Читать книгу Argumentation - Kati Hannken-Illjes - Страница 12

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2.2 Wenzels Modell der drei Perspektiven auf Argumentation

Um das Feld stärker zu ordnen, bevor in den folgenden Kapiteln dann einzelne Ansätze genauer vorgestellt werden, soll hier das Modell der drei Perspektiven auf Argumentation von Wenzel (1980) eingeführt werden. Es wird in der Argumentationswissenschaft – nur halb im Scherz – oft auch die „Heilige Dreifaltigkeit der Argumentationstheorie“ genannt. Dieses Modell ist als Heuristik zu verstehen, d.h. es bietet klare analytische Abgrenzungen zwischen verschiedenen Bereichen. Diese Abgrenzungen sind in der Analyse natürlicher Argumentation nicht mehr so leicht zu ziehen und können verwischen.

2.2.1 Die Entwicklung des Modells der drei Perspektiven auf Argumentation

Für die Einführung des Modells von Wenzel ist es sinnvoll, sowohl einen kurzen Abriss seiner Entwicklung zu geben als auch einen historischen Rückgriff auf seine Grundlagen zu unternehmen.

2.2.1.1 Die drei Perspektiven bei Aristoteles

Das Modell der drei Perspektiven lässt sich zurückbinden an die drei Schriften, in denen Aristoteles sich zur Argumentation äußert. Von Aristoteles liegt zur Argumentation keine eigene, umfassende Beschreibung oder Theorie vor. Er thematisiert das, was wir heute unter Argumentationswissenschaft fassen, in drei seiner Schriften: der „Analytik“, der „TopikTopik“ und der „Rhetorik“. In der „Analytik“ behandelt Aristoteles logische Schlüsse, in der „Topik“ die dialektische Methode und die unterschiedlichen Topoi, die der Argumentation zu Grunde liegen können, und in der „Rhetorik“ schließlich werden das EnthymemEnthymem und ParadigmaParadigmaals Schlussverfahren als rhetorische Schlussverfahren sowie wiederum die Topik, hier mit der Unterscheidung in allgemeine und spezielle Topoi, behandelt. Dies korrespondiert begrifflich und konzeptionell mit der Unterscheidung der drei Perspektiven, die Wenzel vorgeschlagen hat. Wichtig ist aber, dass diese Unterscheidung keine aristotelische ist!

Aristoteles behandelt Argumentation in den drei Werken „Analytik“, „TopikTopik“ und „Rhetorik“. Er verfasste aber keine eigene, umfassende Theorie der Argumentation.

2.2.1.2 Von einer zu drei Perspektiven

Das Modell der drei Perspektiven auf Argumentation hat eine Entwicklungsgeschichte, die zugleich einiges über die verschiedenen Ansätze der Argumentationswissenschaft erzählt. Daher soll die Geschichte des Modells der drei Perspektiven hier etwas ausführlicher an Hand von drei Aufsätzen dargestellt werden. Interessanterweise kommen die Autoren dieser Aufsätze alle aus derselben Disziplin, den Communication Studies. Diese firmierte bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts als Speech Communication und ist die deutlich größere und stärker differenzierte Schwesterdisziplin der Sprechwissenschaft. Eine Teildisziplin der Speech Communication (wie der Sprechwissenschaft) ist die Rhetorik. Zudem waren alle drei Autoren – wie auch der Großteil der anderen rhetorisch geprägten Argumentationswissenschaftlerinnen in den USA – Leiter akademischer, universitärer Debattenteams und hatten dadurch nicht nur einen theoretischen, sondern auch einen spezifisch praktisch ausgerichteten Blick auf Argumentation.

2.2.1.3 Der Sonderfall argument<i>argument</i>

1974 hielt Wayne Brockriede einen Vortrag auf der Alta Conference mit dem Titel „Where is Argument?“. Der Vortrag (und der daraus resultierende Artikel) verortet argument an sechs Stellen. Argument ist demnach

1 „an inferential leap from existing beliefs to the adoption of new beliefs or the reinforcement of an old one“

2 „a perceived rationale to support that leap“

3 „a choice among two or more competing options“

4 „a regulation of uncertainty“

5 „a willingness to risk confrontation of a claim with peers“

6 „a frame of reference shared optimally“

In Brockriedes Ansatz wird deutlich, was weiter oben schon betont wurde. Argumentation ist immer zweierlei: die Bearbeitung von DissensDissens und die Verhandlung von Geltung. Insbesondere Punkt 1, 2 und 6 beziehen sich auf geteiltes Wissen und die Etablierung von Geltung, wohingegen sich 3, 4 und 5 eher auf die Bearbeitung von StrittigkeitStrittigkeit beziehen.

