Читать книгу Mann und Frau und Reisehunger - Elke Klinger, Karsten Meyer - Страница 21

Kölner Wind in Isfahan.

Оглавление

Der Medicus, Titel eines Buches, dessen opulente Geschichten mir seit Jahren Bilder in den Kopf gebrannt haben. Nun gibt es den Film dazu. Nicht meine Bilder, sondern die eines deutschen Regisseurs. Ich sitze Wochen vor Antritt unserer geplanten großen Jahresreise im Kino und koste seit Langem wieder einmal aus dem Trog der Vorfreude und des Gefühls, nicht abwarten zu können. Von Sandstürmen gepeinigt zieht die Karawane im Film über Jahre dahin. Das England der frühen Tage mit seinen mitunter steifen Ideen hinter sich lassend, macht sich der junge Bader auf, um in Isfahan in Persien zum Medicus ausgebildet zu werden. Die Stadt – ein einziges Geflecht aus Torbögen und Hallen und Nischen und Gemächern. Der Schweiß der Tage scheint der Kitt der Lehmziegel zu sein. Die Gesichter, stets glänzend von den Perlen des eigenen Körpersafts, sind wach und offen, die Blicke neugierig und mutig. Eine Atmosphäre des Miteinander-Denkens, des Lehrens und Lernens, des Hinschauens, wohin zuvor noch niemand gesehen hat. Dieses zeitlose Sehnen nach Erkennen und Erfahren hat die Menschen in den Zeiten des Medicus getrieben und treibt auch mich immer wieder an. Auch wenn meine Erkenntnis die des Nicht-Wissens in immer tieferen Sphären ist. An diesem Abend im Kino weiß ich eins: Da will ich hin! In den Iran nach Isfahan! Wohl wissend, dass das Kino mir ganz andere Orte und Kulissen als das Stadtbild Isfahans verkauft. In diesem Augenblick bin ich käuflich und überlasse mich dem Reich meiner eigenen Phantasie: Ich sehe mich selbst in Tücher gehüllt, damit niemand einen Blick auf meine blonden Haare würfe. Ganz so, wie einst der Medicus sein fremdländisches Gesicht verbarg, um in der Stadt kein Aufsehen zu erregen. Wie meine Haut den goldgelben Ton der Lehmziegel reflektiert und selbst im Winter die vorherrschenden Farbtöne die warmen sind. Kein Einheitsgrau unserer mitteleuropäischen Wintertage.

