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Mit Sax im Boxring
Оглавление4. Juni 2010, Landesgartenschau Aschersleben
An dieses Datum erinnere ich mich besonders, weil Peter Geburtstag hatte und trotzdem mit mir arbeiten musste :-), aber es sollte ein sehr spannender und schöner Tag werden!
Unsere Reise führte zu einem großen Boxspektakel, veranstaltet von SES Sport Events Steinfurth.
Ich durfte die deutsche Nationalhymne spielen, für Ramona Kühne. Wohl möglich und denkbar, dass Frauenboxen bis zu einer gewissen Zeit nicht jedermanns Sache war. Aber Frauen an bestimmten Musikinstrumenten wurden auch hin und wieder von fundamentierten Machos als »am Instrument nuckelnde Gogo-Girls« abgestempelt. Könnte sein, dass dies in von Männern dominierten Branchen nicht ganz unüblich ist.
Boxen galt lange als Männerdomäne. Doch die gebrochene Nase von Stefan Raab durch Regina Halmich zeigte, dass Frauen nicht nur beim Sockenstricken begabt sein können, sondern auch in jeder anderen Form von Hand-, Faust- und Beinarbeit. Auch der beeindruckende Kinofilm »Million Dollar Baby« trug selbstredend dazu bei, die anachronistische Einstellung in vielen Köpfen zu durchbrechen. Nebenbei und aus ganz weiblicher Sicht bemerkt: Ich fänd’s genial zu wissen, dass mein rechter Haken, wenn es sein muss, einsatzbereit ist und angemessene Wirkung zeigt. Beim Box-Open-Air in Aschersleben sollte Ramona Kühne um die vakanten WM-Titel der WBO und WBF fighten und damit eine Dreifach-Weltmeisterschaft bestreiten.
Außerhalb des Rings ist sie eine superschöne, elegante Frau und ebenso im Abendkleid ein echter Hingucker. Also musste die Hymne zu ihr passend elegant gespielt werden. Anmutig, feminin und trotzdem kraftvoll. Diese Gedanken hatte ich bei der Erarbeitung der Interpretation. Ging ja nicht um die Weltmeisterschaft im Topflappenhäkeln, sondern um Profiboxen einer Lady!
So landete ich das erste Mal in meinem Leben im Boxring und war vielleicht genauso aufgeregt wie die Boxerinnen. Nur dass ich, realistisch gesehen, wesentlich bessere Chancen hatte, ohne Cuts und Blessuren aus dem Ring zu kommen.
Sicherheitshalber beeilte ich mich, als die Hymne beendet war, auch tatsächlich den Ring zu verlassen. Mit meinem Sax, allerhand technischer Verkabelung, im langen Kleid und hohen Schuhen musste ich ja noch durch die Seile kriechen, bevor es zur Sache ging. Wir hatten dank SES Karten in der ersten Reihe. Wahnsinn! Bisher verfolgte ich Boxen immer nur im Fernsehen. Aber live ist das noch mal hundert Zacken schärfer. Niemals hätte ich gedacht, welche Kraft in den Fäusten steckt und wie deutlich man das auch hört!
Ramona gewann den Kampf durch einen K.O. in der vierten Runde und hatte den dreifachen Weltmeistertitel! Unmittelbar nach ihrem Fight trafen wir uns backstage. Beim Gratulieren war ich völlig perplex und erstaunt, wie fit Ramona nach dem Kampf aussah und sich mit mir unterhielt … sie muss Fitness pur getankt haben! Der Boxabend ging für uns noch weiter, ab jetzt ausschließlich als Gäste. Das hatte einen wesentlichen Vorteil: Wir konnten nämlich endlich mit Sekt auf Peters Geburtstag anstoßen. Vorher war einfach keine Gelegenheit und außerdem trinken wir nie Alkohol, wenn wir arbeiten.
Als nächstes Highlight des Abends kam der Schwergewichtskampf von Timo Hoffmann, der »Deutschen Eiche«. Er war ehemaliger deutscher Meister im Schwergewicht.
