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Baudelaire«, sagte eine Stimme direkt hinter Mila.

Ihr Herz verstolperte einen Schlag. Erschrocken fuhr sie herum. Hinter ihr stand der Junge von der Bank auf dem Bahnsteig, den sie fast angerempelt hatte. Offenbar war er ihr gefolgt. Er grinste sie ebenso entwaffnend an wie zuvor, aber als habe sich ein zweites Bild über das erste geschoben, kam seine Miene Mila plötzlich irgendwie weniger freundlich vor.

»Nervös?« Sein Blick folgte der Obdachlosen. »Ja, Odette hat diese Wirkung auf die meisten Menschen.«

»Odette.« Mila sah der Alten ebenfalls nach, schaute zu, wie sie mit bedächtigen Schritten in Richtung Ausgang schlurfte. »Was meintest du eben mit Baudelaire?«, fragte sie den Jungen.

Er zuckte mit den Schultern. »Die Alte ist hier am Bahnhof bekannt dafür, dass sie ständig dieses eine Gedicht von Baudelaire rezitiert. Die Rabenfittiche kommen darin auch vor.«

»Baudelaire«, sagte Mila und legte so viel Ungläubigkeit in ihre Stimme, wie sie nur konnte.

Der Junge vergrub die Hände in den hinteren Hosentaschen. Er war schmal, aber ihr fiel auf, dass er einen ziemlich sehnigen Körper hatte. Die Muskeln seiner Oberarme zeichneten sich unter seinem T-Shirt ab, die Unterarme schienen kräftig zu sein. Er wirkte aufsässig, irgendwie kompromisslos herausfordernd.

»Baudelaire, ja.« Er warf einen Blick über ihre Schulter. Seine dunklen Haare fielen ihm dabei ins Gesicht.

Milas Hände umklammerten das rote Notizbuch. Mit den Fingerspitzen spielte sie an dem Haarband, spürte die dünnen Gummifäden, die daraus hervorstaken. Das, was diese Odette eben gesagt hatte, ging ihr durch den Kopf.

Diese Geschichte hier ist längst zu Ende erzählt. Und: Nicholas befindet sich schon in Ihrer Nähe.

Wieder erfasste ein Kribbeln Milas Körper.

»Wie heißt du?«, fragte sie den Typen.

Er zog überrascht das Kinn zurück. »Ich? Warum interessiert dich das?«

»Bist du Nicholas?« Sie kam sich albern vor. Diese Obdachlose hatte offensichtlich ihren Verstand nicht mehr ganz beieinander. Doch dann dachte Mila wieder an ihr Notizbuch und die Szenen von Nicholas darin. An seine dunklen Haare, die ihm so leicht in die Augen fielen. An seinen durchtrainierten Körper. Vielleicht war ja sie selbst es, die gerade den Verstand verlor.

»Nicholas?« Der Typ schüttelte den Kopf. Seine Haare gerieten ihm wieder in die Augen und er strich sie weg. »Nie gehört. Wer soll das sein?«

Verwirrt atmete Mila aus. Nicht den Verstand verlieren! Nicholas war eine Figur aus einer Geschichte. Eine Fiktion, die sie sich selbst ausgedacht hatte. Abgesehen davon hatte der Junge vor ihr milchkaffeebraune Augen und nicht dunkelblaue wie ihr Nicholas. Und auch sein Haar war bei näherer Betrachtung braun und nicht schwarz. Seine Jeans hätte eine Wäsche gut vertragen können.

»Schon gut«, murmelte sie. »War nur so eine Idee.«

Der Typ zögerte, dann zog er eine Hand aus der Tasche und streckte sie ihr hin. »Ich bin Eric.« Seine Hände waren sauberer, als sie vermutet hatte. Seine Fingernägel kurz geschnitten, die Knöchel kräftig und aufgeschürft.

Mila nahm seine Hand und schüttelte sie. »Mila.«

»Komischer Name«, sagte Eric.

»Nur für französische Ohren. Mit vollem Namen heiße ich Émilie Antoinette.«

Warum erzählte sie ihm das? Sie hatte diesen Namen schon immer gehasst. Er passte überhaupt nicht zu ihr, klang viel zu groß für sie. Zu sehr nach langen Röcken, hohen Absätzen und steifen Miedern dafür, dass sie am liebsten Jeans und flache Ballerinas trug.

Diesmal grinste Eric nicht, sondern lächelte schwach. Es ließ seine Züge weicher erscheinen. »Du bist keine Französin«, sagte er ihr auf den Kopf zu.

