Читать книгу Gesammelte Western-Romane und Erzählungen - Karl May - Страница 18

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Also eine Blutsbruderschaft, eine richtige, wirkliche Blutsbruderschaft, von der ich so oft gelesen hatte! Sie kommt bei vielen wilden oder halbwilden Völkerschaften vor und wird dadurch geschlossen, daß die beiden Betreffenden entweder Blut von sich mischen und dann trinken oder daß das Blut des Einen von dem Andern und so auch umgekehrt getrunken wird. Die Folge davon ist, daß diese Beiden dann fester, inniger und uneigennütziger zusammenhalten, als wenn sie von Geburt Brüder wären.

Hier war es so, daß ich Winnetous Blut und er das meinige trinken sollte. Wir stellten uns zu beiden Seiten des Sarges auf, und Intschu tschuna entblößte den Vorderarm seines Sohnes, um ihn mit dem Messer zu ritzen. Es quollen aus dem kleinen, unbedeutenden Schnitte einige Blutstropfen, welche der Häuptling in die eine Wasserschale fallen ließ. Dann nahm er mit mir dieselbe Prozedur vor, bei welcher einige Tropfen in die andere Schale fielen. Winnetou bekam die Schale mit meinem Blute und ich die mit dem seinigen in die Hand; dann sagte Intschu tschuna:

»Die Seele lebt im Blute. Die Seelen dieser beiden jungen Krieger mögen ineinander übergehen, daß sie eine einzige Seele bilden. Was Old Shatterhand dann denkt, das sei auch Winnetous Gedanke, und was Winnetou will, das sei auch der Wille Old Shatterhands. Trinkt!«

Ich leerte meine Schale und Winnetou die seinige. Es war Rio Pecos-Wasser mit einigen Blutstropfen, die man nicht schmeckte. Darauf reichte der Häuptling mir die Hand und sagte:

»Du bist nun grad wie Winnetou, der Sohn meines Leibes und ein Krieger unseres Volkes. Der Ruf deiner Taten wird schnell und überall bekannt werden, und kein anderer Krieger wird dich übertreffen. Du trittst als Häuptling der Apachen ein, und alle Stämme unseres Volkes werden dich als solchen ehren!«

Das war ein schnelles Avancement! Vor kurzem noch Hauslehrer in St. Louis, war ich dann Surveyor geworden, um jetzt als Häuptling unter “Wilden” aufgenommen zu werden! Aber ich gestehe, daß diese Wilden mir weit besser gefielen als die Weißen, mit denen ich es in der letzten Zeit zu tun gehabt hatte.

Um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich hier eine Bemerkung machen. Es kommt auch bei uns vor, daß von abenteuerlich gestimmten Leuten Blutsbruderschaften in ähnlicher Weise oder wohl gar mit absonderlichen, auf Aberglauben beruhenden Zeremonien geschlossen werden. Solchen Bruderschaften schreibt man ganz außerordentliche, geheimnisvolle Wirkungen zu, unter anderm auch die, daß beide Brüder in demselben Augenblicke sterben müssen. Wenn z. B. der eine, schwächere, kränkliche, nach Italien reist und dort an der Cholera stirbt, so wird der andere, starke, gesunde, der in Deutschland zurückgeblieben ist, in ganz derselben Sekunde tot umfallen. Das ist natürlich Unsinn. Von einem solchen Aberglauben war bei dem, was zwischen Winnetou und mir geschah, ganz und gar keine Rede. Es wurde dabei dem Genusse des Blutes weder von mir, noch von den Apachen irgendwelche Wirkung zugeschrieben, sondern er hatte nur eine rein symbolische, also bildliche Bedeutung.

Und doch, höchst sonderbar, trafen später stets die Worte Intschu tschunas zu, daß wir eine Seele mit zwei Körpern sein würden. Wir verstanden uns, ohne uns unsere Gefühle, Gedanken und Entschlüsse mitteilen zu müssen. Wir brauchten uns nur anzusehen, um genau zu wissen, was wir gegenseitig wollten; ja, dies war gar nicht einmal notwendig, sondern wir handelten selbst dann, wenn wir voneinander fern waren, mit einer wirklich erstaunlichen Uebereinstimmung, und es hat nie, niemals irgend eine Differenz zwischen uns gegeben. Das war aber nicht etwa die Wirkung des genossenen Blutes, sondern eine sehr natürliche Folge unserer innigen gegenseitigen Zuneigung und des liebevollen Eingehens und Einlebens des Einen in die Ansichten und individuellen Eigentümlichkeiten des Andern.

Als Intschu tschuna seine letzten Worte sprach, hatten sich alle Apachen, auch die Kinder, erhoben, um ein lautes, bekräftigendes Howgh auszurufen. Dann fügte der Häuptling hinzu:

»Jetzt ist der neue, der lebende Klekih-petra bei uns aufgenommen, und wir können den Toten seinem Grabe übergeben. Meine Brüder mögen dies nun tun!«

Er meinte diejenigen, welche mit an dem Grabmale gebaut hatten. Ich bat um Aufschub und winkte Hawkens, Stone und Parker herbei. Als sie bei mir standen, sprach ich über dem Sarge einige kurze Worte und schloß ein Gebet daran. Dann wurden die Ueberreste des einstigen Revolutionärs und späteren Büßers in das Innere des Steinbaues geschoben, worauf sich die Roten daran machten, die Oeffnung zu verschließen.

Das war meine erste Leichenfeier unter Wilden. Sie hatte mich tief ergriffen. Ich will nicht die Anschauungen kritisieren, welche Intschu tschuna dabei vorgebracht hatte. Es war viel Wahrheit mit viel Unklarheit vermengt gewesen; aber aus allem hatte ein Schrei nach Erlösung geklungen, nach einer Erlösung, welche er, wie einst das Volk Israel, sich äußerlich dachte, während sie doch nur eine innerliche, eine geistige sein konnte.

Während das Grab geschlossen wurde, erklangen wieder die Totenklagen der Indianer, und erst dann, als der letzte Stein eingefügt worden war, konnte die Feier als beendet gelten, und Jeder ging nun heiterern Beschäftigungen nach. Dies war vor allen Dingen das Essen, zu welchem mich Intschu tschuna zu sich einlud.

Er bewohnte das größte Gemach der schon erwähnten Etage. Es war sehr einfach ausgestattet, aber an den Wänden hing eine reiche, indianische Waffensammlung, welche mein lebhaftes Interesse in Anspruch nahm. “Schöner Tag” bediente uns, nämlich ihren Vater, Winnetou und mich, und ich fand, daß sie Meisterin in der Zubereitung indianischer Gerichte war. Gesprochen wurde wenig, ja fast gar nicht. Der Rote schweigt überhaupt gern, und heute war schon so viel geredet worden, daß man alles, was noch zu verhandeln war, gern für später aufhob. Nach dem Essen war die Dämmerung schnell da. Winnetou fragte mich:

»Will mein weißer Bruder ruhen oder mit mir gehen?«

»Ich gehe mit,« antwortete ich, ohne mich zu erkundigen, wohin er wollte.

Wir stiegen vom Pueblo herab und gingen nach dem Flusse. Das hatte ich erwartet. Eine so tief gegründete Natur wie Winnetou wurde unbedingt zum Grabe des heute bestatteten Lehrers getrieben. Bei demselben angekommen, setzten wir uns dort nebeneinander nieder. Winnetou ergriff meine Hand und behielt sie in der seinigen, ohne lange Zeit ein Wort zu sagen, und ich hatte keine Veranlassung, die Stille zu unterbrechen.

Notwendigerweise muß ich hier bemerken, daß nicht alle Apachen, welche ich bisher gesehen hatte, mit ihren Angehörigen im Pueblo wohnten. Dazu wäre dieses, so groß es war, denn doch viel, viel zu klein gewesen. Es wurde nur von Intschu tschuna und seinen hervorragendsten Kriegern bewohnt und bildete den Mittelpunkt für die mit ihren Pferdeherden und jagend herumziehenden Zugehörigen des Stammes der Mescalero-Apachen. Von hier aus regierte der Häuptling diesen Stamm, und von hier aus unternahm er auch die weiten Ritte zu den andern Stämmen, die ihn als obersten Häuptling anerkannten. Dies waren die Llaneros, Jicarillas, Taracones, Chiriguais, Pinalenjos, Gilas, Mimbrenjos, Lipans, Kupferminenapachen und andere; ja selbst die Navajos pflegten sich, wenn nicht seinen Befehlen, so doch seinen Anordnungen zu fügen.

