Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 34

Оглавление

»Höre, Mann, ich bin ein viel größerer und berühmterer Häuptling als er. Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Sag ihm das!«

»Auch kann er nicht gehen, selbst wenn er wollte, weil er am Arm verwundet ist.«

»Seit wann gehen die Söhne der Comanchen nicht mehr auf den Beinen, sondern auf den Armen? Wenn er nicht zu uns kommen will, so mag er bleiben, wo er ist. Wir brauchen ihn und euch alle nicht!«

Das war in einem so entschiedenen Tone gesprochen, daß der Rote nun doch meinte:

»Ich werde ihm die Worte Old Deaths mitteilen. Vielleicht kommt er doch.«

»So sage ihm aber, daß er allein kommen soll. Zu einer langen Beratung unter vielen habe ich keine Lust. Nun gehe!«

Der Mann entfernte sich. Wir sahen ihn nach dem Feuer gehen und dort in den Kreis der Krieger treten. Eine geraume Zeit verging, ehe etwas geschah. Endlich sahen wir, daß eine Gestalt sich in der Mitte der Sitzenden erhob, das Lagerfeuer verließ und auf uns zukam. Er trug Adlerfedern auf dem Kopfe.

»Schaut, er hat dem toten ›weißen Biber‹ den Häuptlingsschmuck abgenommen und sich selbst angelegt. Jetzt wird er mit größter Grandezza herbeisteigen.«

Als der Häuptling näher kam, sahen wir, daß er allerdings den linken Arm in einem Riemen trug. Der Ort, an welchem wir uns befanden, mußte ihm ganz genau beschrieben worden sein, denn er kam grad auf denselben zu und blieb vor uns stehen. Er hatte wohl erwartet, angeredet zu werden, denn er sagte nichts. Old Death aber blieb ruhig liegen und schwieg. Wir Andern verhielten uns natürlich ganz ebenso.

»Mein weißer Bruder ließ mich bitten, zu ihm zu kommen?« fragte der Rote nun doch.

»Old Death hat nicht nötig, zu einer Bitte niederzusteigen. Du wolltest mit mir sprechen. Also du bist es, welcher zu bitten hat, wenn überhaupt von einer Bitte die Rede sein kann. Jetzt aber werde ich dich sehr höflich ersuchen, mir deinen Namen zu sagen. Ich kenne ihn noch nicht.«

»Er ist bekannt über die ganze Prairie. Ich werde der ›flinke Hirsch‹ genannt.«

»Ich bin auf allen Prairien gewesen, habe aber trotzdem diesen Namen nicht gehört. Du mußt sehr heimlich damit umgegangen sein. Nun aber, da ich ihn gehört habe, erlaube ich dir, dich zu uns zu setzen.«

Der Häuptling trat einen Schritt zurück. Erlauben wollte er sich nichts lassen; aber er fühlte sehr wohl, daß die Umstände ihn zwangen, nachzugeben. Darum ließ er sich langsam und gravitätisch Old Death gegenüber nieder, und nun erst richteten wir uns in sitzende Stellung auf. Erwartete der Comanche, daß der Scout das Gespräch beginnen werde, so hatte er sich geirrt. Letzterer behielt seine angenommene Gleichgültigkeit bei, und der Rote mußte anfangen:

»Die Krieger der Comanchen wollen eine große Beratung abhalten, und die Bleichgesichter sollen an derselben teilnehmen, damit wir ihren Rat hören.«

»Das ist überflüssig. Ihr habt meinen Rat schon oft gehört und doch nie befolgt. Ich aber bin gewohnt, daß meine Worte Beachtung finden, und so werde ich von jetzt an meine Gedanken für mich behalten!«

»Will mein Bruder wohl bedenken, daß wir seiner Erfahrung bedürfen!«

»Ah, endlich! Haben die Apachen euch belehrt, daß Old Death doch klüger war, als alle fünfhundert Comanchen? Wie ist euer Angriff ausgefallen?«

»Wir konnten nicht durch den Ausgang, denn er war mit Steinen, Sträuchern und Bäumen versperrt.«

»Dachte es mir! Die Apachen haben die Bäume mit ihren Tomahawks gefällt, und ihr hörtet es nicht, weil ihr eure Toten zu laut beklagtet. Warum habt ihr das Feuer nicht verlöscht? Seht ihr denn nicht ein, daß ihr euch dadurch in großen Schaden bringt?«

»Die Krieger der Comanchen mußten tun, was beraten worden war. Jetzt wird man etwas Klügeres beschließen. Du wirst doch mit uns sprechen?«

»Aber ich bin überzeugt, daß ihr meinen Rat abermals nicht befolgen werdet.«

»Wir befolgen ihn.«

»Wenn du mir das versprichst, so bin ich bereit, ihn euch zu geben.«

»So komme mit mir zum Feuer!«

»Ich danke! Dorthin komme ich nicht. Es ist eine große Unvorsichtigkeit, ein Feuer zu unterhalten, denn da können die Apachen sehen, was bei euch geschieht. Auch habe ich keine Lust, mich mit deinen Roten herumzustreiten. Ich werde sagen, was ich denke, und du kannst tun, was dir beliebt.«

»So sage es!«

»Die Apachen befinden sich nicht nur an den beiden Ausgängen des Tales, sondern sie sind im Tale selbst. Sie haben sich da vorn festgesetzt und die Ausgänge verbarrikadiert. So können sie sich nach links und rechts wenden, ganz wie es ihnen nötig erscheint. Sie zu vertreiben, ist unmöglich.«

»Wir sind ihnen ja weit überlegen.«

»Wie viele Krieger habt ihr bereits eingebüßt?«

»Der große Geist hat viele von uns zu sich gefordert. Es sind schon über zehnmal zehn. Und auch Pferde sind zu Grunde gegangen.«

»So dürft ihr in dieser Nacht nichts mehr unternehmen, weil es euch grad so ergehen würde, wie das letztemal. Und am Tage werden die Apachen sich so aufstellen, daß sie euch mit ihren Waffen, ihr aber nicht sie mit den eurigen erreichen könnt. Dann werden auch die Scharen eintreffen, nach denen Winnetou gesandt hat, und es sind nachher mehr Apachen als Comanchen vorhanden. Ihr seid dem Tode geweiht.«

»Ist das wirklich die Meinung meines Bruders? Wir werden seinen Rat befolgen, wenn er uns zu retten vermag.«

»Da du von Rettung sprichst, so hast du hoffentlich eingesehen, daß ich recht hatte, als ich dieses Tal eine Falle nannte. Wenn ich über die Sache nachdenke, so finde ich zwei Wege, auf denen die Rettung versucht werden könnte, aber auch nur versucht, denn ob sie wirklich gelingen wird, das kann ich nicht wissen. Der erste ist, daß ihr versucht, ob es möglich ist, an den Felsen empor zu klettern. Aber ihr müßtet dafür den Anbruch des Tages abwarten; die Apachen würden euch somit sehen und sich jenseits des Tales auf euch werfen. Dort sind sie euch überlegen, weil ihr eure Pferde nicht mitnehmen könnt. Es gibt also nur noch ein Mittel, euch zu retten. Tretet in Unterhandlung mit den Apachen!«

»Das tun wir nicht!« brauste der Häuptling auf. »Die Apachen würden unsern Tod verlangen.«

»Das verdenke ich ihnen auch nicht, weil ihr ihnen Grund dazu gegeben habt. Ihr habt mitten im Frieden ihre Dörfer Überfallen, ihre Habe geraubt, ihre Weiber und Töchter fortgeführt und ihre Krieger getötet oder zu Tode gemartert. Ihr habt dann ihren Abgesandten das Wort gebrochen und sie ermordet. So schändliche Taten schreien um Rache, und es ist darum gar kein Wunder, daß ihr keine Gnade von den Apachen zu erwarten habt. Du siehst das selbst ein und gibst damit’ zu, daß ihr ganz unverantwortlich an ihnen gesündigt habt.«

Das war höchst aufrichtig gesprochen, so aufrichtig, daß der Häuptling für eine ganze Weile verstummte.

