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ITALIEN


Schwarzer Espresso am Rande der Po-Ebene.

Glitzernd sind wir umfangen von den Eisblumen an unserer atemverhangenen Scheibe. Wo sind wir? Was suchen wir hier? Und wer sind all die anderen? Stimmen vor dem Leo, unserem MAN LKW, der umgebaut jetzt unser Jahresdomizil sein soll. Kinderstimmen, Frauenrufe, Männerbrummen. Alles durcheinander, aufgeregt. Es scheint um Wichtiges zu gehen. Meine schlafwarme Hand reibt ein Guckloch in die Scheibe. Was ich sehe, sind funkelnde Kinderstiefel mit weißen Strumpfhosenbeinen darin. Oben geht es weiter mit einem pinkfarbenen Spitzenrock und der Blusterjacke, abgesteppt und mit Fellbesatz. So chic die Mädchen, nicht weniger aufreizend die Frauen. Trotz klirrender Kälte wird Dekolleté gezeigt. Stöckelabsätze werden gekonnt im Schneematsch platziert. Ob die das so wollten, als sie stolz im Schaufenster des Schuhladens posierten? Wer weiß schon, wer was wann will und denkt und hofft? Selbst als Schuh. Die Männer eher schlicht. Dunkle, gut geschnittene Jacke zu sorgsam gebügelter Hose. Doch die Haare. Die Haare, die liegen 1A. Da hat der Friseur aber wieder mal richtig gezaubert. Das kann ich sehen und das lässt sich sehen. Und wir? Liegen verknautscht im Bett und sind damit beschäftigt, uns zu wundern. Wollen die tatsächlich alle am frühen Morgen schon zum Weihnachtsfest mit der italienischen Großfamilie aufbrechen? Ganz offensichtlich. Sie wollen. Wir beide brauchen nicht lang, um die Kleiderfolge des Tages abzustimmen. Das anziehen, was ich gestern Abend ausgezogen habe, ist die simple Anweisung meines müden Hirns. Zerknittert und gefaltet steigen wir aus dem Leo. Nichts mit Glitzer und Stöckel und gegelter Frisur. Wir riechen, was unser Begehren weckt: frisch gebrühten Espresso. Eine simple Raststätte irgendwo hinter dem Brenner auf der italienischen Seite. Der graue Schneematsch macht aus frisch schmuddelig und der verhangene Himmel aus Euphorie verhaltene Stille.

Doch der Duft fegt augenblicklich alle Zweifel dahin. Nie und niemals habe ich mich so gefreut, eine Tasse italienischen Espresso vor mir stehen zu haben. Der Geruch lässt mich lachen und zieht neuartige Falten in mein geschwollenes Gesicht. Soll er ruhig.


Mann und Frau und Reisehunger

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