Читать книгу Keine Heilige - Kate Rapp - Страница 9
5
ОглавлениеDr. Mackintosh stand so aufrecht wie eine Königin. Ihre OP-Haube saß ebenso akkurat auf ihrem kurzen Haar, wie eine Krone, ihre Perlenohrringe schimmerten matt darunter hervor.
„Solche Verletzungen habe ich zuletzt in Afrika gesehen“, erklärte ihr der Patholge. „Macheten, die verursachen solche Wunden. Sie haben sie in Ruanda benutzt, um die Frauen zu verstümmeln. Sogar die Vierzehnjährigen lernten, damit umzugehen.“
Dr. Mackintosh sah ihn kühl an.
„Und Sie haben das gesehen?“
„Die Wunden, ja. Sie schlugen mit den Macheten nicht nur die Arme ihrer Gegner ab oder ihre Köpfe. Sie schnitten den Frauen beide Brüste ab, nachdem sie sie vergewaltigt hatten, warfen sie ins Gebüsch und ließen sie verbluten.“
„So, wie bei ihr?“ Die Ärztin deutete mit einem kurzen Nicken in Richtung der Trage.
„Genau so.“
„Sie hatte also Glück, finden Sie?“
Dr. Mackintosh sah ihn skeptisch an. Beinahe vorwurfsvoll.
„Sie wurde für tot gehalten. Deshalb bin ich hier.“ Nicht um mit meinem forensischen Wissen anzugeben oder mit meinen Weltreisen zu prahlen, wie könnte ich, angesichts dieser Tragödie, sagte sein blasiertes Gesicht. „Ich bin Pathologe.“
„Das sagten Sie bereits.“
Sie hatte bisher niemals mit der Gerichtsmedizin zu tun gehabt. Ihre Patientinnen hatten zu große oder zu kleine Brüste, viele von ihnen hatten Krebs. Aber keine war jemals mit Polizeieskorte gekommen und an keiner war ein Verbrechen dieser Art verübt worden. Sie sah diesen glatzköpfigen Kollegen zum ersten Mal. Dr. Nigel Harris. Sein Eaton-Akzent gab seinem gezierten Gehabe das i-Tüpfelchen an Arroganz, das so herausfordernd auf Dr. Mackintosh wirkte, dass sie sich zusammennehmen musste, um nicht polemisch zu werden. Man konnte den Tweed-Anzug in seiner Stimme hören, den er außerhalb seiner Dienstzeit gewiss zu tragen pflegte. Und sie fragte sich kurz, was dieser britische Aristokrat in Ruanda verloren hatte. Doch im Grunde war es ihr egal. Waren nicht alle Aristokraten durch Inzucht degeneriert, erschreckend verarmt und dennoch voller Allmachtfantasien? Warum dann nicht gleich einen Völkermord aufklären im ehemaligen Kolonialgebiet (wobei sie trotz ihres Ärgers zugeben musste, dass sie nicht ganz sicher war, ob Ruanda jemals englisches Kolonialgebiet gewesen war, oder ob sie es nicht mit Uganda verwechselte).
Die OP-Tür schob sich wie von Zauberhand auf. Ein Krankenpfleger holte die Trage herein, auf der die arme Frau lag, noch immer von den blutgetränkten Tüchern umwickelt, wie ein Findelkind in rosafarbenen Windeln. Es steckte ihr ein Beatmungsschlauch in der Kehle und der Anästhesist lief neben ihr her, um sie manuell zu beatmen.
„Ich muss los.“
Dr. Mackintosh folgte ihrer Patientin in den OP und ließ Nigel Harris auf dem Flur stehen.
„Hat mich auch gefreut“, sagte er zu der sich schließenden Tür und machte sich auf den Weg zurück in seinen forensischen Keller.
Es war sechs Uhr morgens, als Jess die Patientin aus dem Aufwachraum abholen konnte. Sie hatte gerade erst wieder ihren Dienst angetreten. Dr. M, wie Jess die Oberärztin Mackintosh nannte, machte ihr eine kurze Übergabe, bevor sie sich in ihr Zimmer zurückzog. Sie war wegen des Notfalls in der Nacht extra von zu Hause gekommen, denn kein anderer Chirurg konnte Brüste so gut wiederherstellen wie sie. Die Operation hatte vier Stunden gedauert und Dr. M sah reichlich erschöpft aus.