Diejenigen Mescaleros, welche nicht in das Pueblo gehörten, hatten sich nach dem Begräbnisse entfernt, und es waren nur so viele von ihnen zurückgeblieben, wie nötig waren, um die von den Kiowas überkommenen Pferde, welche in der Nähe weideten, zu beaufsichtigen. Darum saß ich jetzt mit Winnetou allein und unbeobachtet am Grabe Klekih-petras. Von diesem will ich erwähnen, daß am nächsten Tage wirklich Eicheln um dasselbe in die Erde gebracht wurden, welche später aufgingen. Die Bäume stehen noch jetzt.

Endlich brach Winnetou das Schweigen, indem er mich fragte:

»Wird mein Bruder Old Shatterhand vergessen, daß wir seine Feinde gewesen sind?«

»Es ist bereits vergessen,« antwortete ich.

»Aber eines wirst du nicht vergeben können.«

»Was?«

»Die Beleidigung, welche mein Vater dir zugefügt hat.«

»Wann?«

»Als wir dich zum erstenmale trafen.«

»Ah, daß er mir in das Gesicht spuckte?«

»Ja.«

»Warum sollte ich dies nicht vergeben können?«

»Weil Speichel nur mit dem Blute des Betreffenden abgewaschen werden kann.«

»Winnetou mag sich nicht sorgen. Auch das ist bereits vergessen.«

»Mein Bruder sagt etwas, was ich unmöglich glauben kann.«

»Du kannst es glauben. Es ist ja längst bewiesen, daß ich es vergeben habe.«

»Wodurch?«

»Dadurch, daß ich es Intschu tschuna, deinem Vater, gar nicht übelgenommen habe. Oder meinst du, Old Shatterhand lasse sich anspucken, ohne auf diese Beleidigung, wenn er sie als eine solche betrachtet, sofort mit der Faust zu antworten?«

»Ja, wir wunderten uns später, daß du dies nicht getan hast.«

»Der Vater meines Winnetou konnte mich nicht beleidigen. Ich wischte den Speichel ab; dann war es vergeben und vergessen. Sprechen wir nicht mehr davon!«

»Und doch muß ich davon sprechen; das bin ich dir, meinem Bruder, schuldig.«

»Warum?«

»Du mußt die Sitten unsers Volkes erst noch kennen lernen. Kein Krieger gesteht gern einen Fehler ein, und ein Häuptling darf dies noch weniger tun. Intschu tschuna weiß, daß er unrecht gehabt hat, aber er darf dich nicht um Verzeihung bitten. Darum hat er mich beauftragt, mit dir zu sprechen. Winnetou bittet dich an Stelle seines Vaters.«

»Das ist gar nicht nötig; wir sind quitt, denn auch ich habe euch beleidigt.«

»Nein.«

»Doch! Ist nicht ein Faustschlag eine Beleidigung? Und ich habe euch doch mit der Faust geschlagen.«

»Das war im Kampfe, wo es nicht als Beleidigung gilt. Mein Bruder ist edel und großmütig; wir werden es ihm nicht vergessen.«

»Reden wir von anderen Dingen! Ich bin heut Apache geworden. Wie steht es mit meinen Kameraden?«

»Die können nicht in den Stamm aufgenommen werden, aber sie sind unsere Brüder.«

»Ohne Zeremonie?«

»Wir werden morgen mit ihnen die Pfeife des Friedens rauchen. In der Heimat meines weißen Bruders gibt es wohl kein Calumet?«

»Nein. Christen sind alle Brüder, ohne daß es der Ausübung irgend eines Gebrauches bedarf.«

»Alle Brüder? Gibt es keinen Krieg zwischen ihnen?«

»Allerdings auch.«

»So sind sie auch nicht anders und besser als wir. Sie lehren die Liebe und fühlen sie nicht. Warum hat mein Bruder sein Vaterland verlassen?«

Es ist bei den Roten nicht Sitte, solche Fragen auszusprechen. Winnetou konnte es aber tun, weil er jetzt mein Bruder war, der mich kennen lernen mußte. Doch wurde seine Frage nicht nur aus teilnehmender Neugierde ausgesprochen; er hatte noch einen andern Grund dabei.

»Um hier hüben das Glück zu suchen,« antwortete ich.

»Das Glück! Was ist das Glück?«

»Reichtum!«

Er ließ, als ich dies sagte, meine Hand los, die er bis jetzt fest gehalten hatte, und es trat wieder eine Pause ein. Ich wußte, er hatte jetzt das Gefühl, sich doch in mir getäuscht zu haben.

»Reichtum!« flüsterte er dann.

»Ja, Reichtum,« wiederholte ich.

»Also darum darum darum!«

»Was?«

»Darum haben wir dich bei bei «

Es tat ihm doch wehe, das Wort aussprechen zu sollen. Ich vollendete es:

»Bei den Länderdieben gesehen?«

»Du sagst es. Du tatest es also, um reich zu werden. Meinst du denn wirklich, daß Reichtum glücklich macht?«

»Ja.«

»Da irrst du dich. Das Gold hat die roten Männer nur unglücklich gemacht; des Goldes wegen drängen uns noch heut die Weißen von Land zu Land, von Ort zu Ort, so daß wir langsam aber sicher untergehen werden. Das Gold ist die Ursache unsers Todes. Mein Bruder mag ja nicht danach trachten.«

»Das tu ich auch nicht.«

»Nicht? Und doch sagtest du, daß du das Glück im Reichtum suchest.«

»Ja, das ist wahr. Aber es gibt Reichtum verschiedener Art, Reichtum an Gold, an Weisheit und Erfahrung, an Gesundheit, an Ehre und Ruhm, an Gnade bei Gott und den Menschen.«

»Uff, uff! So meinst du es! Welcher Reichtum ist es denn, nach welchem du da trachtest?«

»Der letztere.«

»Gnade bei Gott! So bist du wohl ein sehr frommer, ein sehr gläubiger Christ?«

»Ob ich ein guter Christ bin, das weiß ich nicht, das weiß nur Gott; aber ich möchte es gern sein.«

»So hältst du uns für Heiden?«

»Nein. Ihr glaubt an den großen, guten Geist und betet keine Götzen an.«

»So erfülle mir eine Bitte!«

»Gern! Welche?«

»Sprich nicht vom Glauben zu mir! Trachte nicht danach, mich zu bekehren! Ich habe dich sehr, sehr lieb und möchte nicht, daß unser Bund zerrissen werde. Es ist so, wie Klekih-petra sagte. Dein Glaube mag der richtige sein, aber wir roten Männer können ihn noch nicht verstehen. Wenn uns die Christen nicht verdrängten und ausrotteten, so würden wir sie für gute Menschen halten und auch ihre Lehre für eine gute. Dann fänden wir wohl auch Zeit und Raum, das zu lernen, was man wissen muß, um euer heiliges Buch und eure Priester zu verstehen. Aber der, welcher langsam und sicher zu Tode gedrückt wird, kann nicht glauben, daß die Religion dessen, der ihn tötet, eine Religion der Liebe sei.«

»Du mußt unterscheiden zwischen der Religion und dem Anhänger derselben, welcher sich nur äußerlich zu ihr bekennt, aber nicht nach ihr handelt!«

»So sagen die Bleichgesichter alle; sie nennen sich Christen, handeln aber nicht danach. Wir aber haben unsern großen Manitou, welcher will, daß alle Menschen gut seien. Ich bemühe mich, ein guter Mensch zu sein, und bin da vielleicht ein Christ, ein besserer Christ als diejenigen, die sich zwar so nennen, aber keine Liebe besitzen und nur nach ihrem Vorteile trachten. Also sprich nie zu mir vom Glauben, und versuche nie, aus mir einen Mann zu machen, der ein Christ genannt wird, ohne es vielleicht zu sein! Das ist die Bitte, welche du mir erfüllen mußt!«

Ich habe sie ihm erfüllt und nie ein Wort der Bekehrung zu ihm gesagt. Aber muß man denn reden? Ist nicht die Tat eine viel gewaltigere, eine viel überzeugendere Predigt als das Wort? “An ihren Werken sollt ihr sie erkennen”, sagt die heilige Schrift, und nicht in Worten, sondern durch mein Leben, durch mein Tun bin ich der Lehrer Winnetous gewesen, bis er einst, nach Jahren, an einem mir unvergeßlichen Abende, mich selbst aufforderte, zu sprechen. Da saßen wir stundenlang beisammen, und in jener weihevollen Nacht ging all der im Stillen gesäete Samen plötzlich auf und brachte herrliche Frucht.

