Читать книгу Zu neugierige Mörder: 9 Krimis - Karl Plepelits - Страница 15
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ОглавлениеLinda Rogers war einem Nervenzusammenbruch nahe.
Mickey und René hatten sie gewaltsam auf den Kutter gebracht und hielten sie in der engen Kajüte gefangen.
Sie hatte in den letzten Stunden ein paar neue Gesichter kennengelernt. Durchwegs abstoßende, unsympathische Gesichter. Ein Gesicht hatte sie, seit man sie aus dem Buick herausgezerrt hatte, nicht mehr gesehen. Das von Hazy McLorne.
Was war mit der Freundin geschehen? Hatte man sie wirklich getötet?
Dieser grauenvolle Gedanke war für Linda unvorstellbar.
Auf ihre entsprechenden Fragen erhielt sie keine Antworten. Nur als sich einer der Kerle, die zu ihr in die Kajüte kamen, über sie beschwerte, weil sie seine Erwartungen nicht erfüllte, kam René zu ihr und warnte sie ölig.
„Wenn du nicht tust, was wir von dir verlangen, geht es dir genauso wie Hazy.“
„Ich kann das nicht tun“, wehrte sie sich. „Ich bin keine Hure.“
René lachte verächtlich. „Das sagen sie am Anfang alle, und nach ein paar Wochen können sie gar nicht mehr aufhören. Bei dir wird das genauso. Der Boss verspricht sich viel von dir, also enttäusche ihn lieber nicht. Du würdest den Kürzeren ziehen.“
So blieb Linda Rogers im Ungewissen, doch dass ihr Schicksal so oder so nicht rosig aussah, hatte sie inzwischen begriffen.
Eine Mischung aus Stolz, Wut und vor allem Angst veranlasste sie, sich gegen das scheinbar Unvermeidliche aufzulehnen. Irgendwie musste sie von dem verdammten Kutter herunter, von dem sie nicht mal sagen konnte, wo er lag. Notfalls würde sie um ihr Leben schwimmen.
Nachdem dieser Entschluss gefasst war, bastelte sie an einem Plan. Sie wollte noch in dieser Nacht ihre Freiheit zurückgewinnen, doch das würde sie niemals ohne fremde Hilfe schaffen.
Die Männer, die zu ihr kamen, kannte sie nicht. Sie hatte auch kein Verlangen, sie näher kennenzulernen.
Trotzdem war sie entschlossen, sich eines dieser Männer zu bedienen.
Es musste einer sein, der nicht zu kräftig war. Meistens schickten sie ihr aber wahre Bullen. Sie sollte gewaltsam gefügig gemacht werden. Das brachten brutale Typen besser fertig als schmächtige.
Linda Rogers trug ein luftiges Etwas mit nichts darunter. Es war lila, glitzerte und gehörte ihr nicht. Wer mochte es vor ihr getragen haben? Ob die „Kollegin“ noch lebte? Oder hatte ihr der neue Beruf nichts ausgemacht?
Die Kajüte wurde durch das riesige Bett fast vollständig ausgefüllt. Für viel mehr war kein Platz. Es gab nur noch ein niedriges Tischchen, auf dem eine Whiskyflasche und zwei Gläser standen.
Ihr war nach einem Schnaps zumute. Nach einem doppelten sogar. Doch sie ahnte, dass die Lumpen genau das beabsichtigten. Sie sollte Zuflucht zum Alkohol nehmen, damit sie ihre Hemmungen verlor.
Es waren keine Hemmungen, die sie daran hinderten, sich zu verkaufen. Es war ihr fester Wille, ihre Überzeugung. Aber der Schnaps würde zweifellos ihre Widerstandskraft beeinträchtigen. Das musste sie verhindern.
Sie wusste nicht, wer sich außer ihr und den beiden Kerlen, die sie entführt hatten, noch auf dem Kutter aufhielten. Sie hatte auch Frauenstimmen gehört. Wahrscheinlich handelte es sich um ein schwimmendes Bordell, von dem die Polizei nichts ahnte.
Linda Rogers hätte gern geweint, doch damit verbesserte sie ihre Lage nicht. Was sie jetzt unbedingt brauchte, waren klare Augen und vor allem ein klarer Kopf.
Ihre Wangen brannten noch. René hatte sie geschlagen, weil ihr letzter Besucher empört sein Geld zurückverlangt hatte. Er und Mickey zeigten keine Spur mehr von dem Charme, den sie auf der Party versprüht hatten. Sie stellten sich als eiskalte, gefühllose Gangster dar, denen sie hilflos ausgeliefert war.
Sie hörte sich nähernde Schritte und zuckte entsetzt zusammen. Jemand kam zu ihrer Kajüte. Das bedeutete nichts Gutes. So oder so nicht. Entweder handelte es sich um René und Mickey, die sie wieder quälen würden, oder um einen neuen Kunden, dessen sie sich erwehren musste, wobei sie wusste, dass dadurch alles nur noch schlimmer wurde.
Mickey steckte seinen schwarzen Wuschelkopf durch die Tür. Er grinste schmierig.