»Hört man das?«

»Ein bisschen. Aber dein Französisch ist gut. Fehlerfrei.«

»Ich bin Französin«, sagte sie. »Aber ich lebe mit meiner Mutter in Deutschland. Schon seit meiner Geburt.«

Er nickte. »Das erklärt es. Warum bist du hier?«

»Ich bin zu Hause abgehauen.«

Er lachte auf. »Glaube ich nicht!«

Sie verdrängte den Gedanken daran, dass sie mittlerweile vermutlich die zehnte oder zwölfte Nachricht von ihrer Mutter auf dem Handy hatte. Und ihr schlechtes Gewissen deswegen verdrängte sie ebenso. Schließlich hatte sich ihre Mutter das selbst zuzuschreiben.

»Und ich glaube dir nicht, dass du Baudelaire zitieren kannst«, sagte sie zu Eric.

Er nahm die Herausforderung an. Großspurig warf er sich in Positur, spreizte die Beine leicht. Mila musste ein Grinsen unterdrücken. Sosehr Eric sich auch bemühte, cool zu wirken, es schimmerte etwas Verletzliches durch seine Fassade, das sie unerwartet anziehend fand. Er suchte ihren Blick, legte eine Hand an sein Herz und fing an zu deklamieren:

»Herbstende! winter! frühling mit schlammigem eise!

Ihr schläfernden zeiten des jahrs – ich liebe und preise

Was mein gemüt und meine gedanken umgab

Mit dunstigem leintuch und mit verschwommenem grab.

Das ist die erste Strophe.«

Mila starrte ihn an. Sie kannte das Gedicht nicht, aber es hörte sich nicht so an, als ob er bluffte.

Seelen mit Rabenfittichen, flüsterte Odettes Stimme in ihrem Hinterkopf.

Nicholas stand im Schatten eines Marktstandes, der Obst und Süßigkeiten verkaufte, und sah zu, wie dieser Kerl mit Mila sprach. Gesindel, hallten Odettes Worte von eben noch in ihm nach. Seelen mit Rabenfittichen. Er biss die Zähne zusammen.

»Das ist sie also wirklich?«, fragte Luc.

Nicholas hob das Kinn, senkte es wieder. Ein äußerst knappes Nicken.

»Was wirst du jetzt tun?«

Nicholas wandte den Kopf. Sein Freund stand dicht bei ihm und fuhr fort: »Ich meine: Warum sind wir hier? Wir könnten versuchen, einfach von hier zu verschwinden. Dann wäre die Geschichte zu Ende, bevor sie richtig angefangen hat. Warum …«

Bilder flackerten in Nicholas’ Geist auf und ließen Lucs Worte in den Hintergrund treten. Bilder, die sich anfühlten, als wären sie mit einer Nadel auf die Innenseite seines Schädels graviert. Ein schwarzes Notizbuch, nicht das, das sich in seiner Manteltasche befand, aber eines, das genauso aussah. Die Schrift mit dem blauen Leuchten. Der Füllfederhalter, der durch seine Finger rutschte und auf den steinernen Fliesen aufprallte. Seine Beine, die unter ihm nachgaben. Das Kreischen völliger Erschöpfung in seinen Ohren …

»Nicholas?« Lucs Stimme holte ihn zurück auf den Bahnhof.

Er blinzelte, presste Daumen und Ringfinger in die inneren Augenwinkel.

Luc hielt ihn an den Oberarmen gepackt. »Alles okay, Mann? Du warst mindestens eine Minute lang richtig weggetreten.«

Nicholas machte sich los. »Ja. Klar, alles in Ordnung.« Er konnte seinen Blick nicht von Mila lösen, die in der riesigen Bahnhofshalle stand, eingehüllt in das überirdische Leuchten der Sonnenstrahlen.

»Der Kerl da«, sagte Luc. »Er kommt in der Geschichte aber nicht vor, oder?«

Nicholas schüttelte den Kopf, ohne den Typen aus den Augen zu lassen. Er löste sich aus dem Schatten des Obststandes.

Luc ächzte leise. »So viel zum Thema einfach von hier abhauen«, murmelte er.

Nicholas marschierte auf Mila zu und er war nur noch wenige Meter von ihr entfernt, als sie den Kopf wandte und ihn ansah. Mit einem Ruck blieb er stehen. Völlig bewegungsunfähig.

Milas Augen weiteten sich.

Eine Hand legte sich auf Nicholas’ Schulter. Luc. In Milas Augen schimmerte erst Schrecken auf, dann tiefe Verwirrung. Ihre Lippen teilten sich.

»Du?«, wisperte sie.

