Читать книгу Argumentation - Kati Hannken-Illjes - Страница 18

3.1 Informelle Logik

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Die Wurzeln der Informellen Logik liegen in der Praxis des Unterrichtens von Argumentationstheorie. Ihr Ansatz hat sich in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts innerhalb der Philosophie in Abgrenzung zur formallogischen Analyse von Argumentation entwickelt. Neben dem didaktischen Gründungsimpuls identifizieren Blair/Johnson (1987) mit den Argumentationstheorien von Stephen Toulmin sowie Chaim Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca noch einen zweiten. Diese Ansätze markieren eine rhetorische (oder dialektische, doch dazu später) Wende in der Argumentationswissenschaft, indem sie abkehren von der Beschreibung und Analyse von Argumentation aus Sicht der Formalen Logik (für eine weitere Diskussion vgl. Kapitel 4.2). Die Informelle LogikInformelle Logik folgt diesen Ansätzen in ihrem Statement „that formal deductive logic is not the logic of argumentation“ (Blair & Johnson, 1987, S. 147). Der Impuls für die Etablierung der Informellen Logik war also die Unzufriedenheit einiger Wissenschaftlerinnen mit den Methoden, die die Formale LogikLogikformale zur Analyse natürlichsprachlicher und authentischer Argumentation bietet. Dieser Impuls, zentral getragen von J. Anthony Blair und Ralph Johnson, entsprang den Seminarräumen der US-amerikanischen und kanadischen Universitäten.

Blair/Johnson (1987) definierten die Informelle LogikInformelle Logik anfangs folgendermaßen: „We believe that informal logic is best understood as the normative study of argument. It is the area of logic which seeks to develop standards, criteria and procedures for the interpretation, evaluation and construction of arguments and argumentation used in natural language“ (S. 148). Diese schon ältere, aber bei Weitem nicht veraltete Definition – Blair/Johnson (2000) nennen sie genauso in einem späteren Überblicksartikel – macht deutlich, warum die Informelle LogikInformelle Logik in den Bereich der dialektischen Perspektive auf Argumentation eingeordnet wird. Es geht ihr um die Untersuchung des Verfahrens und damit um die Entwicklung von Normen für gültige, natürlichsprachliche Argumentation. Zugleich beschreiben Blair/Johnson (1987) die Informelle LogikInformelle Logik aber auch als einen Zweig der Logik. Auch Pinto (2009) ordnet die Informelle LogikInformelle Logik in die logische Perspektive ein.

Tindale (2013, S. 10) folgt in seiner sehr zu empfehlenden Einführung in die Informelle LogikInformelle Logik weitestgehend der Bestimmung von Blair/Johnson (1987), wenn er die Position der Informellen Logik mit folgenden Forschungsinteressen beschreibt:

 das Interesse an AlltagsargumentationAlltagsargumentation,

 das Interesse an den Kriterien für gute Argumente und Argumentation,

 das Interesse für die Theorie der Fehlschlüsse

 sowie das Interesse für die Verpflichtungen der Teilnehmer innerhalb einer Argumentation.

Der letzte Punkt macht deutlich, dass die Informelle LogikInformelle Logik, im Gegensatz zur Formalen Logik, Argumentation grundsätzlich als dialogisch konzipiert: Argumentieren ist hier etwas, das mindestens zwei Personen miteinander tun. Das Ziel von Ansätzen innerhalb der Informellen Logik ist also immer ein Abgleich von natürlichsprachlicher Argumentation mit Normen oder Standards guter Argumentation. Gute Argumentation wird dabei, anders als in den logischen Ansätzen, nicht mehr über formallogische ValiditätValidität der Schlussverfahren bestimmt, sondern über drei Kriterien (vgl. Tindale 2013):

 RelevanzRelevanz

 HinlänglichkeitHinlänglichkeit

 AkzeptabilitätAkzeptabilität

Ein gutes Argument, eingebettet in einen argumentativen Austausch, muss relevant sein in Bezug auf die Fragestellung, ausreichend sein in der Stützung der Konklusion und es muss akzeptabel sein. Hier ließe sich die Frage anschließen: Akzeptabel für wen? Diese Diskussion wird in 3.7 wieder aufgenommen.

Die Hinwendung zu der Frage, wie Geltung in natürlicher Argumentation beschaffen sein kann, hat in der Informellen Logik zu einer starken Beschäftigung mit der Theorie der Fehlschlüsse geführt. Diese ist einer der zentralen Bereiche der Informellen Logik geworden. Dabei ist zum einen die Diskussion der einzelnen Arten von Fehlschlüssen von Interesse, zum anderen aber auch die Frage, was die FehlschlüssigkeitFehlschlüssigkeit eines Arguments ausmacht (siehe dazu Kapitel 3.2).

Die Informelle LogikInformelle Logik ist ein normativer Ansatz. Sie entwickelt Standards und Normen für natürlichsprachliche Argumentation. Ein Hauptgegenstandsbereich ist die Forschung zu Fehlschlüssen.

