wie geschmolzenes Metall in ihren Höhlen, und das von ihnen aufgefangene Licht wollte mir das Hirn verbrennen; die Zunge strebte zwischen den trockenen Lippen hervor; ich hatte durch den ganzen Körper ein Gefühl, als bestehe er aus glimmendem Schwamme, dessen lockere Asche jeden Moment auseinanderfallen könne. Das Pferd unter mir schnaubte und stöhnte mit fast menschlichem Wehelaute; es lief, es sprang, es kletterte, es schoß über Felsen, Vorsprünge, Risse, Kanten und Spitzen mit tiger-, mit schlangenartigen Bewegungen. Ich hatte mit der Rechten seinen Hals umklammert und hielt mit der Linken noch immer den Knaben fest. Noch einen Satz, einen weiten, fürchterlichen Satz – endlich, endlich ist die Felswand überwunden – noch einige hundert Schritte vom Feuer hinweg und in die Prairie hinein, und Swallow blieb stehen; ich sank von ihm zur Erde nieder.

Die Aufregung, die Überanstrengung war so groß, daß sie die Ohnmacht besiegte, die sich meiner bemächtigen wollte. Ich raffte mich langsam wieder empor, schlang die Arme um den Hals des treuen, unvergleichlichen Tieres, welches an allen Gliedern zitterte, und küßte es unter konvulsivischem Weinen mit einer Inbrunst, wie wohl selten ein Liebender die Auserwählte seines Herzens geküßt hat.

»Swallow, du Köstlicher, ich danke dir, du hast mich, du hast uns beide erhalten. Diese Stunde soll dir nie vergessen werden!«

Der Himmel glänzte blutigrot, und der Brodem des entfesselten Elements ruhte in dichten, schwarzen, von purpurnen Strahlen durchbrochenen Ballen über dem Herde der Verwüstung. Aber ich hatte keine Zeit zu diesen Betrachtungen, denn vor mir lag, das Messer noch immer krampfhaft festhaltend, Harry, bleich, kalt und starr, so daß ich ihn tot glaubte, ertrunken in den Fluten des Wassers, während ich ihn den Flammen entreißen wollte.

Seine Kleidung war durchnäßt und legte sich eng an die leblosen Glieder; auf dem erbleichten Angesichte spielten die düsteren Reflexe der über den Rand der Ebene emporsprühenden Feuerstrahlen. Ich nahm ihn in die Arme, strich ihm das Haar über die Stirn, rieb ihm die Schläfe, legte, um seiner regungslosen Brust Atem zu geben, meinen Mund auf seine Lippen, kurz, tat alles, was ich in meiner eigenen Hilflosigkeit zu tun vermochte, um ihn in das Leben zurückzurufen.

Da – endlich – ging ein Zittern über seinen Körper, erst leise, dann immer bemerkbarer; ich fühlte das Klopfen seines Herzens und den Hauch des wieder erwachten Odems. Er erwachte, öffnete weit, weit das Auge und starrte mir mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke in das Gesicht. Dann belebte sich der wiederkehrende Blick, und mit einem lauten Schrei sprang er empor.

»Wo bin ich – wer seid Ihr – was ist geschehen?« rief er aus.

»Ihr seid gerettet aus der Glut da unten!«

Bei dem Klange meiner Stimme und dem Anblicke des noch immer hochlodernden Brandes kehrte ihm die Besinnung wieder vollständig zurück.

»Glut -? Da unten -? Herrgott, es ist wahr, das Tal hat gebrannt, und Forsters – -«

Als besinne er sich bei dem letztgenannten Namen auf die Gefahr, in welcher er die Verwandten zurückgelassen hatte, erhob er drohend den Arm.

»Herr, Ihr seid ein Feigling, ein elender Feigling, ein Coyote, wie Ihr schon gehört habt! Ihr konntet sie retten, alle, alle, aber Ihr seid geflohen, wie der Schakal flieht vor dem Gebell eines elenden Hundes. Ich – verachte Euch! Ich – – muß fort, fort zu ihnen!«

Er wollte fort. Ich hielt ihn bei der Hand fest.

»Bleibt! Es ist nichts mehr zu tun; Ihr lauft nur in Euer eigenes Verderben!«

»Laßt mich. Ich habe mit Euch, Memme, nichts zu schaffen!«

Er riß seine Hand los und stürzte fort. Ich fühlte einen kleinen Gegenstand zwischen meinen Fingern. Es war ein Ring, den er sich bei dem kräftigen Rucke abgestreift hatte.

Ich folgte ihm; aber schon war er im Schatten der steil abfallenden Klippen verschwunden. Ich konnte dem Knaben nicht zürnen. Er war noch jugendlich, und die Katastrophe hatte ihm die Ruhe geraubt, welche zu einem richtigen Urteile stets unerläßlich ist. Ich steckte also den Ring zu mir und setzte mich nieder, um von der fürchterlichen Anstrengung auszuruhen, die Nacht hier zu bleiben und den Anbruch des Morgens zu erwarten, denn früher war es unmöglich, hinab in den Bluff zu gelangen.

Noch zitterten alle meine Nerven, und das Tal, in welchem noch immer die Petroleumglut lohte, kam mir wie eine Hölle vor, der ich entkommen war. Der alte Anzug, den ich getragen hatte, fiel mir wie Zunder vom Leibe; ich zog den neuen an, der beim Durchreiten des Flusses naß geworden und infolgedessen unversehrt geblieben war.

Swallow lag ganz in meiner Nähe; es gab da Gras, aber er fraß nicht; das brave Tier war ebenso oder noch mehr angegriffen als ich selbst. Was war aus den Bewohnern des Tales geworden? Diese Frage ließ mich nicht schlafen, obgleich ich der Ruhe sehr bedurfte. Ich wachte während der ganzen Nacht und trat wiederholt hart an den Rand des Bluffs, um hinabzublicken. Das Feuer hatte nicht mehr den früheren Umfang, die vorherige Ausdehnung, gewährte aber dennoch einen Anblick, den ich nie vergessen werde. Das Petroleum stieg in einer starken und wohl dreißig Ellen hohen Fontäne aus dem Bohrloche in die Luft empor; dieser Ölstrahl brannte, zerstob oben in einzelne Garben und tausend sprühende Funken, fiel zur Erde nieder und rann dann als doppelt manneshoch loderndes Feuerband dem Flusse zu, dessen ganze Breite sofort einnehmend.

So blieb es bis zum Morgen, und so mußte es bleiben und brennen, so lange noch Öl aus dem Bohrloche floß, wenn es nicht gelang, den Brand zu löschen. Das Tageslicht milderte die Intensivität der Flammen; als ich jetzt wieder hinunterblickte, sah ich, daß außer einem kleinen Häuschen, weiches ganz oben an der höchsten Stelle des Tales lag, wohin das Feuer nicht hatte kommen können, alles, alles verschwunden war. Das Wohnhaus, die Fabrikanlagen und alle sonst dagewesenen Gebäude waren samt den Vorräten ein Raub der Flammen geworden. Der ganze Bluff sah bis hinauf zur obersten Felsenkante schwarz aus und bot den Anblick einer riesigen, rußüberzogenen Pfanne, deren Inhalt ein unaufmerksamer Koch verkohlen ließ.

