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Eine alltägliche Frau

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Es ist nicht einfach, sich der historischen Maria zu nähern, denn abgesehen von Paulus, der sie wohl in der Jerusalemer Gemeinde, die von Jesus Bruder Jacobus geführt wurde, kennengelernt haben sollte, stammen die Auskünfte der Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas nicht aus direktem Kennen, sondern aus gesammelten Geschichten, in denen sie erwähnt wird. Und ausgerechnet Paulus, der von ihr oder den anderen Aposteln aus erster Hand Informationen hätte haben können, war an ihrer Person nicht interessiert. Er nennt nicht einmal ihren Namen, sondern bezeichnet sie im Galaterbrief als „Weib“. Aus seiner Sicht war es Marias einzige Aufgabe, Jesus zu gebären und so sicherzustellen, dass das Göttliche in das Weltliche Einzug halten kann. So bleibt es dem Betrachter selbst überlassen, sich ein Bild von ihr zu machen. Die Evangelisten, die über sie berichteten, beschreiben sie nicht, da sie keine Person von ihren äußerlichen Merkmalen her beschreiben. Da es in den Quellen, zu denen wir noch kommen werden, auch keine neuen Erkenntnisse gibt, sind wir auf die Kenntnisse der Umwelt angewiesen.

Maria war Jüdin und hat in dem kleinem Dorf Nazareth, gelebt. Dieses Dorf wird in zeitgenössischen Schriften nicht erwähnt und soll nach Schätzungen , die auf Ausgrabungen beruhen, etwa 200 bis 500 Einwohner3 gehabt haben. Eher also eine kleine, unbedeutende Niederlassung der damaligen Zeit. Während der Evangelist Johannes Maria nicht namentlich erwähnt, greift er aber eine Episode auf, in der Nazareth erwähnt wird:

Johannes 145Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josephs Sohn von Nazareth. 46Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann von Nazareth Gutes kommen? Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es! 47Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm: Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist.…

Da Maria und ihr Ehemann Josef einheitlich erwähnt werden, kann von ihrer Existenz und der Richtigkeit der Namen ausgegangen werden. In diesem kleinen Nest im Norden des Landes, bei dessen Überresten keinerlei Hinweise auf eine Synagoge gefunden wurden3, konnte ein Zimmermann wohl nur schwerlich so viel verdienen, dass er über den Armutszustand des gewöhnlichen Arbeiters hinausgelangen konnte. Dementsprechend wird Maria auch in diesen ärmlichen Verhältnissen gewohnt haben. Not und Mangel dürften den täglichen Rhythmus begleitet haben. Dennoch gelingt es ihr, neben Jesus (Joschua) noch vier weitere Söhne, die namentlich erwähnt werden, aufzuziehen. Sie konnte mit Sicherheit nicht lesen und schreiben, und ihr Lebensumfeld war wohl auf das kleine Dorf und seine Umgebung beschränkt. Ihre Bildung wird sich auf das beschränkt haben, was ihr Leben ausmachte und kennzeichnete, nämlich die Kenntnisse dessen, was für das Überleben beherrscht werden muss. Insofern unterschied sie sich in keiner Weise von den übrigen Frauen der unteren Schicht. Alles, was diese Frauen bedrückt hat, von dem täglichen Hunger, der Arbeit bis zur geringen Hygiene wird auch auf ihr gelastet haben. Sie wird morgens das Feuer entfacht und dann Wasser vom Brunnen des Dorfes geholt haben. Ihre Familie war groß, es wird also in der engen Behausung viel Arbeit angefallen sein. Die freigelegten Fundamente zeigen die übliche dörfliche Enge.

Die unverheiratete Maria muss nicht in diesem Dorf gelebt haben, aber da sie einem einfachen Handwerker oder Tagelöhner als Ehefrau gegeben wurde, wird sie wohl aus ähnlichen Verhältnissen kommen. Wie es damals üblich war, kann sie wohl schon ein Jahr nach Einsetzen der Monatsblutung verheiratet worden sein. Die Auswahl des Ehemannes oblag den eigenen Eltern, von denen wir aus biblischen Quellen nichts wissen, also wird Maria wohl auch das Schicksal erlitten haben, mit spätestens 14 Jahren, vielleicht auch schon früher, Ehefrau zu sein. Sie hat die Enge des Dorfes erst verlassen, als ihr Sohn Jesus sich entschloss, als Wanderprediger unterwegs zu sein. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon Witwe. Über den Tod ihres Ehemannes Josef wissen wir nichts. Nach dem damaligen Verständnis innerhalb einer Familie wird sie wohl von ihren Söhnen versorgt worden sein. Diese Umstände werden in den biblischen Texten nicht erwähnt, weil es schlichtweg zum Lebensbild der damaligen Familien dazugehörte, die Eltern im Alter zu versorgen.

