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Sprachdetektive unterwegs – Vom Vorteil des langsamen Lesens
ОглавлениеWenn wir als Nicht-Muttersprachler lateinische Werke lesen, ist das Lesetempo erheblich geringer. Der Verständnisaufbau schreitet viel langsamer voran; man muss alle sprachlichen Signale genau registrieren, um den Sinn zu erschließen. Die Fachdidaktik spricht von einem „mikroskopischen Lesen“. Dieses Vorgehen wird mitunter kritisiert, weil nur überschaubare Textmengen „geschafft“ werden. Aber es hat einen gewaltigen Vorteil: Man gewinnt Zeit dafür, sich auch die sprachliche Gestaltung genauer anzuschauen, dabei manipulative Details aufzudecken und sie zu deuten. Das ist der Vorzug des langsamen Lesens: dass weniger übersehen und überlesen und mehr entdeckt wird.
Acht-, Neunt- oder Zehntklässler werden auf den großen Caesar losgelassen, um ihn als Manipulator zu entlarven – ist das der richtige Zugriff, um sich mit einer der bedeutendsten Gestalten der Alten Geschichte zu beschäftigen? Aber sicher. Wir wollen ja keine Hagiographie betreiben oder in Ehrfurcht vor einem Großen der Weltgeschichte erstarren. Die Zeiten sind gottlob vorbei. Aber betreibt man damit wirklich eine Demontage Caesars? Pinkelt man damit, um es derb zu formulieren, ans Monument eines „Stars“, in dem Hegel noch einen „Geschäftsführer des Weltgeistes“ hat sehen wollen?
Natürlich nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall: Der Staatsmann und Feldherr Caesar, über dessen Beurteilung man streiten kann, erhält sozusagen eine dritte Dimension der Betrachtung. Er wird als Literat ernst genommen, als Sprach-Künstler, als Virtuose lateinischer Stilistik und Rhetorik. Wir stoßen ihn damit nicht vom Sockel, sondern errichten ihm ein zusätzliches Denkmal, indem wir seiner Sprachkunst nachgehen und sie offenlegen. Das hat eine Menge mit Sensibilisierung für literarische Ästhetik sowie für Sprache und ihre Wirkung zu tun. Was schulischen Lateinunterricht angeht, sind das Entdeckungen, die die Entdecker stolz machen, weil sie sich auch als Erfolgserlebnisse darstellen. Man wird zum erfolgreichen Literatur-Detektiv im ursprünglichen Sinn: zu einem, der etwas „auf-deckt“ (de-tegere).
Wie so oft im Lateinischen schaut man hinter die Kulissen der Sprache, legt in gewisser Weise unter der Oberfläche Verborgenes frei. Eine Kompetenz, die sich auf andere vergleichbare Strukturen übertragen lässt und die – vielleicht – auch vor Manipulation durch Sprache in der eigenen Lebenswelt schützt, zumindest aber ein Mehr an berechtigtem Misstrauen gegenüber sprachlicher Vereinnahmung mit politischen, kommerziellen und allgemein-ideologischen Intentionen schafft. Erziehung zum mündigen Staatsbürger auch durch Training an Caesars Leserlenkung? Ja klar.