Vor dem erwähnten, allein geretteten Häuschen standen einige Menschen, bei denen ich Harry sah. Der verwegene Knabe hatte es also gewagt, während der Nacht da hinunterzusteigen. Jetzt, am Tage, war es kinderleicht, dies zu tun. Ich hatte den Pfad vor mir, welcher uns gestern bei unserm Kommen hinabgeführt hatte, und folgte ihm auch heute. Dabei sah ich, daß Harry, nach mir heraufzeigend, die Andern auf mich aufmerksam machte. Ein Mann ging in das Häuschen und kam nach wenigen Augenblicken mit einem Gewehr wieder heraus. Er ging mir bis vor das jenseitige Ufer des Flusses, wo er stehen blieb, entgegen, wartete da, bis ich an dem diesseitigen angekommen war, und rief dann zu mir herüber:

» Halloo, Mann, was treibt Ihr noch hier in unserm Orte? Macht Euch fort, wenn Ihr nicht eine Kugel zwischen den Rippen haben wollt!«

»Ich bin dageblieben, um Euch zu helfen, so viel es möglich ist,« antwortete ich hinüber.

»Weiß schon!« lachte er höhnisch. »Solche Hilfe kennt man ja!«

»Auch muß ich mit dem Knaben Harry reden.«

»Das dürfte Euch schwer fallen.«

»Ich habe ihm etwas zu geben.«

»Macht mir nichts weis! Möchte wissen, was so ein Kerl zu geben hätte! Erst feig und ehrlos zum Erbarmen, und dann steckt er aus Rache das Petroleum in Brand!«

Ich war für den Augenblick nicht eines Wortes fähig; ich ein Mordbrenner! Er mochte mein Schweigen für eine Folge des bösen Gewissens halten, denn er fuhr fort:

»Seht, wie Ihr erschreckt! Ja, wir wissen gar wohl, woran wir sind. Wenn Ihr nicht augenblicklich geht, bekommt Ihr eine Kugel!«

Er legte das Gewehr auf mich an. Da rief ich zornig hinüber:

»Was fällt Euch ein, Mann! Von einer Brandstiftung kann keine Rede sein; die Ölgase haben sich an euren Lampen und Lichtern entzündet: das furchtbare Unglück ist eine Folge eurer eignen Nachlässigkeit.«

»Weiß schon, weiß! Fort mit Euch! Oder soll ich schießen?«

»Hätte ich denn mit eigener Lebensgefahr den Knaben gerettet, wenn ich der Täter wäre?«

»Ausrede! Wenn Ihr gewollt hättet und nicht geflohen wäret, wären sie alle gerettet worden; nun aber sind sie alle verbrannt, elendiglich verbrannt! Hier habt Ihr Euren Lohn!«

Er schoß nach mir. Die Entrüstung hielt mich an der Stelle fest, wo ich stand; ich machte keine Bewegung, der Kugel zu entgehen, und das war gut, denn er hatte schlecht gezielt; ich wurde nicht getroffen. Meine Finger zuckten, ihm eine sichere Kugel als Antwort zu geben; ich tat dies aber natürlich nicht, drehte mich um und stieg langsam wieder empor, ohne mich ein einziges Mal nach dem Manne umzusehen. Oben angekommen, setzte ich mich auf das Pferd und ritt fort. Wenn man, anstatt als Lebensretter Dank zu erhalten, eines Verbrechens beschuldigt wird, so schüttelt man den Staub von den Füßen.

Einige Tage später erreichte ich die Gravel-Prairie, wo ich eine ganze Woche auf Winnetou zu warten hatte. Not zu leiden hatte ich während dieser Zeit nicht, denn es gab Wild in Menge. Und einsam und langweilig konnte mir die Gegend auch nicht vorkommen, denn es tummelten sich mehrere Trupps von Sioux da herum, so daß ich mich fortwährend auf dem Quivive befand, nicht von ihnen entdeckt zu werden. Als dann Winnetou kam und ich ihm die Anwesenheit der Roten meldete, war er mit mir einverstanden, sogleich weiter zu reiten.

Ich freute mich außerordentlich darauf, Old Firehand, diesen berühmten Westmann, zu sehen, und war bereit, von ihm noch viel, sehr viel zu lernen. Der Weg zu ihm war kein ungefährlicher; das bemerkten wir schon am nächsten Tage, als wir auf die Fährte eines Indianers trafen, der wohl kaum etwas anderes als ein Kundschafter sein konnte.

Ich untersuchte den Boden sorgfältig. Das Pferd des Indianers war angepflockt gewesen und hatte die halbdürren Büschel des Prairiegrases abgefressen; der Reiter hatte am Boden gelegen und mit dem Köcher gespielt. Dabei war ihm der Schaft eines Pfeiles zerbrochen, und er hatte die beiden Bruchstücke ganz gegen die gewöhnliche Vorsicht der Indianer liegen lassen. ich hob sie auf, um sie zu betrachten. Es war kein Jagd-, sondern ein Kriegspfeil gewesen.

»Er befindet sich auf dem Kriegspfade,« sagte ich; »aber er ist noch jung und unerfahren, sonst hätte er die verräterischen Stücke versteckt, und die Spuren seines Fußes sind nicht die eines erwachsenen Mannes.«

Ein Blick auf die weiterlaufenden Eindrücke genügte, uns zu zeigen, daß der Mann erst vor Kurzem den Platz wieder verlassen habe; denn die Kanten derselben waren noch scharf, und die gestreiften oder zerdrückten Halme hatten sich noch nicht vollständig wieder erhoben.

Wir folgten der Spur weiter, bis die Schatten länger und länger wurden; der Abend begann zu dunkeln, und wir waren nun gezwungen, abzusteigen, wenn wir die Fährte nicht verlieren wollten. Aber ehe ich vom Pferde stieg, griff ich zum Fernrohre, um die Ebene vorher noch einmal abzusuchen.

Wir hielten gerade auf einer der zahlreichen, wellenförmigen Erhebungen, welche sich in jenem Teile der Prairie wie die Wogen eines erstarrten Meeres aneinander legen, und es war mir deshalb ein ziemlich freier Ausblick gestattet.

Kaum hatte ich das Glas am Auge, so fiel mir eine lange, gerade Linie auf, welche sich von Osten her längs des nördlichen Horizontes bis zum entferntesten westlichen Punkte hinzog. Voll Freuden gab ich Winnetou das Rohr und zeigte ihm die Richtung an, in welche er es zu führen hatte. Nachdem er einige Zeit hindurchgesehen, zog er es mit einem überraschten ›Uff‹ wieder ab und blickte mich mit fragendem Ausdrucke an.

»Weiß, mein Bruder, was für ein Pfad das ist?« sagte ich. »Es ist nicht der Weg des Buffalo, auch hat ihn nicht der Fuß des roten Mannes ausgetreten.«

»Ich weiß es. Kein Büffel kann die Strecke laufen, welche dieser Pfad durchführt, und kein Indsman vermag, ihn durch die Prairie zu ziehen. Es ist der Pfad des Feuerrosses, welches wir heute noch sehen werden.«

Rasch hob er das Rohr wieder empor und betrachtete mit regem Interesse den durch die Linsen nahegerückten Schienenstrang. Plötzlich aber ließ er das Rohr sinken, sprang vom Pferde und zog es raschen Laufes hinunter in das Wellental.