Nicholas krallte sich an Lucs Arm fest.

»Wer ist der Kerl?« Die Stimme des anderen Jungen. »Sieht aus, als würde er gleich an seiner eigenen Zunge ersticken.«

Mila achtete nicht auf ihn. »Nicholas?« Ihre Stimme war nur ein Hauch.

Nicholas’ Knie begannen zu zittern.

Und dann keuchte er auf, als ein brennender Schmerz sein Handgelenk erfasste. Er riss den Arm hoch. Starrte auf die Stelle direkt über seiner Pulsader. Ein schwaches blaues Leuchten fraß sich von innen an die Oberfläche seiner Haut.

Beim Anblick des Jungen im schwarzen Mantel dachte Mila, sie würde ihren Verstand verlieren. Sie vergaß, dass sie gerade Eric etwas hatte fragen wollen. Vergaß, dass sie eigentlich auf dem Weg zu Isabelle war. Verschwunden waren sämtliche Menschen ringsherum. Verschwunden war auch der Bahnhof, ganz Paris.

Die gesamte Welt.

Es gab nur noch sie und den Jungen im schwarzen Mantel. Groß war er und schlank, genau wie in ihrem Notizbuch. Seine Haare hingen ihm wirr in die Stirn, verdeckten seine Augen. Trotzdem wusste sie, dass er sie anstarrte. Sein Mantel klaffte auf, enthüllte eine teure Jeans und ein schlichtes, aber ebenfalls teuer aussehendes weißes Hemd.

»Nicholas?« Milas Lippen formten den Namen, aber sie spürte nicht, ob sie ihn laut sagte. Sie hörte nichts. Wie in einem riesigen, kalten Vakuum schwebte sie. Ihr Herz zog sich zu einem winzigen Punkt zusammen, sodass sie nicht mehr atmen konnte.

Sein Blick begegnete ihrem und in diesem Moment entstand etwas Namenloses zwischen ihnen, etwas, das ihr enges Herz weitete, mehr, als es sich jemals zuvor geweitet hatte. Plötzlich fühlte sie sich unendlich leicht und gleichzeitig tonnenschwer, alt und doch jung wie nie zuvor.

Sie sah, wie Nicholas sich krümmte, wie er Halt suchte bei seinem Freund, einem breitschultrigen Kerl mit kurzen Beinen und einem Brustkorb wie ein Gewichtheber.

Der Ansturm der starken Gefühle zwang sie fast in die Knie und gerade, als sie wieder ausatmete, wurde Nicholas von seinem Begleiter in Richtung Ausgang weggezerrt.

Weg von ihr.

Glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?, hallten die Worte des alten Mannes aus dem Zug in ihr nach.

Eric neben ihr schien etwas zu fragen, doch sie hörte ihn nur undeutlich, als sei sie plötzlich unter Wasser geraten.

Mit klopfendem Herzen starrte sie Nicholas hinterher.

Draußen vor dem Bahnhofsgebäude zwang Luc Nicholas, stehen zu bleiben. »Alter«, stieß er hervor. »Was war das denn?«

Nicholas umklammerte sein Handgelenk. Dann nahm er die Hand fort, blickte auf die schmerzende Stelle. Blaues Leuchten brannte sich durch seine Haut, feine Linien, die Bögen bildeten und Schleifen. Ein Wort.

Mila.

Er schluckte.

»Ach, du Scheiße!« Luc packte Nicholas’ Hand, drehte sie so, dass er einen besseren Blick auf das Phänomen hatte. »Das ist …«

Nicholas entzog sich ihm. Er wusste, was es war. Er hatte es schon einmal erlebt, dass sich blaue Schriftzeichen durch seine Haut gebrannt hatten. Vor ein paar Jahren war es gewesen und seit damals hatte er inständig gehofft, dass er es nie wieder erdulden musste.

Er knirschte mit den Zähnen, um den Schmerz auszuhalten. »Das Mädchen«, sagte er. »Sie ist Mila …«

Luc ließ die Schrift für einen Augenblick Schrift sein. »Quatsch! Das bildest du dir ein.«

»Du möchtest, dass ich mir das einbilde. In Wirklichkeit weißt du ebenso wie ich, dass sie es ist.«

»Es ist nur eine blöde Geschichte, Nicholas! Etwas, das du als Teenager geschrieben hast, weil du deinem Vater eins auswischen …« Luc verstummte, weil sich hinter ihm die schwere Bahnhofstür öffnete.

Heraus trat Mila.

Und etwas in Nicholas kam zum Stillstand.