»Uff!« stieß er dann hervor. »Das sagst du mir – mir, dem Häuptling der Comanchen!«

»Ich würde es dir sagen, auch wenn du der große Geist selber wärest. Es war eine Schändlichkeit von euch, in dieser Weise an den Apachen zu handeln, welche euch nichts zugefügt hatten. Was taten euch ihre Gesandten, daß ihr sie tötetet? Was taten sie euch wieder, daß ihr den jetzigen Kriegszug unternehmt, um Tod, Verderben und Schande über sie zu bringen? Antworte mir!«

Der Indianer stieß erst nach längerer Zeit grimmig hervor:

»Sie sind unsere Feinde.«

»Nein. Sie lebten im Frieden mit euch, und kein Abgesandter von euch hat ihnen die Botschaft gebracht, daß ihr das Kriegsbeil gegen sie ausgegraben habt. Ihr seid euch eurer Schuld sehr wohl bewußt. Darum hegst du die Überzeugung, daß ihr keine Gnade zu erwarten habt. Und doch wäre es möglich, einen leidlichen Frieden mit ihnen zu schließen. Es ist ein Glück für euch, daß Winnetou ihr Anführer ist, denn er trachtet nicht nach Blut. Er ist der einzige Häuptling der Apachen, welcher sich vielleicht zur Milde gegen euch entschließen könnte. Sendet einen Mann an ihn, um eine Unterhandlung herbeizuführen. Ich selbst will mich sogar bereit finden lassen, zu gehen, um ihn nachgiebig für euch zu stimmen.«

»Die Comanchen werden lieber sterben, als die Apachen um Gnade bitten.«

»Nun, das ist eure Sache. Ich habe dir jetzt meinen Rat erteilt. Ob du ihn befolgest oder nicht, das ist mir außerordentlich gleichgültig.«

»Weiß mein Bruder keine andere Hilfe? Er redet zu Gunsten der Apachen; also ist er ein Freund derselben.«

»Ich bin allen roten Männern wohlgesinnt, so lange sie mich nicht feindselig behandeln. Die Apachen haben mir nicht das geringste Leid getan. Warum soll ich ihr Feind sein? Aber ihr habt uns feindselig behandeln wollen. Du wolltest uns gefangen nehmen. Nun wäge ab, wer größeres Anrecht auf unsere Freundschaft hat, ihr oder sie!«

»Du trägst mein Calumet und meinen Medizinbeutel, also ist das, was du sagst, grad so, als ob es meine Worte seien.

Darum darf ich dir nicht die Antwort geben, welche ich dir geben möchte. Dein Rat taugt nichts. Du hast damit die Absicht, uns in die Hände der Apachen zu bringen. Wir werden nun selbst wissen, was wir zu tun haben.«

»Nun, wenn ihr das wißt, warum willst du dann meinen Rat haben? Wir sind fertig und haben nichts mehr zu besprechen.«

»Ja, wir sind fertig,« stimmte der Comanche bei. »Aber bedenke wohl, daß du trotz des Schutzes, unter welchem du jetzt noch stehst, unser Feind bist. Du darfst mein Calumet und meine Medizin nicht behalten. Du wirst sie hergeben müssen, ehe wir diesen Ort verlassen, und dann wird alles über dich kommen, was du veranlaßt hast.«

» Well! Ich bin einverstanden. Was über mich kommen soll, erwarte ich mit großer Ruhe. Du hast Old Death gedroht. Ich wiederhole, daß wir mit einander fertig sind, und du kannst gehen.«

»Uff !« stieß der Häuptling wild hervor. Dann wendete er sich ab und kehrte gemessenen Schrittes nach dem Feuer zurück.

»Diese Kerls sind wirklich wie vor den Kopf geschlagen,« zürnte Old Death hinter ihm her. »Sie können sich wirklich nur dadurch retten, daß sie um Frieden bitten. Anstatt dies zu tun, bauen sie noch immer auf ihre Überzahl. Aber wie die Verhältnisse jetzt liegen, ist Winnetou allein für hundert Mann zu rechnen. Das werdet Ihr nicht glauben, weil Ihr ein Neuling im wilden Westen seid und also gar nicht ahnt, was unter Umständen ein einziger tüchtiger Kerl zu bedeuten hat. Ihr solltet zum Beispiel nur wissen, was dieser junge Apache mit: seinem weißen Freunde Old Shatterhand ausgeführt hat. Habe ich Euch schon davon erzählt?«

Er nannte meinen Namen jetzt zum ersten Male.

»Nein,« antwortete ich. »Wer ist dieser Old Shatterhand?«

»Ein grad so junger Mann, aber doch ein ganz anderer Kerl als Ihr. Schlägt alle Feinde mit der Faust zu Boden, schießt mit dem Teufel um die Wette und ist ein Pfiffikus, an den kein Anderer kommt.«

Da raschelte es leise hinter uns, und eine unterdrückte Stimme sagte:

»Uff! Old Death hier? Das habe ich nicht gewußt. Wie freu’ich mich darüber!«

Der Alte drehte sich erschrocken um, zog sein Messer schnell und fragte:

»Wer ist da? Wer wagt es, uns hier zu belauschen?«

»Mein alter, weißer Bruder mag das Messer in seinem Gürtel lassen; er wird doch Winnetou nicht stechen wollen!«

»Winnetou? Alle Teufel! Allerdings nur Winnetou konnte es fertig bringen, sich hinter Old Death zu schleichen, ohne von ihm bemerkt zu werden. Das ist ein Meisterstück, welches ich mir nicht getraue, nachzumachen!«

Der Apache kam vollends herangekrochen und antwortete, ohne sich merken zu lassen, daß er mich kannte:

»Der Häuptling der Apachen hat keine Ahnung davon gehabt, daß Old Death hier ist, sonst hätte er sich schon eher zu ihm geschlichen und mit ihm gesprochen.«

»Aber du begibst dich ja in eine ganz außerordentliche Gefahr! Du hast dich durch die Posten und dann noch bis hierher schleichen müssen und mußt auch wieder zurück.«

»Nein, das habe ich nicht. Die Bleichgesichter sind meine Freunde, und ich kann ihnen mein Vertrauen schenken. Dieses Tal liegt im Gebiete der Apachen, und Winnetou hat es zu einer Falle eingerichtet für Feinde, welche etwa bei uns eindringen wollen. Diese Felswände sind nicht so unwegbar, wie es scheint. Die Apachen haben einen schmalen Pfad angelegt, welcher in der Höhe mehrerer Männer rund um das Tal läuft. Durch einen Lasso kommt man leicht hinauf und wieder herab. Die Comanchen sind durch meine Kundschafter in diese Falle gelockt worden und sollen darin untergehen.«

»Ist ihr Tod denn wirklich beschlossen?«

»Ja. Winnetou hat dein Gespräch mit dem Häuptling gehört und aus demselben ersehen, daß du dich zur Seite der Apachen neigest. Du hast gesagt, was die Comanchen an uns verbrochen haben, und gibst es zu, daß wir diesen vielfältigen Mord zu rächen haben.«

»Aber müssen deswegen Ströme Blutes fließen?«

»Du hast selbst gehört, daß die Comanchen weder ihre Sünde bekennen, noch das tun wollen, was du ihnen rietest und was die Klugheit ihnen gebietet. So mag nun ihr Blut über sie selbst kommen. Die Apachen werden ein Beispiel geben, wie sie den Verrat zu bestrafen wissen. Das müssen sie tun, um vor Wiederholungen sicher zu sein.«