Natürlich mußte dieses Beginnen einen sehr triftigen Grund haben, und ich ahmte deshalb sein Verhalten ohne Verzug nach.

»Da drüben am Pfade des Feuerrosses liegen rote Männer,« rief er. »Sie stecken hinter dem Rücken der Erhebung; aber ich sah eines ihrer Pferde!«

Er hatte wohlgetan, unseren erhöhten Standpunkt sofort zu verlassen, da wir auf demselben leicht bemerkt werden konnten. Zwar war die Entfernung selbst für das scharfe Gesicht eines Indianers eine sehr bedeutende; aber ich hatte während meiner Streifereien mehrere Male in den Händen dieser Leute Fernrohre gesehen. Die Kultur schreitet eben unaufhaltsam vorwärts, und indem sie den Wilden immer weiter zurückdrängt, bietet sie ihm doch die Mittel, sich bis zum letzten Manne gegen ihre Gewalt zu verteidigen.

»Was sagt mein Bruder zu der Absicht dieser Leute?« fragte ich.

»Sie werden den Pfad des Feuerrosses zerstören wollen,« antwortete er.

»Das ist meine Ansicht auch. Ich werde sie einmal beschleichen.«

Das Rohr aus seiner Hand nehmend, forderte ich ihn auf, mich hier zu erwarten, und schlich mich vorsichtig vorwärts.

Obgleich ich fest überzeugt sein konnte, daß sie von unserer Nähe keine Ahnung hatten, suchte ich soviel wie möglich Deckung zu behalten und gelangte dadurch so weit an sie heran, daß ich, am Boden liegend, sie zählen und beobachten konnte.

Es waren ihrer dreißig, sämtlich mit den Kriegsfarben bemalt und sowohl mit Pfeilen als auch mit Feuerwaffen bewehrt. Die Zahl der angepflockten Pferde war bedeutend höher, und dieser Umstand bekräftigte meine Ansicht, daß sie Beute machen wollten.

Da hörte ich einen leisen Atemzug hinter mir. Rasch das Messer ziehend, drehte ich mich um. Es war Winnetou, den es nicht bei den Pferden gelitten hatte.

»Uff!« klang es von seinen Lippen. »Mein Bruder ist sehr kühn, so weit voranzugehen. Es sind Ponkas, die kühnsten der Sioux, und dort liegt Parranoh, der weiße Häuptling.«

Erstaunt sah ich ihn an.

»Der weiße Häuptling?«

»Hat mein Freund noch nichts gehört von Parranoh, dem grausamen Häuptling der Atabaskah? Niemand weiß, wo er hergekommen ist; aber er ist ein gewaltiger Krieger und im Rate des Stammes unter die roten Männer aufgenommen worden. Als die grauen Häupter alle zu Manitou, dem großen Geiste, gegangen waren, hat er das Calumet des Häuptlings erhalten und viele Skalps gesammelt. Dann ist er aber von dem bösen Geist verblendet worden, hat seine Krieger wie Niggers behandelt und fliehen müssen. Jetzt wohnt er im Rate der Ponkas und wird sie zu großen Taten führen.«

»Kennt mein Bruder sein Angesicht?«

»Winnetou hat seinen Tomahawk mit ihm gemessen; aber der Weiße ist voller Tücke; er kämpft nicht ehrlich.«

»Er ist ein Verräter; ich sehe es. Er will das Feuerroß halten und meine Brüder töten und berauben.«

»Die weißen Männer?« fragte er erstaunt. »Er trägt doch ihre Farbe! Was wird mein Freund tun?«

»Er wird warten und sehen, ob Parranoh den Pfad des eisernen Rosses zerstört, und dann seinen weißen Brüdern entgegenreiten, um sie zu warnen.«

Er nickte. Damals kam es nicht selten vor, daß weiße oder rote Halunken Züge zum Entgleisen brachten, um sie zu berauben. Ich werde hiervon noch zweimal zu erzählen haben.

Das Dunkel des Abends senkte sich immer tiefer herab, so daß es immer schwieriger wurde, die feindlichen Gestalten im Auge zu behalten. Ich mußte über das Tun der Indianer genau unterrichtet sein und bat Winnetou, zu den Pferden zurückzukehren und dort auf mich zu warten. Er fügte sich meinem Verlangen, nachdem er mir gesagt hatte:

»Wenn mein Bruder in Gefahr ist, so mag er den Schrei des Prairiehuhnes ausstoßen. Ich werde dann kommen, ihm zu helfen.«

Er bewegte sich vorwärts, und ich schlug, immer am Boden kriechend und aufmerksam jedes Geräusch beachtend, eine schräge Richtung nach dem Bahnkörper ein. Lange dauerte es, ehe ich ihn erreichte. Dann aber überkroch ich ihn und hielt auf seiner andern Seite mit verdoppelter Vorsicht auf die Stelle zu, an welcher ich die Ponkas gesehen hatte. Ich gelangte glücklich in ihre Nähe und bemerkte, daß sie sich bei der Arbeit befanden. Es gab in dieser Gegend, was sonst in der Prairie selten ist, große Steine. Darum wohl hatten die Ponkas diese Stelle zur Ausführung ihres Vorhabens ausersehen. Ich hörte, daß sie Steine auf die Schienen häuften, und es mußten sehr große und schwere sein, wie ich aus dem tiefen Atem der Träger schloß.

Hier war nicht die mindeste Zeit zu versäumen, und nachdem ich nur eine kurze Strecke rückwärts geschlichen war, erhob ich mich und sprang den Weg zurück, welchen ich gekommen war. Ich kannte den Punkt der Bahnstrecke nicht, an welchem wir uns befanden, und wußte ebensowenig die Zeit, in welcher ein Zug vorüberkommen mußte, doch erriet ich die Richtung, aus welcher er zu erwarten war. Das konnte alle Augenblicke geschehen, und zur Warnung war ein bedeutender Vorsprung nötig. Ich befand mich in einer nicht unbedeutenden Aufregung und wäre von Winnetou, an welchen ich fast anrannte, beinahe verkannt und niedergestochen worden.

Nach einigen Worten der Verständigung saßen wir zu Pferde und bewegten uns in scharfem Trabe längs des Schienengeleises nach Osten zu. Ein wenig Mondenschein wäre uns jetzt zwar willkommen gewesen, aber der klare Schimmer der Sterne genügte ja auch so ziemlich, uns die Strecke erkennen zu lassen.

Eine Viertelstunde verging und noch eine. Gefahr für den herannahenden Zug war also nicht mehr zu befürchten, sobald es nur gelang, uns bemerklich zu machen. Aber besser noch war es, wenn dies ohne Wissen der Indianer geschehen konnte, und bei dem platten Terrain war das durchdringende Licht, wie es die amerikanischen Maschinen bei sich führen, auf mehrere Meilen weit bemerklich. Also ließen wir die Pferde laufen und legten so, wortlos nebeneinander haltend, noch eine ansehnliche Strecke zurück.

jetzt schien es mir an der Zeit. Ich hielt an und sprang vom Pferde. Winnetou tat dasselbe. Nachdem die Tiere gehörig gefesselt waren, sammelte ich einen Haufen ausgedörrten Grases, dessen trockenste Teile ich zu einer Art Fackel zusammendrehte. Mit Hilfe einigen aufgestreuten Pulvers war dieselbe leicht in Brand zu stecken, und nun konnten wir das Kommende ruhig erwarten.