Da sich die Informelle LogikInformelle Logik auf natürliche Argumentation und den Austausch von Argumenten konzentriert, bekommt die Dialogizität von Argumentation eine besondere Bedeutung, die sie in der Formalen Logik nicht hat. Eine Ausnahme in der Formalen Logik bildet das Konzept der Dialogischen LogikLogikdialogische von Lorenzen und Lorenz (1978), das Argumentation innerhalb der Logik als dialogisch, mit einem OpponentOpponenten und ProponentProponenten modelliert, sich aber nicht auf natürlichsprachliche und alltagssprachliche Argumentation konzentriert. Doch grundsätzlich ist das dialogische Prinzip ein Merkmal, durch das sich Ansätze zur Argumentation von der Formalen Logik abgrenzen. Das dialogische Prinzip verbindet die Informelle LogikInformelle Logik mit anderen dialektischen Ansätzen. Innerhalb der Informellen Logik ist daher auch der DialogDialog als Ort der Argumentation ausgearbeitet und weiter spezifiziert worden.

Beispielhaft soll dazu das DialogDialog-Modell von Douglas Walton (2010) vorgestellt werden. Walton führt 1995 gemeinsam mit Krabbe ein Modell von sechs DialogtypenDialogtypen ein, die mit bestimmten Zielen und Formen der Beweispflicht verbunden sind. Ein Dialog bestimmt sich dabei nach Walton durch einen Ablauf in drei Schritten: einer Eröffnungsphase, einer argumentativen Phase und einer Abschlussphase (vgl. 2010, S. 1). In der Publikation von 2010 bezieht Walton einen siebten Dialogtypus ein. Die gesamte Einteilung ist theoretisch begründet und normativ konstruiert. Walton unterscheidet hier zwischen den Zielen der Teilnehmerinnen an einem Dialog und der Funktion der Dialogform.

Waltons (2010) sieben DialogtypenDialogtypen mit ihren verschiedenen Aufgaben und Zielen:

Type of DialogueInitial SituationParticipant’s GoalGoal of Dialogue
PersuasionPersuasionConflict of opinionsPersuade other partyResolve or clarify issue
InquiryNeed to have proofFind and verify evidenceProve (disprove) hypothesis
DiscoveryNeed to find an explanation of factsFind and defend a suitable hypothesisChoose best hypothesis for testing
NegotiationConflict of interestGet what you most wantReasonable settlement both can live with
Information-SeekingNeed informationAcquire or give informationExchange information
DeliberationDilemma or practical choiceCo-ordinate goals and actionsDecide best available course of action
EristicPersonal conflictVerbally hit out at opponentReveal deeper basis of conflict

Abb. 1 Dialogtypen nach Walton (2010, S. 13)

Die Typologie trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht alle Diskursformen, in denen argumentiert wird, den gleichen Bedingungen unterliegen. Interessant sind an diesem Modell möglicherweise weniger die Typen an sich, sondern die Übergangsbereiche zwischen den einzelnen Typen. Genau an den Übergangsstellen können Probleme in der Argumentation auftreten. Dies lässt sich an einem Ausschnitt des Beispiels zeigen.

JUROR 10: Richtig. Aber der Zug war leer und fuhr in Richtung City. Er war auch unbeleuchtet, wenn Sie sich erinnern. Und die Sachverständigen haben uns bewiesen, daß man bei Nacht durch die Fenster eines vorbeifahrenden Hochbahnzuges sehen kann, was auf der anderen Seite vorgeht. Sie haben es bewiesen!

JUROR 8: Eine Frage. Sie trauen dem Jungen nicht. Was veranlaßt Sie, der Frau zu trauen? Sie stammt doch aus demselben Milieu?

JUROR 10: Ach Sie – Sie sind ein ganz geriebener Gauner …

JUROR 1: Aber, aber, meine Herren! Immer mit der Ruhe!

JUROR 7: Lassen Sie ihn doch reden! Tief durchatmen, entspannen!

JUROR 10: Er hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, Sie werden schon sehen –

JUROR 1: Gut, gut, wir sind doch nicht da, um uns zu streiten. Wer kommt dran?