»Es ist grauenhaft! Doch fühle ich keinen Beruf, meinen Rat abermals vor Ohren hören zu lassen, welche desselben gar nicht zu bedürfen vermeinen.«

»Du würdest abermals nicht gehört. Ich vernahm aus deinen Worten, daß du die Heiligtümer des Häuptlings besitzest. Wie bist du zu ihnen gekommen?«

Old Death erzählte es. Als er geendet hatte, sagte Winnetou:

»Da du ihm versprochen hast, sie ihm wiederzugeben, so mußt du dein Wort halten. Du wirst sie ihm gleich jetzt geben und zu uns kommen. Ihr werdet als Freunde bei uns aufgenommen werden.«

»Gleich jetzt sollen wir zu euch kommen?«

»Ja. In drei Stunden werden über sechshundert Krieger der Apachen hier ankommen. Viele von ihnen haben Gewehre. Ihre Kugeln streichen über das Tal weg, und euer Leben ist nicht mehr sicher.«

»Aber wie sollen wir es anfangen, zu euch zu kommen?«

»Das fragt Old Death?«

»Hm, ja! Wir setzen uns auf die Pferde und reiten zum Lagerfeuer. Dort gebe ich dem Häuptling seine Heiligtümer zurück, und dann sprengen wir fort, den Apachen entgegen. Die im Wege stehenden Posten reiten wir nieder. Wie aber kommen wir über die Barrikaden hinweg?«

»Sehr leicht. Wartet nur, wenn ich hier fort bin, noch zehn Minuten, bevor ihr aufbrecht. Dann werde ich rechts, am Ausgange des Tales, stehen und euch empfangen.«

Er huschte davon.

»Na, was sagt Ihr nun?« fragte Old Death.

»Ein außerordentlicher Mann!« antwortete Lange.

»Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Wäre dieser Mann ein Weißer, ein Soldat, er könnte es bis zum Feldherrn bringen. Und wehe den Weißen, wenn es ihm in den Sinn käme, die Roten um sich zu versammeln, um ihre angestammten Rechte zu verfechten. Er aber liebt den Frieden und weiß, daß die Roten trotz allen Sträubens dem Untergange gewidmet sind, und verschließt die fürchterliche Last dieser Überzeugung still in seiner Brust. Na, setzen wir uns also auf zehn Minuten wieder nieder.«

Es blieb so ruhig im Tale, wie es in der letzten halben Stunde gewesen war. Die Comanchen berieten noch. Nach zehn Minuten stand Old Death wieder auf und stieg in den Sattel.

»Macht genau das nach, was ich tue!« sagte er.

Langsamen Schrittes ritten wir bis zum Lagerplatze. Der Kreis der Comanchen öffnete sich, und wir ritten in denselben hinein. Wären die Gesichter nicht bemalt gewesen, so hätten wir gewiß das größte Erstaunen in denselben bemerken können.

»Was wollt ihr hier?« fragte der Häuptling, indem er aufsprang. »Weshalb kommt ihr zu Pferde?«

»Wir kommen als Reiter, um den tapfern und klugen Kriegern der Comanchen eine Ehre zu erweisen. Nun, was werdet ihr also tun?«

»Die Beratung ist noch nicht zu Ende. Aber steigt ab! Ihr seid unsere Feinde, und wir dürfen nicht zugeben, daß ihr zu Pferde seid. Oder kommst du vielleicht, mir meine Heiligtümer zurückzubringen?«

»Wäre das nicht sehr unklug von mir gehandelt? Du hast ja gesagt, daß von dem Augenblicke an, an welchem du dein Eigentum zurück hast, Feindschaft zwischen euch und uns sein solle, bis wir am Marterpfahle sterben.«

»So wird es sein. Ich habe es gesagt, und ich halte Wort. Der Zorn der Comanchen wird euch vernichten!«

»Wir fürchten uns so wenig vor diesem Zorne, daß ich die Feindschaft gleich jetzt beginnen lasse. Da hast du deine Sachen! Und nun seht, was ihr uns tun könnt!«

Er riß die beiden Gegenstände vorn Halse und schleuderte sie weit von sich. Zugleich spornte er sein Pferd an, daß es in einem weiten Bogen über das Feuer wegsetzte und drüben eine Bresche in die Reihen der Comanchen riß. Sam, der Neger, war der erste hinter ihm. Er ritt den Häuptling nieder. Wir andern Drei folgten augenblicklich. Zehn oder fünfzehn Comanchen wurden umgeritten, dazu einer der draußen dem voranstürmenden Old Death im Wege stehenden Posten; dann flogen wir über die ebene Grasfläche hin, verfolgt von einem unbeschreiblichen Wutgeheul unserer bisherigen so unzuverlässigen Freunde.

»Uff !« rief uns eine Stimme entgegen. »Anhalten! Dasteht Winnetou!«

Wir parierten die Pferde. Vor uns stand eine Anzahl Apachen, welche unsere Tiere an den Zügeln nahmen, als wir abgestiegen waren. Winnetou geleitete uns nach der Enge, welche aus dem Tale führte. Dort war bereits Platz gemacht worden, so daß wir und auch die Pferde einzeln passieren konnten.

Als wir die Barrikade hinter uns hatten, wurde der Ausgang breiter, und bald sahen wir einen hellen Schein. Die Enge öffnete sich, und nun erblickten wir ein schwach brennendes Feuer, an welchem zwei Rote bei einem improvisierten Bratspieße hockten. Sie entfernten sich ehrerbietig, als wir uns näherten. Auch die andern Apachen zogen sich zurück, als sie unsere Pferde angepflockt hatten. In einiger Entfernung weidete eine ganze Schar von Pferden, bei denen Wächter standen. Das hatte fast einen militärischen Anstrich. Die Bewegungen der Apachen waren so exakt und sicher, fast wie einexerziert gewesen.

»Meine Brüder mögen sich an das Feuer setzen,« sagte Winnetou. »Ich habe ein Stück Lende des Büffels braten lassen. Sie können davon essen, bis ich wiederkehre.«

»Bleibst du lange fort?« fragte Old Death.

»Nein. Ich muß in das Tal zurück. Die Comanchen könnten sich von dem Zorne über euch haben fortreißen lassen, sich meinen Kriegern zu nähern. Da werde ich ihnen einige Kugeln geben.«

Er entfernte sich. Old Death ließ sich behaglich am Feuer nieder, zog das Messer und untersuchte den Braten. Er war ausgezeichnet. Der Alte und ich hatten überhaupt noch nicht gegessen, und auch von den Andern war das Pferdefleisch der Comanchen nur gekostet worden. Das große Stück Lende schrumpfte sehr schnell zusammen. Da kehrte Winnetou zurück; er sah mich fragend an, und ich verstand seinen Blick. Er wollte wissen, ob er mich auch jetzt noch verleugnen solle, darum stand ich vom Feuer auf, streckte ihm beide Hände entgegen und sagte:

»Mein Bruder Winnetou sieht, daß ich nicht nach dem Rio Pecos zu gehen brauche, um ihn wieder zu treffen. Mein Herz freut sich, ihm schon hier zu begegnen.«

Wir umarmten uns. Als Old Death dies sah, fragte er erstaunt:

»Was ist denn das? Ihr kennt euch schon?«

»Es ist mein weißer Bruder Old Shatterhand,« erklärte der Apache.