Jetzt begnügte ich mich damit, ihm die Hand zu drücken, zum Zeichen, daß ich seinen Wunsch erfüllen wolle. Dann fuhr er fort:

»Wie ist es denn gekommen, daß mein Bruder Old Shatterhand sich den Länderdieben angeschlossen hat? Wußte er denn nicht, daß dies ein Verbrechen an den roten Männern war?«

»Ich hätte es mir sagen können, habe aber gar nicht daran gedacht. Ich war froh, Surveyor werden zu dürfen, denn ich wurde sehr gut bezahlt.«

»Bezahlt? Ich denke, ihr seid gar nicht fertig geworden? Bezahlte man euch denn, bevor die Arbeit vollendet war?«

»Nein. Ich erhielt einen Vorschuß und die Ausrüstung. Das, was ich mir verdient habe, wäre mir nach beendetem Werke ausgezahlt worden.«

»Und nun kommst du um dieses Geld?«

»Ja.«

»Ist es viel?«

»Für meine Verhältnisse sehr viel.«

Er schwieg eine Weile; dann sagte er:

»Es tut mir sehr leid, daß mein Bruder durch uns solchen Schaden erlitten hat. Du bist nicht reich?«

»An allem andern reich, aber in Beziehung auf das Geld bin ich ein armer Teufel.«

»Wie lange hättet ihr noch zu messen gehabt, um zu Ende zu kommen?«

»Nur einige Tage.«

»Uff! Hätte ich dich so gekannt, wie ich dich jetzt kenne, so wären wir einige Tage später über die Kiowas hergefallen.«

»Damit ich hätte fertig werden können?« fragte ich gerührt durch diesen Edelmut.

»Ja.«

»Das heißt, du hättest uns den Diebstahl vollends ausführen lassen?«

»Den Diebstahl nicht, sondern nur die Vermessung. Die Linien, welche ihr auf das Papier zeichnet, schaden uns noch nichts, denn damit ist der Raub noch nicht ausgeführt. Dieser beginnt vielmehr eigentlich erst dann, wenn die Arbeiter der Bleichgesichter kommen, um den Pfad des Feuerrosses zu bauen. Ich würde dir «

Er hielt mitten in seiner Rede inne, um über einen Gedanken, der ihm gekommen war, klar zu werden. Dann fuhr er fort:

»Müßtest du, um dein Geld zu erhalten, die Papiere haben, von denen ich soeben sprach?«

»Ja.«

»Uff! So wird es dir nie ausgezahlt werden, denn alles, was ihr gezeichnet habt, ist vernichtet worden.«

»Und was ist mit unsern Instrumenten geschehen?«

»Die Krieger, denen sie in die Hände fielen, wollten sie zerschlagen, aber ich gab dies nicht zu. Obgleich ich keine Schule der Bleichgesichter besucht habe, weiß ich doch, daß solche Gegenstände einen hohen Wert besitzen, und darum gab ich den Befehl, sie sorgfältig aufzubewahren. Wir haben sie mit hierher gebracht und gut aufgehoben. Ich werde sie meinem Bruder Old Shatterhand wiedergeben.«

»Ich danke dir. Ich nehme dieses Geschenk von dir an, obgleich es mir direkt nun keinen Nutzen bringt. Es ist mir aber sehr lieb, daß ich die Instrumente wieder abliefern kann.«

»Nutzen also bringen sie dir nicht?«

»Nein. Den würde ich nur dann haben, wenn ich die Vermessung vollends ausführen könnte.«

»Aber es fehlen dir doch die Papiere, welche vernichtet worden sind!«

»Nein. Ich war so vorsichtig, die Zeichnungen zweimal anzufertigen.«

»So besitzest du die zweiten noch?«

»Ja, hier in meiner Tasche. Du bist so gütig gewesen, zu befehlen, daß mir nichts genommen werden solle.«

»Uff, uff!«

Dieser Ausruf klang halb wie Verwunderung und halb wie Befriedigung; dann schwieg er wieder. Er bewegte, wie ich später erfuhr, in seinem Herzen einen Gedanken von solchem Edelmute, wie ein Weißer ihn wohl nie gefaßt, am allerwenigsten aber ausgeführt haben würde. Nach einiger Zeit stand er auf und sagte:

»Wir wollen heimkehren. Mein weißer Bruder ist durch uns geschädigt worden. Winnetou wird für Ersatz dieses Verlustes sorgen. Zunächst aber mußt du dich bei uns vollends erholen.«

Wir gingen nach dem Pueblo zurück, in welchem wir vier Weiße heut zum erstenmal als freie Männer schliefen. Am nächsten Tage wurde unter großen Feierlichkeiten zwischen Hawkens, Stone, Parker und den Apachen die Pfeife des Friedens geraucht. Es versteht sich ganz von selbst, daß dabei lange Reden gehalten wurden. Die schönste davon war diejenige Sams, welcher sie nach seiner Art so mit drolligen Ausdrücken spickte, daß die ernsten Indianer sich alle Mühe geben mußten, die Lustigkeit, welche sich ihrer dabei bemächtigte, nicht äußerlich merken zu lassen. Im Verlaufe dieses Tages wurde alles, was in Beziehung auf die Ereignisse der letzten Zeit unklar geblieben war, an das Tageslicht gezogen. Dabei kam wieder in Erwähnung, daß ich Intschu tschuna und Winnetou an jenem Abend losgeschnitten hatte, und Hawkens hielt mir da die folgende Standrede:

