Читать книгу Jenseits meiner Grenzen der weite Horizont - Katharina Weck - Страница 10

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Windeinstellung

Der Wind fährt mir durch die Haare, schlüpft unter meinen Pulli, lässt mich erschaudern. Es ist der Beginn unseres Urlaubes. Wir sind auf einer kleinen Insel in Dänemark mitten in der Nordsee gelandet. Wir haben Juli, doch seit unserer Ankunft wehen orkanartige Winde über die Insel.

Ich hasse Wind. Er macht, dass ich friere, bringt mich durcheinander.

Es kommen maulige Worte aus meinem Mund, alle in dem kleinen Ferienhaus nerven mich. Ich schnappe mir meine Jacke und gehe an den Strand, der am Ende des Gartens liegt. Hier an der Spitze der Insel ist der Wind noch stärker. Ich schaue trotzig aufs Meer, und ich schäme mich.

Wind, was für ein lausiger Grund für schlechte Laune. Und dann auch noch an einem so schönen Ort wie diesem.

Ich beginne, die Küste entlangzulaufen. Ich fange an zu weinen. Auch in meinem Kopf stürmt es.

Ich muss an meinen Mann denken und schäme mich erneut. Wie unfair ich mich verhalten habe. Meine Entscheidung ist gerade gefallen: Trotz Wind und allen Gedanken, die in der Ruhe auf mich niederprasseln, nehme ich mir vor eine gute Zeit hier zu haben. In den Jahren des Ausnahmezustands habe ich dazugelernt, verstehe, dass gerade die Abwesenheit von Leid mich befähigt, über sowas wie das Wetter zu meckern. In den Jahren der Angst und Ungewissheit wäre ich nie darauf gekommen, mich über so etwas wie Wind zu beschweren oder mich gar vor ihm zu fürchten. Meine Monster waren viel zu arrogant, um sich mit etwas wie Wind auseinanderzusetzen. Der war einfach da. Genauso wie dreckige Töpfe in der Küche, missmutige Nachbarn, lange Schlangen an der Kasse, eine Parklücke, die sich jemand anders schnappt, Kinder, die morgens nicht aufstehen und abends nicht schlafen gehen wollen. All das war einfach da. Aber meine Monster haben sich entschieden, solchen Lappalien die kalte Schulter zu zeigen. Sie haben nur die ganz große Angst und Wut bedient; immer neue Behandlungsschritte, ein Junge, der fünf Wochen nicht gelacht hat, Nächte, in denen mein Herz gerast ist wie ein ICE, schlimme Nebenwirkungen der Chemo: Anämie, allergische Reaktion, offene Stellen am Körper, das waren die Themen unseres Alltags.





Es ist abends, wir sitzen vor dem Kamin, das Holzhaus knackt, ich atme tief durch und entschuldige mich.

Noch später abends sitze ich im Bett, froh darüber, dass mein Mann nicht nachtragend ist und meine Launen gern schnell wieder vergisst. Da macht es »Blubb« in meinem Bauch. Ich lächle. Der erste Sommerurlaub mit dir, mein Baby.

Auch das habe ich gelernt: nicht ungeduldig auf die Geburt eines Babys zu warten, sondern jetzt die Zeit mit dem Ungeborenen zu genießen. Während ich über meinen Bauch streichle, frage ich mich, wie ich so zornig werden konnte. Ich bin schwanger mit unserem dritten Kind. Lange war nicht klar, ob wir einen unserer Söhne verlieren würden. Dann haben wir gekämpft, und obwohl wir nach diesem Kampf nur noch wackelig auf den Beinen standen und uns allzu bewusst war, wie zerbrechlich das Leben ist, war unser Gottvertrauen so groß, dass wir uns entschieden haben, einen Anflug von zartem Mut zuzulassen. Noch ein Kind. Trotz großer Ängste, obwohl man raten könnte, erst einmal alles zu verarbeiten, zur Ruhe zu kommen. Ich bin allerdings inzwischen der Überzeugung, dass nie alles gut sein wird. Ich fühlte mich psychisch und körperlich wieder so stabil, dass ich mir eine ­weitere Schwangerschaft zutraute. Das waren meine Fixpunkte, wieder eine gewisse Spannung und Kraft zu verspüren, damit ich aufrecht stehen kann. Was kommt, wie es weitergeht, wer vermag das schon zu sagen.

Das ist meine Zeit. Mit den Kindern, mit meinem Mann, mit dem Ungeborenen, mit mir. Ich erinnere mich an die Worte von Dietrich Bonhoeffer: »[...] es ist eine immer wieder merkwürdige Beobachtung, dass man Unabänderliches ganz anders aushält, als wenn man dauernd den Gedanken hat, man könnte irgendwas erleichtern.«

Ich kann den Wind nicht abstellen. Doch ich kann meine Einstellung zu ihm ändern. Ich kann unsere Kinder nicht vollends bewahren, das Haus nie in einen picobello Zustand bringen, habe nur bedingt Energie. Ich kann meine Schwangerschaft nicht steuern, hatte keinen Einfluss darauf, dass mir in den ersten Monaten wieder unfassbar übel war. Mein Einfluss auf diese Welt ist begrenzt, und das ist in Ordnung. Es wird nie fertig sein, und es wird auch nie alles gut. Trotzdem darf ich die schönen Momente in vollen Zügen genießen, wohl wissend, dass parallel Anforderungen auf mich warten. Einfach dasitzen und genießen. Und wer weiß, vielleicht darf in der Entspannung auch ein klein wenig Wind wehen.

Jenseits meiner Grenzen der weite Horizont

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