Auf unseren Decken gelagert, lauschten wir in die Nacht hinein und verwandten fast kein Auge von der Richtung, aus welcher der Zug kommen mußte.

Da, nach einer kleinen Ewigkeit, blitzte in weiter, weiter Ferne ein Licht auf, erst klein und kaum wahrnehmbar, aber nach und nach immer größer werdend. Dann machte sich das Nahen der Wagen durch ein immer vernehmlicher werdendes Rollen bemerklich, welches nach und nach zu einem Geräusche anwuchs, das dem Grollen eines entfernten Donners glich.

Der Augenblick war gekommen. Einen blendenden Lichtkeil vor sich herwerfend, brauste der Zug heran. Ich zog den Revolver und drückte auf die Lunte los, Im Nu flammte das Pulver auf und brachte das dürre Gras in glimmenden Brand. Die Lunte schwingend, versetzte ich sie in helle Flamme und gab mit dem andern Arme das Zeichen zum Halten,

Der Maschinist mußte das Zeichen durch die Glastafeln des Wetterschutzes sofort bemerkt haben; denn schon nach den ersten Schwingungen des Brandes ertönte ein sich scharf wiederholender Pfiff, fast in demselben Augenblicke wurden die Bremsen angezogen und mit donnerndem Dröhnen flog die Wagenreihe an uns vorüber. Ich gab Winnetou ein Zeichen, mir zu folgen, und sprang dem seine Geschwindigkeit zusehends verringernden Zuge nach.

Endlich hielt er. Ohne zunächst die sich von ihren erhöhten Plätzen herabbeugenden Beamten zu beachten, eilte ich an den Wagen vorüber bis vor die Lokomotive, warf meine Decke, welche ich vorsorglich in die Hand genommen hatte, über den Reflektor und rief zu gleicher Zeit mit möglichst lauter Stimme:

»Lichter aus!«

Sofort verschwanden die Laternen. Die Angestellten der Pazificbahn sind ein geistesgegenwärtiges und schnell gefaßtes Völkchen.

»’ sdeath!« rief es von der Maschine herab; »warum verdeckt Ihr unsere Flamme, Mann? Ich hoffe nicht, daß da vorn irgend etwas los ist!«

»Wir müssen im Finstern sein, Sir,« antwortete ich; »es sind Indianer vor uns, welche den Zug entgleisen lassen wollen.«

»Alle Teufel! Wenn das so ist, so seid Ihr der bravste Kerl, der jemals durch dieses verfluchte Land stolperte.« Und zur Erde herabspringend, drückte er mir die Hand, daß ich hätte aufschreien mögen.

In einigen Augenblicken waren wir von den wenigen Passagieren umringt, welche sich in dem Zuge befunden hatten.

»Was ist’s? – was gibt’s? – warum halten wir?« rief es rund im Kreise.

Mit kurzen Worten erklärte ich ihnen die Verhältnisse und brachte dadurch eine nicht geringe Aufregung unter den Männern hervor.

»Gut, sehr gut!« rief der Ingenieur. »Zwar bringt das eine Störung im Betriebe hervor; aber das hat nichts zu sagen gegen die prächtige Gelegenheit, den roten Halunken einmal Eins aufs Fell zu brennen. Glücklicherweise sind wir zwar nur wenig Leute, aber alle gut bewaffnet. Wißt Ihr, wieviel Rote es sind?«

»Dreißig Ponkas habe ich gezählt.«

» Well! So nehmen wir es gut und gern mit ihnen auf. Aber was steht denn da drüben für ein Mann? Bei Gott, eine Rothaut!«

Er griff in den Gürtel und wollte sich auf Winnetou stürzen, welcher mir gefolgt war und nun in aufrechter, zuwartender Haltung seitwärts im Halbdunkel stand.

»Bleibt ruhig hier, Sir! Es ist mein Jagdgenosse, der sich freuen wird, die kühnen Reiter des Feuerrosses kennen zu lernen.«

»Das ist was Anderes. Ruft den Mann her! Wie heißt er?«

»Es ist Winnetou, der Häuptling der Apachen.«

»Winnetou?« rief es da laut im Hintergrunde, und ein Mann drängte sich hastig durch die Umstehenden. »Winnetou, der große Häuptling der Apachen ist hier?«

Es war ein Mann von wahrhaft riesigen Körperformen, wie ich in der Dunkelheit erkennen konnte; auch schien er mir nicht die Kleidung der ihm rasch Platz machenden Beamten und Reisenden, sondern das Gewand eines Prairiejägers zu tragen. Er stellte sich vor den Häuptling und fragte mit hörbar freudigem Tone:

»Hat Winnetou die Gestalt und die Stimme seines Freundes vergessen?«

»Uff!« antwortete mit ebensolcher Freude der Gefragte. »Wie kann Winnetou vergessen Old Firehand, den größten unter den weißen Jägern, obgleich er ihn seit vielen Monden nicht gesehen habe!«

»Glaub’s, glaub’s, mein lieber Bruder – geht mir mit dir ja ebenso; aber -«

»Old Firehand?« rief’s, ihn unterbrechend, rund im Kreise, und fast ehrerbietig traten die Anwesenden einen Schritt von dem Genannten zurück, diesem berühmtesten unter den Indianerfeinden, an dessen Person sich die Erzählung von fast unglaublichen Kühnheiten knüpfte, so daß ihn der Aberglaube der Prairiejäger mit einem durch immer neue Berichte wachsenden Nimbus umgab.

»Old Firehand?« rief auch der Ingenieur. »Warum habt Ihr mir Euern Namen nicht genannt, als Ihr aufstieget, Mann? Ich hätte Euch einen besseren Platz angewiesen, als jedem Andern, den man aus Gefälligkeit ein Stück mit in den Westen hineinnimmt!«

»Danke, Sir; war gut genug! Aber laßt uns die kostbare Zeit nicht verschwatzen, sondern beraten, was wir gegen die Indsmen vorzunehmen haben.«

Sofort gruppierte sich alles, als wäre er selbstverständlich derjenige, dessen Ansicht die beste sei, um ihn, und ich mußte meinen Bericht eingehender wiederholen.

»So seid Ihr also Winnetous Freund?« fragte er, als ich geendet hatte. »Ich mag so leicht nicht von jemandem was wissen; aber wem der seine Achtung schenkt, der kann auch auf mich rechnen. Hier habt Ihr meine Hand!«

»Ja, er ist mein Freund und Bruder,« erklärte Winnetou. »Wir haben das Blut der Vereinigung miteinander getrunken.«

»Das Blut getrunken?« fragte Old Firehand schnell, indem er näher zu mir herantrat, um mich zu betrachten. »So ist dieser Mann wohl gar – – wohl gar – – -«

»Old Shatterhand, unter dessen Faust jeder Gegner zusammenbricht,« ergänzte Winnetou.

»Old Shatterhand, Old Shatterhand!« riefen die Umstehenden, indem sie sich an mich drängten.