»Old – Shatter-hand!« rief der Alte, indem er ein wahrhaft köstliches Gesicht machte. Und als ich die Worte Winnetous lachend bestätigte, fuhr er zornig fort:

»So habt Ihr mich also belogen und betrogen, habt Old Death an der Nase geführt! Old Shatterhand! Und das hat nicht dergleichen getan, sondern sich immerfort ein Greenhorn und einen Neuling schimpfen lassen!«

Wir überließen ihn seinem Erstaunen, denn Winnetou hatte mir zu erzählen:

»Mein Bruder weiß, daß ich nach Fort Inge mußte. Dort erfuhr ich – – -«

»Ich weiß schon alles,« unterbrach ich ihn. »Wenn wir mehr Zeit haben als jetzt, werde ich dir sagen, wie wir es erfahren haben. Jetzt muß ich vor allen Dingen schnell wissen, wo die zehn Bleichgesichter sind, welche bei den Comanchen waren und mit deinen beiden Spähern, die sich für Topias ausgaben, zu euch übergegangen sind.«

»Sie sind fort.«

»Fort? Wohin?«

»Nach Chihuahua zu Juarez.«

»Schon fort? Wirklich, wirklich?«

»Ja. Sie hatten große Eile und mit den Comanchen einen großen Umweg machen müssen, den sie einholen mußten.«

»Das ist ein Schlag für uns, denn bei ihnen waren die beiden Männer, denen ich folgte!«

»Uff, uff ! Die waren dabei? Das wußte ich nicht. Sie mußten zur bestimmten Zeit in Chihuahua eintreffen und hatten viel Zeit versäumt. Winnetou liebt Juarez; darum unterstützte er sie, schnell fortzukommen. Ich gab ihnen frische Pferde und Proviant und als Führer die beiden angeblichen Topias, welche den Weg über die Mapimi nach Chihuahua genau kennen. Die Bleichgesichter erklärten, keine Minute länger säumen zu dürfen.«

»Auch das! Frische Pferde, Proviant und zuverlässige Führer! Ich hatte diesen Gibson schon in der Hand; nun wird er mir entkommen!«

Winnetou sann einen Augenblick nach und sagte dann:

»Ich habe einen großen Fehler begangen, ohne es zu wissen, werde ihn aber gutmachen. Gibson wird in deine Hände fallen. Der Auftrag, den ich in Matagorda auszuführen hatte, ist erledigt; sobald ich die Comanchen hier bestraft habe, bin ich frei und werde euch begleiten. Ihr sollt die besten Pferde haben, und wenn nicht etwas ganz Unerwartetes geschieht, haben wir bis Mittag des zweiten Tages die Weißen eingeholt.«

Da kam ein Apache aus dem Tale gelaufen und meldete:

»Die Hunde der Comanchen haben das Feuer verlöscht und sind vom Lagerplatze fort. Sie haben einen Angriff vor.«

»Sie werden wieder abgewiesen werden, wie vorher,« antwortete Winnetou. »Wenn meine weißen Brüder mitkommen, werde ich sie dahin stellen, von wo aus sie alles hören können.«

Wir standen natürlich sofort auf. Er führte uns in die Enge zurück, fast bis an die Barrikade. Dort gab er einen am Felsen niederhängenden Lasso in Old Deaths Hand und sagte:

»Turnt euch an dem Riemen empor, zweimal so hoch, wie ein Mann ist. Dort werdet ihr Sträucher finden und hinter ihnen den Weg, von welchem ich euch gesagt habe. Ich kann nicht mit hinauf, sondern muß zu meinen Kriegern.«

Er nahm etwas da am Felsen Lehnendes mit sich. Es war seine Büchse.

»Hm!« brummte der Scout. »An so einem dünnen Lasso zwölf Fuß empor zu kriechen! Ich bin doch keine Affe, der gelernt hat, zwischen Lianen herum zu klettern. Wollen es versuchen.«

Es gelang ihm doch. Ich folgte ihm, und auch die Anderen kamen nach, freilich nur mit Schwierigkeit. Der Felsen trug da einen Baum, um dessen Stamm der Lasso geschlungen war. Daneben standen Sträucher, welche den Steig verdeckten, Da es so dunkel war, daß wir uns anstatt der Augen des Gefühles oder vielmehr des Tastsinnes bedienen mußten, tappten wir uns mit Hilfe der Hände eine kleine Strecke fort, bis Old Death stehen blieb. An den Felsen gelehnt, warteten wir nun, was kommen werde. Mir schien es, als ob die Stille des Todes auf dem Tale liege. So sehr ich mein Ohr anstrengte, ich konnte nichts hören, als ein leises Schnüffeln, welches aus der Nase Old Deaths kam.

»Dumme Kerle, die Comanchen! Meint Ihr nicht, Sir?« sagte er. »Da drüben rechts riecht es nach Pferden, nach Pferden, welche sich bewegen. Das ist nämlich etwas ganz anderes, als Pferde, welche unbeweglich stehen. Über stillstehenden Pferden liegt der Geruch dick und unbeweglich; man kann die Nase, sozusagen, hineinstoßen. Sobald aber die Pferde sich bewegen, kommt auch er in Bewegung, wird feiner und flüssiger und leicht davongetragen. So unglaublich es klingen mag, der Westmann merkt aus der Dichtheit oder Dünne dieses Geruches, ob er stehende oder laufende Pferde vor sich hat. Natürlich ruhige Luft vorausgesetzt. Jetzt kommen nun von da rechts solche leichte Pferdelüftchen herüber, und meinen alten Ohren war es auch, als ob sie das Stolpern eines Pferdehufes vernommen hätten, leicht und dumpf wie auf Grasboden. Ich kalkuliere, daß die Comanchen jetzt sich leise nach dem Eingange hinziehen, um da durchzubrechen.«

Da hörten wir eine helle Stimme rufen:

»Ntsa-ho!«

Dieses Wort bedeutet ›Jetzt‹. Im Augenblicke darauf krachten zwei Schüsse – Winnetous Silberbüchse. Revolverschüsse folgten. Ein unbeschreibliches Geheul erscholl zu uns herauf. Wilde Indianerrufe schrillten über das Tal; Tomahawks klirrten. Der Kampf war ausgebrochen.

Er währte nicht lange. Durch das Schnauben und Wiehern der Pferde und das Wutgeschrei der Comanchen brach sich das siegreiche ›Iwiwiwiwiwi‹ der Apachen Bahn. Wir hörten, daß die ersteren sich in wilder Flucht zurückzogen. Ihre Schritte und das Stampfen ihrer Pferde entfernten sich nach der Mitte des Tales hin.

»Habe ich es nicht gesagt!« meinte Old Death. »Eigentlich hätte man nicht losschlagen sollen. Die Apachen halten sich wundervoll. Sie schießen ihre Pfeile und stechen mit ihren Lanzen aus sicheren Verstecken hervor. Die Comanchen sind dicht gedrängt, so daß jeder Pfeil, jeder Speer, jede Kugel Winnetous treffen muß. Und nun, da die Feinde sich zurückziehen, sind die Apachen klug genug, ihnen nicht zu folgen. Sie bleiben in ihrer Deckung, denn sie wissen, daß die Comanchen ihnen nicht entgehen können. Warum also sich in das Tal wagen!«

Auch in der Beziehung befolgten die Comanchen jetzt Old Deaths Rat, daß sie sich nach dem Mißerfolge ruhig verhielten. Ihr Geheul war verstummt, und da das Feuer nicht mehr brannte, ließen sie ihre Gegner über ihre Bewegungen im Unklaren. Wir warteten noch eine Weile. Es wollte sich nichts Neues begeben. Da hörten wir unter uns Winnetous gedämpfte Stimme:

»Meine weißen Brüder können wieder herabkommen. Der Kampf ist vorüber und wird auch nicht wieder losbrechen.«

Wir kehrten zu dem Lasso zurück und ließen uns an demselben hinab. Unten stand der Häuptling, mit dem wir uns wieder hinaus zu dem Feuer begaben.

