Читать книгу Jenseits meiner Grenzen der weite Horizont - Katharina Weck - Страница 15

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Reibung und Wärme

Ab 17:30 Uhr müsste ich als Mutter Feierabend machen. Ich bin eine Freundin des frühen Tages, brauche nicht viel Schlaf, und wenn man mich nachts weckt, dann bin ich in 3,5 Sekunden handlungsfähig. Am Vormittag laufe ich zu Hochtouren auf, und nach dem Mittagessen kann ich manisch hüpfend nahezu alles. Doch ab dem späten Nachmittag bröckeln meine Geduld, mein Wahrnehmungsvermögen und meine Lust, Dinge zu erledigen. Das mit der Lust würde ich noch hinbekommen, doch die Geduld ist ein Problem. Denn zeitgleich mit meiner schwindenden Geduld schwindet auch die Kooperationsbereitschaft der Kinder. Dieser nachmittägliche Emotionsbrei macht die Luft im Haus stickig.

Somit zweifle ich regelmäßig an meiner Erziehungskompetenz. Mir ist bewusst, dass freundliche Worte wie Honig sind: süß für die Seele und gesund für den Körper (Sprüche 16,24). Ich würde so gern nur freundliche Worte aus meinem Mund entlassen. Immer, jeden Tag, jeder Zeit.

Aber so läuft es nicht! Inzwischen weiß ich, dass zum Muttersein mehr gehört, als Honig zu verteilen.

Ich merke, wie unser ältester Sohn in einem Alter ist, in dem er ein beständiges Gegenüber sucht, jemanden, der ihn auf Augenhöhe empfängt, der sich jedoch auch mal zur vollen Größe aufrichtet. Denn ­bedürfnisorientiert zu handeln bedeutet nicht nur liebevolle Begleitung und die Gewährleistung einer sicheren Bindung, sondern auch seine Kinder auffangen zu können. Und das geht nicht immer auf Augenhöhe und mit Honig in der Hand, denn der klebt, und meine Beine schlafen in der Hocke ein.


»Wo Reibung ist, dort entsteht Wärme.« Diesen Spruch sagte die Mutter meiner besten Freundin in meiner Kindheit immer, wenn sich meine Freundin mal wieder ordentlich mit ihrer großen Schwester fetzte. So richtig verstanden habe ich den Spruch damals nicht.

Erst Jahre später, als ich selbst schon Mutter war und es hier bei uns zu Hause zwischen den Jungs mal wieder ordentlich krachte, verstand ich die Bedeutung.

Sie beruhigte mich.

Der Spruch versichert mir, dass es völlig normal ist, dass es in einer Familie zu Reibereien und lauten Auseinandersetzungen kommt. Gerade, wenn man sich sehr mag, kann einen sein Gegenüber mit dem, was es sagt, sehr treffen. Da kann es schon einmal hoch hergehen.

Je dichter man aneinander dran ist, desto mehr Wärme wird auch durch das Diskutieren und Streiten verursacht. Emotionen müssen ausgesprochen werden dürfen, Grenzen abgesteckt. Vorausgesetzt, es passiert ohne jegliche Form von Gewalt.








Ein relevanter Schritt in der Entwicklung eines Kindes ist es, mit den Konsequenzen, die aus dem eigenen Handeln heraus entstehen, vertraut zu werden. Wenn ich lerne, meine Schuhe allein anzuziehen, muss ich niemanden mehr um Hilfe bitten. Wenn ich mich an gemeinsam erarbeitete Absprachen halte, wird mir vertraut und ich kann ­immer mehr allein machen. Wenn ich meinem Bruder etwas wegnehme, wird er wütend und ist sauer auf mich. Zu erfahren, dass das eigene Handeln eine Auswirkung hat, ist wichtig.

Nora Imlau, Autorin, Journalistin und Vertreterin der bindungsorientierten Elternschaft, sagt dazu: »Sie (die Erfahrung) vermittelt Kindern nämlich das Gefühl, von Selbstwirksamkeit, also der Überzeugung, individuell einen Unterschied machen zu können.«

Folglich sind Reibereien innerhalb der Familie und unter Geschwistern nicht nur völlig normal, sondern auch entwicklungsfördernd. Zwischen den Geschwistern ist es nicht selten besonders warm, auch wenn der Eindruck in vielen Momenten des Tages ein anderer ist. Vor allem mit dem Blick von außen. Unsere Nachbarn fragen sich mit Sicherheit regelmäßig, was bei uns so los ist, und sollte mich jemand fragen, dann antworte ich, dass in diesen Momenten bei uns besonders viel Liebe zu finden ist.

Geschwister verbringen in der Regel die ganze Kindheit miteinander; vorausgesetzt, sie leben in einem Haushalt und sind altersmäßig nicht viele Jahre auseinander. Sie müssen täglich verhandeln und Kompromisse schließen, wohlwissend, dass sie weiterhin miteinander klarkommen müssen. Was oftmals durch Erwachsene romantisiert und vorausgesetzt wird, ist Schwerstarbeit. Wir als Eltern wägen täglich ab, wann Begleitung nötig ist, und wann wir unsere Kinder in Ruhe lassen, ja, sie sogar bitten, ihre lautstarken Auseinandersetzungen in einem anderen Raum weiterzuführen.

Ähnlich verhält sich die Beziehung zwischen uns als Eltern und den eigenen Kindern. Am liebsten hätte ich Einigkeit und Frieden. Das ist einfach, das fühlt sich gut an, findet in der Realität dennoch selten statt, weil Kinder heutzutage glücklicherweise ihren Charakter und ihre Individualität ausleben dürfen.

Als unser ältester Sohn geboren wurde, war ich mir sicher, dass ich für ihn so etwas wie seine beste Freundin werde. Ich wollte ihn umsorgen, begleiten, immer an seiner Seite sein. Doch so verlockend diese Rolle der besten Freundin ist, es ist nicht meine. Für meine Söhne bin ich ihre Mutter, nicht ihre Freundin, und das ist gut so.

Das heißt nicht, dass ich nicht oftmals denke, dass es besser für die Jungs wäre, ab dem späten Nachmittag nicht mehr mit mir zusammen zu sein, nachdem ich mich aufgerichtet und Klarheiten verteilt habe. Wenn ich sie dann abends ins Bett bringe, mich mit wirrem Haar zu ihnen runterbeuge, ihr Atem der verlangsamten Geschwindigkeit meines Atems folgt, merke ich, dass »meine Anwesenheit so viel mehr bewirken kann, als ich mir in meinen Zweifeln selbst zutraue« (bei diesem Satz habe ich mich bei Herbert Grönemeyer bedient).

Der Schlüssel ist wieder einmal das weiche Herz und nicht, ob ich meinen Erziehungsansprüchen genüge, ob ich jeden Tag Hand in Hand mit der Ausgeglichenheit aus dem Bett hüpfe und keine andere Emotion außer Geduld empfinde.

Es geht darum, den Jungs kindgerecht zu erklären, wo meine Grenzen liegen; dass ich morgens besser zu gebrauchen bin als abends. So war das schon als Kind und ist heute noch so. Im Gegenzug muss ich akzeptieren, dass unser Großer morgens lieber kaum bis gar nicht isst und dafür mittags halbe Schweine, und dass der Mittlere immer eine Kapuze, eine Mütze oder eine Cap auf dem Kopf trägt, weil er sich damit sicher fühlt. Wenn das ihre und meine Herzen mit Wärme füllt, dann ist es genau richtig. Denn wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund (Lukas 6,45).

Jenseits meiner Grenzen der weite Horizont

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