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Die Musik in diesem Laden gefiel ihm. Sie kam aus einer alten Juke-Box und es standen nur Titel zur Auswahl, die auch sein Vater gehört hätte. Hätte er ihn gekannt. Thin Lizzie, Alice Cooper, Tina Turner. Nicht dieses moderne Gestampfe und auch nicht das optimistische Gedudel der Radiosender, die von täglich wechselnden, blutjungen Moderatoren mit immer fröhlichen und nervtötenden Sprüchen sowie Werbejingles verseucht waren. Edward Wolfe kannte seinen Vater aber nicht. Seine Mutter hatte alle Fotos von ihm verbrannt, nachdem er sie vor vierzig Jahren verlassen hatte. Damals war Wolfe fünf Jahre alt gewesen und hatte heute so gut wie alles, was seinen Vater betraf, vergessen. Das Einzige, woran er sich erinnerte, war ein Moment, als ihm jemand (und er war sich sicher, dass es sein Vater gewesen sein musste) einen braunen Cowboyhut auf den Kopf setzte und einen Revolver in die Hand drückte.

„Ein richtiger Mann braucht einen Colt, Kleiner.“

Das Gesicht des Sprechers blieb ihm wegen der breiten Krempe des Hutes verborgen, aber sein Gefühl sagte ihm, dass dies sein Vater gewesen war. Das war am Weihnachtsabend, kurz bevor er sie verlassen hatte. Sylvester hatte der kleine Edward mit seinem neuen Revolver all seine Platzpatronen verschossen. Sein Vater hatte sich daraufhin nicht wieder blicken lassen, wie seine Mutter erklärte. Es klang immer ein wenig so, als habe er, der kleine Edward, Schuld daran gehabt. Sie hatte ihm keine neuen Patronen mehr gekauft, sodass er seinen Revolver nie wieder benutzen konnte. Und wenn er sie später nach seinem Vater fragte, hatte sie nichts weiter erzählt. In letzter Zeit sprach sie ohnehin so gut wie gar nicht mehr. Aber heute hatte sie eine Bemerkung gemacht, die etwas in ihm berührte. Und jetzt saß er über dem zweiten Bier und grübelte darüber nach, was er damit anfangen sollte.


„Hallo Mutter“, hatte er gesagt.

Er war schon lange nicht mehr bei ihr gewesen, denn er hasste diese langen Sonntage. Außerdem hatte er häufig Wochenenddienst. Natürlich war das nur eine Ausrede. Er bekam Beklemmungen dort. Heute war es wieder so gewesen. Kaum war er nachmittags durch die gläserne Schiebe-Tür getreten, wollte er schon wieder umkehren. Er war ein gestandener Mann, groß und schlank, breitschultrig, trug meist einen Dreitage-Bart. Manche Frau hatte ihn schon mal mit einem Trapper verglichen. Und doch wollte er sofort fliehen von dort, wo die größte Bedrohung von den ausgeklappten Fußstützen zahlreicher Rollstühle ausging, über die er stolpern könnte. Die bleichen Alten, die darinsaßen, würden sich nicht zu einer Armee knochiger Geister formieren und ihn mit klappernden Gebissen angreifen. Sie ignorierten ihn, verströmten jedoch ihren Alte-Leute-Geruch wie Giftgas. Wolfe konnte kaum atmen hier und spürte trotz der Indifferenz der Kaffeeklatsch-Teilnehmer eine ungewohnte Panik in sich aufsteigen. Er kämpfte das Gefühl mit Mühe nieder und war danach so erschöpft, dass er zwei Stücke Kuchen aß, wovon ihm obendrein auch noch schlecht wurde.

„Wer sind Sie?“, hatte sie geantwortet.

„Was wollen Sie von mir? Wollen wir spielen?“

Ihre Stimme klang kindlich und eifrig, als wolle sie unbedingt mitmachen bei einem Spiel, dessen Sinn sich ihr entzog. Doch Dabeisein war alles für sie. Den Sinn hatte sie ohnehin längst vergessen. Die Frage danach auch.