»Die Comanchen versuchten es jetzt auf der andern Seite,« sagte er. »Es ist ihnen ebensowenig geglückt. Sie werden von neuem bewacht und können nichts unternehmen, ohne daß Winnetou es erfährt. Die Apachen sind ihnen gefolgt und liegen in einer langen Linie, welche von einer Seite des Tales bis zur andern reicht, im Grase, um alles scharf zu beobachten.«

Während er das sagte, hielt er den Kopf nach der rechten Seite geneigt, als ob er auf etwas horche. Dann sprang er auf, so daß das Feuer seine Gestalt hell beleuchtete.

»Warum tust du das?« fragte ich ihn.

Er deutete hinaus in die finstre Nacht und antwortete:

»Winnetou hat gehört, daß dort ein Pferd auf steinigtem Weg strauchelte. Es kommt ein Reiter, einer meiner Krieger. Er wird absteigen wollen, um zu untersuchen, wer hier am Feuer sitzt. Darum bin ich aufgestanden, damit er bereits von weitem erkennen möge, daß Winnetou sich hier befindet.«

Sein feines Gehör hatte ihn nicht getäuscht. Es kam ein Reiter im Trabe herbei, hielt bei uns sein Pferd an und stieg ab. Der Häuptling empfing ihn mit einem nicht sehr freundlichen Blick. Er tadelte ihn wegen des von dem Pferde gemachten Geräusches.

Der Gescholtene stand in aufrechter und doch ehrerbietiger Haltung da, ein freier Indianer, der aber gern die größere Begabung seines Anführers anerkennt.

»Sie kommen,« antwortete er.

»Wie viele Pferde?«

»Alle. Es fehlt kein einziger Krieger. Wenn Winnetou ruft, bleibt kein Apache bei den Frauen zurück.«

»Wie weit sind sie noch von hier?«

»Sie kommen mit dem Grauen des Tages an.«

»Gut. Führe dein Pferd zu den andern, und setze dich zu den Wachen, um auszuruhen!«

Der Mann gehorchte augenblicklich. Winnetou setzte sich wieder zu uns nieder, und wir mußten ihm von unserem Aufenthalte auf der Hacienda del Caballero und dann auch von dem Ereignisse in La Grange erzählen. Darüber verging die Zeit, und vom Schlafen war natürlich keine Rede. Der Häuptling hörte unsere Erzählung an und warf nur zuweilen eine kurze Bemerkung oder Frage ein. So wich allmählich die Nacht, und die Morgendämmerung begann. Da streckte Winnetou die Hand nach Westen aus und sagte -

»Meine weißen Brüder mögen sehen, wie pünktlich die Krieger der Apachen sind. Dort kommen sie.«

Ich sah nach der angegebenen Richtung. Der Nebel lag wie ein grauer, wellenloser See im Westen und schob seine undurchsichtigen Massen buchten-und busenartig zwischen die Berge hinein. Aus diesem Nebelmeere tauchte ein Reiter auf, dem in langer Einzelreihe viele, viele andere folgten. Als er uns erblickte, hielt er für einen Augenblick an. Dann erkannte er Winnetou und kam in kurzem Trabe auf uns zu. Er war ein Häuptling, denn er trug zwei Adlerfedern im Haarschopfe. Keiner dieser Reiter hatte ein wirkliches Zaumzeug; sie alle führten ihre Pferde am Halfter, und doch war die Lenkung, als sie jetzt im eleganten Galoppe heran kamen, um in fünffacher Reihe Aufstellung zu nehmen, eine so sichere, wie man sie selbst bei einer europäischen Kavallerie nur selten trifft. Die meisten von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet, und nur wenige trugen Bogen, Lanze und Köcher. Der Anführer sprach eine kurze Weile mit Winnetou. Dann gab der Letztere einen Wink, und im Nu saßen die Krieger ab. Diejenigen, welche keine Gewehre besaßen, bemächtigten sich der Pferde, um dieselben zu beaufsichtigen. Die Andern schritten in die Enge hinein. Der Lasso, an welchem wir zum Pfade emporgeklettert waren, hing noch dort, und ich sah, daß sich Einer nach dem Andern an demselben hinaufschwang. Das ging alles so still, geräuschlos und exakt vor sich, als ob es lange vorher eingehend besprochen worden sei. Winnetou stand ruhig da, um die Bewegungen der Seinen mit aufmerksamem Blicke zu verfolgen. Als der Letzte von ihnen verschwunden war, wendete er sich zu uns:

»Meine weißen Brüder werden nun erkennen, daß die Söhne der Comanchen verloren Sind, wenn ich es so befehle.«

»Wir sind davon überzeugt,« antwortete Old Death. »Aber will Winnetou wirklich das Blut so vieler Menschen vergießen?«

»Haben sie es anders verdient? Was tun die weißen Männer, wenn einer von ihnen gemordet worden ist? Suchen sie nicht nach dem Mörder? Und wenn er gefunden worden ist, so treten ihre Häuptlinge zusammen und halten einen Rat, um das Urteil zu sprechen und ihn töten zu lassen. Könnt ihr die Apachen tadeln, wenn sie nichts als nur dasselbe tun?«

»Ihr tut ja nicht dasselbe!«

»Kann mein Bruder das beweisen?«

»Ja. Wir bestrafen den Mörder, indem wir ihn töten. Du willst aber auch diejenigen erschießen lassen, welche gar nicht dabei waren, als eure Dörfer überfallen wurden.«

»Sie tragen ganz dieselbe Schuld, denn sie sind damit einverstanden gewesen. Auch waren sie dabei, als die gefangenen Apachen am Marterpfahle sterben mußten. Sie sind nun die Männer unserer Frauen und Töchter und die Besitzer unseres Eigentums, unserer Pferde, welche uns geraubt wurden.«

»Aber Mörder kannst du sie nicht nennen!«

»Ich weiß nicht, was Old Death will. Bei seinen Brüdern gibt es außer dem Morde noch andere Taten, welche mit dem Tode bestraft werden. Die Westmänner schießen jeden Pferdedieb nieder. Wird einem Weißen sein Weib oder seine Tochter geraubt, so tötet er alle, welche zu dieser Tat in Beziehung stehen. Da drin im Tale befinden sich die Besitzer unserer geraubten Frauen, Mädchen und Pferde. Sollen wir ihnen dafür etwa das geben, was die Weißen ein Kreuz oder einen Orden nennen?«