»Ihr seid ein hinterlistiger Mensch, ein ganz und gar hinterlistiger Mensch, Sir! Man pflegt doch gegen Freunde aufrichtig zu sein, besonders wenn man ihnen so viel zu verdanken hat wie Ihr uns. Wer und was waret Ihr denn eigentlich, als wir Euch in St. Louis zum erstenmal sahen? Ein Hauslehrer, welcher seinen Kindern das A b c vorwärts und das kleine Einmaleins rückwärts einbläuen mußte. Und so ein unglücklicher Kerl wäret Ihr geblieben, wenn wir uns Eurer nicht so liebevoll und nachsichtig angenommen hätten. Wir haben Euch aus diesem unglücklichen Einmaleins herausgerissen und mit bewundernswerter Sanftmut über die Savanne geschleppt, wenn ich mich nicht irre. Wir haben über Euch gewacht, wie eine zärtliche Mutter über ihr kleinstes Baby oder eine Henne über die von ihr ausgebrütete junge Ente wacht. Bei uns seid Ihr nach und nach zu Verstand gekommen, und wir sind es gewesen, die Euer Gehirn so ausgebildet haben, daß es nach der bisherigen Dunkelheit in demselben nun schon zuweilen bei Euch zu dämmern beginnt. Kurz und gut, wir sind Vater und Mutter, Onkel und Tante für Euch gewesen, haben Euch auf den Händen getragen, haben Euch körperlich mit den saftigsten Fleischbissen und geistig mit unserer Weisheit und Erfahrung aufgefüttert und dürfen dafür erwarten, daß Ihr uns Achtung, Ehrerbietung und Dankbarkeit zollt und nicht als Ente in das Wasser lauft, in welchem wir als Hennen elendiglich ertrinken müßten. Trotzdem habt Ihr stets das, was Euch verboten war, getan. Es tut mir in meinem alten Jagdrocke wehe, so viel Liebe und Aufopferung mit so viel Ungehorsam und Undankbarkeit vergolten zu sehen. Wollte ich alle Eure schlechten Streiche nacheinander aufzählen, so wäre gar kein Ende abzusehen. Der allerschlimmste aber war der, daß Ihr die beiden Häuptlinge losmachtet, ohne es uns dann zu sagen. Das kann ich weder vergessen noch vergeben und werde es Euch nachtragen, so lange ich in dieser meiner jetzigen Haut stecke. Die Folgen dieser heimtückischen Verschwiegenheit haben dann auch nicht auf sich warten lassen. Anstatt gestern so recht hübsch am Pfahl geschmort und gebraten zu werden und heut in den lieblichen Jagdgründen der abgeschiedenen Indianerseelen zu erwachen, sind wir gar nicht für wert gehalten worden, umgebracht zu werden. Nun sitzen wir bei vollem Leben und guter Gesundheit hier in diesem abgelegenen Pueblo, wo man sich alle Mühe gibt, uns mit Leckerbissen den Magen zu verderben und aus einem Greenhorn, welches Ihr doch seid, einen wahren Halbgott zu machen. Dieses Unheil haben wir nur Euch zu verdanken, besonders deshalb, weil Ihr ein so ganz und gar niederträchtiger Schwimmer seid. Aber die Liebe ist unter allen Umständen ein unbegreifliches Frauenzimmer; je mehr sie mißhandelt wird, desto wohler fühlt sie sich, und so wollen wir Euch selbst dieses Mal noch nicht aus unserer Mitte und aus unserem Herzen stoßen, sondern glühende Kohlen auf Eurem Haupte sammeln, indem wir Euch verzeihen, allerdings in der festen und bestimmten Hoffnung, daß Ihr nun endlich in Euch geht und anders werdet, wenn ich mich nicht irre. Hier ist meine Hand. Wollt Ihr mir Besserung versprechen, geliebter Sir?«

»Ja,« antwortete ich, indem ich ihm die Hand schüttelte. »Ich werde dem edlen Vorbilde, welches Ihr mir gegeben habt und jetzt noch gebt, so eifrig nachstreben, daß man mich schon in kurzer Zeit für den reinen Sam Hawkens halten soll.«

»Verehrtester, das laßt hübsch bleiben! Es wäre eine ganz vergebliche Mühe, die Ihr Euch da geben würdet. Ein Greenhorn, wie Ihr seid, und Sam Hawkens ähnlich werden! Die reinste Unmöglichkeit! Das wäre grad und genau so, als wenn ein Grasfrosch Opernsänger werden wollte, und so will «

Da fiel ihm Dick Stone, zwar lachend aber doch ein wenig unwillig in die Rede:

»Stop! Sei endlich einmal still, alter Schwadronär! Es ist ja gar nicht mehr zum Aushalten mit dir! Du drehst ja alles um, machst alles verkehrt und ziehst den rechten Handschuh an die linke Hand! Ich an Old Shatterhands Stelle würde mir das ewige Greenhorn nicht so ruhig gefallen lassen.«

»Was kann und soll er denn dagegen haben? Es ist doch wahr; er ist ja eins!«

»Unsinn! Wir haben ihm unser Leben zu verdanken. Unter hundert erfahrenen Westmännern, uns und dich nicht ausgenommen, wäre wohl kein einziger, der das fertig gebracht hätte, was er gestern tat. Anstatt daß wir ihn beschützen, beschützt er uns; das merke dir! Wenn er nicht gewesen wäre, säßen wir nicht so munter hier, und du stäkst nicht so heiler Haut unter deiner alten, falschen Perücke!«

»Was? Falsche Perücke? Das sag mir ja nicht noch einmal! Es ist eine ganz richtige Perücke. Wenn du das noch nicht weißt, so schau sie dir einmal an!«

Er nahm sie ab und hielt sie Stone hin.

»Fort, fort mit diesem Fell!« lachte dieser.

Sam stülpte sie sich wieder auf den Kopf und sagte in vorwurfsvollem Tone:

»Schäme dich, Dick, die Zierde meines Hauptes ein Fell zu nennen! Das hätte ich von so einem guten Kameraden, wie du bist, nicht gedacht! Ihr versteht es alle nicht, den Wert Eures alten Sam zu würdigen. Ich strafe Euch also mit Verachtung und suche jetzt meine Mary auf. Muß doch sehen, ob diese sich auch so wohl befindet wie ich.«

Er fuhr mit den Armen geringschätzig durch die Luft und ging. Wir lachten lustig hinter ihm her, denn es war wirklich unmöglich, ihm etwas übel zu nehmen.

Am nächsten Tage kehrten die Kundschafter zurück, welche den Kiowas heimlich gefolgt waren; sie meldeten, daß diese ohne Unterbrechung fortgezogen seien und also nicht die Absicht hegten, jetzt eine Feindseligkeit auszuführen.

Hierauf folgte eine Zeit der Ruhe und für mich doch der Tätigkeit. Sam, Dick und Will ließen sich die Gastfreundschaft der Apachen sehr gefallen; sie ruhten sich gründlich aus. Die einzige Tätigkeit, welcher Hawkens sich hingab, war die, daß er seine Mary täglich spazieren ritt, damit sie, wie er sich ausdrückte, “seine Finessen bewundern lerne” und sich an seine Art und Weise, zu reiten, gewöhne.

Ich aber legte mich nicht auf die Bärenhaut. Winnetou hatte es darauf abgesehen, mich in die “indianische Schule” zu nehmen. Wir waren oft ganze Tage fort, machten weite Ritte, während welcher ich mich in allem, was zur Jagd und zum Kriege gehörte, üben mußte. Wir krochen in den Wäldern herum, wobei ich vortrefflich Unterricht im Anschleichen erhielt. Er führte förmliche “Felddienstübungen” mit mir aus. Oft trennte er sich von mir und stellte mir die Aufgabe, ihn zu suchen. Er gab sich alle Mühe, seine Spuren zu verwischen, und ich strengte mich ebenso an, sie aufzufinden. Wie oft steckte er dann in einem dichten Gebüsche oder stand, von dem überhängenden Gesträuch versteckt, im Wasser des Pecos und sah zu, wie ich nach ihm suchte. Er machte mich auf meine Fehler aufmerksam und zeigte mir durch sein Beispiel, wie ich mich zu benehmen und was ich zu tun oder zu lassen hatte. Das war ein außerordentlich vortrefflicher Unterricht, den er mit eben solcher Lust erteilte, wie ich mit Freude und Bewunderung sein Schüler war. Dabei kam nie ein Lob über seine Lippen, auch nie das, was man unter einem Tadel versteht. Ein Meister in allen Fertigkeiten, welche das Indianerleben erfordert, war er auch ein Meister im Unterrichte.

Wie oft kam ich da ermüdet und wie mit zerschlagenen Gliedern heim! Aber dann gab es noch keine Ruhe für mich, denn ich wollte die Sprache der Apachen erlernen und nahm im Pueblo Unterricht. Ich hatte da zwei Lehrer und eine Lehrerin: Nscho-tschi lehrte mich den Dialekt der Mescaleros, Intschu tschuna denjenigen der Llaneros und Winnetou den der Navajos. Da diese Sprachen untereinander sehr verwandt sind und keinen großen Wortschatz besitzen, so ging es auch mit diesen Uebungen schnell vorwärts.

Wenn Winnetou sich mit mir nicht weit vom Pueblo entfernte, so kam es zuweilen vor, daß Nscho-tschi sich an unsern Ausgängen beteiligte. Sie hatte dann sichtlich große Freude, wenn ich meine Aufgaben gut löste.