»Ihr seid Old Shatterhand?« fragte der Ingenieur in frohem Tone. »Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou! Welch ein glückliches Zusammentreffen! Die drei berühmtesten Männer des Westens, die drei Unüberwindlichen! Nun kann es uns ja gar nicht fehlen! Nun sind die roten Kanaillen verloren! Mesch’schurs, sagt uns nur, was wir tun sollen, wir werden euch gehorchen.«

»Es sind dreißig rote Lumpen,« antwortete Old Firehand, »mit denen wir gar keine Umstände machen werden. Wir schießen sie alle über den Haufen.«

»Sie sind Menschen, Sir,« warf ich ein.

»Vertierte Menschen, ja,« entgegnete er. »Ich habe genug von Euch gehört, um zu wissen, daß Ihr selbst in der größten Gefahr noch nachsichtig mit diesen Kerlen seid; ich aber bin ganz anderer Meinung. Wenn Ihr erlebt hättet, was ich erlebt habe, so würde niemand von Old Shatterhand, dem Schonungsvollen, erzählen können. Und da diese Sippe von Parranoh, dem abtrünnigen und hundertfachen Mörder, angeführt wird, so soll mein Tomahawk sie erst recht nun alle, alle fressen! Ich habe eine Rechnung mit ihm auszugleichen, eine Rechnung, welche mit Blut geschrieben ist!«

»Howgh!« stimmte der sonst so milde Winnetou bei. Er mußte triftige Gründe haben, ganz gegen seine Gewohnheit heut einmal eine strengere Anschauung der meinigen vorzuziehen.

»Ihr habt sehr recht, Sir,« erklärte auch der Ingenieur; »Schonung würde hier Sünde sein. Also sagt, welchen Plan Ihr hegt!«

»Das Zugpersonal hat bei den Waggons zu bleiben. Ihr seid Beamte, die wir nicht mit in den Kampf verwickeln dürfen. Aber die andern Gentlemen können sich alle das Vergnügen machen, an dem Abenteuer teilzunehmen und den Kerls die Lehre beizubringen, daß es nicht geraten ist, einen Bahnzug auszurauben. Wir schleichen uns im Dunkeln stracks auf sie zu und fällert über sie her. Da sie keine Ahnung davon haben, wird der Schreck noch weit größere Wirkung als ihre Waffen haben. Sobald wir sie verjagt haben, geben wir ein Feuerzeichen, auf welches der Zug nachfolgen kann, aber langsam, denn wir wissen nicht, ob es uns bis zu seiner Ankunft gelingen wird, die Hindernisse wegzuräumen. Also wer will mit?«

»Ich, ich, ich – – – !« riefen alle, welche außer dem Zugpersonal anwesend waren. Keiner wollte sich ausschließen.

»So nehmt eure Waffen, und kommt! Wir haben keine Zeit zu versäumen, denn die Roten wissen jedenfalls, wann der Zug zu kommen hat, und wenn er zögert, können sie leicht mißtrauisch werden.«

Wir brachen auf, Winnetou und ich als Führer voran. Tiefe Stille lag über der Gegend, denn wir bemühten uns, alles und selbst das leiseste Geräusch zu vermeiden. Nichts verriet, daß der auf der weiten Ebene ruhende scheinbare Frieden die Vorbereitung zu einer blutigen Katastrophe in sich berge.

Zunächst legten wir eine ansehnliche Strecke in aufrechter, bequemer Stellung zurück, dann aber, nachdem wir die Nähe des mutmaßlichen Kampfplatzes erreicht hatten, legten wir uns nieder und krochen, Einer hinter dem Andern, auf Händen und Füßen an der Böschung entlang.

Der Mond war mittlerweile aufgegangen und warf ein ruhiges, klares Licht über die Gegend, so daß es möglich war, in sehr geraume Entfernung zu blicken. Diese Helligkeit erschwerte zwar das Anschleichen, war uns aber in anderer Beziehung wieder von Vorteil. Bei der Gleichheit der Hebungen und Senkungen des Bodens wäre es uns im Dunkel nicht leicht geworden, den Ort genau zu bestimmen, an welchem wir die Ponkas gesehen hatten, und möglicherweise konnten wir also ganz unversehens auf sie stoßen; das war jetzt nicht zu befürchten.

Von Zeit zu Zeit im Vorwärtsdringen einen Augenblick innehaltend und mich vorsichtig erhebend, warf ich einen forschenden Blick über den Damm hinaus und gewahrte jetzt auf der seitwärts liegenden Erhöhung eine Gestalt, welche sich leicht kenntlich am Horizonte abzeichnete. Man hatte also jetzt eine Wache ausgestellt, und wenn der Mann sein Augenmerk nicht bloß in die Ferne auf den von ihm erwarteten Bahnzug, sondern auch auf die nähere Umgebung richtete, so mußte er uns unbedingt bemerken.

Nach wenigen Minuten konnten wir die Übrigen sehen, welche bewegungslos am Boden lagen. Eine kurze Strecke hinter ihnen hielten die angekoppelten Pferde, ein Umstand, der einen plötzlichen Überfall sehr erschwerte, da die Tiere leicht zu Verrätern werden konnten. Zu gleicher Zeit erblickte ich die Vorrichtung, welche die Indianer getroffen hatten, um den Zug aufzuhalten. Es waren noch mehr Steine, als wir vorhin gesehen hatten, auf das Geleis gelegt worden, und mit Schaudern dachte ich an das Schicksal, welches die Insassen der Wagen hätte treffen müssen, wenn das Vorhaben der Wilden nicht von uns bemerkt worden wäre.

Wir setzten unsere Bewegung so lange fort, bis wir uns der Truppe gerade gegenüber befanden, und blieben nun, die Waffen zum sofortigen Gebrauch bereit haltend, erwartungsvoll liegen.

Die Aufgabe war jetzt, zunächst den Posten unschädlich zu machen, ein Vornehmen, welches ich kaum einem andern als Winnetou zutraute. Der Mann konnte im hellen Mondschein die geringste Kleinigkeit seiner Umgebung genau erkennen und mußte bei der ringsum herrschenden Ruhe das leiseste Geräusch bemerken. Und selbst wenn es gelang, ihn zu Überraschen, so war es doch, um ihn durch einen gutgeführten Messerstich unschädlich zu machen, notwendig, aufzuspringen, und dann mußte man ja sofort von den Andern gesehen werden. Dennoch übernahm Winnetou bereitwillig die Lösung dieses schwierigen Problemes. Er schlich sich fort, und kurze Zeit später sahen wir den Posten plötzlich wie in den Boden hinein verschwinden, im nächsten Augenblicke aber schon wieder in seiner früheren Haltung aufrecht stehen. Nur einen einzigen, blitzschnellen Moment hatte diese Bewegung in Anspruch genommen; aber ich wußte sogleich, was sie zu bedeuten hatte. Der jetzt scheinbar Wache Haltende war nicht mehr der Ponka, sondern Winnetou. Er mußte sich unmittelbar an den Posten geschlichen haben und war in demselben Augenblicke, an welchem Letzterer von dem Andern bei den Füßen niedergerissen und sofort eines Lautes unfähig gemacht wurde, kerzengrad in die Höhe gefahren.

Das war wieder eines seiner bewundernswerten Indianerstücke, und da die Feinde in ihrer Unbeweglichkeit verharrten, so mußte der Vorgang ihnen entgangen sein. Das Schwerste war somit glücklich vollbracht, und nun konnten wir den Angriff beginnen.