»Nein; aber ihr könnt ihnen verzeihen und euer Eigentum zurücknehmen.«

»Pferde nimmt man zurück, aber Frauen nicht. Und verzeihen? Mein Bruder spricht wie ein Christ, welcher stets nur das von uns fordert, dessen gerades Gegenteil er tut! Verzeihen die Christen uns? Haben sie uns überhaupt etwas zu verzeihen? Sie sind zu uns gekommen und haben uns die Erde genommen. Wenn bei euch einer einen Grenzstein weitersetzt, oder ein Tier des Waldes tötet, so steckt man ihn in das finstere Gebäude, welches ihr Zuchthaus nennt. Was aber tut ihr selbst? Wo sind unsere Prairien und Savannen? Wo sind die Herden der Pferde, Büffel und anderer Tiere, welche uns gehörten? Ihr seid in großen Scharen zu uns gekommen, und jeder Knabe brachte ein Gewehr mit, um uns das Fleisch zu rauben, dessen wir zum Leben bedurften. Ein Land nach dem andern entriß man uns, ohne alles Recht. Und wenn der rote Mann sein Eigentum verteidigte, so wurde er ein Mörder genannt, und man erschoß ihn und die Seinigen. Du willst, ich soll meinen Feinden verzeihen, denen wir nichts zuleide getan haben! Warum verzeiht denn ihr es uns nicht, ihr, die ihr uns alles zuleide tut, ohne daß wir euch Veranlassung dazu gegeben haben? Wenn wir uns wehren, so tun wir unsere Pflicht; dafür aber bestraft ihr uns mit dem Untergange. Was würdet ihr sagen, wenn wir zu euch kämen, um euch unsere Art und Weise aufzuzwingen? Wollten wir es erzwingen, so wie ihr es bei uns erzwungen habt, so würdet ihr uns bis auf den letzten Mann töten oder uns gar in eure Irrenhäuser stecken. Warum sollen wir nicht ebenso handeln dürfen? Aber dann heißt es in aller Welt, der rote Mann sei ein Wilder, mit dem man weder Gnade noch Barmherzigkeit haben dürfe; er werde nie Bildung annehmen und müsse deshalb verschwinden. Habt ihr durch euer Verhalten bewiesen, daß ihr Bildung besitzet? Ihr zwingt uns, eure Religion anzunehmen. Zeigt sie uns doch! Die roten Männer verehren den großen Geist in einer und derselben Weise. jeder von euch aber will in anderer Weise selig werden. Ich kenne einen Glauben der Christen, welcher gut war. Diesen lehrten die frommen Patres, welche in unser Land kamen, ohne uns töten und verdrängen zu wollen. Sie bauten Missionen bei uns und unterrichteten unsere Eltern und Kinder. Sie wandelten in Freundlichkeit umher und lehrten uns alles, was gut und nützlich für uns war. Das ist nun viel anders geworden. Die frommen Männer haben mit uns weichen müssen, und wir mußten sie sterben sehen, ohne Ersatz für sie zu erhalten. Dafür kommen jetzt Andersgläubige von hundert Sorten. Sie schmettern uns die Ohren voller Worte, die wir nicht verstehen. Sie nennen sich gegenseitig Lügner und behaupten doch, daß wir ohne sie nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen können. Und wenn wir, von ihrem Gezänk ermüdet, uns von ihnen wenden, so schreien sie Ach und Wehe über uns und sagen, sie wollen den Staub von ihren Füßen schütteln und ihre Hände in Unschuld waschen. Dann währt es nicht lange, so rufen sie die Bleichgesichter herbei, welche sich bei uns eindrängen und unsern Pferden die Weide nehmen. Sagen wir dann, daß dies nicht geschehen dürfe, so kommt ein Befehl, daß wir abermals weiter zu ziehen haben. Das ist meine Antwort, welche ich dir zu geben habe. Sie wird dir nicht gefallen; aber du an meiner Stelle würdest noch ganz anders sprechen. Howgh!«

Mit diesem letzteren indianischen Bekräftigungsworte wendete er sich von uns ab und trat um einige Schritte zur Seite, wo er, in die Ferne blickend, stehen blieb. Er war innerlich erregt und wollte das überwinden. Dann kehrte er sich uns wieder zu und sagte zu Old Death:

»Ich habe meinem Bruder eine lange Rede gehalten. Er wird mir recht geben, denn er ist ein Mann, welcher gerecht und billig denkt. Dennoch will ich ihm gestehen, daß mein Herz nicht nach Blut trachtet. Meine Seele ist milder, als meine Worte es waren. Ich glaubte, die Comanchen würden mir einen Unterhändler senden. Da sie es nicht tun, brauchte ich kein Erbarmen mit ihnen zu haben, aber dennoch will ich ihnen einen Mann senden, welcher mit ihnen reden soll.«

»Das freut mich ungemein,« rief Old Death. »Ich hätte diesen Ort in sehr trüber Stimmung verlassen, wenn alle diese Leute ohne einen Versuch, sie zu retten, getötet worden wären. Ich trage ja auch einen Teil der Schuld, daß sie in deine Hände geraten sind.«

»Von diesem Vorwurfe kann ich dich befreien, denn ich hätte sie auch ohne deine Beihilfe besiegt,« entgegnete Winnetou.

»Aber weißt du auch, daß noch Hunderte von ihnen nachkommen?«

»Winnetou weiß es. Er hat ja mit dem ›guten Manne‹ zwischen ihnen hindurchzuschleichen gehabt. Es sind nur hundert. Ich werde sie in eben demselben Tale einschließen und vernichten wie die Andern, wenn sie sich nicht freiwillig ergeben.«

»So siehe zu, daß sie nicht zu zeitig kommen. Du mußt mit denen, welche sich hier befinden, fertig sein, ehe die Übrigen hier eintreffen.«

»Winnetou fürchtet sich auf keinen Fall. Doch wird er sich beeilen.«

»Hast du einen Mann, welcher die Verhandlung mit den Comanchen führen kann?«

»Ich habe ihrer viele; aber am liebsten wäre es mir, wenn mein Bruder das tun wollte.«

»Das übernehme ich sehr gern. Ich gehe eine kurze Strecke vor und rufe ihren Häuptling zu mir. Welche Bedingungen stellst du ihnen?«

»Sie sollen uns für jeden Getöteten fünf, für jeden Gemarterten aber zehn Pferde geben.«

»Das ist sehr billig, aber seit es keine großen Herden wilder Pferde mehr gibt, ist ein Pferd nicht leicht zu erlangen.«

»Was sie uns sonst an Eigentum geraubt haben, verlangen wir zurück. Ferner haben sie uns so viele junge Mädchen auszuliefern, wie sie uns Frauen und Töchter raubten. Frauen der Comanchen mögen wir nicht. Dazu verlangen wir auch die Kinder zurück, welche sie fortgeführt haben. Hältst du das für hart?«

»Nein.«

»Endlich verlangen wir, daß ein Ort bestimmt werde, an welchem die Häuptlinge der Apachen und Comanchen sich versammeln, um einen Frieden zu beraten, welcher wenigstens dreißig Sommer und Winter währen soll.«

»Wenn sie darauf eingehen, werde ich sie beglückwünschen.«

»Dieser Ort soll das Tal sein, in welchem sich jetzt ihre Krieger hier befinden. Hierher soll auch alles gebracht werden, was sie uns auszuliefern haben. Bis alles geschehen ist, was ich von ihnen fordere, bleiben die Comanchen, welche sich heute ergeben müssen, unsere Gefangenen.«

»Ich finde, daß deine Forderung nicht zu hoch ist, und werde sie ihnen sofort übermitteln.«

Er warf sein Gewehr über und schnitt sich einen Zweig ab, welcher als Parlamentärzeichen dienen sollte. Dann verschwand er mit dem Häuptlinge in der Enge. Es war für ihn keineswegs ohne Gefahr, sich jetzt den Comanchen zu nähern; aber der Alte kannte eben keine Angst.

Als Winnetou sich überzeugt hatte, daß der Scout sich mit dem Anführer der Comanchen in Unterredung befand, kehrte er zu uns zurück und führte uns zu den zuletzt angekommenen Pferden. Es waren auch ledige dabei gewesen, teils von einer bessern Sorte, welche man schonen und nur dann in Gebrauch nehmen wollte, wenn es darauf ankam, eine ungewöhnliche Leistung zu entwickeln, teils aber auch Tiere von gewöhnlicher Güte, welche als Reservepferde mitgeführt werden mußten.