„Sie muss ins Wachzimmer, aber Intensivstation ist nicht nötig. Monitoring, Einfuhr/Ausfuhr, das Übliche eben. Antibiotika, Schmerzmittel und Infusionen habe ich angeordnet, vier Erythrozytenkonzentrate sind drin.“
Sie riss sich die grüne OP-Haube vom Kopf und ihre glatten, rotbraunen Haare gerieten dabei in eine für sie unübliche Verwirrung.
„Bis morgen.“
„Bis dann, Dr. M“, sagte Jess und hoffte, die Ärztin würde noch einmal nach der Patientin sehen, bevor ihr Dienst vorüber war. Die junge Frau war eine Schwerverletzte, die Überlebende eines Mordanschlags (wie grausam das klang, aber nicht grausam genug, fand Jess, nachdem sie die Wunden gesehen hatte), und mit solch einer Patientin hatte sie keinerlei Erfahrung. Es irritierte sie außerdem, dass eine Polizistin auf ihrem Flur stand. Dunkle Uniform, Schlagstock am Gürtel. Sie sah Jess aufmerksam entgegen, die Hände forsch in die Hüften gestützt, als sie das Bett ins Wachzimmer schob. Die Patientin schlief noch immer ihre Narkose aus und sah in den dicken, weißgestärkten Kissen aus, wie Jess sich eine auf einer Eisscholle gestrandete Elfe vorstellte: Zart und verfroren und irgendwie nicht von dieser Welt. Denn Elfen lebten bekanntlich in Zwischenwelten, Märchenbüchern (die sie Vincent vorgelesen hatte, früher), Träumen oder in der Fantasie, niemals aber fand man sie verstümmelt in einer stinkenden Gasse. Jess hielt sich lieber an die Realitäten. Also überprüfte sie den Druckverband ihrer Patientin. Als sie sah, dass er trocken war und keine Anzeichen durchsickernden Blutes aufwies, fühlte sie noch kurz den Puls. Das Handgelenk sah zart aus, als könne sie es mit ihren großen Händen zerbrechen wie die Angelrute von Andy. Sie hatte das aus Frust getan, weil er die Wochenenden lieber allein am Fluss, statt mit ihr und Vincent verbrachte. Weil er sie ausschloss, ohne dass sie sich im Klaren darüber war, was sie ihm eigentlich getan hatte. Weil sie in der schleichenden Entfremdung einen Akzent setzen wollte, ein Ausrufezeichen, um zu zeigen: Ich merke, was da läuft. Ich sehe, was du tust. Aber ich werde es nicht zulassen!
Andy hatte sie angebrüllt. Am nächsten Tag hatte er sich dann eine neue Angelrute gekauft und war übers Wochenende nach Cornwall gefahren. So einfach war das für ihn.
Jess verließ das Zimmer und merkte, dass die Anwesenheit der Polizistin sie wider Erwarten beruhigte. Sie hatte sich vor der Tür auf einem ungemütlichen Stuhl im Gang postiert, ihr runder Hut ordentlich darunter abgelegt, und blätterte in einer Zeitschrift. Sie bewachte die Patientin. Die Verantwortung für diese junge Frau zu teilen fühlte sich an, als würde die Polizistin Jess auf die Schulter klopfen und sagen:
„Wir schaffen das schon. Du kümmerst dich um die Verbände und ich mich um die Sicherheit!“
Dabei hatte die Uniformierte zur Begrüßung keine Miene verzogen, sondern stumm und stoisch gewirkt, ganz Hüterin des Gesetzes. Jess drehte sich noch einmal zu ihr um. War die Patientin tatsächlich weiterhin bedroht? Woher nahm die Polizei die Gewissheit, dass es eine persönliche und keine zufällige Tat war? Woher sollte Jess diese Gewissheit nehmen und die alte Unbekümmertheit, wenn sie vor der nächsten Nachtschicht im Dunkeln auf dem Parkplatz aus ihrem Auto stieg, einem Parkplatz, auf dem bereits eingebrochen worden war. In ihren Wagen. Sie sollte sich wohl fürchten. Aber Jess seufzte nur. Es war ihr auf erschreckende Art gleichgültig. Konnte es sein, dass Eheprobleme einem den Realitätssinn raubten?