Einmal befanden wir uns im Walde, wo Winnetou mich aufforderte, mich zu entfernen und erst nach einer Viertelstunde wieder an Ort und Stelle zu sein. Ich sollte dann beide nicht mehr vorfinden und nach Nscho-tschi suchen, welche sich sehr gut verstecken werde. Ich ging also eine ziemliche Strecke fort, wartete da, bis die Zeit verflossen war, und kehrte dann zurück. Die Spuren beider, welche von hier ausgingen, waren anfangs ziemlich deutlich; dann aber fehlten plötzlich die Fußeindrücke der Indianerin. Ich wußte freilich, daß sie einen außerordentlich leichten Gang hatte; aber der Boden war weich, und so mußte also unbedingt wenigstens eine, wenn auch noch so leise Andeutung der Fährte vorhanden sein; aber ich fand nichts, gar nichts, nicht ein einziges niedergedrücktes oder umgebrochenes Pflänzchen, obgleich es grad an dieser Stelle sehr dichtes und empfindliches Moos gab. Nur die Spur Winnetous war deutlich eingedrückt; aber die ging mich nichts an, denn ich sollte nicht ihn, sondern seine Schwester suchen. Er hielt sich jedenfalls in der Nähe, um mich heimlich zu beobachten, ob ich Fehler mache oder nicht.

Ich suchte noch einmal und noch einmal im Kreise, fand aber auch nicht den leisesten Anhalt. Das war befremdlich. Ich überlegte. Sie mußte und mußte unbedingt eine Spur hinterlassen haben, denn es konnte hier kein Fuß den Boden berühren, ohne von dem weichen Moose verraten zu werden. Ein Fuß den Boden berühren? Ah! Wie nun, wenn Nscho-tschi ihn gar nicht berührt hatte?

Ich untersuchte Winnetous Stapfen; sie waren tief eingedrückt, tiefer als vorher. Sollte er seine Schwester auf die Arme genommen und fortgetragen haben? Dann war die Aufgabe, welche er mir gestellt hatte, seiner Ansicht nach eine sehr schwere, aber meiner Ansicht nach eine sehr leichte von dem Augenblicke an, an welchem ich eben erriet, daß er Nscho-tschi getragen habe.

Infolge dieser Last hatten sich seine Füße tiefer eingedrückt. Es kam nun darauf an, Spuren von der Indianerin zu finden. Diese durfte ich freilich nicht unten an der Erde, sondern ich mußte sie weiter oben suchen.

War Winnetou allein durch den Wald gegangen, so hatte er die Arme frei und keine Mühe gehabt, durch das Unterholz zu kommen. Hatte er aber seine Schwester getragen, so mußte es unbedingt zerknickte Zweige geben. Ich folgte seinen Stapfen und richtete dabei mein Hauptaugenmerk nicht auf die Fährte, sondern auf das Gebüsch. Richtig! Indem er mit seiner Last durch dasselbe gedrungen war, hatte er die Arme nicht frei gehabt und dasselbe nicht vorsichtig auseinander schieben können; Nscho-tschi war nicht auf den Gedanken gekommen, dies zu tun, und so fand ich an mehreren Stellen geknickte Zweige und beschädigte Blätter, also Zeichen, welche nicht hätten entstehen können, wenn Winnetou allein hindurchgegangen wäre.

Die Spur führte in schnurgerader Richtung nach einer lichten Stelle des Waldes und in ebenso gerader Linie über dieselbe hinüber. Da drüben, am jenseitigen Rande der Lichtung, steckten jedenfalls die beiden, stillvergnügt darüber, daß es mir unmöglich sein werde, meine Aufgabe zu lösen. Ich hätte direkt hinübergehen können; aber ich wollte es noch besser machen und sie förmlich überrumpeln. Darum schlich ich mich, immer sorgfältig in Deckung bleibend, um die Lichtung herum.

Jenseits angekommen, suchte ich zunächst wieder nach Winnetous Spur. War er weiter gegangen, so mußte ich sie sehen. Sah ich sie nicht, so hatte er sich mit Nscho-tschi versteckt. Ich legte mich auf die Erde nieder und schob mich geräuschlos in einem Halbkreise fort, indem ich mich bemühte, immer hinter Bäumen und Büschen verborgen zu bleiben. Es war kein Fußeindruck zu sehen. Folglich steckten sie, wie ich vermutet hatte, am Rande der freien Stelle, und zwar da, wo die Fährte, welcher ich bis vorhin gefolgt war, diesen Rand berührte.

Leise, ganz, ganz leise, schob ich mich nach dieser Stelle hin. Sie saßen still, und ihren geübten Ohren konnte kein Geräusch entgehen; ich mußte also eine ungewöhnliche Vorsicht entfalten. Es gelang mir besser, als ich es für möglich gehalten hatte. Ich sah die Beiden. Sie saßen eng nebeneinander mitten in einem wilden Pflaumengebüsch, mit dem Rücken nach mir, da sie mich, falls ich ja kommen würde, von der entgegengesetzten Seite erwarten mußten. Sie sprachen miteinander, aber flüsternd, so daß ich ihre Worte nicht verstehen konnte.

Ich freute mich ungemein auf die Ueberraschung und schob mich immer weiter zu ihnen hinan. Jetzt war ich so nahe, daß ich beide mit der Hand erreichen konnte. Schon wollte ich den Arm ausstrecken und Winnetou von hinten fassen, da wurde ich durch ein Wort, welches er sagte, abgehalten, dies zu tun.

»Soll ich ihn holen?« fragte er flüsternd.

»Nein,« antwortete Nscho-tschi. »Er kommt selbst.«

»Er kommt nicht.«

»Er kommt!«

»Meine Schwester irrt sich. Er hat alles sehr schnell gelernt; aber deine Spur geht durch die Luft. Wie will er sie finden?«

»Er findet sie. Mein Bruder Winnetou hat mir gesagt, daß Old Shatterhand schon jetzt nicht mehr irre zu führen sei. Warum spricht er jetzt das Gegenteil?«

»Weil es heut die schwierigste Aufgabe ist, die es geben kann. Sein Auge wird jede Fährte finden; die deinige ist aber nur mit den Gedanken zu lesen, und das hat er noch nicht gelernt.«

»Er wird dennoch kommen, denn er kann alles, alles, was er will.«

Sie flüsterte diese Worte nur, dennoch war ihrem Tone eine Zuversicht, ein Vertrauen anzuhören, daß ich darauf hätte stolz sein können.

»Ja, ich habe noch keinen Mann gekannt, der sich so leicht in alles findet. Es gibt nur eins, worein er sich nicht finden wird, und dies tut Winnetou sehr leid.«

»Was ist das?«

»Der Wunsch, den wir alle haben.«

Eben jetzt hatte ich mich ihnen bemerkbar machen wollen; da sprach Winnetou von einem Wunsche; das bestimmte mich, noch zu warten. Welchen Wunsch hätte ich diesen lieben, guten Menschen nicht gern erfüllt! Sie hegten einen und sagten ihn

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mir nicht, weil sie glaubten, daß ich ihn nicht erfüllen werde. Vielleicht hörte ich jetzt, was für einer es war. Darum schwieg ich noch und lauschte.

»Hat mein Bruder Winnetou schon mit ihm darüber gesprochen?« fragte Nscho-tschi.

»Nein,« antwortete Winnetou.

»Und Intschu tschuna, unser Vater, auch noch nicht?«

»Nein. Er wollte es ihm sagen, aber ich gab es nicht zu.«

»Nicht? Warum? Nscho-tschi liebt dieses Bleichgesicht sehr; sie ist die Tochter des obersten Häuptlings aller Apachen!«

»Das ist sie, und sie ist noch mehr, noch weit mehr. Jeder rote Krieger und jedes Bleichgesicht würde glücklich sein, wenn meine Schwester seine Squaw werden wollte, nur Old Shatterhand nicht.«

»Wie kann mein Bruder Winnetou dies wissen, da er noch nicht mit ihm darüber gesprochen hat?«

»Ich weiß es trotzdem, denn ich kenne ihn. Er ist nicht wie andere Weiße; er trachtet nach Höherem als sie. Er nimmt keine Indianerin zur Squaw.«

»Hat er dies gesagt?«

»Nein.«

»Gehört sein Herz vielleicht einer Weißen?«

»Auch nicht.«

»Das weißt du sicher?«

»Ja. Wir sprachen von weißen Frauen, und da habe ich aus seinen Worten entnommen, daß sein Herz noch nicht gesprochen hat.«