Zudem ist der Aufsatz von Brockriede exemplarisch für das terminologische Problem, das der englische Begriff argument<i>argument</i> mit sich bringt. Nicht alle der sechs Punkte beziehen sich auf Argumentation im Sinne von Begründungshandeln. So lassen sich die Punkte 3 bis 6 zwar auf Argumentation beziehen, sie sind aber nicht spezifisch für Argumentation. Sie lassen sich allgemein auf rhetorisches Handeln beziehen, innerhalb dessen argumentiert werden kann, aber nicht muss. Nun nimmt Brockriede auch nicht in Anspruch, dass die sechs Punkte Argumentation und Argumentieren abschließend definieren, dass es sich also hier um die notwendigen und hinreichenden Bedingungen handelt, um von argument zu sprechen. Die Unklarheit in Bezug auf die sechs Punkte beruht auf der semantischen Breite des Begriffs argument im Englischen, der neben Argument oder Argumentation auch agonale Interaktionsformen wie Streit oder Auseinandersetzung einbezieht.

Der englische Begriff argument<i>argument</i> hat eine semantische Breite, die im Deutschen nicht gegeben ist. Argument bezieht sich auf eine Interaktionsform und kann weitestgehend mit Streit übersetzt werden. Innerhalb eines argument kann argumentiert werden, dies ist aber nicht notwendigerweise der Fall. Diesen Unterschied aufs Unterhaltsamste deutlich gemacht haben Monty Python mit dem Sketch „The argument clinic“. Das ist konzentrierte Argumentationstheorie.

2.2.1.4 Argument1 und Argument2

Drei Jahre später reagiert Daniel O’Keefe (1977) auf Brockriede mit seinem Vortrag „Two Concepts of Argument“. O’Keefe kritisiert Brockriede wegen der unklaren Begrifflichkeit, die sich durch die unterschiedlichen Bedeutungen von argument ergeben kann. O’Keefe führt eine Unterscheidung ein, die in der nicht-englischsprachigen Literatur nicht notwendig wäre, im angloamerikanischen Raum aber zu einer immer noch so benannten Unterscheidung in argument1 und argument2 führt. O’Keefe (1977) versteht unter argument1 „a kind of utterance or a sort of communicative act“ (S. 121). Dies entspricht damit dem Verständnis von Argumentation als BegründungshandelnBegründungshandeln. Argument2 auf der anderen Seite ist „a particular kind of interaction“ (S. 121), ein Verständnis, das vom deutschen Begriff Argumentation nicht abgedeckt ist. O’Keefe formuliert den Unterschied so: „An argument1 is something one person makes (or gives or presents or utters), while an argument2 is something two or more persons have (or engage in)“ (S. 121). Nun sind Streit und DissensDissens Kontexte, die Argumentation zu einem möglichen und vielleicht sogar erwartbaren, aber eben nicht notwendigen Verfahren machen. Diese Unterscheidung von O’Keefe ist vor allem im englischsprachigen Raum bis heute präsent.

Interessant ist, dass O’Keefe Brockriede zwar kritisiert, aber auch anerkennt, dass die Begriffsverwirrung einem Perspektivwechsel auf Argumentation entstammt: einer Abwendung von Argumentation als logischem Schlussverfahren und einer Hinwendung zu sozialer Interaktion, in der Argumente ausgetauscht werden, in der argumentiert wird.

2.2.2 Die drei Perspektiven auf Argumentation

1980 dann schlägt Wenzel eine Dreiteilung des Argumentationsbegriffs vor: Argumentation lässt sich, so Wenzel, aus einer rhetorischen, dialektischen und logischen Perspektive betrachten. Er schließt mit diesem Konzept explizit an die Aufsätze von Brockriede (1975) und O’Keefe (1977) an, die er als Bemühungen sieht, die konzeptionelle und terminologische Unordnung innerhalb der Argumentationswissenschaft zu ordnen. Den Grund dieser Unordnung sieht Wenzel in der Wende in der Argumentationswissenschaft, weg von formal-logischen Auffassungen von Argumentation, hin zur Untersuchung natürlich-sprachlicher Argumentation, und damit weg von ent-situierten, konstruierten Beispielen hin zu Argumentation in sozialer Interaktion.

Die Perspektiven in Wenzels Konzept – Logik, Dialektik, Rhetorik – korrespondieren wie beschrieben mit den Werken des Aristoteles, in denen er sich zur Argumentation äußert. Wenzel benennt diese drei Perspektiven als Prozess- (Rhetorik), Prozedur- (Dialektik) und Produkt- (Logik) Perspektive. Dabei handelt es sich nach Wenzel nicht um einander ausschließende Herangehensweisen, sondern um komplementäre Perspektiven, die abhängig sind vom Argumentationsverständnis und vor allem dem Erkenntnisinteresse der Forscherinnen. Die meisten Argumentationswissenschaftlerinnen werden Argumentation vorrangig aus einer Perspektive betrachten und bearbeiten, zugleich würden die meisten von ihnen aber zugestehen, dass alle drei Perspektiven nicht nur legitim sind, sondern ihre Kopplung und Integration produktiv sein kann, um Argumentation umfassend zu beschreiben und zu analysieren. Im Folgenden sollen diese drei Perspektiven näher dargestellt und am Beispiel der „Zwölf Geschworenen“ veranschaulicht werden. Die leitenden Fragen sind dabei für jede Perspektive:

Was konstituiert ein Argument? (formaler Aspekt)

Welche Funktion hat Argumentation? (funktionaler Aspekt)

Was konstituiert Gültigkeit/Geltung? (Geltungsaspekt)

Argumentation

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