Читать книгу Krähenzeit - Katrin Fölck - Страница 5
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Sophie musste sich eingestehen, dass sie keinerlei Zeitgefühl hatte. Sie konnte weder sagen, ob es gerade Tag oder Nacht war, noch, wie viel Zeit bereits seit ihrem Verschwinden vergangen war. Sie wusste nur, dass die Zeit im Dunkeln gefühlt langsamer verging. Warum das so war, vermochte sie nicht zu sagen. Vielleicht, weil man nichts sah und nichts tun konnte, sich anderweitig abzulenken. Die Finsternis war die einzige Beständigkeit um sie herum, es machte daher für sie ohnehin nicht den kleinsten Unterschied. Trotzdem fragte sie sich, wie lange sie wohl geschlafen hatte. Wie lange sie hier schon zubrachte und ob Stanley bereits nach ihr suchte.
Sie setzte sich auf. Ihr Magen grummelte und sie hatte Durst. Das war nicht das erste Mal.
„Hallo?! Ist da wer?! Ich habe Hunger!“
Keine Antwort.
Dieses Schwein, dachte sie, kann mich doch hier nicht einfach so verrecken lassen…
Sie schlug wütend und verzweifelt auf den harten Boden ein, bis es wehtat. Der Schmerz machte, dass sie sich wieder spürte. Sie lebte noch…
Sophie begann, sich selber Mut zuzusprechen. Wenn du hier raus willst, reiß dich, verdammt noch mal, zusammen! Lass dich nicht so hängen! Überlege, was du tun kannst! Leichter gesagt, als getan, wenn man fror und sich in der Dunkelheit fürchtete und die negativen Gedanken drohten, sofort wieder die Oberhand zu gewinnen: Was, wenn sie hier nie wieder herauskam? Oh Gott, nein. Das durfte sie nicht einmal denken! Vincent, ihre Freunde, die Arbeitskollegen und ihre Eltern würden sie sicher bald vermissen und nachforschen, wo sie abgeblieben wäre. Aber, wie lange konnte man das hier überleben? … ohne Essen wohl eine ganze Weile, aber ohne Wasser?“
Erneut begann sie zu rufen.
War da etwas? Ein Geräusch? Sie hielt inne. Lauschte. Eine heiße Welle schwappte durch ihren Körper und flutete sie mit Adrenalin. Einen kurzen Moment lang überkam sie neue Hoffnung, gab ihr Zuversicht und Auftrieb. Als alles still blieb, wusste sie, dass sie etwas tun musste. So, wie die Sache stand, sollte sie unbedingt erst einmal herausfinden, wo sie sich befand... Allerdings machte ihr die Tatsache, sich in völliger Dunkelheit aufzuhalten und sich in ihr fortbewegen zu müssen, nicht nur panische Angst, sondern kostete sie zudem einiges an Überwindung. Sie wusste längst, dass die Erkundung der Umgebung nicht nur ein beschwerliches, sondern auch ein nicht minder gefährliches Unterfangen für sie bedeutete. Dennoch, ihr blieb nichts anderes übrig, wenn sie sich nicht in ihr Schicksal ergeben wollte. Und das konnte sie noch früh genug, falls es keinen Ausweg gab.
Vorsichtig erhob sie sich. Ihr wurde schwindlig. Sie musste innehalten und atmete erst einmal mehrere Male tief ein und aus. Als es besser wurde, begann sie den Boden um sich herum mit ihren Füßen abzutasten. Dann schlurfte sie langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, vorwärts.
Der Boden unter ihr war uneben und rutschig. Manchmal lagen Steine und Geröll im Weg. Mehr als einmal stürzte sie fast, konnte sich im letzten Moment gerade noch abfangen. Einige Male landete sie dabei auf ihren Knien, die sie sich dabei aufschlug. Doch auch von der Decke drohte Gefahr. Diese war ungleich hoch, so dass sie sich den Kopf anstieß. Danach erforschte sie die Umgegend noch bedachter, indem sie die Rechte nach vorn und die Linke nach oben gestreckt, vorwärts ging. Irgendwann wurde sie von einer Wand gestoppt, die sich vor ihr aufbaute. Diese bestand nicht aus Ziegeln, war jedoch auch nicht geputzt. Sie schien aus Stein zu bestehen, war glatt, jedoch auch uneben und rissig.
Ein Keller war das nicht. Aber was dann? Ein unterirdischer Bunker? Eine Höhle?
Während sie sich Zentimeter für Zentimeter vorarbeitete, festigte sich ihre Vermutung. Ja, sie musste sich in einer Höhle befinden. Ihre Mutmaßung setzte eine enorme Kraft in ihr frei. Sie wusste jetzt, dass es irgendwo einen Ausgang gab. Nun musste sie ihn nur noch finden.