»So wird es bei mir sprechen!«

»Meine Schwester mag sich nicht täuschen! Old Shatterhand denkt und empfindet anders, als du meinst. Wenn er sich eine Squaw erwählt, so muß sie unter den Frauen das sein, was er unter den Männern ist.«

»Bin ich das nicht?«

»Unter den roten Mädchen, ja; da kommt meiner schönen Schwester keines gleich. Aber was hast du gesehen und gehört? Was hast du gelernt? Du kennst das Frauenleben der roten Völker, aber nichts von dem, was eine weiße Squaw gelernt haben und wissen muß. Old Shatterhand sieht nicht auf den Glanz des Goldes und auf die Schönheit des Angesichtes; er trachtet nach andern Dingen, die er bei einem roten Mädchen nicht finden kann.«

Sie senkte den Kopf und schwieg. Da strich er ihr mit der Hand liebkosend über die Wange und sagte:

»Es schmerzt mich, daß ich dem Herzen meiner guten Schwester wehe tue, aber Winnetou ist gewöhnt, stets die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie keine frohe ist. Vielleicht kennt er einen Weg, auf welchem Nscho-tschi zu dem Ziele, nach welchem sie strebt, gelangen kann.«

Da hob sie rasch den Kopf wieder und fragte:

»Welcher Weg ist dies?«

»Der nach den Städten der Bleichgesichter.«

»Dorthin soll ich, meinst du?«

»Ja.«

»Warum?«

»Um zu lernen, was du wissen und können mußt, wenn Old Shatterhand dich lieben soll.«

»So will ich hin, bald, sehr bald! Will mein Bruder Winnetou mir einen Wunsch erfüllen?«

»Welchen?«

»Sprich mit Intschu tschuna, unserm Vater darüber! Bitte ihn, mich nach den großen Städten der Bleichgesichter gehen zu lassen! Er wird nicht Nein sagen, denn «

Mehr hörte ich nicht, denn ich kroch jetzt leise wieder zurück. Es kam mir fast wie eine Sünde vor, dieses Gespräch der Geschwister belauscht zu haben. Wenn sie es nur nicht merkten! Welche Verlegenheit für sie und noch viel mehr auch für mich! Es galt, jetzt bei meinem Rückzuge noch viel vorsichtiger zu sein als vorhin bei meiner Annäherung. Das geringste Geräusch, der kleinste Zufall konnte es verraten, daß ich das Geheimnis der schönen Indianerin erfahren hatte. Und in diesem Falle war ich gezwungen, meine roten Freunde heut noch zu verlassen.

Glücklicherweise gelang es mir, mich unbemerkt zurückzuziehen. Als ich außer Hörweite angelangt war, erhob ich mich vom Boden und ging im Kreise schnell um die Lichtung herum, bis ich wieder auf die Fährte traf. Auf dieser trat ich dann auf der Seite, von welcher ich vorhin gekommen war, und von welcher ich von Nscho-tschi erwartet wurde, zwei oder drei Schritte auf die Lichtung hinaus und rief über dieselbe hinüber:

»Mein Bruder Winnetou mag herüberkommen!«

Es regte sich nichts drüben; darum fuhr ich fort:

»Mein Bruder mag kommen, denn ich sehe ihn!«

Er kam trotzdem nicht.

»Er sitzt drüben im Gebüsch der wilden Pflaumen. Soll ich ihn vielleicht holen?«

Da bewegten sich die Zweige, und Winnetou trat hervor, doch allein. Er hatte nicht länger stecken bleiben können, wollte aber das Versteck seiner Schwester noch geheim halten und fragte mich:

»Hat mein Bruder Old Shatterhand Nscho-tschi gefunden?«

»Ja.«

»Wo?«

»Da, wo sie verborgen ist, im Gebüsch.«

»In welchem Gebüsch?«

»In demjenigen, wohin mich ihre Fährte führt.«

»Hast du denn ihre Fährte gesehen?«

Das klang sehr verwundert. Er wußte nicht, woran er mit mir war. Daß ich die Unwahrheit sagte, das glaubte er nicht; aber von einer Fährte wußte er nichts, und da er nicht einen Augenblick von seiner Schwester weggekommen war, so hegte er die Ueberzeugung, daß ich sie nicht entdeckt hatte. Seiner Meinung nach mußte ich mich im Irrtume befinden, durch irgend etwas getäuscht worden sein.

»Ja,« antwortete ich; »ich habe sie gesehen.«

»Aber meine Schwester hat sich doch so in acht genommen, daß keine Spur zu sehen ist!«

»Du irrst. Sie ist zu sehen.«

»Nein.«

»An der Erde nicht, aber im Gezweig. Nscho-tschi hat mit ihren Füßen den Boden nicht berührt, aber indem du sie trugest, habt ihr Zweige geknickt und Blätter beschädigt.«

»Uff! Ich hätte sie getragen?«

»Ja.«

»Wer sagte es dir?«

»Deine Fußstapfen. Sie waren plötzlich tiefer geworden, weil du schwerer geworden warst. Da du aber dein Gewicht nicht verändert haben konntest, so mußtest du eine Last aufgenommen haben. Diese Last war deine Schwester, deren Fuß, wie ich sah, das Moos nicht berührt hatte.«

»Uff! Du irrst. Geh noch einmal zurück, und suche nach!«

»Das würde vergeblich sein und ist auch höchst überflüssig, denn Nscho-tschi sitzt dort, wo du gesessen hast. Ich werde sie holen.«

Ich ging vollends über die Lichtung hinüber; da kam sie aber schon aus dem Gesträuch und sagte im Tone der Befriedigung zu ihrem Bruder:

»Ich sagte dir, daß er mich finden würde, und ich hatte recht.«

»Ja, meine Schwester hatte recht, und ich irrte mich. Mein Bruder Old Shatterhand kann die Fährte eines Menschen nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Gedanken lesen. Es gibt da fast nichts mehr, was er noch zu lernen hat.«

»O noch sehr, sehr viel,« antwortete ich. »Mein Bruder Winnetou sagt da ein Lob, welches ich noch nicht verdiene; aber was ich noch nicht kann, das werde ich noch von ihm lernen.«

Es war wirklich das erste Lob, welches ich aus seinem Munde hörte, und ich gestehe es, daß ich ebenso stolz auf dasselbe war, wie früher auf ein gelegentliches Lob irgend eines meiner Professoren.

Am Abend desselben Tages brachte er mir einen sehr gut gearbeiteten und mit roten, indianischen Stichstickereien verzierten Jagdanzug von weißgegerbtem Leder.

»Nscho-tschi, meine Schwester, bittet dich, diese Kleidung zu tragen,« sagte er. »Dein Anzug ist für Old Shatterhand nicht mehr gut genug.«

Da hatte er freilich sehr recht. Mein Habit sah sogar für indianische Augen sehr herabgekommen aus. Wäre ich in einer europäischen Stadt in demselben ertappt worden, so hätte man mich auf der Stelle als einen Hauptvagabunden arretiert. Aber durfte ich von Nscho-tschi ein solches Geschenk annehmen? Winnetou schien meine Gedanken zu erraten; er sagte:

»Du darfst diesen Anzug nehmen, denn ich habe ihn bestellt er ist ein Geschenk von Winnetou, den du vom Tode errettet hast, und nicht von seiner Schwester. Ist es den Bleichgesichtern verboten, von einer Squaw Geschenke anzunehmen?«

»Wenn es nicht seine eigene Squaw oder Verwandte ist, ja.«

»Du bist mein Bruder; Nscho-tschi ist dir also verwandt. Dennoch ist dies Geschenk von mir und nicht von ihr; sie hat es nur für dich gefertigt.«