Der Dialog entspricht wohl am ehesten dem Typus der Beratung (deliberation), da es darum geht, eine Entscheidung zu treffen. Man könnte auch dafür argumentieren, dass es sich eher um eine Untersuchung (inquiry) handelt. Allerdings liegen in einer Beratung von Geschworenen die Beweise bereits vor und müssen von ihnen „nur noch“ gewichtet werden. Interessant ist jetzt die Äußerung von Juror 10, der Juror 8 vorwirft ein „ganz geriebener Gauner“ zu sein. Hier könnte die Beratung (deliberation) in einen eristischen Dialog umschlagen. Das scheint auch Juror 1 zu befürchten, wenn er die Juroren zur Ordnung ruft und etwas später sagt: „Wir sind doch nicht da, um uns zu streiten.“ Die Äußerung des Jurors 10 könnte also als Versuch gesehen werden, den Dialogtypus zu ändern bzw. Anteile eines anderen Typus in den der Beratung zu implementieren. Die Nutzung von Äußerungen im „falschen“ Dialogtyp würde nach Walton einen FehlschlussFehlschluss darstellen. Damit ist FehlschlüssigkeitFehlschlüssigkeit nicht durch die spezielle Form eines Argumentes bestimmt, sondern dadurch, dass ein Argument im „falschen“ Dialogtyp genutzt wird.

Was innerhalb der Informellen Logik unter Argumentation verstanden wird, ist am Beispiel der Dialogtheorie Waltons deutlich geworden: Argumentation ist dialogisch, findet zwischen verschiedenen Beteiligten statt, ist aber normativ eingebettet in bestimmte Verfahrensregeln. Die Frage, wie sich Geltung konstituiert, ist für die Informelle LogikInformelle Logik nicht insgesamt zu beantworten, sondern wird stark diskutiert. Welche Rolle spielen die Kriterien RelevanzRelevanz, HinlänglichkeitHinlänglichkeit und AkzeptabilitätAkzeptabilität, die oben bereits genannt wurden? Welche Rolle spielen WahrheitWahrheit und EffektivitätEffektivität in diesem Zusammenhang? Diese Diskussion soll am Beispiel der Debatte um Johnsons Veröffentlichung „Manifest Rationality“ (2000) dargestellt werden. Johnson, eine der Gründungsfiguren der Informellen Logik, entwickelt in seinem Buch, auf der Grundlage der Geschichte der Informellen Logik, eine Theorie der Argumentation, die zentral auf dem Begriff der dialectical tier fußt. Dieser lässt sich am besten übersetzen als ‚dialektische Ebene‘ innerhalb der Argumentation. Diese dialektische Ebene bezieht sich darauf, dass Argumentationspartnerinnen innerhalb ihrer Argumentation die möglichen Einwände und Gegenargumente einbeziehen müssen. Dieses Einbeziehen möglicher Gegenargumente bestimmt die Qualität der eigenen Argumente. Johnson (2000) definiert Argument folgendermaßen:

An argument is a type of discourse or text – the distillate of the practice of argumentation – in which the arguer seeks to persuade the Other(s) of the truth of the thesis by producing the reasons that support it. In addition to this illative core, an argument possesses a dialectical tier in which the arguer discharges his dialectical obligations (S. 168).

Ein Argument ist hier also das Produkt – distillate – von Argumentation. Es bestimmt sich nicht nur durch die Schlussbeziehung (illative core), sondern auch durch dialektische Verpflichtungen. Diese sind, wie oben beschrieben, gefasst als die Aufnahme von Gegenargumenten in die eigene Argumentation, eine Aufnahme, die, so Johnson (2000, S. 166), die erwartbaren Gegenargumente (standard objections) berücksichtigen muss. Wichtig ist hier, dass sich ein Argument nicht durch die dialektische Ebene von anderen Argumenten abgrenzt, sondern durch diese Ebene erst zu einem guten Argument wird. Weiterhin wird WahrheitWahrheit zu einem wichtigen Kriterium für Argumentation. Die Teilnehmerinnen wollen einander nicht von der Plausibilität oder Akzeptabilität ihrer Thesen überzeugenÜberzeugen, sondern von deren WahrheitWahrheit.

Tindale (2002) kritisiert an Johnsons Ansatz, dass hier die Kriterien für gute Argumente innerhalb der Informellen Logik – RelevanzRelevanz, HinlänglichkeitHinlänglichkeit und AkzeptabilitätAkzeptabilität – um WahrheitWahrheit erweitert werden (vgl. S. 303). Man könnte sagen, dass Johnson damit das Konzept argumentativer Geltung stärker in Richtung der Formalen Logik bewegt und damit weg von eher rhetorischen Konzepten. Zudem ist bemerkenswert, dass bei ihm nur schriftlicher Diskurs in den Bereich der Argumentation einbezogen wird, was große Bereiche – Alltagsgespräche und auch politische Debatten – außen vor lässt. Sicher lassen sich mündliche und schriftliche Argumentation voneinander unterscheiden, mit der Definition Johnsons wird der mündliche Bereich des BegründungshandelnsBegründungshandeln in Bezug auf einen strittigen Punkt aber als nicht-argumentativ etikettiert (vgl. zu einer weiterführenden Kritik auch Tindale, 2002). Diese Diskussion mag andeuten, dass es nicht möglich ist, zu sagen, wie Geltung innerhalb der Informellen Logik insgesamt bestimmt wird, sondern „nur“, welche Diskussionslinien sich zu diesem Thema ausmachen lassen.

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