„Gerne“, sagte Wolfe, der jegliche Form von Gesellschaftsspielen hasste. Er verließ sich darauf, dass die hinterhältigen Plaques in ihrem Hirn sowieso verhindern würden, dass sie im nächsten Moment noch wusste, wovon sie eben gesprochen hatten. Die letzten drei Jahre hatte sie bereits in diesem Heim verbracht, nachdem sie in ihrer Wohnung gestrandet war, wie auf einer fremden Insel. Sie hatte vergessen, wo die Toilette war und dass man den Herd wieder ausschalten musste. Sie wurde mehrfach desorientiert aufgegriffen, nur zwei Querstraßen von ihrem Haus entfernt, jedoch unfähig, sich an Rückweg oder Adresse zu erinnern, mit kleinen Schritten sich vortastend, auf dem Gehsteig und in Gedanken. Sie kam nie wieder bei sich an.

Wolfe führte seine Mutter am Ellenbogen in eine stille Ecke des Aufenthaltsraumes, an dessen fröhlicher Pinnwand Ausflüge in den Zoo und gemeinsames Bingo angekündigt wurden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es dabei mehr als vier aktive Teilnehmer gab.


„Du siehst traurig aus, alter Mann“, sagte das Mädchen hinter dem Tresen mit einem leicht ostischen Akzent und stellte ihm ungefragt das dritte Pint hin.

Er fühlte sich wirklich alt und war ihr deshalb kein bisschen böse. Vielleicht nicht ganz so alt wie die Heimbewohner von heute Nachmittag, aber irgendwie doch zu alt, um ein verlorener Sohn zu sein. Er lächelte schief, woraufhin sie strahlte, als habe sie gerade das schönste Kompliment ihres Lebens erhalten. Sie sah aus, als könnte sie seine Tochter sein, höchstens achtzehn, wenn man ihn fragte.

„Nicht viel los heute, was?“, sagte er, um Konversation zu machen.

„Nein. Ich meine, ja.“

Sie wischte mit einem sauberen Lappen den Tresen trocken.

„Seit es das Jasmin gibt, trinken die Leute ihr Bier lieber dort. Ist zwar teurer, aber dafür können sie auch noch Mädchen sehen. Halb nackt oder nackt, wissen Sie“, fügte sie irgendwie verschwörerisch hinzu.

Wolfe nickte. Die „Leute“ waren Männer, immer nur Männer. Und Männer wollten Mädchen. Es war das alte Lied. Wahrscheinlich hatte auch sein Vater seine Mutter wegen einer jüngeren Frau verlassen. Seine Mutter war dreißig gewesen.

Eine Frau im besten Alter, dachte er. So war sie mit ihrem Sohn in der kleinen Wohnung zurückgeblieben, und auch nachdem Wolfe ausgezogen war, hatte sie die Räume nicht verlassen. Bis sie sich darin irgendwann nicht mehr zurechtfand. Wolfe hatte durchaus registriert, dass ihr Gedächtnis Lücken bekam, dunkle Löcher mit gezackten Rändern, Mottenfraß im Gehirn. Zuerst konnte sie einfach komplexere Sachverhalte nicht mehr behalten. Die Maschen ihrer Gedanken fielen wie von einer Stricknadel herab und ribbelten ganze Gedankengebäude auf, sodass sie ins Stottern geriet und wütend verstummte. Natürlich hatte er, wie immer, die Schuld daran. Wenn er sie korrigierte, wies sie ihn herrisch zurecht.

„Was weißt du denn davon? Du hast noch nie etwas Anständiges zu Wege gebracht.“

Sie hatte Recht. Er war ein enttäuschend schlechter Schüler gewesen. Hatte die Schule abgebrochen („Versager!“) und sich mit Gelegenheitsjobs im Fitnesscenter und bei einer Sicherheitsfirma über Wasser gehalten, bis ihn eines Tages der Ehrgeiz packte. Er hatte das Abitur an der Abendschule nachgeholt („Abendschule?“ hatte sie mit einem Ekel in der Stimme gesagt, als spreche sie über Aids oder Lepra oder eine andere ansteckende Krankheit) und sich anschließend bei der Metropolitan Police beworben.

„Du scheinst einsam zu sein.“

Das Mädchen stand wieder vor ihm und beugte sich über den Tresen. Wenigstens hatte sie nicht mehr „alter Mann“ zu ihm gesagt. Er lächelte, hob sein Pint auf ihr Wohl und starrte sie durch das gebogene Glas und den schlierigen Bierschaum darin an.