Jess schnappte sich die Akte der unbekannten Patientin und blätterte zum Operationsprotokoll vor. Sie hatten die Haut ihres Oberbauches an beiden Seiten halbkreisförmig eingeschnitten, nach Oben geschwenkt und an die beiden Orte transplantiert, wo anstelle der Brüste nur noch klaffende Fleischwunden waren. Der linke Brustmuskel war angerissen und musste zuvor genäht werden. Verunreinigtes und überschüssiges Gewebe (hatte der Angreifer womöglich eine der Brüste nur zu Dreivierteln abgeschnitten?) musste abgetragen werden. Jess konnte es sich lebhaft vorstellen. Sie hatte damals die Ausbildung zur OP-Schwester begonnen und als sie mit Vincent schwanger wurde, stand sie kurz vor dem Abschluss. Sie wusste sehr gut, dass nun die Gefahr einer Infektion oder einer Nekrose bestand, dass die Patientin genauestens überwacht werden musste und haufenweise Antibiotika bekam, damit diese Wunden heilen konnten. Es würde ein langer Weg werden. Dr. M hatte ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Haut gerettet. Aber die junge Frau würde flachbrüstig sein. Eine weitere Operation würde folgen, um einen kosmetischen Brustausbau vorzubereiten, der dann in einer dritten Operation durchgeführt werden konnte. Wenn alles gut ging. Wenn es keine Komplikationen gab.
Jess blickte auf ihren eigenen Busen hinunter. Er tat ihr manchmal weh, bevor sie ihre Regel bekam. Sie hatte Vincent gestillt. Und sie liebte es, wenn Andy sie sanft streichelte (was er seit zwei Monaten nicht mehr getan hatte, verdammt). Sie konnte nachvollziehen, dass der Verlust einer Brust die Frauen nicht nur äußerlich beschädigte. Wie musste das erst bei zwei Brüsten sein?
Zum Glück gab es Dr. M. Sie hatte das gewiss sehr gut hinbekommen. Denn zweifellos war Dr. M die Beste. Jess kannte sie noch aus ihrer Zeit als OP-Schwester. Damals hatte sie gerade als Assistenzärztin begonnen, das war jetzt fünfzehn Jahre her. Jess hatte drei Jahre pausiert, als sie später mit Vincent schwanger wurde und als sie wiederkam, war Dr. M schon Fachärztin. So schnell ging das. Sie war wirklich schlau. Und geschickt. Aber auch ein kleines bisschen unnahbar. Jess wäre gerne ein wenig mehr wie sie. Nicht nur äußerlich. Sie sah aus wie ein Model, immer noch, dabei war sie bereits sechsundvierzig. Ihre Giraffen-Beine waren muskulös, ihre Haltung gerade, ihre Taille schlank und sie trug immer diese engen Hosen, ohne dass auch nur das geringste Speckröllchen über dem Bund zu sehen war. Wenn sie im Sommer Tops anhatte, bewunderte Jess ihre gebräunten Oberarme, die ebenfalls ein zartes, geschwungenes Muskelrelief aufwiesen und nicht die geringste Schlaffheit zeigten. Jess wusste, dass Dr. M viel Sport machte. Sie erzählte vom Klettern in Arco, vom Mountainbiken in den Dolomiten. Sie kaufte ständig neue Joggingschuhe („Die alten sind sowas von durch!“) und einmal hatte sie Jess ein Paar dieser knallbunten Hanteln geschenkt, damit sie vor dem Fernseher ein wenig trainieren konnte. Denn nach der Geburt von Vincent war ihre Figur nie wieder so wie zuvor. Ihre Bauchdecke hing in verlassenen, traurigen Ringen über ihren Slip und ihre Arme waren mehr rund als stählern. Da konnten auch die täglich zu machenden Klinikbetten nicht helfen. Allenfalls verschlimmerten sie ihr Rückenleiden.
