Читать книгу Argumentation - Kati Hannken-Illjes - Страница 13
2.3 Die logische Perspektive
ОглавлениеLogik betrachten viele Autorinnen als fundamental für Argumentation, als „grundlegenden Teil der Lehre von den Methoden, Prinzipien und Kriterien […], mit deren Hilfe man gute von schlechten Argumenten unterscheiden kann“ (Beckermann, 2011, S. 2). Und auch wenn die vorliegende Einführung in die Argumentation sich stärker auf die dialektische und vor allem die rhetorische Perspektive in der Argumentationswissenschaft konzentriert, so ist die Logik doch wichtiger Bestandteil jeder Form von Argumentationswissenschaft; nicht zuletzt, weil zentrale Begriffe, mit denen Argumente und Argumentation beschrieben werden, aus der Logik stammen.
Die logische Perspektive thematisiert Argumentation aus einer Produktperspektive. Danach ist ein Argument eine Verbindung von Aussagen/Propositionen in der Weise, dass bestimmte Aussagen so verknüpft sind, dass sie eine weitere Aussage belegen können. Damit sieht eine logische Perspektive auf Argumentation auch vom Kontext ab, in dem argumentiert wird. Zudem werden Aussagen innerhalb formallogischer Argumentationstheorien von natürlicher Sprache in ein formales Zeichensystem übertragen.
JUROR 8: Ich weiß nur, daß dieser Junge sein ganzes Leben herumgestoßen wurde. Er ist in einem Elendsviertel aufgewachsen, hat früh seine Mutter verloren. Damals war er neun Jahre alt. Für anderthalb Jahre hat man ihn in ein Waisenhaus gesteckt, weil sein Vater eine Gefängnisstrafe absitzen mußte. Wegen Scheckfälschung, stimmt’s? Ja, das ist kein gutes Sprungbrett fürs Leben. Wie sagten Sie noch – auf freier Wildbahn gegrast? Man hätte sich eben mehr um ihn kümmern sollen.
JUROR 3: Unsere Waisenhäuser sind okay. Wir zahlen Steuern dafür.
Dieses Beispiel ist in natürlicher Sprache formuliert. Das Argument lässt sich bereits identifizieren, steht aber noch in seinem Kontext. Eine Rekonstruktion in der dreistelligen Argumentform würde folgendermaßen aussehen:
Übertragen in eine logische Formsprache könnten die Aussagen folgendermaßen ersetzt werden:
Damit reduziert sich das natürlichsprachliche Argument auf eine Schlussformel, die dem Kontext des Gesprächs enthoben ist. Diese ließe sich folgendermaßen formulieren: Wenn p, dann q. p! Also q.
Diese Umwandlung zeigt zwei Aspekte auf, die immer wieder an formallogischen Herangehensweisen kritisiert wurden. Zum einen entsteht durch die Übertragung von natürlicher in logische Sprache eine Reduzierung der Bedeutung. Aus potenziell vagen, mehrdeutigen Äußerungen werden eindeutige Zeichen. So steht q jetzt für die Äußerung „Waisenhäuser sind okay“. Schon diese Reduktion des ursprünglichen Textes ist nicht unproblematisch, mag in diesem Fall aber stimmig sein und ist angesichts der kurzen Äußerung wohl möglich (wobei das „unsere“ hier schon verschwunden ist und man sich streiten könnte, ob es nicht zum Argument dazugehört). Die Reduktion dieser Aussage nun auf „q“ wandelt etwas Mehrdeutiges (was genau heißt okay? Ist es das Gleiche wie gut? Oder gut genug? Und wer sind genau diese „wir“, die die Steuern zahlen? Alle im Raum? Alle Amerikaner? Alle guten Amerikaner?) in etwas Eindeutiges. Allerdings ist damit ein Einwand benannt, der nur bedingt trifft: Es geht an dieser Stelle der logischen Perspektive um die Beziehung zwischen den Aussagen, nicht um die Aussagen selbst. Hier setzt auch die nächste Kritik – möglicherweise dann nicht ganz zu Recht – an. Die logische Perspektive trifft keine Aussage über die WahrheitWahrheit oder WahrscheinlichkeitWahrscheinlichkeit der PrämissePrämissen, sondern nur über die Beziehung der PrämissePrämissen untereinander. Häufig ist es aber der Inhalt der Aussagen – in seiner Vagheit und Mehrdeutigkeit –, der die Probleme bereitet. So könnte Juror 8 hier entgegnen: Was meinen Sie denn mit okay? Die logische Perspektive kann Argumentation nicht in Bezug auf ihren Inhalt und die daraus resultierende Überzeugungskraft untersuchen und nimmt dies für sich auch nicht in Anspruch.
Zur logischen Argumentationstheorie liegen eine Vielzahl von sehr guten Einführungen vor, so z.B. Bayer (2007), der auch AlltagsargumentationAlltagsargumentation in seine Überlegungen einbezieht, Bühler (1992), Tetens (2006) zur philosophischen Argumentation, Wolff (2006) oder Walter/Wenzl (2016) in einer sehr praktischen Heranführung. Die vorliegende Einführung stellt daher die dialektische und rhetorische Perspektive in den Vordergrund. Dennoch kommt auch sie ohne grundlegende Begriffe der Logik nicht aus: So wird in der Logik in der Regel nicht von einer argumentativen Äußerung, sondern einer Aussage gesprochen. Häufig wird auch der Begriff der PrämissePrämisse genutzt. Grundlegende logische Schlussverfahren wie deduktive und induktive Schlüsse sind auch für die dialektische und rhetorische Argumentationstheorie relevant. Daher folgt hier eine Erläuterung einiger zentraler argumentationswissenschaftlicher Begriffe aus der Logik.