Im Jahr 2000 boxte Timo gegen Vitali Klitschko um die Europameisterschaft. Er verlor zwar nach Punkten, ist aber bis heute neben einigen Größen im Schwergewicht, wie zum Beispiel dem Amerikaner Shannon Briggs und dem Briten Dereck Chisora, der einzige Boxer, der mit Vitali Klitschko über die volle Distanz von zwölf Runden ging. Ein Jahr zuvor unterlag »die deutsche Eiche« dem Südafrikaner Francis Botha nur ganz knapp nach Punkten und war immer noch der beste aktive deutsche Schwergewichtler.
Wir trafen ihn hinten, einige Minuten vor seinem Einmarsch. In der Anspannung auf seinen bevorstehenden Kampf formulierte er mit dem Feinsinn eines Schwergewichtsboxers:
»… würde mich freuen, wenn du auch mal für mich bläst, also die Nationalhymne …«
Wir lachten und Timo stieg aufs Motorrad. Er fuhr doch tatsächlich mit 100 PS durch die inzwischen abgesperrten Wege, und zwar quer durch das Publikum. Klar wurde er dafür von seinen Fans bejubelt. War einfach ne richtig geile Inszenierung unter freiem Himmel. Wir saßen inzwischen wieder in der ersten Reihe. Beim Schwergewicht der Männer knallten die Fäuste im fortefortissimo. Völlig irre.
Leider konnten wir diese stattlichen Eindrücke nur knappe fünf Minuten auf uns wirken lassen. Timo Hoffmann schickte Harry Duiven jr. flott zu Boden und gewann damit durch K.O. bereits in der zweiten Runde. Timo sagte anschließend: »Für mich war das heute ein Kampf am Scheideweg. Ich habe gesagt, wenn ich gewinne, greife ich nochmal an Richtung Europameisterschaft. Wenn ich verliere, fahre ich nach Hause und dann ist Schluss mit Boxen.«
Zwei Jahre später liefen die Vorbereitungen zur Europameisterschaft für Timo Hoffmann. Und für mich die Vorbereitungen zur neuen Variante der Nationalhymne. Ich nahm Timos charmantes Angebot von damals an. Wir trafen uns einige Male und ich lernte ihn kennen. Na, wenn ich schon einen durchtrainierten Sportler bei mir daheim zu Gast hatte … da musste ich ihn freilich löchern nach allem rund um Muskelaufbau und Fitness. So kamen wir beide in durchaus witzige Situationen. Wir saßen beispielsweise gemütlich im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen – dabei allerdings zeitgleich mit Hanteln in der Hand (!) – Timo zeigte mir effektive Übungen für definierte Arme. Haben Sie schon mal mit der rechten Hand Kuchen gegessen und mit der linken Hanteln bewegt?
Fühlt sich echt komisch an. Das schlechte Gewissen packte mich und die Frage nach passenden Bauch-Übungen lag nahe. Upps, nach der Frage lag ich schneller als mir in dem Augenblick lieb war auf dem Teppich in der Diele. Timo legte seine Hand auf meinen Bauch und ging zum Trainerton über: »Und hoch – und nochmal – und fester – drück doch meine Hand endlich mal weg!« Wie bitte? Seine schwere Hand mit meinem Bauch wegdrücken? Klar doch »Deutsche Eiche«! … DU Schwergewichtsboxer … ICH nichts!
Irgendwie war ich verdammt untrainiert – ab sofort beherzigte ich alle seine Tipps und ordnete meine bisherigen sportlichen Aktivitäten neu. Im Ring wollte ich wenigstens etwas sportlich aussehen! Außerdem fand ich es Hammer – wer hat schon nen Profiboxer als Personaltrainer, wenn auch nur für einige Stunden! Timo blies aber auch mal ins Saxophon – so konnte ich mein Ego wenigstens für diese kurzen Minuten wieder aufrichten. Es war auf jeden Fall hoch spannend, jeweils in die Welt des anderen einzutauchen. Der Sportvirus hatte mich lange infiziert und das Boxen fasziniert.
