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TÜRKEI


Premierenfeier. Prost Ouzo.

Istanbul im Januar. Regen am Montag, Dienstag, Mittwoch und immer so fort. Abwechslung schafft der Schnee am Freitag. Wir ziehen durch Gassen vollgestopft mit Marktständen. Beleuchtung schafft eine Glühlampe in rostiger Fassung. Gehalten einzig von einem dünnen Draht an einem Stock. Es tropft von der Lampe, es tropft von den provisorisch angebrachten Planen, denen sicher nicht bewusst ist, dass sie ein Provisorium sind. Tag um Tag wackeln sie so vor sich hin. Mal vor Sonne schützend, mal vor Regen. Es ist kalt in Istanbul und trotzdem tauen wir auf. Wir sind es also, die das ganze Wasser hier verursachen. Zumindest tragen wir eine gehörige Schippe voll dazu bei. Alles ganz egal. Wir fühlen uns pudelwohl in der Obhut von Özlem und Veli. Wie haben wir uns danach gesehnt, nun erst einmal eine Verschnaufpause einzulegen. Den Nebel Venedigs ließen wir hinter uns. Den Sturm des Mittelmeers auch. In Griechenland haben wir unser Bestes gegeben. Doch mit Weltoffenheit und Kommunikationsfreudigkeit, da war es einfach nicht so weit her bei uns. Klar, es ist Januar. Die Zeit des Rückzugs und der Besinnung. Nicht die volle Blüte und Üppigkeit. Fragt mal einen Igel. Der wird es ganz genau so sehen. Doch wir haben unser Stachelgewand abgelegt und uns stattdessen eingekuschelt in die friedliche Welt bei unseren Freunden.

Veli kennen wir aus Deutschland. Vor Jahren arbeitete er ein halbes Jahr lang in unserer Firma als Designer. Lange nach Hause zurück gekehrt ist er es nun, der uns willkommen heißt. Eine Art Schnitzeljagd haben wir miteinander betrieben. Wir, in unserem Elf-Tonnen-LKW, standen irgendwo in der knapp fünfzehn Millionen Einwohner zählenden Stadt. Fahrzeuge unserer Größe dürfen eigentlich nicht so weit rein, ins Zentrum des Molochs. Doch was bitte blieb uns übrig, als weiterzufahren trotz der Schilder, auf denen “Für LKW verboten“ stand? Meinen Blick hielt ich starr nach oben gerichtet, immer gewahr “Stopp“ zu schreien, falls sich Schildermaler und Tunnelhöhe mal nicht einig sein sollten. 3,73 Meter Höhe.

Das gibt richtig Späne, wenn es klemmt. Einen Straßennamen fest vor Augen, halten wir darauf zu, wovon das Navi meint, es sei richtig. Um dann mit einem Mal am Ziel zu sein. Ach nee, dass ich nicht lache, am Ziel in Istanbul… Wie eine Wohngegend sieht es hier nicht aus und Gebäude, die uns Veli am anderen Ende der Verbindung durchs Telefon ruft, können wir auch nicht sehen. Wir haben keine Ahnung, wo wir sind. Dumm nur, Veli geht es ganz ähnlich.

Später sind wir in solchen Situationen geschickter. Wir geben Einheimischen an diesen Orten unser Telefon in die Hand. Die können dann jeweils erklären, wo wir gerade sind. Doch soweit waren wir in dem Moment noch nicht. Und trotzdem geschah das Wunder und Veli stand irgendwann vor uns. Einer der seltsamen Augenblicke, die einem bewusst nur auf Reisen zu begegnen scheinen. Die Fügungen, die den wundersamen Reiz dessen ausmachen, dass es immer weitergeht.

Jahrelang nicht gesehen und doch gleich in die Arme geschlossen finden wir uns später in der Wohnung von Özlem und Veli wieder. Unseren Leo im bewachten Gelände des Hauses zu parken, ist uns tatsächlich gelungen. Obwohl so manche Ecke des Gebäudes zu weit vorstand und einige Balkone gefährlich nah an Leos Haut zu schrammen drohten. Millimeterarbeit mit Schrecksekunden, in denen wir uns anschickten, unseren elefantengleichen Leo durch einen Edelporzellanladen zu rangieren. Doch irgendwann war es gut.

Schließlich stand das Essen auf dem Tisch und wir hatten zu kommen. Ehrlich, ich fühlte mich wie im Paradies. Warme Wohnung, schön gedeckter Tisch, wohlige Atmosphäre, weiches Bett. Keine klammen Klamotten, feuchtkalten Betten und eiskalten Füße, die sich nach Wärme sehnen. Alles da, alles gut. Ich bin selig und augenblicklich hundemüde. Trotzdem retten wir mit unseren Gesprächen in dieser Nacht noch schnell mal die Welt, leeren die eine oder andere Weinflasche und fallen ins Bett, nicht ohne uns zu schwören, dass morgen unser Kochprojekt steigt. Noch im Bett reden wir darüber, dass es eben für alles den passenden Moment geben müsse und der nun hier gekommen sei. Silk Route Cooking startet in Istanbul, gemeinsam mit Veli und Özlem. Zwei Industriedesigner für Waschmaschinen, Radios, Toaster und Co. Sowie engagiert im Betreuen von Großprojekten, wie dem Bau eines kompletten Hotels mit allem Pi, Pa, Po. Nicht schlecht Herr Specht. Obwohl bei beiden der Samstag ein selbstverständlicher Arbeitstag ist, nehmen sie Urlaub, denn es wird gekocht.


Los geht es mit dem Erklären. Was wir so vorhaben und warum das ganze Projekt. Die beiden hören aufmerksam zu, lieben unsere Idee und viel mehr noch, dass sie die ersten sind, mit denen wir kochen. Die Messlatte legen sie selbst dahin, wo sie mögen. Alles auf Anfang und alles auf Start: Lieblingsrezepte aus dem Hirn kramen, Einkaufsliste schreiben, Autoscheibe frei kratzen, Motor starten und ab durchs Winter-Nachmittags-Lichtermeer Istanbuls. Gemüse kaufen, vom ganz frischen, Fleisch dazu, getrocknete Kräuter, Reis, Zucker und vieles mehr. Die offenen Besorgungen auf unserem Zettel werden weniger, der Platz im Kofferraum auch. Es scheint, als wollten wir halb Istanbul verköstigen. Also doch gleich mal ganz nach oben gelegt, die Latte der Kochkunst. Zurückgekehrt erst mal einen Ouzo als Startschuss, während Özlem konzentriert mit ihrer Mutter telefoniert. Wie genau mache ich die Grundsubstanz hier? Und wie ist die Abfolge der Schritte da? Gekocht die halbe Nacht, gegessen in der zweiten Hälfte, fallen wir überglücklich satt am frühen Morgen in die Federn. Unsere Arbeit ist getan, die unserer Mägen noch lange nicht. Die Premiere ist gelungen. Der Anfang ist gemacht. Unser Kochprojekt beginnt zu leben. An einem Winternachmittag kühn zu Hause erdacht, wird es nun langsam real. Wenn wir beginnen, an uns und unser Projekt zu glauben, tun es die anderen garantiert auch. Es ist wie im richtigen Leben.

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Mann und Frau und Reisehunger

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