„Langeweile, Baby?“, erkundigte er sich scheinheilig. „Das kann ich mir vorstellen. Aber du darfst dich freuen. Du bekommst Gesellschaft. Sehr angenehme Gesellschaft.“ Er rieb vielsagend Daumen und Zeigefinger gegeneinander, und Linda Rogers hörte förmlich die Banknoten knistern.
„Lasst mich doch endlich in Ruhe!“, bat sie schwach. „Ich bin müde und will schlafen.“
„Genau das sollst du ja. Hast du es jetzt endlich kapiert? Wir haben dir diesmal etwas ganz Besonderes ausgesucht, Baby. Er wird dir gefallen, und wenn du klug bist, angelst du ihn dir als Dauerkunden. Er stinkt vor Geld.“
„Alle Kerle, die ihr mir bis jetzt geschickt habt, haben gestunken. So reich können sie nicht sein, wenn sie sich nicht mal ein Stück Seife leisten können.“
Mickey lachte grob.
„Noch nie was von dem animalischen Geruch eines Mannes gehört?“, fragte er. „Also, das ist jetzt deine letzte Chance. Wenn du wieder verrückt spielst, werden René und ich uns persönlich um dich kümmern. Wir bringen dann noch einen guten Freund mit.“
Lindas Augen weiteten sich.
„D ... das Messer?“ fragte sie angstvoll.
„Das Messer“, bestätigte der Gangster. „Kann sein, dass noch ein bisschen Blut von deiner Freundin dranklebt, aber davor wirst du dich hoffentlich nicht ekeln.“
„Was habt ihr mit Hazy gemacht, ihr Mörder?“, schrie die Frau verzweifelt.
Mickey wehrte ab.
„Die blöde Gans war doch ohnehin schon so gut wie tot. Wir haben sie nur von ihren Schmerzen befreit, die sie sich selbst zuzuschreiben hatte. Wie kann man nur aus einem fahrenden Auto hüpfen!“
Linda Rogers fühlte, wie sich alles um sie herum drehte. Hazy war tot. Ermordet von diesen Schweinen. Und niemand wusste, wo sie geblieben war. Sie war eine von den zahllosen Vermissten, von denen die Polizei in New York nie wieder eine Spur fand.
Sie selbst lebte zwar noch, aber ihr Schicksal war das gleiche. Für das wahre Leben da draußen war auch sie längst gestorben.
„Warum muss es ausgerechnet ich sein?“, jammerte sie. „Mit mir werdet ihr nie viel Geld verdienen.“
„Du bist genau der Typ, den gewisse Männer lieben, Baby. Das nötige Handwerkszeug bringen wir dir schon noch bei. Und wenn nicht, dann hat der Boss eine prima Idee für dich. Doch darauf würde ich es an deiner Stelle lieber nicht ankommen lassen.“
„Was ist es?“, fragte sie angstvoll. „Sei lieber nicht zu neugierig. Gegen dieses Schicksal kann sich Hazy direkt glücklich schätzen.“
„O Gott!“
„Du hast es ja selbst in der Hand, Baby. Oder woanders.“ Er lachte gemein. „Ich schicke dir jetzt Carlos, einen guten Freund unseres Unternehmens. Sei lieb zu ihm, sonst ...“
Mickey ließ die Drohung unausgesprochen, doch Linda Rogers wusste inzwischen, dass er tatsächlich an eine neue Teufelei dachte. Diese Lumpen verschwendeten ihre Zeit nicht mit leeren Worten.
Der Gangster zog sich zurück, und für ihn betrat ein schlanker, fast hagerer Mann die Kajüte und blieb an der Tür stehen. Er ließ seinen Blick auf Linda ruhen, die rasch die Augen senkte.
Das hatte einen bestimmten Grund. Der Mann sollte nicht ihr hoffnungsvolles Aufflackern erkennen.
Carlos war genau der Typ, der ihrem Plan entgegenkam. Ein körperlicher Schwächling, bei dem sie es schaffen musste. Er durfte nur keinen Verdacht schöpfen.
„Hallo!“, näselte er.
„Hallo!“ Sie zwang sich zu einem warmen, verführerischen Unterton. „Du bist Carlos, nicht wahr?“
„Stimmt! Und du bist die störrische Linda.“ Er kicherte.
Sie schenkte ihm einen Blick, der durchaus nasses Holz hätte entzünden können.
„Störrisch? Hat man dir erzählt, welche Typen sie mir bis jetzt geschickt haben? Ich kann mich nun mal nicht verstellen. Wenn ich einem Mann etwas bieten soll, dann muss mein Herz mit dabei sein.“
„Und bei mir ist es dabei?“
Linda Rogers hätte dem widerlichen Burschen am liebsten ihre Fingernägel durch das picklige Gesicht gezogen. Stattdessen hielt sie ihr Lächeln aufrecht und hauchte: „Mickey hat nicht zu viel versprochen. Es ist nur ...“
„Was ist? Stimmt etwas nicht mit mir?“
„Mit dir schon, Carlos. Aber findest du nicht, dass die Kajüte hier grässlich ist? Wie soll man da richtig in Stimmung kommen? Draußen scheint bestimmt der Mond. Das müsste romantisch sein!“
Der Hagere sah sie blöd an.
