Читать книгу Jenseits meiner Grenzen der weite Horizont - Katharina Weck - Страница 14
ОглавлениеRationelle Romantik
Heute ist Polikliniktag. Schon wieder vier Wochen um.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre mir ein Besuch auf der Kinderonkologie im Vier-Wochen-Rhythmus wie der pure Luxus vorgekommen. Und auch heute schätze ich es, dass wir nur noch so selten dort aufschlagen müssen. An diesem Ort der Rettung und Hoffnung, aber auch der Trauer und des Verlustes. Wo man am Status der Haare erkennen kann, an welchem Punkt des Chemo-Protokolls die Kinder sich gerade befinden.
An den Kontrolltagen kann ich nicht ignorieren, wo wir stehen. Dass der Status unseres Sohnes weiterhin »krebskrank« ist, dass diese regelmäßigen Blutkontrollen lebenswichtig für ihn sind.
Und dann fällt der Termin auch noch in das Wochenbett. Ich bin doch gerade so verletzlich, so weich. Alles in mir ist darauf gepolt, ein kleines Lebewesen zu halten, zu ernähren, ankommen zu lassen. Und dieses kleine Bündel auf den Arm zu nehmen, den krebskranken Jungen an die Hand und so zu tun, als wäre es das normalste auf der Welt mit beiden einen Ausflug in die Kinderonkologie zu machen, ist Schwerstarbeit.
Aber dann gibt es meinen Mann. Der mir gerade ein Stück dieser Realität abnimmt, ohne sie zu leugnen. Und weil es für mich sogar momentan herausfordernd ist, den Mittleren in die Kita zu bringen, nimmt er ihn kurzerhand mit in die Klinik, obwohl es anders geplant war. Ohne viele Worte und ohne sich in seinem Ruhmesmoment zu baden. Die drei machen sich auf den Weg, meine Hand liegt auf der Fensterscheibe, sie bemerken mich nicht, aber mein Blick schickt ihnen Wärme.
Das ist das Schöne im Hässlichen. Der Schmerz, das Leid um diesen vermaledeiten Krebs bleibt, doch sehe ich meinen Mann, der mich gerade nicht dazu zwingt, zu funktionieren. Der mich weich sein lässt. Der mit Sicherheit viele Dinge zu tun hat, weil er nebenbei dafür sorgt, dass wir wohnen und essen können. Wie er das macht, ich weiß es nicht, aber auch das ist für ihn in Ordnung. Er handelt aus Liebe zu mir, und das lässt mich an anderer Stelle im Alltag mich auf ihn zubewegen.
Geliebt, in all dem Wahnsinn, der hier einzog. Dass es so sein kann, hat vor allem etwas mit einer Entscheidung zu tun. Wir haben uns beide entschieden, an der Seite des anderen stehen zu wollen. Da war nichts Magisches, das war eine rationale Entscheidung und viel Arbeit, um weiterhin ein »Wir« zu haben. So langsam kommt die Erinnerung wieder, wie wir zusammengekommen sind und warum. Aus dieser Erinnerung, gepaart mit der Entscheidung füreinander, ist ein Fundament entstanden, dass nicht nur im Ofen gebackener Knetmasse entspricht, sondern metertiefem Beton. Hier und da ein kleiner Haarriss, jedoch nichts, was man nicht wieder zuspachteln könnte. Das bedeutet wieder Arbeit, doch es festigt das Fundament, das man lieber repariert, anstatt es komplett neu zu gießen und damit alles, das war, aufzugeben.
Ist das nicht eine gute Basis, um aus einem gefüllten Herzen heraus zu sagen: »Es ist gut, wie es ist«?
Ich lerne. Tag für Tag. Empfange draußen den kalten Novemberregen, weil mich das die Wärme im Inneren schätzen lässt. »Neben dir halt ich mich gerade«, heißt es in einem Lied von SEEED. Ich fange an zu summen, während ich unseren Sohn in den Schlaf stille.