Aber noch war das Zeichen dazu nicht gegeben, da krachte hinter mir ein Schuß. Ein Unvorsichtiger von unsern Leuten war mit dem Finger an den Drücker seines gespannten Revolvers gekommen. So wenig die Roten einen Angriff erwartet hatten, sie ließen sich doch nicht aus der Fassung bringen. Wir sprangen infolge des vorzeitigen Schusses auf und auf sie zu. Sie sahen uns und eilten unter durchdringenden Schreien zu ihren Pferden, um zunächst schnell aus unserer Nähe zu kommen und dann in gesicherter Stellung einen Entschluß zu fassen.

» Have care!« rief Old Firehand. »Schießt auf die Pferde, daß die Kerls herunter müssen, und dann drauf!«

Unsere Salve krachte, und sogleich bildete die Schar der Indsmen einen wirren Knäuel von gestürzten Pferden mit niedergerissenen Indianern und von Reitern, welche zu entkommen suchten. Dieses Letztere zu verhindern, wurde mir durch meinen Henrystutzen leicht. Sobald ein Ponka ausbrechen wollte, gab ich seinem Pferde eine Kugel, die es niederwarf.

Old Firehand und Winnetou hatten sich sofort, ihre Tomahawks schwingend, auf den Knäuel geworfen; auf eine kräftige Hilfe seitens der andern Weißen hatte ich im Stillen gleich von vornherein nicht gerechnet, und nun sah ich, daß diese Voraussetzung richtig gewesen war. Sie pafften mit ihren Revolvern und sonstigen Schießzeugen von weitem auf die Indianer los, meist ohne zu treffen, und rissen schmählich aus, als einige Rote brüllend auf sie zusprangen.

Als ich meine letzte Kugel verschossen hatte, legte ich den Bärentöter und den Stutzen weg, zog den Tomahawk und eilte an die Seite von Old Firehand und Winnetou. Wir Drei waren die einzigen, welche eigentlich gegen die Ponkas kämpften.

Winnetou kannte ich genugsam und ließ ihn also unbeachtet; mit Gewalt dagegen drängte es mich in die Nähe von Old Firehand, dessen Anblick mich an jene alten Recken mahnte, von denen ich als Knabe so oft und mit Begeisterung gelesen hatte. Mit auseinandergespreizten Beinen stand er grad und aufrecht da und ließ sich von uns die Indianer in das Schlachtbeil treiben, welches, von seiner riesenstarken Faust geführt, bei jedem Schlage zerschmetternd auf die Köpfe der Feinde sank. Die langen, mähnenartigen Haare wehten ihm um das entblößte Haupt, und in seinem, vom Monde hell beschienenen Angesichte sprach sich eine Siegesgewißheit aus, welche den Zügen einen geradezu befremdenden Ausdruck gab.

Ich sah Parranoh mitten im Haufen der Indianer und suchte, an ihn zu kommen. Mir ausweichend, kam er in die Nähe des Apachen, wollte aber auch diesen vermeiden. Das sah Winnetou, sprang auf ihn ein und rief:

»Parranoh! Will der Hund von Atabaskah laufen vor Winnetou, dem Häuptling der Apachen? Der Mund der Erde soll sein Blut trinken, und die Kralle des Geiers soll zerreißen den Leib des Verräters; aber sein Skalp wird zieren den Gürtel des Apachen!«

Er warf den Tomahawk weit von sich, riß das Messer aus dem mit Kopfhäuten geschmückten Gürtel und packte den weißen Häuptling bei der Kehle. Aber er wurde von dem tödlichen Stiche abgehalten.

Als er gegen seine sonstige Gewohnheit sich mit so lautem Rufe auf den Ponka stürzte, hatte Old Firehand einen raschen Blick herüber geworfen, welcher das Gesicht des Feindes streifte. Trotz der Flüchtigkeit dieses Blickes aber hatte er doch ein Gesicht gesehen, das er haßte mit der tiefsten Faser seines Innern, welches er lange, lange Jahre mit fürchterlicher Anstrengung, aber vergebens gesucht hatte, und das ihm nun so unerwartet an diesem Orte vor die Augen kam.

»Tim Finnetey,« schrie er, schlug mit den Armen die Indianer wie Grashalme auseinander und sprang mitten durch sie hindurch auf Winnetou zu, dessen soeben zum Stoße erhobene Hand er packte. »Halt, Bruder, dieser Mann gehört mir!«

Vor Schrecken starr stand Parranoh, als er seinen eigentlichen Namen rufen hörte; kaum aber hatte er einen Blick in das Angesicht Old Firehands geworfen, so riß er sich von der Hand Winnetous, der seine Aufmerksamkeit geteilt hatte, los und stürmte wie von der Sehne geschnellt von dannen. Im Augenblicke machte auch ich mich von dem Indianer, mit welchem ich während dieser Szene im Kampfe stand, los und setzte dem Fliehenden nach. Zwar hatte ich für meine Person keinerlei Abrechnung mit ihm zu halten, aber selbst wenn er auch nicht als der eigentliche Urheber des beabsichtigten Überfalles Anrecht auf eine Kugel gehabt hätte, so wußte ich doch, daß er ein Todfeind Winnetous sei, und ebenso hatten mich die letzten Augenblicke belehrt, daß Old Firehand an der Habhaftwerdung seiner Person gelegen sein müsse.

Beide hatten sich ebenfalls augenblicklich zur Verfolgung in Bewegung gesetzt; aber ich wußte, daß sie den Vorsprung, welchen ich vor ihnen hatte, nicht verringern würden, und mußte freilich auch zu gleicher Zeit bemerken, daß ich es mit einem außerordentlich guten Läufer zu tun hatte. Obgleich Old Firehand nach dem, was ich von ihm gehört hatte, ein Meister in allen Fertigkeiten, welche das Leben im Westen verlangt, sein mußte, so befand er sich doch schon nicht mehr in den Jahren, welche einen Wettlauf auf Tod und Leben begünstigen, und Winnetou hatte mir schon öfters eingestanden, daß er mich nicht einzuholen vermöge.

Zu meiner Genugtuung bemerkte ich, daß Parranoh den Fehler beging, ohne seine Kräfte gehörig abzumessen, Hals über Kopf immer gradaus zu rennen, und in seiner Bestürzung die gewöhnliche Taktik der Indianer, im Zickzack zu fliehen, nicht befolgte, während ich den Odem zu sparen suchte, und in vollständiger Berechnung meiner Kräfte und der möglichen Ausdauer die Anstrengung des Laufes abwechselnd von einem Beine auf das andere legte, eine Vorsicht, welche mir stets von Vorteil gewesen war.

Die beiden Andern blieben immer weiter zurück, so daß ich das Geräusch ihres Atems, welches ich erst dicht hinter mir gehört hatte, nicht mehr vernahm, und jetzt erscholl auch aus schon ziemlicher Entfernung die Stimme Winnetous.

»Old Firehand mag stehen bleiben! Mein junger, weißer Bruder wird die Kröte von Atabaskah fangen und töten. Er hat die Füße des Sturmes, und niemand vermag, ihm zu entkommen.«

So schmeichelhaft dieser Ruf für mich klang, ich konnte mich doch nicht umsehen, um zu gewahren, ob der grimme Jäger ihm auch Folge leiste. Zwar schien der Mond, aber bei der Trüglichkeit seines Schimmers mußte ich den Flüchtling immer fest im Auge behalten.