Peter und ich besuchten Timo im Boxcamp. Uwe Schuster, sein Trainer wurde von den Boxern liebevoll »Der Commander« genannt. Schusti ist nicht unbedingt der klassische Anzugträger, der sich auf Empfängen und Galas wie zu Hause fühlt. In seinem Innersten ist er aber eine Seele, der für seine Jungs durchs Feuer geht. In seinem Boxcamp durfte ich Boxhandschuhe anziehen und die Jungs zeigten mir, wie man Boxbirnen zum Speedball werden lässt. Und wie man gegen Sandsäcke haut. Das mussten sie mir zeigen, beim ersten Mal bewegte sich dieser dämliche Sandsack (peinlicherweise) nämlich gar nicht.
Ruhe vor dem Sturm.
Get ready to rumble!
Parallel zur Vorbereitung auf die deutsche Nationalhymne hatte ich mit den Boxern einen »Haydn«-Spaß im wahrsten Sinne des Wortes. Intuitiv war mir längst klar, wie ich die neue Version angehen wollte. Für Timo musste das Werk rocken. Musikalisch und in Lautstärke gedacht. Es sollte aus den Boxen schallen und auch nach Boxen klingen. Im Takt mancher Passagen musste man den Rhythmus der Schlag- und Treffer-Kombinationen hören! So Rocky-mäßig, back to the roots – wie im Boxcamp. Der Journalist Detlef Färber, übrigens ein wahrer Meister der Wortkunst, schrieb, nachdem er die Hymne gehört hatte:
»Zum Beispiel in dem Teil, wo man nach dem langsamen ›Einigkeit und Recht und …‹ plötzlich schneller das Wort ›Frei-a-heit‹ singen müsste. Das rockt … so Kling Klang Klong auf die Glocke, dass sofort klar wird, was die musikalische Aussage ist – nämlich Freiheit muss man sich immer wieder neu erkämpfen. Zur Freiheit muss man sich immer wieder durchboxen … Und für das Glück das Gleiche. Eipert spielt die Zeile ›Blüh im Glanze dieses Glückes‹ genauso dynamisch und rockig wie schon die Freiheits-Phrase!«
Die Version passte zu Timo wie seine (Box-)Faust aufs Auge. Joseph Haydn möge mir diese Bearbeitung verzeihen, die Melodie der Hymne schrieb er im Jahr 1797 ursprünglich für ein Streichquartett als »Kaiserlied«.
Am 14. September 2012 war es dann soweit. Mit Live-Übertragung auf Sport1. Jetzt hieß es, sich zusammenreißen – bei dem Werk hatten sich bekanntlich schon richtige Musik-Größen vertan. Außerdem saßen nicht nur ne Menge Leute vorm Fernseher, ich hatte auch noch einige liebe Freunde zu dem Open Air eingeladen. Und DAS potenziert mein Lampenfieber dann um ein Vielfaches. Im Ring – Dr. Andreas Günther war der Ringsprecher und moderierte mich an.
Nochmal tief Luft holen und los!
Alles klappte! Applaus.
Später erfuhr ich, dass Werner Kastor live auf Sport1 zugeschaltet war und den Kampf kommentierte. Kastor ist übrigens promovierter Politologe und genießt als Box-Kommentator Kultstatus. Meine Musik kommentierte er auch: »Das war die beste Version der deutschen Nationalhymne, die ich bisher gehört habe. So ein bisschen mehr Tempo macht das Ding richtig gut!«
Leider musste der Kampf später wegen eines Unwetters und demzufolge aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. Die Hanteln habe ich übrigens noch heute in den Händen, laufe fast jeden Morgen, und wenn die Klamotten mal wieder enger werden, beherzige ich den Ernährungsplan der »Deutschen Eiche« alias Timo Hoffmann, der als Veranstalter und Ringrichter dem Boxsport treu geblieben ist.