Und nun, Monate später? So viel Blau der Moscheen, soviel Weiß der Mosaike und ja, auch die warmen Lehmziegeltöne der Brücken haben ihren großflächigen Anteil, als ich in den Straßen von Isfahan stehe. Ich bin wahrhaftig hier. Habe es geschafft, innerhalb von drei Monaten, nicht Jahren, hierher zu gelangen. Mein Traum ist wahr geworden. Auch wenn keine beschauliche Karawanenstätte das erste ist, woran sich mein Blick heftet. Sondern das Vielstraßengeflecht einer lauten, schnellen, pulsierenden, 1,8 Millionen Einwohner zählenden Großstadt. Isfahan Ost und Nord und Süd und West. Isfahan Südost, Nordwest und so weiter sind jeweils nur Teile der Stadt. In ihrer Ausdehnung fast wie eigene Städte wirkend. Wieder einmal sind wir verabredet und wieder einmal wissen wir nicht, wo und mit wem. Die Wegbeschreibung klang am Telefon einfach. Doch das Suchen und Nichtfinden mit unserem Leo gleicht der Fahrt auf einer Achterbahn. Überall blinkt und leuchtet es, überall sind Entscheidungen zum Abbiegen oder lieber doch nicht, in Millisekunden zu fällen, werden Richtungen nur in Farsi geschrieben – und am Ende haben wir so wieder einmal keine Chance. Die rasenden Perser machen uns mit ihrer sprunghaften Fahrweise halb verrückt. Von einem Schreckmoment fallen wir in die nächste Beinah-Ohnmacht. Uns bleibt nur eins, so meinen wir, und entschließen uns zur Opossum-Taktik. Einfach nicht mehr bewegen und abwarten, was passiert. Außer dem Klicken der Warnblinkanlage im Rhythmus unserer gestressten Herzen geschieht nach unserem Stopp am Straßenrand erst mal nichts. Also, in den nächsten Laden gehen, einem Mann darin wortlos, da sprachlos, das Telefon ans Ohr drücken und darauf hoffen, dass die Stimme am anderen Ende danach fragt, wo genau sich der Ort befindet, an welchem jenem Mann das Telefon ans Ohr gepresst wird. Weiter darauf zu vertrauen, dass irgendwann irgendwer diesen Wegweisungen und Ortsbestimmungen einen Punkt zuordnen kann und man uns dort findet. Der eine Teil in uns besteht aus Hoffnung, der andere aus Vertrauen. Und Geduld. Die sitzt vorn im Fahrerhaus und hält ihre beiden Kumpane bei Laune. So routiniert macht sie das inzwischen. Wir merken kaum etwas davon und harren einfach der Personen, die da vielleicht irgendwann kommen. Kein Aktionismus treibt uns mehr, eine sinnfreie Handlung zu vollführen, weil man ja was tun müsse. Kein „Wie lange dauert das denn?“ zischt durch unsere Leo-Kabine. Spaß haben wir am Beobachten der nächtlichen Straßenszenen. Ein Arzt scheint seinen Job in einem der nahen Häuser zu verrichten. Wahrscheinlich ist die Nachtpraxis sein Tagesgeschäft. Und so halten in verlässlichem Rhythmus und Abstand Autos vor ebendiesem Haus. Besorgte Mütter steigen aus. Männer, das kranke Kind auf dem Arm tragend. Die Sorge ist selbst unter dem schwarzen Tschador zu sehen, so sehr überträgt sie sich auf Haltung und Gang der Mütter. Zurück kommen sie eiligen Schritts, in einer anderen Tür verschwindend, wahrscheinlich der Apotheke. Hell erleuchtet ist das hier alles nicht gerade. Alle sind es gewöhnt. So fahren manche Autos gleich ganz ohne Licht vor. Männer springen nur kurz aus dem Wagen, um mit der Medizin im Beutelchen sogleich zu verschwinden. Wie vertraut einem ein Ort wird, wenn man mal mehr als eine Eiskugellänge an ihm verweilt. Den Polizisten der Straße kennen wir nun schon. Der versucht, das absolute Halteverbot durchzusetzen. Nur leider hat er mit uns einen so gewaltig Verstoßenden, dass ihm bei all den Kleinwagen die Argumente ausgehen. Wohin er uns schicken soll, weiß er auch nicht. Also gibt er nicht auf, aber nach. Busse unternehmen den Versuch, vor Leo in eine Haltestelle einzubiegen. Ein vergebliches Unterfangen. Leo ist zu groß und die Busse zu ungelenk. Da bleibt den Leuten nichts übrig, als im rasenden Verkehr das Weite zu suchen. Das alles in der Nacht und das alles im gleichförmigen Klick-Takt der Warnblinkanlage. Alles und alle scheinen der unausgesprochenen Anweisung zu folgen: Nach jedem Klicken der Warnblinkanlage bitte eine Bewegung vollführen.

So auch Mostafa, der wie vom Himmel gefallen mit einem Mal vor uns landet. Wir kennen einander nicht. Doch unser Leo, der ist Indiz genug, dass wir diejenigen sind, nach denen er sucht. Mostafa spricht deutsch und ist selbst gerade zu Besuch in der Heimat seiner Kindheit, Jugend und seines Lebens als junger Mann.