Als sie zwei Stunden später nach ihr sah, lag die unbekannte Patientin mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Das dunkle Harr wie ein riesiger spanischer Fächer um ihr Gesicht gebreitet. Jess beugte sich gerade über sie, um die Bettdecke, die sie heruntergestrampelt hatte, wieder unter ihr Kinn zu ziehen, da schlug sie die Augen auf. Jess fuhr erschrocken zurück. Die Augen, die sie anstarrten, waren so blau wie der karibische Himmel ihrer Hochzeitsreise (wie lange das schon her war. Und wie lange sie nicht mehr daran gedacht hatte!) und hielten sie unnachgiebig fixiert. Aber sie sagte kein Wort.
„Hallo!“, sagte Jess leise und legte ihr eine Hand auf den schmalen Unterarm. Zahlreiche blauen Flecken gingen dort ineinander über und ließen ihre Haut wie die einer exotischen Eidechse schillern.
„Wie geht es Ihnen?“
Die junge Frau verzog das Gesicht.
„Wo bin ich?“
Ihre Stimme war tiefer als erwartet und klang irgendwie fremdländisch. Ein melodischer Singsang mit offenem „O“, das ihrer kurzen Frage etwas Herrisches verlieh.
„Sie sind im Kings`s College Hospital. Sie waren schwer verletzt und wurden operiert. Haben Sie Schmerzen?“
In den blauen Augen stand eine Frage, die sich ganz langsam nach innen richtete und Jess konnte sehen, wie sie sich selber antwortete. Abrupt fuhren die zarten Hände nach oben und legten sich beidseits auf ihre Brust. Noch immer ließ die Patientin Jess nicht aus den Augen. Sie konnte die Tränen aufsteigen sehen, beobachten, wie sie überliefen und die blassen Wangen hinunter rannen. Die junge Frau machte keinerlei Anstalten, sie fortzuwischen. Jess nahm einen Tupfer vom Verbandswagen und trocknete ihr Gesicht.
„Sie können noch ein Schmerzmittel bekommen, wenn Sie wollen.“
Die Frau antwortete nicht.
Da öffnete sich die Zimmertür und die Polizistin steckte den Kopf herein.
„Sie ist aufgewacht? Warum haben Sie nicht Bescheid gegeben?“
„Sollte ich?“
„Wozu, denken Sie, sitze ich hier auf dem Flur, wenn nicht, um zu warten, dass die einzige Zeugin des Verbrechens endlich das Bewusstsein wiedererlangt?“
„Um sie zu schützen?“
Die Polizistin schnaubte und baute sich am Fußende des Bettes auf. Sie stützte sich mit den Händen auf die gebogene Chromstange und beugte sich leicht nach vorne, lauernd und zugleich herablassend. Dabei hatte sie nicht einen einzigen Stern auf ihrer Schulterklappe.
„Detective Constable Lucy Pym“, stellte sie sich kurz angebunden vor. „Wie heißen Sie? Und was können Sie uns über den Tathergang mitteilen?“
„Dürfen Sie das überhaupt?“, fragte Jess.
„Was denn?“, blaffte die Polizistin, die sich durch Jess offensichtlich gestört fühlte.
„Die Frau vernehmen, meine ich.“
„Was geht Sie das an?“
Jetzt funkelte sie Jess so zornig an, wie Vincent, wenn sie ihm das Handy wegnahm, weil er zu viel zockte.
„Ich werde die Oberärztin informieren, dass die Patientin wach ist. Sie wird Ihnen sagen, ob sie vernehmungsfähig ist, oder nicht.“
„Sie kann sitzen, hey, dann wird sie doch wohl antworten können. Also,“ wandte sie sich wieder an die junge Frau, „wie ist Ihr Name?“
Die Patientin antwortete noch immer nicht. Sie lehnte sich in ihre Kissen zurück und schloss die Augen.
„Versteht Sie mich überhaupt?“, wandte Constable Pym sich wieder an Jess. Aber diese drehte ihr bereits den Rücken zu, um Dr. M zu holen. Sie grinste heimlich in sich hinein. Ganz offensichtlich wollte das Mädchen nicht mit der Polizei reden.