„Soll ich dir ein wenig Gesellschaft leisten?“

Wolfe stellte sein Glas abrupt wieder ab.

Sie war zu jung dafür. Viel zu jung, um solche Fragen zu stellen. War sie eine Professionelle? Verdiente sie sich ein Trinkgeld in dieser Bar und arbeitete nur unter dem Vorwand hier, um ihre Freier abzuschleppen?

„Nein“, nuschelte er, „Nein, besser nicht.“

„Komm, sei kein Frosch.“

(Welches junge Mädchen drückte sich heute noch so aus?)

„Laubfrosch oder Wetterfrosch?“

Sie lachte tatsächlich über seinen schwachen Witz und zog die flache Holzkiste eines Backgammon-Spiels unter dem Tresen hervor.

„Lass uns was spielen.“

Er grinste erleichtert darüber, dass ihr Angebot nicht zweideutig gemeint gewesen war. Wahrscheinlich war sie doch nur eine ausländische Studentin, die sich ihre Seminare in englischer Literatur und Kulturanthropologie durch nächtliche Arbeit verdienen musste. Aber warum, verdammt noch mal, wollten heute alle mit ihm spielen? Sie würde er nicht vertrösten können. Sie sah nicht so aus, als würde sie schnell vergessen. Sie hatte einen cleveren Zug im Gesicht.

„Dann brauche ich eindeutig noch was zu trinken“, sagte er und nickte zufrieden, als sie eine Flasche Scotch aus dem Regal zog und zusammen mit zwei Gläsern vor sich hinstellte. Das erste Glas kippte er in einem Zug hinunter. Vielleicht konnte er auf diese Weise den Nachmittag bei seiner Mutter vergessen, so wie sie sich ganz allmählich selbst vergessen hatte.

Ganze Episoden aus ihrem Leben waren ihr plötzlich fremd geworden, als hätten sie nichts mit ihr zu tun. Sie vermied es, mit alten Bekannten zusammenzutreffen, die sie gut genug kannten, um in alten Zeiten zu schwelgen, doch nicht gut genug, um ihre Vertrauten zu sein. Anvertraut hatte sie sich zunächst niemandem. Hatte versucht, ihre Lücken zu verbergen, darüber hinweg zu reden, abzuwinken. Direkte Fragen brachten sie in Verlegenheit. („Hör auf damit, wir sind hier doch nicht bei einem deiner peinlichen Verhöre!“) Das war die Zeit der Frustration. Und sie hatte die Wut immer an ihm ausgelassen.

Dann kam die Angst.

Die Pin-Nummer ihres Bankkontos konnte sie sich noch aufschreiben, seine Telefonnummer auch. Doch sie dachte, sie sei ausgeraubt worden, als sie ihren Schmuck nicht mehr fand. Und als sie mehrfach in eine unverschlossene Wohnung mit weit offener Wohnungstür zurückkam, meinte, sie, Opfer einer Verschwörung geworden zu sein. Ihre Anrufe bei ihm waren vorwurfsvoll wie immer („Unternimm etwas! Irgendetwas wirst du für deine Mutter doch tun können, oder nicht?“) Aber dass sie ihn überhaupt um Hilfe bat, ihn, den sie immer nur schlechtgemacht und der ihre Erwartungen nicht erfüllt hatte, genügte ihm als Hinweis auf ihre Angst. Er baute neue Schlösser an ihre Tür („Wie viele Kilo Metall kann ich deiner Meinung nach an einem Schlüsselring mit mir herumschleppen?“), installierte einen Panikknopf („Stehen dann etwa plötzlich wildfremde Männer in meinem Flur?“) und er schenkte ihr ein Handy mit Ortungssystem. Aber als sie ihn das erste Mal fragte: „Wer sind denn Sie?“, wusste er, dass er den Kampf verlieren würde. Es schwang eine neue Unsicherheit in ihrer Stimme mit, wie ein Alarm.

