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1. „Tone From the Top“
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Im Bereich des Kapitalmarktrechts gilt nichts anderes als in anderen Gebieten des Wirtschaftsrechts und Wirtschaftsstrafrechts. Das durchdachteste und umfassendste Compliance-Programm nützt nichts, wenn es nicht gelebt wird. Zu dieser zugegebermaßen banalen Erkenntnis kommt man immer wieder in der Beratungspraxis oder bei einfacher Zeitungslektüre. Gerade die Bankinstitute, die in den letzten Jahren durch Skandale und fehlendes bzw. unzureichendes Risikomanagement von sich reden machten, verfügten bereits vor den jeweiligen öffentlichkeitswirksamen Vorfällen über Compliance- und Rechtsabteilungen und beschäftigten überdies ein Heer gutbezahlter externer Berater.
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Solche Ansätze bleiben jedoch auf der Strecke, wenn Compliance im alltäglichen Geschäftsleben der operativen Abteilungen nicht „ankommt“, weil für diese andere Anreize gesetzt wurden. Nicht selten schwächt ein falsch ausgerichtetes Bonus- und Incentive-System die wirksame Arbeit einer Compliance-Abteilung. Insoweit muss sich die Unternehmensleitung die Frage gefallen lassen, ob die Compliance-Abteilung modisches Feigenblatt bleiben soll, das man seit dem „Siemens-Skandal“ einfach haben muss, oder ob man tatsächlich das Tagesgeschäft zur Einhaltung gewisser Standards verpflichten und diese effektiv überwachen will.
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Ist letzteres der Fall, muss das Management Compliance auch tatsächlich vorleben und den Geschäftsbetrieb entsprechend ausrichten. Nur eine aktive Compliance-Organisation, die in das Unternehmen eingebunden ist und kein abgekapseltes Dasein führt, kann funktionieren.[13] Dabei spielt der „Tone From the Top“ eine entscheidende Rolle. Hat das Management wirklich das Interesse, das Unternehmen so zu organisieren, dass sich dessen Arbeit nach gesetzlichen und ethischen Standards ausrichtet oder steht allein die Gewinnmaximierung im Vordergrund? Liegen die entsprechenden Kommunikationsstrukturen vor und werden Hinweise auf Fehlentwicklungen ernst genommen oder haben Mitarbeiter und/oder die mittlere Managementebene das Gefühl, der Überbringer schlechter Nachrichten „wird erschossen“?[14]
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Die Leitungsverantwortung des Vorstands einer Aktiengesellschaft wird in § 76 Abs. 1 AktG definiert. Nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Ergänzt wird diese Pflicht durch den deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), der festhält, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinwirkt (Compliance). Er soll für angemessene, an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System) sorgen und deren Grundzüge offenlegen.[15] Obwohl es sich beim DCGK um Empfehlungen handelt, wird hieraus auch eine Rechtspflicht des Vorstands zu Compliance hergeleitet, die sich aus seiner Organverantwortung ergibt.[16] Allerdings hatte der Vorstand auch vor Aufnahme des Begriffs Compliance in den DCKG in 2007 bereits nach § 91 Abs. 2 AktG geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.[17]
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In seiner Allgemeinheit umfasst § 93 Abs. 1 AktG sowohl die aktienrechtliche Legalitätspflicht als auch entsprechende Sorgfalts- und Überwachungspflichten (Legalitätskontrollpflicht).[18] Im Bereich der Legalitätsplichten, die die Einhaltung der inneren und äußeren rechtlichen Rahmenbedingungen gebieten, gibt es keinen Ermessensspielraum. Pflichtverletzungen, die bei oberflächlicher Betrachtung als „nützlich“ oder adäquat angesehen werden könnten, sind als das zu werten, was sie sind: Pflichtverletzungen.[19] Zu den Legalitätspflichten zählt auch die Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungs-, Mitteilungs- und Informationspflichten.[20] Sie richten sich an den Emittenten, der, vertreten durch die Vorstandsmitglieder, für ein entsprechendes rechtskonformes Verhalten zu sorgen hat. Die unterschiedliche Gestaltung und die hohen Anforderungen, die im Einzelfall an Wahrung der Vertraulichkeit, inhaltliche Richtigkeit und Klassifizierung der Informationen sowie die Schnelligkeit der Veröffentlichung gestellt werden, gebieten die Schaffung einer entsprechenden internen Organisation. Die Notwendigkeit der Befolgung dieser Pflichten selbst ergibt sich aus dem Unternehmensinteresse, da Verstöße Bußgelder und Strafen für den Emittenten bzw. seine Verantwortlichen sowie Schadensersatzklagen und Reputationsverlust zur Folge haben können, wie die Fälle „Siemens“, „Deutsche Bank“ und „Volkswagen“ eindrucksvoll zeigen. Künftig wird die MAR und die CRIM-MAD die Strafrahmen nochmals verschärfen und in Zukunft die Veröffentlichung verhängter Geldbußen zur Pflicht (sog. Naming and Shaming) machen.