Читать книгу Donnergrollen im Land der grünen Wasser - Kerstin Groeper - Страница 12

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Hechtfluss

(Gebiet der Menominee im Norden)

Machwao saß hinten im Kanu und führte das Paddel gleichmäßig durch das Wasser. Am Bug saß Wakoh, der Fuchs, und paddelte im gleichmäßigen Takt. In der Mitte saßen Awässeh-neskas und Wapus, die sich gerade ausruhten. Es war nicht nötig, dass alle Männer ruderten, denn das Kanu bewegte sich mit der Strömung. Von einem Tag auf den anderen war die Luft frostig geworden. Morgens lag dichter Nebel auf dem Wasser und nachts kam bereits der erste Frost. Die Männer hatten sich in warme Umhänge gewickelt und in ihren Bündeln waren warme Decken verstaut.

Machwao wollte vor dem ersten Schnee – und ehe die Seen zufroren – wieder zurück sein. Mit einem misstrauischen Blick streifte er die dunklen Wolken am Himmel. Obwohl es noch früh im Jahr war, sahen sie aus, als würden sie den ersten Schnee bringen. Sie mussten sich beeilen! Natürlich konnten sie auch im Winter reisen, aber dann würden sie die grünen Steine nicht mehr finden. Wenn erst Schnee lag und der Boden gefror, würde der Weiße Bär sein Geschenk nicht mehr hergeben. Er schüttelte kurz den Kopf, um die Zweifel zu vertreiben. Der Metewin-Mann hatte nichts dergleichen gesagt. Sie hatten Tabakopfer gereicht, Opfergaben gegeben und die Geister gnädig gestimmt. Der Medizinmann hatte ihnen den Zeitpunkt des Aufbruchs genannt und sie hatten die nötigen Reinigungsrituale durchgeführt. Warum sollten die Geister ihnen nicht wohlgesinnt sein? Seine Jagd war erfolgreich gewesen und seine Mutter würde die nächsten Tage vollauf mit dem Verarbeiten der Beute beschäftigt sein. Alle Vorzeichen waren gut gewesen.

Dann setzte ein Eisregen ein, der die Männer zwang, den Schutz des Ufers aufzusuchen. In Windeseile suchten sie einige lange Äste zusammen, bauten ein einfaches Gerüst und deckten es mit Decken aus Elchhaut ab, um darunter Schutz zu suchen. Die Ausrüstung legten sie unter das Kanu, das sie an Land gezogen und umgedreht hatten. Frierend drängten sie sich aneinander und schauten auf den Eisregen, der das Land peitschte. Blätter und Äste wurden von den Bäumen gedroschen und selbst der Unterschlupf bot kaum ausreichend Schutz vor der Unbill der Natur. Die Männer kannten das und warteten einfach ab, bis die Regengeister sich wieder beruhigt haben würden. Meist dauerte so ein Unwetter nicht lange.

Als es sich verzogen hatte, schüttelten die Männer die Decken aus und hängten sie zum Trocknen über einige Äste. Dann sahen sie nach der Ausrüstung. Zum Glück hatte das Kanu alles gut geschützt, sodass die Männer schnell die Sachen wechselten, die feucht geworden waren. Machwao schlug vor, die Nacht hier zu verbringen, damit sie die Felle und Kleidungsstücke trocknen konnten. Niemand widersprach und so brannte kurz darauf ein kleines Feuer. Es qualmte leicht, weil es schwierig wurde, trockenes Holz zu finden. Sie legte weitere Äste und Scheite neben das Feuer, damit sie trocknen konnten, und setzten sich dann dazu. Mit trockener Kleidung und vollen Bäuchen war die Stimmung schnell wieder gut. Regen, Schnee, Hagel und Sturm gehörten zu ihrem Leben dazu.

Wapus zog seine kleine Trommel hervor und begann ein Versöhnungslied für die Regengeister zu singen. Die anderen lauschten andächtig und schickten ebenfalls gute Gedanken zu den Geistern. Wapus war noch jung, etwa im gleichen Alter wie Machwao und doch wirkte er älter, als er die heiligen Lieder sang. Die Metewin-Gesellschaft hatte früh seine Fähigkeiten erkannt und ihn zu sich gerufen. So war er von einem Ernst, der nicht zu seinem jungen Alter passte. Ansonsten war er schlank wie fast alle Männer der Menominee und hatte ein rundes, ebenmäßiges Gesicht, das von freundlichen Augen dominiert wurde. Das Lied und die Trommel verklangen und die Männer grinsten sich verschmitzt an. Ihre Augen funkelten wie bei kleinen Jungen, die gerade einen Streich ausheckten.