Er wollte ihr zu Hilfe eilen, indem er sagte, „Ich bin es. Edward, dein Sohn.“

Doch der verächtliche Blick, der ihn daraufhin traf, machte alles nur noch schlimmer. Er fragte sich, ob sie ihn auf diese Weise ansah, weil sie nicht wusste, wer er war oder weil sie es sogar sehr genau wusste.

Er war niemals gut genug gewesen. Niemals so gut wie sein Vater.

„Welcher Vater?“, fragte sie manchmal arglos, als wäre sie wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Als wäre sie nicht im Boden versunken, wenn jemand andeutete, dass sie eine alleinerziehende Mutter war. Sogar nachdem er im Alter von siebzehn Jahren ausgezogen war, schämte sie sich noch immer dafür.

Sie hatte ihm erzählt, sein Vater sei nach Amerika gegangen, um sein Glück zu machen. Ende der Siebziger nach Las Vegas. Ob er dort als Zauberer auftrat, hatte sich Wolfe gefragt, oder Tiger zähmte? Ein Casino leitete oder dort Croupier war? Jemand, der mit Zahlen und Karten jonglieren konnte, der das Vertrauen seines Chefs genoss und hin und wieder schwere Geldsäcke in einen unterirdischen Tresor trug? (Er hatte eindeutig zu viele Hollywood-Filme gesehen, James Bond und Danny Ocean ließen grüßen.) Vielleicht war sein Vater auch Elvis-Imitator geworden. Es kräuselten sich ihm die Fußzehen bei dieser Vorstellung, aber solange er damit Geld verdiente... Er hatte auf sehr verschiedene Art an diesen fiktiven Vater gedacht, der unerreichbar war und ihn offensichtlich vergessen hatte. Bis heute. Bis seine Mutter in einer kurzen Anwandlung von Klarheit herausplatzte: „Dieser Mistkerl. Sitzt in Carlisle und schaukelt Enkelkinder auf den Knien.“

„Wieso in Carlisle?“, hatte er gefragt, völlig perplex. Ging es wirklich um seinen Vater?

„Wieso, Wieso, Affen-Po!“, hatte sie singend geantwortet und war wieder in die unergründlichen Weiten ihres allmählich zerfallenden Geistes abgedriftet.

Um halb sechs gab es Abendessen. Weich gekochte Hausmannskost, Roastbeef mit Kartoffelbrei und Erbsen in pappiger Mehlsoße. Alles sah gleich aus, auch Yorkshire Pudding (den sie hasste) oder Meat Pies. Es schmeckte auch alles gleich, aber sie aß es, Hauptsache es war püriert.

Früher lag in ihrem Kühlschrank fast immer eine Blutwurst. In jeglicher Form. Haggis mochte sie am liebsten. Zungenwurst, harte Blutwurst, Blutwurst mit Speck. Blutwürste und Leberwürste mit Erbspüree und Kartoffelstampf waren ihr Leibgericht gewesen. Er hatte schon im Alter von drei Jahren von ihr den schwierigen Umgang mit den Wurstpellen gelernt. Und sie hatte noch lange an dieser Vorliebe festgehalten, da wusste sie schon ihren Namen nicht mehr. Doch als er erlebte, wie sie verwundert und hilflos vor ihren Würsten saß und nicht wusste, was sie mit ihnen anfangen sollte, war ihm klar, dass sie wirklich nicht mehr sie selber war. Sie war zurückgekehrt zum Geschmack ihrer frühen Kindheit und bevorzugte wieder Kartoffelbrei und Bananen-Mus.

Die Flasche Scotch hatten sie halb geleert.

Sie bauten nur noch Türmchen aus den Steinen, das Back-Gammon hatten sie aufgegeben. Das Mädchen hatte immer gewonnen (er hatte doch gewusst, dass sie clever war!) und bog sich immer noch vor Lachen. Sie war albern und sie war süß und hätte er eine Tochter gehabt, sie hätte so sein dürfen wie sie. Sie hieß Nadja. Nicht wirklich sein Fall, aber Namen waren nichts als Schall und Rauch. Namen konnte man ändern. Namen konnte man vergessen. So, wie seine Mutter sich nicht mehr an den Namen ihres Sohnes erinnerte. Wie sie vergaß, dass sie überhaupt einen Sohn hatte. Oder einen Mann. In diesen Momenten vermisste sie ihn zumindest nicht mehr und hatte ihre Enttäuschung und ihre Wut vergessen.