Prämisse:
Prämisse Eine gegebene Aussage, rekonstruierbar aus einer Äußerung innerhalb einer Argumentation. Diese Aussage wird als wahr gesetzt.
SyllogismusSyllogismus (manchmal auch deduktiver Syllogismus): Ein analytischer Schluss bestehend aus Oberprämisse, Unterprämisse und Konklusion. Teilweise findet sich auch die Terminologie ObersatzObersatz, UntersatzUntersatz, Konklusion. Die PrämissePrämissen werden als wahr behandelt. Dabei formuliert die Oberprämisse einen allgemein geltenden Satz, die Unterprämisse einen spezifischen Fall. Aus beiden folgt zwingend die Konklusion, d.h. die Prämissen beinhalten bereits die Konklusion. Ein deduktiver SyllogismusSyllogismus kann in der Konklusion also keine Informationen bringen, die in den Prämissen nicht schon enthalten gewesen wären. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Sterblichkeit Sokrates’:
Oberprämisse: | Alle Menschen sind sterblich. |
Unterprämisse: | Sokrates ist ein Mensch. |
Konklusion: | Also ist Sokrates sterblich. |
Der SyllogismusSyllogismus ließe sich auch in der dreistelligen Form des Arguments wiedergeben, mit der Unterprämisse als Grund, der Oberprämisse als Übergang und der Konklusion.
Deduktion:
DeduktionAusgehend von einem allgemeinen Satz wird ein Schluss für einen speziellen Fall gezogen.
Wenn im Beispiel Juror 10 argumentiert, dass der Junge ein Verbrecher ist, weil alle von „ihnen“, den Menschen aus dem Slum, geborene Verbrecher sind, ist das ein deduktiver Schluss.
Induktion:
InduktionAusgehend von einem spezifischen Satz oder einer einzelnen Beobachtung/Erfahrung wird ein Schluss für einen allgemeinen Fall gezogen.
Wenn die Geschworenen einzelne Indizien und Zeugenaussagen zusammentragen, soll aus einzelnen Beobachtungen eine Aussage für den gesamten Fall konstruiert werden: Der Junge ist schuldig/nicht schuldig. Dies ist ein induktives Schlussverfahren, allerdings nicht mit dem Ziel eine allgemeingültige Regel aufzustellen, sondern einen Schluss für diesen konkreten Fall zu finden.
Abduktion:
AbduktionDie Abduktion ist ein Schlussverfahren, das im Gegensatz zu InduktionInduktion und DeduktionDeduktion neue Erkenntnis ermöglicht. Ein überraschendes Phänomen wird mit einer neuen, allgemeinen Regel erklärt (DeduktionDeduktion), die dann über Beobachtung und Erfahrung verifiziert wird (InduktionInduktion). Für die Wissenschaftstheorie hat Charles Saunders Peirce diesen Begriff aus der antiken Analytik nutzbar gemacht.
Fehlschluss:
Auch TrugschlussTrugschluss oder FallazieFallazie genannt. Die Standarddefinition eines FehlschlussesFehlschluss ist: Ein Schluss der valide erscheint, es aber nicht ist. Fehlschlüsse werden gesondert im Kapitel zur Dialektik (3.2) behandelt.
Was würde es nun bedeuten, das Stück „Die zwölf Geschworenen“ aus einer logischen Perspektive zu betrachten? Wie oben gesehen, beinhaltet eine Produktperspektive auf Argumentation eher eine Perspektive auf das einzelne oder die einzelnen Argumente. Es setzt diese einzelnen Argumente nicht in Beziehung zum Kontext und zu den Teilnehmern oder dem Publikum der Argumentation. Wenzel (1980) meint mit einer logischen Perspektive auf Argumentation aber nicht unbedingt ein formallogisches Vorgehen, sondern vor allem eine Konzentration auf die Beziehung zwischen den einzelnen Aussagen. Ein gutes/geltendes/valides Argument ist demnach eins, das einen gültigen Schluss vollzieht, in dem Sinn, dass die Verbindung von PrämissePrämisse zu Konklusion einem akzeptierten Muster folgt, beziehungsweise die PrämissePrämissen die Konklusion beinhalten, so dass der Schluss von beiden PrämissePrämissen auf die Konklusion zwingend ist.
[bad img format]Im Folgenden wird jeder grundlegende Ansatz zunächst in Bezug auf die oben genannten drei Grundfragen (formaler Aspekt, funktionaler Aspekt, Aspekt der Geltung) betrachtet (vgl. auch das Onlinematerial zu diesem Buch). Für die drei Perspektiven hat Wenzel (1980, S. 124) selbst eine deutlich umfassendere Matrix konstruiert, auf die ich mich für diese drei Perspektiven beziehe.
Perspektive/Modell/ Ansatz | Formaler Aspekt: Wie ist ein Argument aufgebaut? | Funktionaler Aspekt: Welche Funktion hat Argumentation? | Gute Gründe: Wie bestimmt sich die Geltung/Gültigkeit eines Arguments? |
Logische Perspektive | Aus wahren PrämissePrämissen | Von wahren Aussagen auf wahre Konklusionen zu schließen | ValiditätValidität bezogen auf inferentielle Regeln |