Mila war dem Jungen im schwarzen Mantel nachgeeilt, ohne auch nur eine Sekunde lang darüber nachzudenken, was sie tat. Als sie die Hand nach dem Griff der schweren Bahnhofstür ausgestreckt hatte, hatte sie danebengefasst, so verwirrt war sie. Und als sie jetzt dem Jungen gegenüberstand, wusste sie weder, was sie sagen, noch, was sie denken oder fühlen sollte.

»Nicholas, nicht wahr?« Die Worte kratzten in ihrer Kehle wie Sandpapier.

Hinter seinen widerspenstigen Haarsträhnen weiteten sich seine Augen. Sie war ihm jetzt nah genug, um zu erkennen, dass seine Iris blau war. Ein Blau so dunkel wie eine mondhelle Nacht. Winzige silbrige Splitter schwammen darin wie Sterne an einem Mitternachtshimmel. Sein Gesicht war schmal und ebenmäßig, die wirren Haare fielen ihm über Stirn und Lider. Es sah aus, als sperre er seinen Blick absichtlich dahinter ein.

Sie legte ihre Fingerspitzen in die Vertiefung ihres Schlüsselbeins und konnte dort ihren Herzschlag trommeln spüren. »Was passiert hier gerade?«, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. Es war eine verwirrte Geste, keine Ablehnung. Eine Haarsträhne geriet ihm in den Augenwinkel, aber er schien es nicht einmal zu bemerken. Wie ferngesteuert streckte Mila die Hand aus, um sie fortzustreichen. Sein Blick fühlte sich an wie Fingerspitzen, die sanft ihre Wange streichelten. »Wieso siehst du genauso aus wie jemand, über den ich …?« Sie unterbrach sich, weil sie wusste, wie dämlich es geklungen hätte, ihn das zu fragen.

Warum siehst du aus wie jemand, über den ich geschrieben habe?

Seine Augen weiteten sich noch ein wenig mehr, so, als erschreckte ihn ihre Frage, obwohl sie sie gar nicht zu Ende gebracht hatte. Kurz bevor sie ihn berührte, zuckte er zurück, und plötzlich fühlte sich sein Blick an wie eine Ohrfeige.

»Du kennst mich nicht.« Seine Stimme war tief und dunkel und ihr Klang verursachte Mila eine Gänsehaut. Mit einem Mal sah er so aus, als wäre er am liebsten vor ihr fortgelaufen.

Sie blinzelte irritiert. Sie hatte gemerkt, dass auch er von ihrer Begegnung elektrisiert gewesen war. Sie war sich sicher gewesen, dass er bei ihrem Anblick ähnlich empfunden hatte wie sie. Aber genau wie sie schien auch er von der Situation völlig überfordert zu sein. Er atmete viel zu schnell.

»Ich …« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Mehrere Sekunden lang standen sie sich gegenüber, eine halbe Armeslänge voneinander entfernt, und die Luft zwischen ihnen verdichtete sich, bis sie zu knistern schien.

»He! Warum bist du einfach weg…« Eric war plötzlich neben ihr. »Was geht hier vor?«

Nicholas’ Blick ruhte noch einige Sekunden länger auf ihrem Gesicht. Dann senkte er ihn auf sein Handgelenk, über das er den Mantelärmel tief nach unten gezogen hatte. Schließlich trat er von Mila zurück und sah Eric an. »Ihr Portemonnaie«, sagte er. Er klang ganz ruhig und freundlich, aber sie konnte zusehen, wie etwas in seinen Augen aufschimmerte. Eine Härte, die sie frösteln ließ.

Mila drehte sich zur Seite. In Erics Augen blitzte es.

»Und ihr Handy«, fügte Nicholas hinzu.

Als Eric nicht reagierte, trat er einen Schritt vor.

Eric wich zurück, aber nur mit dem Oberkörper.

»Her damit!«, befahl Nicholas und streckte die Hand aus.

Eric kämpfte noch einen Augenblick mit sich, doch dann seufzte er tief. Er fasste in die Tasche seines Hoodys, zog Milas Portemonnaie daraus hervor und gleich darauf auch ihr Handy aus der hinteren Tasche seiner Jeans.

Mila wusste nicht, ob sie verblüfft oder erschrocken sein sollte. Darum also hatte Eric sich zu ihr gesellt? Weil er sie bestehlen wollte? Und sie hatte geglaubt, er habe sich wirklich für sie interessiert. Sie hatte ihn sogar nett und irgendwie anziehend gefunden. Kurz kam sie sich unendlich dämlich vor, doch das Gefühl trat sofort in den Hintergrund, als sich Nicholas’ Blick wieder auf sie richtete.