Mostafa lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, hat das Alter der Rentenbezüge erreicht und liebt wenige Dinge mehr als seinen kleinen Garten in Köln. Bis nach Isfahan mussten wir fahren, um Mostafa aus Köln zu treffen. Das Leben hat schon einen eigenwilligen Sinn für Humor. Und wer ist nun wieder Mostafa? Der Vater von Erfane. Sie ist Ärztin in Jena und eine Freundin von Haleh und Hassan, dem Anästhesisten. Über die beiden kamen wir zu Ali Reza und später zu Dr. Ali, dem Vater Hassans. Ich werde des Knüpfens und Endfitzens des engmaschigen Netzes nicht müde, dessen Knotenpunkte der Zufall und dessen Verbindungslinien die Offenheit dem Unerwarteten gegenüber sind. In Isfahan steht eine Hochzeit auf dem Plan. Zu diesem Anlass ist Onkel Mostafa aus Deutschland angereist und auch wir sollen kommen. Einfach so. Ohne, dass uns hier auch nur irgendjemand kennen würde. Doch Gäste von weit her sind in jedem Fall ein gutes Omen und damit willkommen. So ist das hier im Iran. Da denkt keiner: Oh, noch zwei Esser mehr. Und hoffentlich bleiben die nicht so lange. Und überhaupt, wir kennen die ja gar nicht. Im Iran ist das anders. Egal wohin wir kommen, umfängt uns das Gefühl, gewollt und geladen zu sein. Die Menschen freuen sich, dass Fremde ihr Land bereisen. Und bitte, bitte erzählt draußen in der Welt, dass wir gute Menschen sind, ist ihr so oft wiederholter Wunsch an uns. Erfane in Deutschland begleitet uns in diesen Tag in Gedanken auf Schritt und Tritt. Jede Nachricht aus ihrer Heimat saugt sie auf und lässt die Sehnsucht und das Heimweh in ihr erblühen. Dreizehn Jahre war sie alt, als es in ihrer Familie hieß, wir machen Urlaub in Deutschland. Also gut, Urlaub in Deutschland. Tschüss Iran, bis in drei Wochen dann, dachte sich das junge Mädchen. Doch nach einundzwanzig Tagen machten die Eltern keine Anstalten, die Koffer für den Rückflug zu packen. Nein, ganz im Gegenteil. Pack deinen Koffer aus, war der Satz, welcher Erfane ins Grübeln brachte. Und mehr noch der nächste: Ab Montag gehst du hier in die Schule. Sie verstand ihre Eltern nicht mehr und die ganze Welt gleich gar nicht. Weil die längst für Erfane zusammengebrochen war. Kein Abschied von den besten Freunden, der Familie, den nahen Verwandten. Die liebsten Kuscheltiere, alle zu Hause in Isfahan. Nur sie war hier. Gefühlt unendlich allein und einsam. Mit einem Mal und Paukenschlag. „Du gehst hier in die Schule“ sagt erst einmal nichts darüber aus, wie es funktionieren soll, sich so ganz ohne Worte zu verständigen. Und überhaupt alles, alles, alles war fremd, anders, unverständlich. Das Leben in Deutschland schmeckte anders, roch anders, klang anders, war anders. Heute weiß Erfane, dass es keinen anderen Weg für ihre Eltern gegeben hatte, als den der geschaffenen Tatsachen. Jede Mitwisserschaft um das Vorhaben hätte alles gefährdet. Erfane, und sicher auch ihren Eltern, blieb einzig der Schmerz der Endgültigkeit. Erfane sah ihre Heimat erst knapp zwanzig Jahre später wieder. Und so ist auch für Mostafa, den Vater, der Besuch in Isfahan hoch emotional. Geschichten, zu Hause in Köln gut verdrängt und weggepackt, dringen hier in Isfahan mit all ihrer Wucht, Intensität, mit ihrer Traurigkeit und dem Bedauern an das Licht des blauen Winterhimmels.

Einer der ehemaligen Weggefährten Mostafas ist der Mundharmonikaspieler. Der Mann mit den dunklen Knopfaugen und einem Hut auf dem Kopf, wie ihn Komödianten tragen. Und tatsächlich. Er führt ein Restaurant, doch sein Herz schlägt für das Varieté. Seine Gäste mit einem Tanz zu beglücken, das Essen heranschweben zu lassen, als jongliere er mit zwanzig Schüsseln und Tellern gleichzeitig, über die Lautsprecheranlage des Restaurants Mundharmonikaklänge in das Kichererbsen-Mus seiner Gäste blasend – das genau ist seine Welt. Mir lässt es den Mund offenstehen. Erstarrt von der Erkenntnis, dass es hier alles gibt. Alles an Charakteren, Wesenszügen, Träumen – wie überall auf der Welt. Irgendwie sind wir alle anders und dann eben auch wieder gleich. Mit Mostafa vollführt der Knopfaugenträger ein Tänzchen zur Musik, welches den beiden gestandenen Männern die Tränen in die Augen treibt. Ich heule beinahe mit, aus Ergriffenheit, dem Leben gegenüber.

Kulissenwechsel. Wir mit Mostafa im Wohnzimmer seines Schwagers. Die Szene: Ein großer saalähnlicher Raum. Der Boden, ein einziges Meer weichen Teppichs. Unterbrochen nur von kleinen goldglänzenden Tischchen am Rand. Darauf das Obst, viel Obst.