Dr. M sah wieder aus wie frisch gebügelt, als sie aus ihrem Zimmer trat und Jess zu der Unbekannten begleitete. Constable Pym stand breitbeinig auf dem Flur und trommelte ungeduldig mit den Fingern gegen ihren breiten Gürtel. Dr. M flog an ihr vorbei in das Zimmer der unbekannten Patientin.
„Guten Morgen. Wie geht es Ihnen?“
„Was ist passiert?“
Ihre Hände lagen noch immer dort, wo vormals ihre Brüste gewesen waren, als müsste sie sich vergewissern, dass ihrem Tastsinn auch zu trauen war.
„Dasselbe wollte ich Sie auch gerade fragen“, schaltete sich Lucy Pym ein.
Dr. M hob die Hand.
„Ich muss sichergehen, dass es Ihnen den Umständen entsprechend gut geht. Also sagen Sie mir einfach: haben Sie Schmerzen?“
Die Patientin nickte.
„Wie soll ich Sie ansprechen, Frau..?“
Die Patientin starrte sie nur an. Dabei hielt sie Blick nach innen gekehrt, als suche sie dort nach Etwas, das ihr abhandengekommen war. Es dauerte lange.
„Ist Ihnen nicht gut?“
Dr. M berührte sie leicht an der Schulter. Sie zuckte zusammen.
„Ich weiß nicht.“
„Ich werde Ihnen etwas gegen die Übelkeit verschreiben. Das ist normal nach einer Narkose.“
„Ich meine, ich weiß meinen Namen nicht.“
„Sie wissen Ihren Namen nicht?“, echote Detective Constable Pym und machte einen Schritt nach vorne.
Die Patientin schüttelte den Kopf.
„Erinnern Sie sich daran, was passiert ist?“
Dr. M übernahm die Befragung so souverän, als sei sie selber Polizistin, dachte Jess. Aber die nächste Frage belehrte sie eines Besseren.
„Wissen Sie, welchen Tag wir haben?“
Wieder ein Kopfschütteln.
„Welches Jahr?“
Die Patientin zuckte die Schultern und schloss resigniert die Augen.
„Die simuliert doch nur“, schimpfte DC Pym. „Das kann doch jeder sagen.“
Dr. Mackintosh musterte sie mit einem ihrer Eisköniginnen-Blicke. Sie sah aus, als würde sie Mrs. Detective Constable liebend gern in einen Eiszapfen oder eine Statue oder in irgendetwas anderes verwandeln, das keine Widerworte gab.
„Retrograde Amnesie. Das kann bei schweren körperlichen und seelischen Traumata durchaus vorkommen.“
Die Polizistin schnaubte wieder. Jess fragte sich, ob sie wohl auf einem Bauernhof aufgewachsen war, unter großen Tieren wie Pferden oder Kühen.
„Das glaub ich einfach nicht“, murmelte Pym vor sich hin, leise nur, als sie den strafenden Blick von Dr. M auffing.
„Wir werden natürlich noch einen Psychologen hinzuziehen, aber soviel kann ich schon jetzt sagen: es überrascht mich nicht. Amnesie ist ein Schutzmechanismus des Gehirns vor Überforderung. Auch Sie“, Dr. M tippte der Detective Constable forsch aufs Brustbein, „auch Sie wären froh, wenn Sie einen blutigen Überfall, eine Vergewaltigung, Schläge und Würgen, Fesseln und Folter und das Abschlagen von Körperteilen bei vollem Bewusstsein würden vergessen können, sollte es Ihnen irgendwann einmal in ihrem sicheren, sauberen Polizistinnen-Leben passieren. Was ich Ihnen nicht wünsche, weil ich es niemandem wünsche. Und es scheint ein Segen für diese junge Frau zu sein, das Vergessen, denn anderenfalls würde sie womöglich verrückt werden oder sich etwas antun. Und das möchte ich verhindern. Damit sie mich richtig verstehen: das Einzige, was meine Patientin jetzt braucht ist Ruhe. Verlassen Sie also bitte das Zimmer.“
DC Pym schaute verdutzt.
Durfte ihr diese stramme Oberärztin Befehle erteilen?, schien sie zu denken.
„Sofort!“
Dr. M zog beide Augenbrauen in die Höhe.
Lucy Pym trollte sich. Hätte sie einen Schwanz gehabt, sie hätte ihn wohl eingezogen.