„Woah, ich hoffe, dass wir den heiligen Ort erreichen, ehe der erste Schnee fällt“, meinte Wakoh ein wenig besorgt. Er hatte sich bis auf einen Schopf die Haare abgeschnitten und mit seinem Messer die Kopfhaut rasiert, sodass er noch wagemutiger wirkte. Er meinte, dass auf Reisen die wenigen Haare besser zu pflegen wären. Machwao hatte darüber den Kopf geschüttelt, aber seine Schwester hatte Wakoh bewundernde Blicke zugeworfen. Mädchen schienen kraftvolle, gefährlich wirkende Männer zu bevorzugen.

„Wir würden nicht hier sitzen, wenn der Medizinmann dies vorhergesehen hätte. Er sagte aber, dass noch kein Schnee fallen würde“, wies Machwao ihn zurecht.

Alle schwiegen erschrocken und senkten kurz die Köpfe. Wakoh ließ sich nicht so schnell einschüchtern und wedelte mit seiner Hand in Richtung des Himmels. „Und was war das dann?“ Machwao grinste frech. „Eisregen!“

„Aha, und Eis ist kein Schnee?“, wunderte sich Wakoh.

„Nein, Eisregen ist kein Schnee!“ Machwao beließ es bei dieser Aussage und verzichtete auf eine Erklärung.

„Und wieso nicht?“ Wakoh war keineswegs zufrieden mit dieser kurzen Antwort.

Es war Wapus, der hierfür eine Antwort fand: „Eisregen ist lediglich eine Warnung, dass bald der Winter kommt. Schnee wäre schlimmer, weil es dann meist so kalt ist, dass er liegen bleibt. Ihr werdet sehen, dass morgen nichts mehr von der Kälte zu bemerken ist.“

Machwao war damit zufrieden. Er wickelte sich in eine Decke und streckte seine kalten Füße in die Nähe des Feuers. Seine Freunde taten es ihm gleich und alle fühlten die wohltuende Wärme.

* * *

Am Morgen war der Himmel wieder klar und nichts deutete auf eine Verschlechterung des Wetters hin. Mit einem Rucken seines Kopfes deutete Machwao auf die aufgehende Sonne. „Seht ihr! Heute wird es schön!“

Wakoh schenkte ihm ein schiefes Grinsen und warf seine Bündel in das Kanu. Dann kletterte er ungefragt in den Bug des Kanus und nahm das Paddel in die Hände. Mit einem Nicken forderte er die anderen auf, endlich einzusteigen. Machwao grinste und wartete, bis alle ihren Platz gefunden hatten, dann schob er das Kanu nach vorne und sprang ebenfalls hinein. Mit seinem Paddel korrigierte er die Fahrtrichtung und passte sich dann dem Paddelschlag seines Freundes an. Er lächelte, denn Wakoh war einfach so. Er gab nicht gerne die Kontrolle ab und so war es selbstverständlich für ihn, im Kanu vorne zu sitzen und den Takt anzugeben. Nichts war schlimmer für ihn als nichts zu tun. Wakoh zählte an die fünfundzwanzig Winter und war etwas älter als Machwao. Auch er war noch nicht verheiratet, sondern schien Freude daran zu finden, seine Freunde auf abenteuerlichen Reisen zu begleiten. Er war ein guter und gnadenloser Kämpfer, der schon manches Mal das Dorf gegen Angreifer verteidigt hatte. Sein Körper war muskulös und mit Tattoos verziert, eine Angewohnheit, die sonst eher unüblich war. Auch sein Gesicht hatte ein schwarz-rotes Tattoo, das auf Feinde durchaus gefährlich und abschreckend wirkte. Aber vielleicht war auch das der Grund, warum er bisher keine Frau gefunden hatte. Wakoh glaubte jedoch, dass die Tattoos ihn schützen würden. Er hatte sie zum Teil selbst gestochen und eingefärbt. Nur im Gesicht hatte er sich von einem Metewin-Mann helfen lassen, der diese Bemalung auch für ihn geträumt hatte. Das Kinn war schwarz tätowiert und auf der Stirn waren drei rote Streifen zu sehen.

