Читать книгу Mann und Frau und Reisehunger - Elke Klinger, Karsten Meyer - Страница 18
ОглавлениеIRAN
Ramins Schutzwall der Bücher.
Teheran, ich machte mir keinen Begriff von dir. Schon Istanbul ist in meinen Augen eine Mega-City, die nicht zu überbieten war. Und doch erlebe ich in dir, wie du auf alles noch mal eine Kelle obendrauf legen kannst. Autoverkehr, wie ich nicht glaubte, dass es ihn gibt. Von Verkehr, wie ich ihn bisher verstand, keine Spur. Wenn ich damit ein wie auch immer geartetes, geordnetes Vorankommen verbinde. Das einsilbige Wort Stau trifft einfach nicht, was in Teherans Straßen Tag für Tag abgeht.
Stell dir beim Lesen eine Strecke von einhundert Kilometer Länge vor. Denke dann weiter, dass es auf dieser Distanz eine Straße gäbe, die acht Spuren breit in beide Richtungen verläuft, nur keine Spur von einer Spur. Also, komplett ohne jede Linie, die im leisesten anzeigen könnte, wo es langgeht und wo auch nicht. Schnapp dir nun einen Sack voller Autos und kippe sie allesamt auf dieses breite Bitumenband. Stelle sie eng an eng. Doch nicht, als würden sie mit ihrem Jutebeutel geduldig nach Sonntagsbrötchen anstehen. Nein, vollkommen ineinander verschachtelt baust du sie auf. Ein rechter hinterer Kotflügel streichelt den linken vorderen eines anderen Gefährts. Kofferklappen küssen Frontschürzen. Seitenspiegel lieben eher die harten Liebkosungen. Straßenverkehr im wörtlichsten aller Sinne. Es geht nicht um Schnelligkeit und Ankommen. Wohl mehr ums Mitmischen und Dabeisein. Als zöge das Heer von Dschingis Khan durch die Lande. Minimale Lücken, die zufällig doch noch entstehen, füllst du mit massenhaft Mofas, also den leichtberittenen Recken, aus. Betreibe das so lange, bis wirklich, aber auch wirklich kein einziger Zentimeter mehr vom Schwarz des Asphalts zu sehen ist. Nun bewege dieses Knäuel irgendwie vorwärts. Doch bitte nicht im Ganzen, sondern so, dass sich in den nicht vorhandenen Zwischenräumen Mofas und Autos versuchen, aneinander vorbei zu quetschen. Wahrscheinlich reichen deine zwei Hände allein nicht aus. Du wirst Helfer brauchen, die mit schieben, drängeln, versuchen, sich mit ihren Mobilen an anderen vorbeizuzwängen. Bei all dem Spaß wird es langsam dunkel und alle schalten ihre Scheinwerfer ein. Zum Höhepunkt deines Straßenevents fängt es nun auch noch an zu regnen. So stark, dass durch die verschmierten Frontscheiben nur noch ein verschleiertes Meer an rot leuchtenden Rück- und Bremslichtern wahrzunehmen ist. In diesem Gewimmel, stell dir nun unseren Elf-Tonner-Leo vor. Nicht wendig und flexibel, schon gar nicht spritzig und spontan. Für Leo ist es das Beste, wenn er viel Platz um sich hat, er sein Tempo fahren kann und abruptes Bremsen ausbleibt. Genau das gibt es hier nicht. Millimeterweise kämpfen wir uns voran, wohin auch immer der Weg hier führt. Im Schneckentempo vorbei an den rasenden Polizisten, die uns mehr als wütend deutlich machen, dass es mit einem LKW verboten ist, in die Stadt zu fahren. Doch wir verstehen einfach nicht. In Ermangelung von tatsächlichen Alternativen.
Wir sind verabredet. An irgendeinem Platz, ganz im Zentrum Teherans, mit Ramin, dem Schriftsteller und Journalisten. Und Leo ist außerdem kein Lastkraftwagen. Leo ist unsere mobile Hütte. Und die tragen wir wie ein Schneckenhaus auf unser beider Rücken. Das Band der Seidenstraße führt uns nun also zu Ramin. Auch er ein Freund Atils aus Kappadokien. Als würden wir behutsam von Hand zu Hand gereicht. Auserkoren, Menschen zu treffen, die uns ihre Stadt, ihre Kultur, ihre Art zu denken, zu sein und damit ihr Leben nahebringen. Was für eine Gabe. Mit stummen Mündern, gespitzten Ohren, geweiteten Augen und offenen Händen empfangen wir. Nun also Ramin. Doch wo bitte ist Ramin? Vielmehr, wo ist der Platz, auf dem er sich in der Dunkelheit mit uns treffen möchte? Und wie erkennen wir ihn, falls wir ihm tatsächlich begegnen? Zu seinem Telefon baut sich keine Verbindung auf. Also bleibt uns nur, im Moloch der Tausenden mitzuschwimmen und darauf zu hoffen, dass wenigstens unser Navi den Schimmer einer Ahnung hat, was es hier gerade tut. Hochgradig angespannt versuche ich ein ums andere Mal, verbal eine Pufferzone zwischen Leo und die anderen Fahrzeuge zu stopfen. Doch Leo liebt Körperkontakt und rammt ein kleines weißes Auto.