In seinen Augen erschien ein spöttischer Ausdruck. »Ja«, sagte er mit dieser tiefen Stimme. »Typen wie er suchen sich gern naive, kleine Mädchen aus.«

»Ich bin nicht naiv!«, rutschte es Mila heraus.

Nicholas’ rechter Mundwinkel zuckte schwach, was den Spott in seinen Augen noch verstärkte. »So?« Wortlos nahm er Eric ihr Portemonnaie und das Handy ab. Dann stieß er herausfordernd das Kinn vor. »Verpiss dich!« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und fügte hinzu: »Und halt dich in Zukunft von ihr fern!«

Eric schien sich mittlerweile gefangen zu haben. »Sonst?«, fragte er. Wieder schien die Luft zu knistern, diesmal jedoch zwischen Eric und Nicholas und aus einem ganz anderen Grund.

Eric ballte die Rechte zur Faust. Er sah so aus, als ob er das nicht zum ersten Mal tat.

In Milas Ohren summte es.

»Nicholas!« Die Stimme von Nicholas’ Freund klang warnend. »Komm, lass. Mit dem Typen ist nicht zu spaßen.«

Nicholas winkte ab. Und machte sich ebenfalls kampfbereit. »Was ist?«, forderte er Eric heraus. »Traust du dich nicht, oder was?«

Eric trat drohend einen Schritt vor.

»Leute!«, sagte Mila. »Nicholas! Eric!«

Niemand achtete auf sie. Und dann geschah alles sehr schnell. Erics Faust stieß vor. Nicholas fing den Hieb mit gespannten Bauchmuskeln ab. Dann packte er Erics Hand, tauchte darunter hindurch und stand im nächsten Augenblick hinter seinem Rücken, seinen Arm in einem Haltegriff.

Eric schrie auf und ging in die Knie. Er wehrte sich, aber Nicholas zwang ihn zu Boden, indem er den Druck langsam, aber sicher erhöhte. »Verdammt! Du Drecksack, du brichst mir den Arm!«, zischte Eric und gab schließlich nach.

Über ihn hinweg schaute Nicholas Mila an.

Ihr Herz jagte von diesem kurzen Ausbruch von Gewalt und offenbar sah er den Schrecken, den sie empfand. Für eine Sekunde lang lockerte er den Griff um Erics Handgelenk.

Der wollte die Gelegenheit nutzen und sich aus der Umklammerung winden, aber sofort erhöhte Nicholas den Druck wieder, ganz selbstverständlich und lässig und ohne dabei den Blick von Mila zu nehmen. Langsam, Stück für Stück zwang er Eric tiefer. Bis dessen Gesicht fast den schmutzigen Asphalt berührte.

Erneut schrie Eric.

»Hör auf!« Schrill klang Milas Stimme. »Du brichst ihm den Arm!«

Nicholas sah ihr in die Augen, als dächte er über etwas sehr intensiv nach. Und dann zog er durch.

Erics Handgelenk brach wie ein trockener Zweig. Mila konnte es knacken hören.

Eric schrie auf. »Du Bastard!«, brüllte er.

Mila spürte, wie ihre Knie weich wurden.

Nicholas ließ Eric los, der vornüberfiel und sich gerade noch mit der unverletzten Hand abstützen konnte. Mühsam rappelte er sich auf, hielt die verletzte Hand vor dem Bauch. »Du mieses Arschloch! Du bist ja irre!« Mit dem Kinn deutete er erst auf Nicholas, dann auf Mila und als müsse er sicher sein, dass sie verstanden hatte, wiederholte er: »Der ist irre!« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und suchte das Weite.

Mila starrte ihm nach, aber er war noch nicht weit weg, als ihre Fassungslosigkeit sich in Zorn wandelte. »Was sollte das?!«, fauchte sie Nicholas an. »Das war völlig unnötig!«

Er zuckte nur mit den Schultern. Scharf zog er Luft durch die Zähne, als habe er selbst Schmerzen. Seine Hand umklammerte sein eigenes Handgelenk, dabei waren Erics Knochen gebrochen, nicht seine.

Mila spürte Tränen in sich aufsteigen. Tränen der Enttäuschung. Der Junge, über den sie geschrieben hatte, hätte nie im Leben so etwas getan.

Nicholas rührte sich nicht. Und dann sagte er etwas sehr Sonderbares.

»Wenn es irgendwie in meiner Macht steht, Mila, dann werde ich es verhindern.«

»Was verhindern?« Sie schrie jetzt fast.

Aber er drehte sich einfach um. Und ging weg.

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