„Der Mond? Ich weiß nicht. Habe nicht darauf geachtet. Kann schon sein. Machst du es lieber bei Mondschein?“
„Ich bin ganz verrückt danach. Möchtest du was trinken?“
Sie schenkte ein Glas voll und reichte es ihm.
„Und du?“, fragte er misstrauisch.
„Willst du, dass ich einschlafe?“
„Wieso?“
„Alkohol übt eine lähmende Wirkung auf mich aus. Da hilft dann auch kein Vollmond mehr. Ich schlafe glatt ein, und du könntest mich in einen Ameisenhaufen legen, ohne dass ich etwas spüren würde.“
„Lieber nicht!“ Er kicherte erwartungsvoll und kippte seinen Schnaps.
Linda schenkte sofort nach, und er trank gehorsam und völlig automatisch.
„Nehmen wir die Flasche mit?“
„Wohin?“
Sie verzog ihre Lippen zu einem Schmollen. „Hast du schon wieder vergessen? Wir wollten doch an Deck gehen. Wir könnten es uns in einem der Boote gemütlich machen. Da sieht uns kein Mensch. Natürlich müssen wir uns ruhig verhalten.“
„Natürlich!“, bestätigte er lahm.
Sie nötigte ihm ein drittes Glas auf und schob ihn zur Tür.
„Sieh nach, ob die Luft rein ist, Darling!“
„Warum?“, wunderte er sich.
Sie schüttelte bekümmert den Kopf. „Bist du wirklich so naiv? Für dieses Extra verlangen sie von dir glatt den doppelten Preis.“
„Meinst du?“
„Todsicher. Und ich sehe keinen Cent davon.“
Carlos grinste. Er fingerte eine Fünfzigdollarnote aus seiner Brusttasche und schob sie Linda Rogers in den Ausschnitt.
„Damit die Gerechtigkeit wiederhergestellt ist“, erklärte er vergnügt. Sein Atem ging keuchend. Seine Augen traten etwas hervor.
Linda fühlte seine Finger auf der Haut. Sie nahm sich gewaltsam zusammen. Er durfte keinesfalls ihren Abscheu merken. Deshalb seufzte sie schmachtend, obwohl sie ihm tausendmal lieber die Whiskyflasche über den Schädel gezogen hätte.
„Du bist süß“, wisperte sie und versorgte ihn mit dem vierten Schnaps.
Carlos öffnete die Tür und blickte hinaus.
„Niemand zu sehen“, stellte er zufrieden fest.
„Dann los! Aber leise!“
Der Hagere zog sie hinter sich her.
Sie folgte willig.
Zum ersten Mal sah sie den Kutter von außen. Sie war bewusstlos gewesen, als man sie hergebracht hatte.
Viel konnte sie nicht erkennen, denn es war ziemlich finster. Zum Glück!
„Kein Vollmond“, flüsterte Carlos enttäuscht.
„Das macht nichts. Auf alle Fälle ist es hier draußen hübscher als in der engen Kabine. Hast du noch Durst?“
Er wehrte ab.
„Hinterher wieder, Linda. Wo sind die Boote?“
„Achtern.“
Er gluckerte. „Du bist ja eine richtige Wasserratte. Jetzt lass mal sehen, was du sonst noch für Qualitäten besitzt!“
Sie folgte ihm willig.
„Ich sehe kein Boot“, stellte er fest.
Sie zeigte zur anderen Seite und lief ein Stück voraus.
Carlos folgte ihr hastig und stolperte prompt über das Tau, das Linda Rogers genau gesehen hatte.
Er fluchte.
Linda aber lief weiter. Sie sah die Lichter, die die Freiheit bedeuteten. Sie sahen nach Atlantic Beach aus.
Der Kutter war zum Glück nicht allzu hoch. Aber sie wäre auch aus dem zehnten Stockwerk ins Wasser gesprungen.
Hinter ihr murrte Carlos, der Schwierigkeiten mit seinen schweren Beinen hatte und ihr nicht zu folgen vermochte.
Sie sah sich um. Außer Carlos war niemand hinter ihr, und der ahnte ihre wahre Absicht noch nicht.
Es musste klappen!
Noch sechs Schritte, dann konnte sie springen.
Jetzt!
Sie stieß sich vom Deck ab doch brutale Fäuste zerrten sie zurück. Schläge prasselten in ihr Gesicht.
Sie schleiften sie in ihre Kajüte zurück.
Doch das Schlimmste kam erst.
Sie warfen sich aufs Bett und rissen ihr den Fetzen vom Leib.
Mickey stand vor ihr und spielte mit seinem Messer.
Währenddessen zog sich René aus.
Linda Rogers schrie, doch niemand hörte sie hier draußen. Und die sie hörten, waren Frauenschreie auf dem Kutter gewöhnt.