Vielleicht war es ja auch eine Gnade, dass Stücke ihrer Biografie sich vor ihren Augen auflösten. Irgendwann würde auch noch der letzte Rest ihrer Geschichte verschwinden und sie völlig unschuldig zurücklassen, nackt und bloß wie ein Säugling zunächst, dann wie ein Embryo, eine einzelne Zelle im Universum. Ein Nichts.

Wolfe war mit der Vorstellung aufgewachsen, dass die Seele den Leib überlebte. Das hatte er so im Religionsunterricht gelernt, in den sie ihn schickte, weil die Religion das Einzige war, woran sie noch glaubte. Jesus würde sie niemals verlassen. Doch nun war ein Großteil ihrer Seele bereits vor ihrem Leib gestorben. Wie gut, dass sie davon nichts mehr mitbekam (vielleicht war er doch gnädig, ihr Gott?). Sie saß in einem viel zu großen Polyestersessel vor ihm, kaute an ihren Fingernägeln und wartete in Unwissenheit und aller Unschuld auf ihren zweiten Tod.

Er dagegen würde zurückbleiben und sich an alles erinnern.

Daran, dass er es ihr schon als kleiner Bub nicht hatte Recht machen können: „Wenn du nicht lesen lernen willst, bitte sehr, dann kommst du eben auf die Sonderschule, zusammen mit all den zukünftigen Verbrechern.“

Daran, dass er nie gut genug war: „Wieso schreibst du nur eine drei? Wenn du nicht klug genug bist, dir die einfachsten Dinge zu merken, dann geh Leichen waschen. Da verdienst du wenigstens ordentlich und brauchst nicht zu denken.“

Daran, dass sie ihn offensichtlich nicht so liebte, wie eine Mutter ihren Sohn lieben konnte, oder sollte: „Geh mir aus den Augen. Du machst mich wahnsinnig.“

Er griff nach der Scotchflasche und trank sie alleine aus.

Es war kurz nach Mitternacht, als er die Kneipe verließ.

„Taxi!“, brüllte er.

Natürlich war weit und breit kein Taxi zu sehen. Verdammt noch mal, trieben sich alle nur noch in den Yuppie-Gegenden herum? Was war aus den guten alten Bahnhofsvierteln geworden?

Er schleppte sich an dem grell blinkenden Schaufenster einer Peep-Show vorbei und fragte sich, warum das Straßenpflaster sich immer wieder auf ihn zu bewegte. Er streckte die Arme vor sich aus, um die Steine abzuhalten, sollten sie auf ihn hereinbrechen. Doch als er den Kopf hob merkte er, dass er selbst es war, der so stark torkelte, dass er wieder und wieder dem Pflaster bedenklich nahekam. Auf den nächsten hundert Metern würde er stürzen, keine Frage. Er hielt an und lehnte sich gegen eine Mauer. Weiter vorne leuchteten diskret die Eingangslampen des „Jasmin“. Vielleicht sollte er dort mal auf den Busch klopfen?

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und nahm seinen einsamen Marsch wieder auf. In diesem Moment raste ein dunkler Geländewagen dicht an ihm vorbei. Beinahe hätte er ihn überfahren. Wolfe presste sich an die Wand und schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Wagen schon wieder fort und er sah nur noch den Schatten eines Mannes in den Eingang des Clubs huschen.

„Scheißkerle!“, rief er wütend und hob die Hand.

Da brauste das nächste Auto heran. Wolfe warf sich instinktiv zur Seite, die Hand noch erhoben. Der Wagen hielt direkt neben ihm.

„Taxi?“, fragte ein freundliches Gesicht hinter heruntergelassener Scheibe.

„Geht doch“, murmelte Wolfe, kletterte hinten auf die Sitzbank und nannte dem dunkelblauen Turban seine Adresse.


Als er sich auszog, nestelte er mit unsicheren Fingern an seinem Halfter. Legte es ab und zog die Pistole heraus. Er bettete sie unter sein Kopfkissen und klopfte zärtlich dreimal oben drauf. Das hier war es, worauf es ankam. Seine Walther P99. Und sie war nicht mit Platzpatronen gefüllt.

Keine Heilige

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