Bisher war ich ihm noch um keinen Schritt näher gerückt; aber als ich jetzt bemerkte, daß seine Geschwindigkeit im Abnehmen begriffen sei, holte ich weiter aus, und in kurzer Zeit flog ich so nahe hinter ihm her, daß ich sein keuchendes Schnaufen vernahm. Ich hatte keine andere Waffe bei mir, als die beiden abgeschossenen Revolver und das Bowiemesser, welches ich jetzt zog. Das Beil hätte mich am Laufen gehindert und war deshalb schon nach den ersten Schritten von mir weggeworfen worden.

Da plötzlich sprang er zur Seite, um mich im vollen jagen an sich vorüberschießen zu lassen und dann von hinten an mich zu kommen; aber ich war natürlich auf dieses Manöver gefaßt und bog in ebendemselben Momente seitwärts, so daß wir mit voller Gewalt zusammenprallten und ihm dabei mein Messer bis an den Griff in den Leib fuhr.

Der Zusammenstoß war so kräftig, daß wir beide zur Erde stürzten, von welcher er sich allerdings nicht wieder erhob, während ich mich augenblicklich zusammenraffte, da ich nicht wissen konnte, ob er tödlich getroffen sei. Aber er bewegte kein Glied, und tief Atem holend, zog ich das Messer zurück.

Es war nicht der erste Feind, welchen ich niedergestreckt hatte, und mein Körper zeigte manches Andenken an nicht immer glücklich bestandene Rencontres mit den kampfgeübten Bewohnern der amerikanischen Steppen; aber hier lag ein Weißer vor mir, der von meiner Waffe gestorben war, und ich konnte mich eines beengenden Gefühls nicht erwehren. Doch hatte er den Tod jedenfalls verdient und war des Bedauerns also nicht wert.

Noch mit mir zu Rate gehend, welches Zeichen meines Sieges ich mit mir nehmen sollte, hörte ich hinter mir den eiligen Lauf eines Menschen. Rasch warf ich mich nieder; aber ich hatte nichts zu befürchten; denn es war Winnetou, welcher mir in freundschaftlicher Besorgnis doch gefolgt war und jetzt an meiner Seite hielt.

»Mein Bruder ist schnell wie der Pfeil des Apachen, und sein Messer trifft sicher das Ziel,« sagte er, als er den Toten liegen sah.

»Wo ist Old Firehand?« fragte ich.

»Er ist stark wie der Bär zur Zeit des Schneefalls; aber sein Fuß wird gehalten von der Hand der Jahre. Will mein Bruder sich nicht schmücken mit der Skalplocke des Atabaskah?«

»Ich schenke sie meinem roten Freunde!«

Mit drei Schnitten war die Kopfhaut des Gefallenen vom Schädel gelöst. Wie grimmig mußte der sonst so menschenfreundliche Apache diesen Tim Finnetey gehaßt haben, da er ihm die Kopfhaut nahm! Ich hatte mich, um von dieser Prozedur nicht berührt zu werden, abgewandt, da war es mir, als bewegten sich einige dunkle Punkte langsam auf uns zu.

»Winnetou mag sich zur Erde strecken; er wird den Skalp des weißen Häuptlings verteidigen müssen!« warnte ich.

Die Kommenden nahten sich mit sichtbarer Vorsicht; es waren ungefähr ein halbes Dutzend Ponkas, welche beabsichtigten, etwa versprengte Ihrige aufzusuchen.

Der Apache kroch, tief zur Erde gedrückt, seitwärts, und ich folgte, seine Absicht erratend. Längst schon hätte Old Firehand bei uns sein müssen; aber vermutlich hatte er, sobald Winnetou ihm aus den Augen geraten war, eine falsche Richtung eingeschlagen. Jetzt bemerkten wir, daß die Nahenden Pferde bei sich hatten, welche sie am Zügel nachführten; auf diese Weise waren sie für alle Fälle zur schnellen Flucht bereit; uns aber konnte dieser Umstand gefährlich werden und wir mußten uns deshalb in den Besitz der Tiere setzen. Wir schlugen daher einen kleinen Bogen ein, eine Bewegung, welche uns in ihren Rücken und die Pferde zwischen uns und sie bringen mußte.

In dieser Entfernung vom eigentlichen Kampfplatze hatten sie natürlich keinen Toten vermutet und stießen ein verwundertes ›Uff!‹ aus, als sie einen regungslosen menschlichen Körper vor sich erblickten. Hätten sie vermutet, daß er hier getötet worden sei, so wären sie gewiß mit weniger Eile auf ihn zugeschritten; sie schienen aber anzunehmen, daß er sich verwundet aus dem Handgemenge bis hierher geschleppt habe, bückten sich unverzüglich auf ihn nieder und stießen, als sie ihn und seine Entstellung erkannten, ein unterdrücktes Wutgeheul aus.

Das war der geeignete Augenblick für uns. Im Nu hatten wir die Pferde, welche sie im Schrecken losgelassen hatten, bei den Riemen, saßen auf und jagten im Galopp den Unsrigen zu. An einem Kampfe konnte uns nichts gelegen sein; es war genug, daß wir, fast waffenlos, wie wir waren, den dreifach Überlegenen entkamen und außer dem Skalpe des feindlichen Anführers noch eine Anzahl Pferde mitbrachten.

Mit sehr verzeihlichem Vergnügen dachte ich an die verdutzten Gesichter, welche die Betrogenen uns jedenfalls nachschnitten, und selbst der so ernste Winnetou konnte ein lachendes ›Uff‹ nicht unterdrücken. Zugleich aber war eine kleine Sorge um Old Firehand sicher gerechtfertigt, da er ebensogut wie wir mit einer Truppe der Verschlagenen zusammengetroffen sein konnte.

Und diese Sorge erwies sich als gerechtfertigt; denn wir fanden ihn bei unserer Rückkehr an dem Platze des Überfalles nicht vor, trotzdem seit unserer Entfernung eine geraume Zeit vergangen sein mußte.

Der Kampf war beendet; die Weißen, die uns geholfen oder vielmehr nicht geholfen hatten, trugen die toten Indianer zusammen; die verwundeten Roten waren natürlich mit den unbeschädigten fort. In der Nähe derjenigen Stelle, an welcher die Steine auf den Schienen lagen, brannten zwei hochlodernde Feuer, welche die nötige Helle verbreiteten und zugleich dem Zugpersonale als Signal dienten.

Es wurde bemerkt, und bald kam der Train herbei, um bei den Feuern zu halten. Die Beamten sprangen herab und erkundigten sich nach dem Resultate des Kampfes. Als ich es ihnen gesagt hatte, erteilten sie uns ihr Lob, welches sie besser hätten unterlassen mögen, und der Konduktor versprach uns, in seinem Berichte uns rühmend zu erwähnen und dafür zu sorgen, daß unsere Namen überall genannt würden.

»Ist nicht nötig, Sir,« entgegnete ich ihm. »Wir sind einfache Westmänner und verzichten gern auf solchen Ruhm. Wenn es Euch aber gar so sehr drängt, Euch erkenntlich zu zeigen, so posaunt die Namen dieser andern tapfern Gentlemen in den Staaten aus. Sie haben viel Pulver verknallt, und ich denke, es ist nur billig und gerecht, wenn sie dafür eine Anerkennung erhalten.«

»Ist das Euer Ernst, Sir?« fragte er, da er aus dem Tone, in welchem ich dies sagte, nicht recht klug werden konnte.