Eine schwarz umhüllte Frau springt aufgeregt heraus. Oh nein, nicht noch so was, stöhnt es durch mein Hirn. Ob das physikalische Gesetz, dass da, wo ein Körper ist, kein anderer sein kann, in Teheran seine Gültigkeit verloren hat? Was heißt, wenn Leo an einer Kreuzung steht, kein weißer Flitzer vorbei flutschen kann, als sei er aus Luft oder Schaumstoff. Mit dem Gedanken des griechischen Philosophen Heraklit „Alles fließt“ könnte ich ja mitgehen. Doch auch dieser Satz wird augenscheinlich seiner sichtbaren Wirkung enthoben. Hier fließt es nicht, hier stockt es und das nun schon seit Stunden. Auf eine Diskussion voller Sprachbarrieren mit der Polizei und der aufgebrachten Fahrerin haben wir momentan so gar keine Lust. Doch erspart bleibt sie uns deshalb nicht. Ob Ramin noch auf uns wartet oder längst das Weite gesucht hat? Vor zwei Stunden schon war die vereinbarte Zeit verstrichen. Er ist unsere einzige Verbindung in der Stadt, in der es für uns mit Leo keinen Platz zu geben scheint.
Doch wie hat es unser Schicksal auch heute mit uns gemeint? Gut! Aus dem Lautsprecher des Navis vernehmen wir fassungslos die Worte: Sie haben ihr Ziel erreicht. Und tatsächlich, steht da ein Mann, in unsere Richtung winkend, mitten im Kreisverkehr. Ramin. Er ist tatsächlich da. Seine fröhlichen Augen und die wehenden grauen langen Locken zeugen schon jetzt von einem Humor, den ich wenig später lieben werde. Ramin ist Optimist, Weltverbesserer und ein herzensguter Mensch. Interessiert scheint er an allem und jedem. Wie es für ihn funktioniert, als Journalist frei zu denken und vor allem sein Gedachtes auch veröffentlicht zu bekommen, das weiß ich nicht. Doch eines kann ich sehen. Bei allem, was schwer ist an seinem Leben. Mut, Neugier und einen ganzen Sack voller Lebendigkeit, die wippen locker auf Ramins Locken herum. Koste es, was es wolle.
Wir bei Ramin und seiner Frau Zohreh zum Kochen geladen. Das Haus, weiß, kubisch, voller Selbstvertrauen in seinem ganz eigenen offenen Stil, inmitten von schnörkeligen Fassaden und hohen Metallumzäunungen.
Ramins Haus zeigt, was es hat. Es will nichts verbergen und mag sich selbst noch viel weniger verstecken. Tuch auf dem Kopf? In diesem Haus sofort hinter der Eingangstür Fehlanzeige. Das Wohnzimmer ist Arbeitszimmer, ist Lebensraum. Ramin und Zohreh leben mit ihren Büchern, umgeben von Büchern. Die Einrichtung klassisch. Der Bauhausstil atmet aus jeder Kante der Stuhlbeine heraus. Schon wochenweit von zu Hause entfernt, flüstern meine Füße davon, hier heimischen Boden zu betreten. Es stellt sich keine Frage nach dem passenden Benehmen, den einzuhaltenden Regeln, der Reihenfolge meines Tuns. Hier spüre ich, die Abläufe zu kennen. Wie ein Kurzurlaub vom Reisen fühlt sich der Abend an. Das Kochen, eine andere Nummer. Voll persisch, mit allem, was die bunteste aller Küchen zu bieten hat. Was das Schönste für mich ist an diesem Abend? Es ist die Ausgelassenheit, mit der wir gemeinsam von einem Witz zum nächsten lachen, von einer Anekdote aus Persien leichtfüßig zur nächsten aus Mitteleuropa hüpfen. Gleicher Humor hat etwas so unfassbar Vereinendes. Niemals zuvor habe ich erfahren, dass Humor, erwachsen in räumlich so entfernt liegenden Kulturen, einander so nah sein kann.
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