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Heimerziehung im Kinder- und Jugendhilfegesetz
ОглавлениеIn § 34 KJHG wird die Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht geregelt. Der Gesetzgeber spricht von Heimerziehung und sonstigen betreuten Wohnformen und trägt damit dem Tatbestand Rechnung, dass Heimerziehung heute in sehr differenzierten Institutionen stattfindet.
„Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Sie soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie
•eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder
•die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder
•eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbstständiges Leben vorbereiten.
Jugendliche sollen in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden.“
Die in § 35 erwähnte Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung berücksichtigt die diesbezügliche pädagogische Differenzierung der Heimerziehung und meint damit beispielsweise auch länger andauernde Projekte der Erlebnispädagogik. Diese werden besonders eingesetzt für junge Menschen, die aufgrund ihrer individuellen (oft negativen) Sozialisationserfahrungen in der klassischen Gruppenform einer stationären Erziehungshilfe an Grenzen stoßen. Die Mitwirkung der beteiligten Personensorgeberechtigten und des Kindes oder Jugendlichen werden in § 37 festgelegt. Diese sind vor der Inanspruchnahme einer Hilfe zur Erziehung ausführlich zu beraten. Wenn eine Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich ist, so sind die Erziehungsberechtigten und der junge Mensch bei der Auswahl der Einrichtung oder der Pflegestelle zu beteiligen. Wenn nicht unverhältnismäßige Mehrkosten auftreten, so ist ihren Wünschen zu entsprechen.
Wenn Hilfe zur Erziehung über einen längeren Zeitraum zu leisten ist, soll nach § 36 ein Hilfeplan im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte und zusammen mit den Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen erstellt werden. Dies bedeutet für die Heimerziehung, dass Hilfepläne beispielsweise in Teamarbeit von Gruppenerzieher*innen, gruppenübergreifenden Diensten und den zuständigen Fachkräften des Jugendamtes zu erstellen sind, wobei Eltern und die betroffenen Minderjährigen zu beteiligen sind.
Neu geregelt werden durch das KJHG auch die rechtliche Zuständigkeit und damit die Finanzierung der Heimerziehung. Nach dem alten JWG konnte im Einzelfall je nach pädagogischer Etikettierung und Gefährdungseinschätzung entweder das örtliche oder das überörtliche Jugendamt zuständig sein. Gemäß § 85 KJHG ist nun stets das Jugendamt für die Gewährung von Leistungen zur Hilfe zur Erziehung zuständig, in dem das Kind oder der/die Jugendliche seinen/ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese örtliche Zuständigkeit ist im Sinne einer regionalen Inanspruchnahme, Verantwortung und Sorge zu begrüßen. Sie kann jedoch zu einer pädagogisch unreflektierten Vermeidung von Heimerziehung führen, wenn generell oder in einzelnen kommunalen Haushalten besondere finanzielle Probleme vorhanden sind. In der Praxis wird tatsächlich ein großer Unterschied in der Gewährung von verschiedenen Hilfen durch die Jugendämter unterschiedlicher Kommunen beklagt. So stellt der 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung heraus, dass die Anzahl der gewährten Hilfen in den Kommunen mit den meisten Bewilligungen viermal so hoch ist wie in den Kommunen mit den niedrigsten Bewilligungen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2017, S. 436). Die Personensorgeberechtigten haben nach § 27 KJHG Anspruch auf Förderungsmaßnahmen der Hilfe zur Erziehung für ihr Kind, wenn ansonsten das Wohl des Kindes gefährdet wäre und wenn die beanspruchte Hilfe für seine Entwicklung und Neigung notwendig ist. Insofern könnten Eltern im konkreten Einzelfall Heimerziehung für ihr Kind auch einklagen. Da Eltern von Kindern, die auf Heimerziehung angewiesen sind, in der Regel aber aus unterprivilegierten Schichten stammen und/oder sich in sehr schwierigen Lebenslagen befinden, ist diese Klagemöglichkeit wohl eher theoretisch, sie wird in der Praxis kaum einmal vorkommen.
Ähnlich verhält es sich, wenn die Maßnahme Heimerziehung für junge Erwachsene über das 18. Lebensjahr hinaus fortgesetzt werden soll. Nach § 41 KJHG soll jungen Volljährigen (in begründeten Einzelfällen auch über das 21. Lebensjahr hinaus) Hilfe für ihre Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden. Die individuelle Situation des jungen Menschen bestimmt, ob und wie lange die Hilfe notwendig ist. Dies gilt entsprechend für die Maßnahme Heimerziehung oder Betreutes Wohnen. Gegenwärtig kann allerdings immer häufiger beobachtet werden, dass Jugendämter nicht mehr bereit sind, junge Erwachsene über das 18. Lebensjahr hinaus in stationären Institutionen der Jugendhilfe weiterhin zu fördern (Nüsken 2008). Die jungen Menschen könnten auch hier versuchen, ihr Recht auf Jugendhilfe einzuklagen, aber die wenigsten werden diesen Schritt tun.