»Ich habe meinen Brüdern versprochen, ihnen bessere Pferde zu geben,« sagte er. »Ich werde sie ihnen jetzt aussuchen. Mein weißer Bruder soll eines meiner eigenen Rosse erhalten.«

Er suchte fünf Pferde aus. Ich war ganz entzückt über das prächtige Tier, welches er mir brachte. Auch die beiden Langes und Sam waren sehr erfreut. Der Letztere zeigte alle Zähne und rief:

»Oh, oh, welch ein Pferd Sam bekommen! Sein schwarz wie Sam und sein auch prachtvoll ganz wie Sam. Passen sehr gut zusammen, Pferd und Sam. Oh, oh!«

Wohl dreiviertel Stunden waren vergangen, als Old Death zurückkehrte. Sein Angesicht war sehr ernst. Ich hatte die feste Überzeugung gehabt, daß die Comanchen auf die Forderung Winnetous eingehen würden, doch ließ das Gesicht des Scout das Gegenteil erwarten.

»Mein Bruder hat mir das zu sagen, was ich vermutete,« sagte Winnetou. »Die Comanchen wollen nicht, was ich will.«

»So ist es leider.« antwortete der Alte.

»Der große Geist hat sie mit Taubheit geschlagen, um sie für das zu strafen, was sie taten; er will nicht, daß sie Gnade finden sollen. Aber welche Gründe geben sie an?«

»Sie glauben, noch siegen zu können.«

»Hast du ihnen gesagt, daß noch über fünfhundert Apachen gekommen sind; und wo diese sich jetzt befinden?«

»Auch das. Sie glaubten es nicht. Sie lachten mich vielmehr aus.«

»So sind sie dem Tode geweiht, denn ihre andern Krieger werden zu spät kommen.«

»Es treibt mir die Haare zu Berge, wenn ich denke, daß so viele Menschen in zwei oder drei Sekunden vom Erdboden vertilgt werden sollen!«

»Mein Bruder hat recht. Winnetou kennt weder Furcht noch Angst, aber der Rücken wird ihm kalt, wenn er daran denkt, daß er das Zeichen der Vernichtung geben soll. Ich brauche nur die flache Hand zu erheben, so krachen alle Schüsse. Ich werde noch ein Letztes versuchen. Vielleicht gibt der große Geist ihnen einen hellen Augenblick. Ich werde mich ihnen selbst zeigen, und mit ihnen reden. Meine Brüder mögen mich bis an die Barriere begleiten. Wenn auch meine Worte nicht gehört werden, so darf mir dann der große, gute Geist nicht zürnen, daß ich seinen Befehl ausrichte.«

Wir gingen mit ihm bis zu der angegebenen Stelle. Dort schwang er sich an dem Lasso empor und ging in aufrechter Haltung oben auf dem Pfade hin, so daß die Comanchen ihn sehen konnten. Er war noch nicht weit gekommen, so sahen wir Pfeile schwirren, die ihn aber nicht trafen, da sie zu kurz flogen. Ein Schuß krachte aus der Büchse des ›weißen Bibers‹, mit welcher der neue Häuptling der Comanchen auf Winnetou gezielt hatte. Dieser schritt so ruhig weiter, als ob er die Kugel, welche neben ihm an den Felsen geprallt war, gar nicht fürchte oder den Schuß überhaupt nicht gehört habe. Dann blieb er stehen und erhob seine Stimme. Er redete wohl fünf Minuten lang und zwar in lautem, eindringlichem Tone. Mitten in der Rede erhob er die Hand, und sofort sahen wir, daß alle Apachen, soweit unsere Augen reichten und also wohl weiter hin um das ganze Tal, vom Boden aufstanden, um sich den Comanchen zu zeigen. So mußten die Letzteren sehen, daß sie rundum von einer überlegenen Menge von Feinden eingeschlossen seien. Das war aufrichtig von Winnetou gehandelt, der letzte Versuch von ihm, sie zur Ergebung zu bewegen. Dann sprach er weiter. Da fuhr er plötzlich zu Boden nieder, so daß seine Gestalt verschwand, und zugleich krachte ein zweiter Schuß.

»Der Anführer der Comanchen hat abermals auf ihn geschossen. Das ist seine Antwort,« sagte Old Death. »Winnetou hat gesehen, daß er das Gewehr wieder lud, und sich in dem Augenblicke, als es auf ihn gerichtet wurde, niedergeworfen. Nun wird – – seht, seht!«

So schnell, wie Winnetou sich niedergeworfen hatte, so schnell fuhr er jetzt wieder empor. Er legte seine Silberbüchse an und drückte ab. Ein lautes Geheul der Comanchen beantwortete seinen Schuß.

»Er hat ihren Anführer niedergeschossen,« erklärte Old Death.

Jetzt erhob Winnetou abermals die Hand, indem er den Handteller flach, horizontal ausstreckte. Wir sahen alle Apachen, welche wir mit dem Blicke erreichen konnten, ihre Gewehre anlegen. Weit über vierhundert Schüsse krachten- – -

»Kommt, Mesch’schurs!« meinte der Alte. »Das wollen wir nicht mit ansehen. Das ist zu indianisch für meine alten Augen, obgleich ich sagen muß, daß die Comanchen es verdient haben. Winnetou hat alles Mögliche getan, es zu verhüten.«

Wir kehrten zu den Pferden zurück, wo der Alte das für ihn bestimmte besichtigte. Noch eine Salve hörten wir; dann ertönte das Siegesgeschrei der Apachen. Nach wenigen Minuten kehrte Winnetou zu uns zurück. Sein Angesicht war außerordentlich ernst, als er sagte:

»Es wird sich ein großes Klagen erheben in den Zelten der Comanchen, denn keiner ihrer Krieger kehrt zurück. Der große Geist hat es gewollt, daß unsere Toten gerächt werden sollen. Die Feinde wollten nicht anders, und so konnte ich auch nicht anders; aber mein Blick will nicht in dieses Tal des Todes zurückkehren. Was hier noch zu geschehen hat, werden meine Krieger tun; ich reite mit meinen weißen Brüdern sogleich fort.«

Eine halbe Stunde später brachen wir, mit allem Nötigen reichlich versehen, auf. Winnetou nahm noch zehn gut berittene Apachen mit. Wie froh war ich, diesen entsetzlichen Ort verlassen zu können!

Die Mapimi liegt im Gebiete der beiden mexikanischen Provinzen Chihuahua und Chohahuila, und ist eine sehr ausgedehnte Niederung des dortigen Plateaus, welches weit über elfhundert Meter über dem Meere liegt. Sie wird, außer im Norden, von allen Seiten von steilen Kalkfelsenzügen eingefaßt, welche durch zahlreiche Cannons von der eigentlichen Mapimi getrennt sind. Letztere besteht aus welligen, waldlosen Flächen, welche mit einem spärlichen, kurzen Graswuchse bedeckt sind, weite Sandunterbrechungen zeigen und nur selten ein Strauchwerk sehen lassen. Zuweilen steigt aus dieser wüsten Ebene ein einzelner Berg empor. Öfters ist der Boden durch tiefe, senkrecht abfallende Risse zerklüftet, was zu bedeutenden Umwegen nötigt. Aber wasserlos ist die Mapimi doch nicht so sehr, wie ich es mir gedacht hatte. Es gibt da Seen, welche in der heißen Jahreszeit zwar den größten Teil ihres Wassers einbüßen, aber doch so viel Luftfeuchtigkeit verbreiten, daß sich ein genügendes Pflanzenleben um ihre Ufer sammelt.

Nach einem dieser Seen, der Laguna de Santa Maria, war unser Ritt gerichtet. Er war ungefähr zehn deutsche Meilen von dem Tale entfernt, an welchem unser Ritt begonnen hatte, ein ganz tüchtiger Tagesmarsch nach einer schlaflos verbrachten Nacht. Wir ritten fast nur durch Schluchten, aus einer in die andere, in denen es keine Aussicht gab.