Jedem sein eigenes Tellerchen und Schneidbesteck. Ein opulenter Sessel bildet jeweils ein Paar mit einem der funkelnden grazilen Obsttische. Der Rest ist Raum. Raum, sich zu begegnen und sich aus dem Weg zu gehen. Wie Ali, dem Sohn des Hauses, mit seiner Mutter. Er habe Flausen im Kopf, sagt sie. Sie verstehe die Jugend nicht, sagt er. Irgendwie beruhigend, es ist auch hier wie überall. Ali ist Computerspezialist. Er verhilft uns zu minimalem Internet. Eine Unglaublichkeit im Iran. Flüssiges Internet nennt man hier den Vorgang, wenn man einzelne Kilobits von einem Rechner zum nächsten trägt. Schnelligkeit wird überbewertet und Volumen erst recht.

Und dann ist ja auch noch Hochzeit. Afrouz, Alis Schwester, ist aus dem Süden angereist. Englischlehrerin ist sie von Beruf. Nur unterrichten kann sie nicht. Verheiratet zu sein bedeutet oft, seinen Job an den Nagel zu hängen. Afrouz leidet darunter, dass zur Ehre ihres Mannes zählt, für seine Frau zu sorgen. Ginge sie arbeiten, hieße das, er schafft nicht genügend Geld heran. Was einer Schmach für die männliche Familienehre gleiche, sagt sie. Vielleicht höhlt ja aber doch der stete Tropfen den Stein? All die jungen Frauen, denen ich begegne und die sich das Gleiche wünschen. Ein Leben für die Familie. Was jedoch nicht heißen kann, sich selbst in seinem eigenen Bedürfnis nach Entfaltung mit dem Tag der Hochzeit an der Wohnungstür abzugeben. Ausgebildet sind diese Frauen mit Hochschulstudien in exzellenter Güte. Und dann?

Fragen für heute beiseite! Denn jetzt ist Hochzeit in Isfahan! Heiraten im Iran geht so: Gestartet wird mit dem Abend der Frauen. Ganz ohne Männer trifft sich der engste Kreis der Familie, beschenkt die Braut, isst Gebackenes und Süßes, trinkt reichlich Tee, schwatzt, lacht und vergnügt sich am Gefühl der Vorfreude. Hochzeit ist am nächsten Tag. Unsere Nacht wird genutzt, um mein Gesicht in ein Schminkgemälde zu verwandeln. Für persische Verhältnisse reicht es einfach mal nicht aus, ein wenig Kajalstiftblau in die Nähe der Augen zu bringen. Afrouz zaubert, so dass ich mich am Ende der Nacht tatsächlich nicht mehr wiedererkenne.

Ein fremdes Gesicht steht mir am Spiegel gegenüber. Und in einem Reiseoutdoorlook zu einer persischen Hochzeit? Undenkbar. Im geliehenen Glitzeranzug steht Sten neben der Person, die ich einmal war, nur jetzt gerade nicht wiedererkenne. Und weiter mit der Tradition. Hochzeit heißt, stundenlang auf die Abfahrt zu warten. Sollte es nicht 17 Uhr losgehen? Und warum sitzen wir jetzt, um 20 Uhr noch immer beim Tee in der Wohnung? Afruz und ihre Mutter sind noch lange nicht fertig. Mein Kleid hingegen hat bereits eine Menge frischer Falten angesetzt. Irgendwann geht es los. Was bedeutet, dass wir mit ungefähr dreihundert anderen Gästen gemeinsam ein Hotel betreten. Links die Frauen. Rechts die Männer. Dabei meine ich nicht das Laufen am Eingang, sondern die Säle. Das offizielle Feiern findet getrennt voneinander statt. Männer in dem einen Raum und Frauen in einem anderen. Selbst für Braut und Bräutigam gilt die Regel. Nun also ich inmitten von ausgelassenen, herzlichen Frauen, die ich nicht verstehe. Macht aber irgendwie nichts. Wir tanzen einfach miteinander, machen hunderte von Jeder-Mit-Jedem-Fotos, setzen uns zum Essen und springen augenblicklich wieder auf, um eine Polonaise in Bewegung zu bringen. Wir haben Spaß, die Zeit verfliegt und die Männer scheinen vergessen zu sein. Sten geht es nicht ganz so wie mir. Auch er ist umringt von Männern, die er nicht versteht. Doch getanzt und gelacht wird bei ihnen nicht. Am Tisch sitzen und Tee trinken ist an der gesitteten Männerfront das Motto des Abends. Bis es Sten reicht und er auf alle Vorschriften pfeift. Mit neiderfülltem Blick steht er plötzlich vor mir. Hui, ein Mann im Frauensaal. Hier sei es so lustig und ausgelassen. Das ganze Gegenteil von der Männergesellschaft, beklagte er sich. Ich bleibe jetzt einfach hier, beschließt er kurz entschlossen. Den Männern ist es öffentlich nicht erlaubt, fremde Frauen, so fröhlich und teilweise ohne Kopfbedeckung zu sehen. Soweit also zum Grund, warum in verschiedenen Sälen gefeiert wird. Doch Sten ist wie der Korken in einer Sektflasche. Nach ihm schleicht sich Mostafa heran, der ebenso wenig Lust darauf hat, ausschließlich unter den Männern das Fest zu verbringen. Zwei Leute sind zwar noch kein Schwarm. Doch sie genügen, um mehr und mehr Männer zur bunten und lustigen Feier der Frauen herüber schwappen zu lassen. Im Griff hat die formale Ordnung niemand mehr. Und was die Hotelleitung zu all dem gemixten Spaß sagt, weiß ich nicht. Doch um Mitternacht ist einfach mal Schluss. Wie jetzt, denke ich. War es das jetzt? Von einundzwanzig bis vierundzwanzig Uhr? War das die ganze Hochzeit? Doch was sage ich. Nichts als der leise Beginn einer rauschenden Nacht war das Entry im Hotel.

