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EINFÜHRUNG

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Dieses Buch ist weitgehend in der Zeit der sogenannten Corona-Krise entstanden. Sie war beherrscht von dem Appell „Bleiben Sie zu Hause!“ Der öffentliche Raum wurde als Bedrohungszone mit hohem Infektionsrisiko wahrgenommen; er leerte sich stark. Gegenüber dem antiken Rom ein überaus großer Kontrast! Denn da verhielt es sich umgekehrt. Ein vergleichbarer Appell hätte damals geheißen: „Nichts wie raus!“ Denn die allermeisten Menschen lebten in sehr beengten Wohnverhältnissen; für sie waren die Straßen ein willkommener Auslaufraum, um der Enge des häuslichen Daseins zu entgehen. Dort pulsierte das Leben, und das mediterrane Klima tat ein Übriges, um Straßen und Plätze als grundsätzlich einladenden Lebensraum zu empfehlen.

Entsprechend intensiv wurden die Straßen genutzt. Sie waren Lebensadern für Handel und Gewerbe, sie boten die Möglichkeit, lebenswichtiges Wasser zu holen und, in modernen Darstellungen viel seltener erwähnt, Abwässer einschließlich voller Nachttöpfe in öffentliche Latrinen zu entleeren, sie dienten Straßen-Entertainern ebenso als Bühne wie Aristokraten bei Selbstdarstellungs-Spaziergängen mit großem Gefolge, mehr oder weniger gediegenen Wahlkampfauftritten und eindrucksvoll inszenierten Bestattungen. Ganz großes Straßen-Theater stellten prächtige Circusprozessionen und opulente Triumphzüge mit mehreren hunderttausend Zaungästen am Straßenrand dar. Für diese pompöse Selbstvergewisserung und Identität stiftenden Shows – Rom zeigt Rom Rom, hat man sie treffend auf den Punkt gebracht – waren diese Straßeninszenierungen von größter politischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Da wurde der Raum der Fortbewegung zu einer scaena, einem Schau-Platz.

Dieselben Straßen, die solche im doppelten Sinne spektakulären Erlebnisse boten, waren aber auch Schaufenster mancher Schattenseiten der römischen Gesellschaft. Bettler und Prostituierte, nicht wenige von ihnen Zwangsprostituierte, säumten sie in der Hoffnung auf „Kunden“, und manches Elend wurde hier sichtbar für alle, die nicht wegschauen wollten – bis hin zu „herrenlosen“ Leichnamen, die längere Zeit auf dem Pflaster liegen blieben.

Viele Römer empfanden für die Straßen ihrer Hauptstadt eine Art Hassliebe. Ja, die vici und viae waren lebenswichtige Arterien der Millionenmetropole und Zentren einer Ökonomie, der sie ihren Lebensunterhalt verdankten, aber sie waren wegen der ständigen Überlastung und Überfüllung auch ein Ärgernis: Verkehrsstaus und Hindernisse, Menschenmassen, Baustellen und Sperrungen sorgten für eine unerwünschte, von manch einem geradezu verwünschte „Entschleunigung“. Und was tat die Polizei? Die aus heutiger Sicht überraschende Antwort: nichts. Und zwar deshalb, weil es sie nicht gab. Vieles im römischen Verkehr war dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Bis auf eine Notbremse, die Caesar im Jahre 45 v. Chr. zog: Er erließ, um dem totalen Verkehrskollaps in der Ewigen Stadt vorzubeugen, das erste Tagesfahrverbot der Geschichte – was freilich ziemlich unangenehme Konsequenzen hinsichtlich des nächtlichen Fahrbetriebs einschließlich des von ihm ausgehenden steten Lärms hatte.

Und wie sah es mit der Straßenkriminalität aus? In dieser Frage gehen die Meinungen der Wissenschaftler ähnlich weit auseinander wie in der der Straßen- und Siedlungshygiene. In den letzten Jahrzehnten ist darüber intensiv geforscht worden. Wir stellen die wichtigsten Positionen und Quellen vor. Einige wenige Wiederholungen wurden in Kauf genommen, um einzelne Kapitel als abgeschlossene Einheiten zugänglich zu machen.

An heutigen Standards gemessen, wäre manches für einen Zeitreisenden gewöhnungsbedürftig: Es gab keine Straßenbeleuchtung und keine Dienststellen einer Schutzpolizei, keine Verkehrszeichen und keine Straßenschilder. Für Anhänger einer „liberalen“ Ordnung mit wenig staatlicher Präsenz vielleicht ein Dorado, in dem Privatinitiative großgeschrieben wurde, Chancengleichheit aber eher klein. In jedem Fall aber erlauben uns die Straßen von Rom aufschlussreiche Einblicke in die fremde Alltags-, Kultur- und Sozialgeschichte des alten Roms. Wobei immerhin eines doch überraschend modern anmutet: die turba - der „Trubel“, das „Chaos“.

Die Straßen von Rom

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