Als ich den Anzug am nächsten Morgen anprobierte, saß er wie angegossen. Ein New Yorker Herrenschneider hätte das Maß nicht besser treffen können. Ich zeigte mich natürlich meiner schönen Freundin, welche außerordentlich über das Lob, welches ich aussprach, erfreut war. Kurze Zeit später stellten sich Dick Stone und Will Parker bei mir ein, um sich von mir bewundern zu lassen; sie waren auch mit neuen Anzügen beschenkt worden, welche aber nicht von Nscho-tschi, sondern von andern Squaws gefertigt worden waren. Und abermals kurze Zeit später befand ich mich im Haupttale, um mich im Werfen des Tomahawk zu üben, da kam eine kleine, sonderbare Gestalt in sehr gravitätischer Haltung auf mich zu. Es war ein neuer, lederner, indianischer Anzug, welcher unten in einem Paar alter, ungeheuer großer Indianerstiefel endete. Oben drüber gab es einen noch älteren Filzhut mit sehr wehmütig herabhängender Krämpe, unter welcher ein sehr verworrener Bartwald, eine riesige Nase und zwei kleine, listige Aeuglein hervorblickten. Daran erkannte ich meinen kleinen Sam Hawkens. Er pflanzte sich, die dünnen, krummen Beinchen weit auseinander spreizend, höchst anspruchsvoll vor mir auf und fragte:

»Sir, kennt Ihr vielleicht den Mann, der jetzt vor Euch steht?«

»Hm!« antwortete ich. »Will einmal sehen!«

Ich nahm ihn bei seinen Armen, drehte ihn dreimal um sich selbst, betrachtete ihn dabei von allen Seiten und sagte dann:

»Das scheint wahrhaftig Sam Hawkens zu sein, wenn ich mich nicht irre!«

»Yes, mylord! Ihr irrt Euch nicht. Ich bin es, in eigener Person und Lebensgröße. Merkt Ihr etwas?«

»Funkelnagelneuer Anzug!«

»Will es meinen!«

»Von wem?«

»Von der Bärenhaut, die Ihr mir geschenkt habt.«

»Das sehe ich, Sam. Wenn ich aber frage: “von wem?” so will ich die Person wissen, von der Ihr den Anzug habt.«

»Die Person? Hm! Ach so! Ja, die Person, Sir! Das ist so eine Sache. Eigentlich ist sie gar keine Person.«

»Was denn?«

»Ein Persönchen.«

»Wieso?«

»Na, kennt Ihr denn die hübsche Kliuna-ai nicht?«

»Nein. Kliuna-ai heißt Mond. Ist’s ein Mädchen oder eine Squaw?«

»Beides, oder vielmehr keins von beiden.«

»Also Großmutter?«

»Unsinn! Wenn sie sowohl Squaw als auch Mädchen oder vielmehr keins von beiden ist, so muß sie natürlich Witwe sein. Sie ist die hinterlassene Squaw eines Apachen, der im letzten Kampfe mit den Kiowas gefallen ist.«

»Und die Ihr darüber trösten wollt?«

»Well, Sir,« nickte er. »Bin ihr gar nicht abgeneigt; habe sogar ein Auge auf sie geworfen, oder vielmehr alle beide.«

»Aber, Sam, eine Indianerin!«

»Was ist’s weiter? Würde sogar eine Negerin heiraten, wenn sie nicht schwarz wäre. Uebrigens ist Kliuna-ai eine vortreffliche Partie.«

»Warum?«

»Weil sie das beste Leder im ganzen Stamme gerbt.«

»Wollt Ihr Euch gerben lassen?«

»Macht keine Witze, Sir! Es ist mir ernst. Ein trautes Heim versteht Ihr mich? Sie hat so ein volles, rundes Gesicht, grad wie der Mond.«

»Mit einem ersten und einem letzten Viertel?«

»Ich bitte nochmals, mit dem Monde keine Witze zu machen! Sie ist Vollmond, und ich heirate sie, wenn ich mich nicht irre.«

»Hoffentlich wird kein Neumond draus. Wie habt Ihr denn diese Bekanntschaft gemacht?«

»Eben durch die Gerberei. Erkundigte mich nach der besten Gerberin, nämlich des Bärenfells wegen; da wurde sie mir empfohlen. Trug ihr also das Fell hin und merkte sofort, daß sie Wohlgefallen hatte.«

»An dem Felle?«

»Unsinn! An mir natürlich!«

»Das verrät Geschmack, lieber Sam!«

»Ja, den hat sie! O, die ist gar nicht ungebildet! Das beweist sie auch schon dadurch, daß sie nicht bloß das Fell gegerbt, sondern einen neuen Anzug für mich daraus angefertigt hat. Wie gefalle ich Euch?«

»Der reine Stutzer!«

»Gentleman, nicht wahr? Ja, Gentleman! Sie war ganz weg, als sie mich vorhin in diesem Anzuge sah. Könnt Euch darauf verlassen, Sir; ich heirate sie!«

»Wo steckt Euer alter Anzug?«

»Habe ihn weggeschmissen.«

»So, so! Und eines schönen Tages sagtet Ihr einmal, daß Euch Euer Rock nicht für zehntausend Dollars feil sei!«

»Das war damals. Da gab es keine Kliuna-ai. Die Zeiten ändern sich. Well!«

Das kleine, bärenlederne Freiersmännchen drehte sich um und stampfte stolz von dannen. Das menschenfreundliche Gefühl, welches er für die indianische Wittib empfand, verursachte mir gar keine moralischen Schmerzen und Bedenken. Man mußte Sam ansehen, um vollständig beruhigt zu sein. Die übermäßig großen Füße, die dünnen, krummen Beinchen, dann das Gesicht, o weh! Er glich einer männlichen Pastrana mit einem Geierschnabel im Gesichte. Das war selbst für eine Indianerin zu toll. Er war noch nicht weit fort von mir, da drehte er sich noch einmal um und rief mir zu:

»Ist doch ein ganz anderes Ding, dieser neue Habitus, Sir! Bin wie neugeboren. Mag den alten nicht wiedersehen. Sam geht auf Freiersfüßen, hihihihi!«

Am nächsten Tage begegnete ich ihm unten am Pueblo. Er machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Was gehen Euch für astronomische Gedanken durch den Kopf, lieber Sam?« fragte ich ihn.

»Astronomische? Warum grad solche?«

»Weil Ihr ein Gesicht macht, als ob Ihr einen Kometen oder einen Nebelfleck entdecken wolltet.«

»Ist auch fast so. Dachte, daß es ein Komet sei, wird aber wohl ein Nebelfleck sein.«

»Wer?«

»Sie, die Kliuna-ai.«

»Ach so! Der Vollmond ist heut schon ein Nebelfleck! Warum?«

»Habe sie gefragt, ob sie sich wieder einen Mann nehmen will. “Nein” hat sie geantwortet.«

»Das darf Euch nicht abhalten, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Rom wurde nicht an einem Tage gebaut.«

»Und mein neuer Anzug nicht in einer Stunde geflickt. Ihr habt recht, Sir; ich gehe noch immer auf Freiersfüßen.«

Er stieg die Treppe hinan, um seine Kliuna-ai zu besuchen. Am nächsten Tage sattelte ich meinen Rotschimmel, um mit Winnetou auf die Büffeljagd zu reiten, da kam Sam Hawkens zu mir und fragte:

»Darf ich mit, Sir?«

»Auf die Büffeljagd? Nein, nein! Ihr jagt doch jetzt ein besseres Wild.«

»Hält aber nicht stand!«

»So?«

»Ja. Und macht Ansprüche.«

»Wieso?«

»War wieder bei ihr. Da sagte sie mir, den Anzug habe sie mir auf Befehl Winnetous nähen müssen.«

»Also nicht aus Liebe?«

»Es scheint nicht so. Dann meinte sie weiter, das Gerben hätte ich bei ihr bestellt; was ich ihr dafür geben wolle.«

»Also Bezahlung!«

»Yes! Ist das ein Zeichen von Liebe?«

»Weiß nicht. Habe keine Erfahrung in solchen Sachen. Kinder lieben ihre Eltern, und doch müssen diese alles für sie bezahlen. Vielleicht ist dies grad ein Beweis für die Gegenliebe Eures Vollmondes.«

»Vollmond? Hm! Ist auch möglich, daß es nur das letzte Viertel ist. Also Ihr nehmt mich nicht mit?«

»Winnetou will allein mit mir reiten.«

»So kann ich nichts dagegen haben.«

»Ihr würdet auch Euern neuen Jagdrock zu Schanden machen, lieber Sam!«

»Allerdings, das ist wahr. Blutflecke sind nichts für ein so feines Habit.«

Er ging, drehte sich aber nochmals um und fragte: »Meint Ihr nicht, Sir, daß mein alter Anzug doch viel praktischer war?«

»Möglich.«

»Nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich.«

Damit war die Sache für heute abgemacht. Aber in den nächsten Tagen wurde Sam immer nachdenklicher und einsilbiger. Sein Mond schien immer weiter abzunehmen. Da, eines Morgens sah ich ihn aus seiner Wohnung treten im alten Anzuge!