Maria fiel also nicht aus dem Rahmen, was die sozio- kulturellen Umstände der damaligen Zeit angeht. Es bestand also für die „Konstrukteure der Evangelien“ oder für Lukas, der die Apostelgeschichte verfasst hat, kein Anlass, darüber zu berichten.

An diesem Umstand, dass Maria ein ganz gewöhnliche Frau aus dem Volk war, hat sich während ihres Lebens nichts geändert. Ihr sozialer Status erfuhr nach den Berichten der Evangelien aus der Tatsache, dass sie die Mutter Jesu war, keine Aufwertung. Sie lebte und starb als jüdische Frau, die ihren Ehepflichten nachgekommen war. Mehr wissen wir von ihr nicht. Der theologische Zusammenhang zwischen der Auffassung von der „übernatürlichen“ Zeugung stellte sich zu Lebzeiten Marias nicht. Die Jerusalemer Gemeinde war wohl der Auffassung, dass es sich nicht lohnte, darüber nachzudenken. Gleichwohl schwelte der Konflikt in den christlichen Gemeinden, die sich aus der Missionstätigkeit des Paulus ergaben, der in Maria nur das biologisch notwendige Weib sah, in Jesus aber den Christus.

Diese Fragen wurden auf Konzilen entschieden, die viele Jahrhunderte später stattfanden und aufzeigten, dass die Kernfrage, wer Maria und Jesus in theologischer Sicht denn wirklich seien, per endgültigem Beschluss zu klären ist.

Das Konzil in Ephesos erklärte 431 u.Z. Maria zur „Gottesgebärerin“. Spätestens hier beginnt die glaubensmäßige Überhöhung Marias „über alle Frauen hinaus“ in den Bereich des Mystischen. Diese Entwicklung folgte parallel zur altägyptischen Auffassung, dass der neue Pharao nach der göttlichen Zeugung durch eine Frau geboren wird.

Die Lehre, dass Jesus „wahrer Mensch und wahrer Gott“ ist, wurde auf dem Konzil zu Chalcedon (451) als unumstößliche Wahrheit verkündet. Auch dies läuft parallel zur altägyptischen Überzeugung ab, dass der Pharao Mensch und Gott gleichzeitig ist.

Insofern ist die Erkenntnis, dass Maria Gottesmutter ist, lehrsatzmäßig älter als die Zwei - Naturen- Lehre. Noch älter sind aber die genannten Bezüge zum ägyptischen Gottesverständnis.

Alle diese Überlegungen engen aber die Bedeutung Marias nicht ein, wenn sie auch während ihres Lebens wohl alle diese Spekulationen entrüstet und als Häresie zurückgewiesen hätte. Zusammen mit ihrer Familie lebte sie starb sie als Jüdin, tief verwurzelt in ihrer Religion. Sie ist zu keinem Zeitpunkt Christin gewesen, davon kann mit Fug und Recht ausgegangen werden, so wie ihr Sohn Jesus als Jude gelebt hat und gestorben ist.

Die „Frau“ Maria stellt sich also eine einfache jüdische Frau dar, die verheiratet war und viele Kindre hatte, mindestens die fünf genannten Söhne. Sie war wohl arm und zog vielleicht dauernd mit ihrem Sohn Jesus durch Galiläa. Wie sich ihr Leben gestaltet hat, ist nur spekulativ zu ermitteln, es dürfte sich aber von dem der übrigen jüdischen Frauen dieses Standes nicht unterschieden haben. Aus den Evangelien erfahren wir, dass sie mit Sicherheit den Tod ihres Sohnes und seine dann folgende Verehrung in der Jerusalemer Gemeinde miterlebt hat.

Ihr Lebensende war wohl unspektakulär, denn wir erfahren nichts darüber. Wo sie ihre letzte Ruhestätte fand, wird auch nicht berichtet. Es ist davon auszugehen, dass sie wie alle Juden eine einfache Grabstätte erhielt.

Auf dem Weg zur Göttin : MARIA

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