Wir sahen die Sonne den ganzen Tag fast nicht, und wenn es geschah, doch nur für einige kurze Augenblicke. Dabei ging es bald rechts, bald links, zuweilen sogar scheinbar rückwärts, daß ich fast irre in der Hauptrichtung geworden wäre, welcher wir eigentlich folgten.

Es war gegen Abend, als wir an der Lagune anlangten. Der Boden war sandig. Bäume gab es an der Stelle, an welcher wir uns lagerten, auch nicht, nur Sträucher, deren Namen ich nicht kannte. Eine trübe Wasserfläche, von sehr spärlichem Buschwerk umgeben; dann eine Ebene, über welcher im Westen sich einige niedrige Kuppeln erhoben, hinter denen die Sonne bereits niedergegangen war. Hier oben aber hatten ihre Strahlen mit aller Macht wirken können. In den tiefen, engen, düsteren Cannons war es mir fast zu kühl geworden. Da oben aber strahlte der Boden nun eine Wärme aus, bei der man hätte Kuchen backen können. Dafür war die Nacht, als der Boden seine Wärme an die Luft abgegeben hatte, um so kälter, und gegen Morgen strich ein Wind über uns hin, welcher uns nötigte, uns dichter in unsere wollenen Decken zu hüllen.

Frühzeitig ging es weiter, zuerst gerade nach Westen. Bald aber nötigten uns die zahlreichen Cannons zu öfteren Umwegen. An so einem senkrechten Felsenriß hinab zu gelangen, wäre unmöglich, wenn nicht die Natur selbst ein Einsehen gehabt und einen halsbrecherischen, treppenartigen Abstieg gebildet hätte. Und ist man unten, so kann man nicht wieder heraus. Man muß durch zehn und mehr Haupt-und Seitenschluchten reiten, bevor man eine Stelle findet, an der man endlich zur Erdoberfläche gelangen kann, aber auch wieder nur mit Gefahr. Der Reiter hängt auf seinem Pferde an dem Felsen, über sich einen schmalen Strich des glühenden Himmels und unter sich die grausige Tiefe. Und in dieser Tiefe gibt es keinen Tropfen Wasser, nur Steingeröll und nichts als nacktes, trockenes, scharfes Steingeröll. Droben schweben die Geier, welche den Reisenden von früh bis zum Abende begleiten und sich, wenn er sich zur Ruhe legt, in geringer Entfernung von ihm niederlassen, um ihn vom Morgen an wieder zu begleiten und ihm mit ihrem schrillen, heiseren Schreien zu sagen, daß sie nur darauf warten, bis er vor Ermattung zusammenbreche oder infolge eines Fehltrittes seines Pferdes in die Tiefe des Cannons stürze. Höchstens sieht man einmal um irgend eine Felsenecke einen skelettmageren Schakal wie einen Schatten verschwinden, welcher dann hinter dem Reiter wieder auftaucht, um ihm heißhungrig nachzutrotteln, auf dieselbe Mahlzeit wartend wie der Geier.

Am Mittage hatten wir wiederum ein schlimmes Gewirr von Cannons hinter uns und ritten im Galoppe über eine grasige Ebene. Auf derselben stießen wir auf eine Spur von über zehn Reitern, welche in spitzem Winkel mit der unserigen von rechts her kam. Winnetou behauptete, daß es die gesuchte sei. Er zeigte uns sogar die Spuren der beschlagenen Pferde der Weißen und der barfüßigen der beiden Apachen, die jenen von Winnetou als Führer mitgegeben worden waren. Auch Old Death war der Ansicht, es sei gar nicht zu bezweifeln, daß wir uns auf der richtigen Fährte befänden. Leider stellte sich heraus, daß Gibson einen Vorsprung von wenigstens sechs Stunden vor uns hatte. Seine Truppe mußte die ganze Nacht hindurch geritten sein, jedenfalls in der Voraussetzung, daß wir sie verfolgen würden.

Gegen Abend blieb Old Death, welcher voran ritt, halten, und ließ uns, die wir etwas zurückgeblieben waren, herankommen. Da, wo er hielt, stieß von Süden her eine neue Fährte zu der bisherigen, ebenfalls von Reitern, und zwar zwischen dreißig und vierzig. Sie waren einzeln hintereinander geritten, was die Bestimmung ihrer Anzahl sehr erschwerte. Dieses Im-Gänsemarsch-Reiten, und der Umstand, daß ihre Pferde nicht beschlagen waren, ließen vermuten, daß sie Indianer seien. Sie waren nach links in unsere Richtung eingebogen, und aus dem fast ganz gleichen Alter der beiden Fährten war zu vermuten, daß sie später mit den Weißen zusammengetroffen seien. Old Death brummte mißmutig etwas vor sich hin. Er meinte:

»Was für Rote mögen es gewesen sein? Apachen sicherlich nicht. Wir haben keineswegs Freundliches von ihnen zu erwarten.«

»Mein weißer Bruder hat recht,« stimmte Winnetou bei. »Apachen sind jetzt nicht hier und außer ihnen gibt es in diesem Tale der Mapimi nur noch feindliche Horden. Wir haben uns also in acht zu nehmen.«

Wir ritten weiter und erreichten bald die Stelle, an welcher die Roten mit den Weißen zusammengetroffen waren. Beide Trupps hatten hier gehalten und miteinander verhandelt. Jedenfalls war das Ergebnis für die Weißen ein günstiges gewesen, denn sie hatten sich in den Schutz der Roten begeben. Ihre bisherigen Führer, die beiden Apachen, welche wir erst als Topias kennen gelernt hatten, waren von ihnen verabschiedet worden. Die Spuren dieser beiden Reiter trennten sich hier von den übrigen.

Nach einer Weile erreichten wir einen Höhenzug, der mit Gras und Gestrüpp bewachsen war. Von demselben kam, hier eine Seltenheit, ein dünnes Bächlein herabgeflossen. Da hatten die von uns Verfolgten gehalten, um ihre Pferde zu tränken. Die Ufer des Baches waren vollständig strauchlos, so daß man den Lauf desselben sehr weit verfolgen konnte. Er floß nach Nordwest. Old Death stand da, beschattete mit der Hand seine Augen und blickte in der soeben angegebenen Richtung. Nach dem Grunde befragt, antwortete er:

»Ich sehe weit vor uns zwei Punkte. Ich kalkuliere, daß es Wölfe sind. Aber was haben die Bestien dort zu sitzen? Ich denke, wenn es wirklich welche wären, so würden sie vor uns davongelaufen sein, denn kein Tier ist so feig, wie diese Prairiewölfe.«

»Meine Brüder mögen schweigen. Ich hörte etwas,« sagte Winnetou.

Wir vermieden alles Geräusch, und wirklich, da klang von dort her, wo sich die beiden Punkte befanden, ein schwacher Ruf zu uns herüber.

»Das ist ein Mensch!« rief Old Death. »Wir wollen hin.«

Er stieg auf und wir mit ihm. Als wir uns der Stelle näherten, erhoben sich die beiden Tiere und trollten davon. Sie hatten am Ufer des Baches gesessen, und mitten im Bache erblickten wir einen unbedeckten menschlichen Kopf, welcher aus dem Wasser sah. Das Gesicht wimmelte vor Mücken, welche in den Augen, den Ohren, in der Nase und zwischen den Lippen saßen.

»Um Gottes willen, rettet mich, Sennores!« stöhnte es aus dem Munde. »Ich kann es nicht länger aushalten.«

Wir warfen uns natürlich sofort von den Pferden.

»Was ist’s mit Euch?« fragte Old Death in spanischer Sprache, da der Mann sich derselben bedient hatte. »Wie seid Ihr denn in das Wasser geraten? Warum kommt Ihr nicht heraus? Es ist ja kaum zwei Fuß tief!«

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

Подняться наверх