»Was ist denn das, Sam?« fragte ich ihn. »Ich denke, Ihr habt dieses Habit abgelegt, oder gar “weggeschmissen”, wie Ihr Euch ausdrücktet.«

»War auch so.«

»Und es doch wieder hervorgesucht!«

»Yes.«

»Vor Aerger?«

»Natürlich! Bin förmlich wütend!«

»Auf das letzte Viertel?«

»Ist Neumond geworden. Kann und mag diese Kliuna-ai gar nicht mehr sehen!«

»Habe es Euch also ganz richtig prophezeit!«

»Ja. Ist genau so geworden, wie Ihr sagtet. War aber eine Bewandtnis dabei, die mich fuchsteufelswild gemacht hat.«

»Darf ich erfahren, welche?«

»Ja, Euch will ich es sagen. War also gestern wieder bei ihr. Hat mich in den letzten Tagen schlecht behandelt, sehr schlecht, mich fast gar nicht angesehen und mir immer nur ganz kurz geantwortet. Sitze also gestern bei ihr und lehne mich dabei mit dem Kopf an einen hölzernen Pfahl. Dieser mag einen Splitter gehabt haben, an den mein Haar geraten ist.

Als ich aufstehe, um zu gehen, gibt’s einen gewaltigen Zupfer auf meinem ehrwürdigen Schädel; da drehe ich mich um, und was sehe ich da, Sir was sehe ich?«

»Eure Perücke, wie ich vermute?«

»Ja, meine Perücke ist an dem Holzsplitter hängen geblieben und der Hut heruntergerissen worden und zu Boden gefallen.«

»Da wurde natürlich der frühere hübsche Vollmond zum Neumonde?«

»Ganz und gar! Erst stand sie da und starrte mich an wie wie nun, wie einen Menschen, der auf dem Kopfe keine Haare hat.«

»Und dann?«

»Dann schrie und heulte sie, als ob sie selber einen Glatzkopf hätte.«

»Und endlich?«

»Endlich? Nun, endlich wurde Neumond draus. Sie stürzte nämlich fort und war nicht mehr zu sehen.«

»Vielleicht geht sie Euch bald wieder als erstes Viertel und Vollmond auf!«

»Die nicht! Sie hat mir’s nämlich sagen lassen.«

»Was?«

»Daß ich nicht mehr zu ihr kommen soll. Sie will nämlich dummerweise nur einen solchen Mann haben, der Haare auf dem Kopfe hat. Ist das nicht höchst albern?«

»Hm!«

»Da wird nichts gehmt, Sir! Wenn eine Frau heiratet, kann es ihr doch höchst gleichgültig sein, ob ihr Mann seine Haare auf dem Kopfe oder in der Perücke hat, wenn ich mich nicht irre. Es ist sogar weit ehrenvoller, sie in der Perücke zu haben, denn da haben sie Geld gekostet; wachsen aber tun sie umsonst!«

»So würde ich an Eurer Stelle sie mir auch wachsen lassen, lieber Sam!«

»Verehrter Sir, Euch soll der Kuckuck holen! Ich suche Trost in meinem Liebesgram und Heiratskummer bei Euch und bekomme Spott zu hören. Ich wollte, Ihr hättet auch eine Perücke und dann eine rote Witwe, die Euch zur Türe hinauswirft. Gehabt Euch wohl!«

Er rannte wütend davon.

»Sam!« rief ich ihm nach, »noch eine Frage!«

»Was denn?« erkundigte er sich, indem er stehen blieb.

»Wo ist er denn?«

»Wer?«

»Der neue Anzug?«

»Habe ihn ihr zurückgeschickt. Mag nichts davon wissen. Wollte Hochzeit darinnen machen, ihn bei der Trauung tragen; nun aber nichts aus der Hochzeit wird, mag ich auch den Rock nicht haben. Howgh!«

So endete die Freundschaft meines Sam mit Kliuna-ai, dem immer mehr abnehmenden roten Monde. Uebrigens war er sehr bald wieder guter Dinge und gestand mir, daß er sich freue, ein unverheirateter Jüngling geblieben zu sein. Er werde seinem alten Rocke nie wieder den Abschied geben, denn dieser sei besser, praktischer und bequemer als sämtliche Jagdröcke von allen indianischen Schneiderinnen. Es war also ganz so gekommen, wie ich mir gedacht hatte. Sam als Ehemann war einfach undenkbar.

Am Abende desselben Tages aß ich, wie gewöhnlich, mit Intschu tschuna und Winnetou zusammen. Der Letztere entfernte sich nach dem Essen, und ich wollte auch gehen, da fing der Häuptling mit mir von Sams Abenteuer mit Kliuna-ai an und brachte hierauf die Rede auf Verbindungen zwischen Weißen und Indianerinnen. Ich merkte, daß er mich examinieren wollte.

»Hält mein junger Bruder Old Shatterhand eine solche Ehe für unrecht oder recht?« fragte er.

»Wenn sie von einem Priester geschlossen und die Indianerin vorher Christin geworden ist, sehe ich nichts Unrechtes darin,« antwortete ich.

»Also mein Bruder würde nie ein rotes Mädchen so, wie sie ist, zur Squaw nehmen?«

»Nein.«

»Und ist es sehr schwer, Christin zu werden?«

»Nein, gar nicht.«

»Darf eine solche Squaw dann ihren Vater noch ehren, auch wenn er nicht Christ ist?«

»Ja. Unsere Religion fordert von jedem Kinde, die Eltern zu achten und zu ehren.«

»Was für eine Squaw würde mein junger Bruder vorziehen, eine rote oder eine weiße?«

Durfte ich sagen, eine weiße? Nein, denn das hätte ihn beleidigt. Darum antwortete ich:

»Das kann ich nicht so beantworten. Es kommt auf die Stimme des Herzens an. Wenn diese spricht, so gehorcht man ihr, gleichviel, was die Squaw für eine Farbe hat. Vor dem großen Geiste sind alle Menschen gleich, und die, welche für einander passen und für einander bestimmt sind, die werden sich finden.«

»Howgh! Die werden sich finden, wenn sie zu einander passen. Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen; er redet ja immer recht und gut.«

Hiermit war dieses Thema beendet, so, wie ich es wünschte, glaubte ich. Daß eine Indianerin erst Christin werden müsse, wenn sie die Squaw eines Weißen sein wolle, das hatte ich in ganz bestimmter Absicht scharf betont. Ich gönnte Nscho-tschi den allerbesten, edelsten roten Krieger und Häuptling; ich aber war nicht nach dem wilden Westen gekommen, um mir eine rote Squaw zu nehmen; ich hatte nicht einmal an eine weiße gedacht. Mein Lebensplan schloß, wie ich annahm, eine Verheiratung überhaupt aus.

Welchen Erfolg meine Unterredung mit Intschu tschuna gehabt hatte, erfuhr ich am zweiten Tag darauf. Er führte mich hinunter in das erste Stockwerk, wo ich noch nicht gewesen war. Dort lagen in einem besonderen, kleinen Behältnisse unsere Meßinstrumente.

»Siehe diese Sachen an, ob etwas davon fehlt,« forderte mich der Häuptling auf.

Ich tat es und fand, daß nichts abhanden gekommen war. Die Gegenstände waren auch nicht beschädigt worden, einige Verbiegungen abgerechnet, welche ich leicht reparieren konnte.

»Diese Sachen sind für uns Medizin gewesen,« sagte er. »Darum wurden sie so gut verwahrt und aufgehoben. Mein junger, weißer Bruder mag sie nehmen; sie sind wieder sein.«

Gesammelte Western-Romane und Erzählungen

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