Zu Hause, im neuen Reich des jungen Paars, steigt die eigentliche Party. Die Eltern des Bräutigams waren für den Kauf der Wohnung zuständig. Die Eltern der Braut für sämtliches Interieur. Vor weit geöffneten Schranktüren finden wir uns wieder. Ein Brauch zu zeigen, was Tassen und Töpfe zu bieten haben. Klappern gehört auch hier zum Geschäft. Traditionelle Familien bevorzugen es noch heute, den Partner für die Kinder in der eigenen Großfamilie zu finden. So bleiben Hab und Gut im eigenen Haus und man lässt sich nicht umständlich mit Fremden ein. Von super konservativ bis hypermodern, im Iran gibt es alles. Von der arrangierten Ehe bis zum Frei-Verlieben ist alles dabei. Ich stehe da, staunend und beobachtend, versuche zu ergründen, wie es den Menschen im Einzelnen geht. Unser Paar des Abends betritt nun also die eigene Wohnung. Von Weihrauchschwaden für das große Glück begleitet, ziehen sämtliche Gäste im großen Konvoi vorbei an den geöffneten Schränken. Selbst die Anzahl der Löffel wird von den älteren Damen erfasst. Und wie es im rosafarbenen Schlafgemach aussieht, weiß ich nun auch. Doch das, was mich fast umhaut, ist das riesenhaft große Wohnzimmer, einem Tanzsaal gleich. Wir kommen auf unsere Kosten, während der Saal den Härtetest mit einem “Nicht zu überbieten“ besteht. Privat ist privat. Und hier wird getanzt, dass es kracht, was in der Öffentlichkeit in keinem Fall möglich wäre.

Wieder eine Tradition, die mich staunen lässt. Die Gold- und Geld-Geschenke eines jeden werden vor allen geöffnet und kundgetan. Der Schenker kommt daraufhin nach vorn und wird von allen johlend umtanzt. Wie liebe ich es, einzutauchen in Bräuche und Sitten, den unsrigen so unähnlich und um so spannender, ihnen beizuwohnen. Ich schwebe, ich fliege, ich drehe mich in dieser Nacht. Vor Glück, auf der unglaublichsten Reise meines Lebens zu sein.

Mit dem Isfahan aus der Zeit des Medicus hat unser Erleben heute wohl nur noch wenig zu tun. Und doch schlägt das Herz der Jahrhunderte alten Traditionen an jeder Ecke der unglaublichen Stadt. Die Kupferschmiede, Goldhändler, singenden Männer an den Brückenpfeilern des Zayandeh Rud Flusses, sie alle verkörpern für mich die tief verwurzelte feingliedrige Kultur der Perser. Neugier, Entdeckergeist, Lebenswille, Zuversicht und das Streben nach dem eigenen Stück Freiheit schwingen durch die Luft. Und so gebe ich dem Medicus der alten und jungen Zeit meinen Medi-Kuss.

Film


Mann und Frau und Reisehunger

Подняться наверх