»Allerdings.«

»Sie sind also tapfer gewesen?«

»Über alle Maßen.«

»Freut mich ungemein. Werde also ihre Namen notieren und veröffentlichen. Aber wo ist denn Old Firehand? Ich sehe ihn nicht. Ich will nicht hoffen, daß er bei den Gefallenen liegt!«

Hierauf antwortete Winnetou.

»Mein Bruder Old Firehand hat verloren die Fährte Parranohs und wird auf neue Feinde gestoßen sein. Ich werde mit Old Shatterhand gehen, ihn zu suchen.«

»Ja, wir müssen schnell wieder fort,« stimmte ich bei, »denn es steht zu vermuten, daß er sich in Gefahr befindet. Hoffentlich seid Ihr noch hier, wenn wir wiederkommen.«

Wir beide, Winnetou und ich, nahmen unsere Gewehre und Tomahawks, welche wir vor der Verfolgung Parranohs weggeworfen hatten, wieder auf und eilten fort, natürlich in der Richtung, in welcher wir vorhin gewesen waren, weil dies diejenige war, in der wir Old Firehand zu suchen hatten.

Sehen konnten wir ihn auf größere Entfernung nicht; dazu war das Mondlicht zu bleich und schwach. Wir mußten uns also mehr als auf unsere Augen auf unser Gehör verlassen. In den ersten Minuten war auch dies vergeblich, weil der Lärm, welcher vom Bahnzuge ausging, jedes andere Geräusch unvernehmlich machte; aber als wir uns soweit entfernt hatten, daß dieser nicht mehr zu hören war und die tiefe Stille der Nacht um uns herrschte, blieben wir von Zeit zu Zeit stehen, um zu lauschen.

Auch dies war lange ohne Erfolg, und schon wollten wir wieder umkehren, weil wir glaubten, daß Old Firehand sich nun wieder an der Bahn befinden werde, als wir einen Ruf vernahmen, welcher aus der Ferne zu uns drang.

»Das muß unser Bruder Old Firehand sein, denn den fliehenden Ponkas wird es nicht einfallen, sich durch Rufe zu verraten,« sagte Winnetou.

»Das ist auch meine Meinung,« antwortete ich. »Laufen wir schnell hin!«

»Ja, schnell! Er befindet sich in Gefahr, sonst würde er nicht rufen.«

Wir liefen, aber Winnetou nach Nord und ich nach Ost. Darum blieben wir sofort wieder halten, und der Apache fragte:

»Warum eilt mein Bruder dorthin? Es war im Norden.«

»Nein, sondern im Osten. Horch!«

Der Ruf wiederholte sich, und ich fügte hinzu: »Es ist im Osten: ich höre es ganz deutlich.«

»Es ist im Norden; mein Bruder Old Shatterhand irrt sich abermals.«

»Und ich bin überzeugt, daß ich recht habe. Er befindet sich in Gefahr, und wir haben also keine Zeit, die irrige Meinung zu berichtigen. Winnetou mag also nördlich gehen, während ich östlich laufe; einer von uns findet ihn dann bestimmt.«

»Ja, so soll es geschehen!«

Mit diesen Worten sprang er, der sich sonst in solchen Dingen niemals irrte, fort, und ich lief, so schnell ich konnte, in der von mir behaupteten Richtung davon. Schon nach kurzer Zeit bemerkte ich, daß ich recht gehabt hatte, denn der Ruf erklang wieder, und zwar viel deutlicher als vorher. Und dann sah ich vor mir eine Gruppe von kämpfenden Menschen.

»Ich komme, Old Firehand, ich komme!« schrie ich und verwandelte meine Schritte in noch viel weitere Sätze.

Nun sah ich die Gruppe deutlicher. Old Firehand kniete an der Erde, weil er verwundet zusammengesunken war, und verteidigte sich gegen drei Feinde, während er schon drei niedergemacht hatte. Das waren die sechs, denen wir die Pferde genommen hatten. jeder Streich konnte ihm das Leben kosten, und ich war wohl noch fünfzig Schritte weit. Darum blieb ich stehen und legte den Stutzen an, den ich wieder geladen hatte. Es war bei dem unbestimmten Scheine des Mondes, und weil infolge des schnellen Laufes mein Puls rascher ging und meine Lunge erregter atmete, ein gefährliches Schießen, denn ich konnte den treffen, dein ich helfen wollte; aber ich mußte es wagen. Drei schnell aufeinander folgende Schüsse; die drei Feinde stürzten nieder und ich rannte weiter, auf Old Firehand zu.

»Gott sei Dank! Das war zur rechten Zeit, grad im letzten Augenblicke, Sir!« rief er mir entgegen.

»Ihr seid verwundet?« fragte ich, bei ihm angekommen. »Doch nicht etwa schwer?«

»Lebensgefährlich wohl nicht. Zwei Tomahawkhiebe in die Beine. Die Kerls konnten mir oben nicht an den Leib; darum hackten sie unten in die Beine, daß ich zusammenbrechen mußte.«

»Das gibt großen Blutverlust. Erlaubt, daß ich Euch untersuche!«

»Ja, ja! Aber, Sir, was seid Ihr für ein Schütze! Bei solchem Lichte und nach einem solchen Dauerlaufe alle drei mitten in den Kopf getroffen! Sie sind tot. Das bringt nur Old Shatterhand fertig! Ich kam Euch vorhin, als wir Tim Finnetey verfolgten, nicht nach, weil ich eine Pfeilwunde am Beine hatte, die mich am Laufen hinderte. Eure Spur konnte ich nicht sehen; ich suchte nach Euch; da wuchsen die sechs roten Kerls grad vor mir förmlich aus der Erde; sie hatten sich platt niedergelegt, um mich herankommen zu lassen. Ich hatte nur das Messer und meine Fäuste, weil ich die andern Waffen, um besser laufen zu können, weggeworfen habe. Sie hackten mich in die Beine; drei stach ich nieder; die andern Drei hätten mich, wenn Ihr nicht gekommen wäret, wohl kalt gemacht. Ich werde dies Old Shatterhand niemals vergessen!«

Während er dies erzählte, untersuchte ich seine Wunden; sie waren schmerzhaft, aber glücklicherweise nicht gefährlich. Da kam Winnetou und half sie mit verbinden. Er gab freimütig zu, heut einmal von seinem sonst so vortrefflichen Gehör getäuscht worden zu sein. Die sechs Toten ließen wir liegen und kehrten nach der Bahn zurück, natürlich sehr langsam, weil Old Firehand nicht schnell gehen konnte. Darum wunderten wir uns nicht darüber, daß der Zug fort war, als wir das Geleise erreichten. Er hatte seine Zeit einzuhalten und nicht länger warten können. Die erbeuteten Pferde standen bei den unserigen angepflockt, und das war gut, weil wir nun Old Firehand leichter transportieren konnten. Freilich waren wir seinetwegen gezwungen, eine Woche oder auch noch länger still zu liegen, bis er zum Reiten fähig war, und dazu schlug er uns eine einen halben Tagesritt entfernte Stelle vor, wo es Wald und Wasser gab und wir also nicht nur für uns, sondern auch für unsere Pferde alles hatten, was wir brauchten. – – -

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

Подняться наверх