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Waren die Römer „Frühschläfer“?

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Was die bisher skizzierten Assoziationen zu „Rom“ und „Nacht“ angeht, ist in dieser Hinsicht Fehlanzeige festzustellen – sofern man das antike Rom meint. Mit dem modernen verhält es sich geradezu umgekehrt. Da bekommen viele glänzende Augen, wenn sie an „Nacht leben“ und „Rom“ denken. Eine kurze Internet-Recherche bestätigt den Befund. Die Kombination „Rom/Nachtleben“ ergibt zahlreiche verlockende Treffer, und überraschenderweise ist das auch der Fall, wenn man „antikes Rom/Nachtleben“ eingibt. Die englische Version ancient Rome/nightlife ist noch erfolgreicher. Das Erfolgsgeheimnis sind touristische Angebote vom Typ Ancient Rome by night: In der Regel verbirgt sich dahinter ein Sightseeing-Programm per Bus an stimmungsvoll illuminierten Ruinen entlang.

Es mutet fast wie eine Tragik der Geschichte an, dass solche nächtlichen Erlebnisse nicht möglich waren, als das monumentale Rom der Kaiserzeit noch in seiner ganzen Pracht bestand. Die repräsentative Wirkung, die bei Tage von den marmornen Fassaden, den goldenen Tempeldächern und den prunkvollen, die Weltherrschaft spiegelnden Vergnügungs- und Zweckbauten ausging und ausgehen sollte3 – bei Nacht ging sie dramatisch zurück, tendierte die Suggestionskraft einer Architektur der Macht und des Wohlstandes gegen Null. Abgesehen von hellen Mondscheinnächten4 war die aurea Roma, das „goldene Rom“, nämlich in keiner Weise beleuchtet. Das gilt bis auf wenige Ausnahmen für alle römischen Städte.5 Nachts waren sie in tiefste Dunkelheit getaucht.

Ein Befund, der den englischen Althistoriker J. P. V. D. Balsdon in seinem Standardwerk über Leben und Freizeit im antiken Rom zu der lakonischen Schlussfolgerung gebracht hat: „With the coming of darkness, most people went to bed.“6 Man sollte sich gut überlegen, ob man einem exzellenten Kenner des römischen Alltagslebens wie Balsdon widersprechen will. Deshalb stimmt man ihm zunächst am besten zu und bezieht seine Feststellung auf das Land. Dort, wo rund 85 Prozent der Bevölkerung des Imperium Romanum lebten, war es gewiss so: Von ein paar Kneipen und Absteigen an den großen Fernstraßen abgesehen, erstarb das öffentliche Leben mit dem Einbruch der Dunkelheit – und der weitaus größte Teil des privaten Lebens dazu. Die Landarbeit begann in den frühen Morgenstunden oft noch vor Sonnenaufgang; entsprechend erschöpft waren die Bauern, die freien und unfreien Landarbeiter, wenn sie abends von den Feldern zurückkamen.7 Die allerwenigsten hatten dann noch die physische Kraft, sich in ein – zudem nicht vorhandenes! – Nachtleben zu stürzen. Allenfalls wenige Landfeste, die einzigen Inseln unbeschwerter Freizeit im harten Leben der plebs rustica, wurden mit Wein und Ausgelassenheit bis in die Nächte hinein gefeiert. Ansonsten leistete der „Allbezwinger“ Hypnos („der Schlaf“) nachts auf dem Lande ganze Arbeit.

Was die Städte angeht, hängt die Richtigkeit von Balsdons These entscheidend von der Interpretation des most ab. Es ist wohl anzunehmen, dass mehr als die Hälfte auch der Stadtbevölkerung sich nach Einbruch der Nacht schlafen legte und Kraft für den nächsten Tag tankte. Aber ob die Quote derer, die sich in den ersten Stunden der Nacht in der Öffentlichkeit oder in privaten Zirkeln vergnügten, bei 20, 30 oder 40 Prozent lag, erläutert uns das most nicht. Tatsächlich wissen wir das auch nicht; und selbst für ganz grobe Schätzungen liegt kein seriös analysierbares Quellenmaterial vor. Balsdons Formulierung lässt erkennen, dass er mit einer sehr hohen Quote von „Sofort-Schläfern“ rechnet. Das wäre, auf die Hauptstadt Rom bezogen, ein ebenso falscher Eindruck wie der auf vereinzelten Quellen beruhende, in mondänen Badeorten wie Baiae, dem Sündenbabel der römischen Oberschicht, seien Mondschein-Bootsfahrten auf dem Averner See und dem Meer oder feucht-fröhliche Strandpartys bei Fackelschein der nächtliche Standard gewesen.8

Nachtleben im alten Rom

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