Gegen Mittag erreichten sie den Käqcekam und paddelten in kurzer Entfernung zum Ufer gegen Südwesten dahin. Es war nicht ganz ungefährlich, denn auf dem See waren sie weithin zu sehen. Kein Schilf, kein Wildreis, einfach nichts schützte sie vor möglichen Feinden. Der Große See machte das Reisen leicht, aber vergrößerte auch die Gefahr, durch Feinde entdeckt zu werden. Sie brauchten zwei Tage, um die Mündung des Okaw-Sipiah zu erreichen, doch dann paddelten sie aufatmend die Mündung des Flusses stromaufwärts. Wie sie es erwartet hatten, war der Fluss hier durch Schilf und hohe Halme geschützt, die den Blick auf ein einsames Kanu verbargen. Manchmal stob ein Wasservogel vor ihnen davon, ansonsten war es ruhig. Die Tage waren warm, wie ein später Indianersommer. Nur nachts lagerten die Männer um ein warmes Feuer und erinnerten sich daran, dass der Herbst auch schnell ein anderes Gesicht zeigen konnte.

Nach einem weiteren Tag erreichten sie endlich ihr Ziel: eine kleine Ausbuchtung des Flusses, an dessen Ufer die seltsamen grünen Steine zu finden waren. Manche lagen einfach im Kies des Flussbettes, andere musste man gewinnen, indem man ein wenig im Kies und Sand des Flusses grub. Man konnte die Steine einfach durch Klopfen in die gewünschte Form bringen, aber es gab auch Wissende, die mehrere Steine erhitzten, miteinander verbanden und dann diese größere Fläche bearbeiteten. Keiner der Freunde war dazu im Stande. Ihre Aufgabe war es, dieses wertvolle Erz zu sammeln und zum Volk zurückzubringen. Allein das Sammeln stellte eine gewisse Gefahr dar, denn man entfernte sich von den geschützten Gefilden des Dorfes.

Machwao steuerte die Sandbank an und konnte ein Grinsen nicht mehr unterbinden, als Wakoh in den Fluss sprang und das Kanu ans Ufer schob. Sein Freund achtete nicht darauf, dass seine Mokassins inzwischen trieften. Die anderen kletterten trockenen Fußes an Land und zogen dann das Kanu aus dem Wasser heraus. Im Nu war ein kleines Lager errichtet und eine Feuerstelle ausgehoben. Dann saßen alle zufrieden beisammen und berieten den nächsten Tag.

„Wir sollten uns aufteilen, dann können wir einen größeren Bereich nach den Steinen absuchen“, schlug Wapus in seiner ruhigen Art vor.

Machwao nickte sein Einverständnis. „Gute Idee, dann finden wir wahrscheinlich mehr.“

„Dann sind wir aber auch verwundbarer!“, wandte Wakoh, der Fuchs, ein. „Ich denke, dass wir einfach von hier aus in eine Richtung gehen sollten. Gemeinsam! Dann sehen wir ja, welche Geschenke der Weiße Bär für uns vorgesehen hat.“

Machwao staunte über die plötzliche Besonnenheit seines Freundes. „Eine gute Idee! Wir sind nicht so verletzlich, schützen uns gegenseitig und liefern uns nicht den Feinden aus.“

Wakoh nickte und seine sonst so gefährlich wirkenden Tattoos verloren ihre beängstigende Wirkung. „Ja, nicht wahr, es gibt auch andere Völker, die vielleicht diesen Ort kennen?“

Wapus stimmte zu. „Sehr richtig. Wakoh hat gut gesprochen. Wir sollten achtsam sein und unseren Schutz nicht vergessen.“ Machwao runzelte die Stirn. „Hast du etwas in deinen Träumen gesehen?“

„Nein!“, beeilte sich Wapus zu sagen. „Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Meine Träume waren gut!“

„Wenn deine Träume gut sind, wieso brauchen wir dann Vorsichtsmaßnahmen?“, wagte Awässeh-neskas zu fragen. Vielleicht dachte er zum ersten Mal an seine Frau, die zuhause auf ihn wartete.

Wapus zuckte mit den Schultern. „Es ist nie schlecht, an Vorsichtsmaßnahmen zu denken. Mäc-awätok kann nicht überall sein.“

„Tss …!“ Awässeh-neskas schüttelte entrüstet den Kopf. „Natürlich ist er überall! Vielleicht sollten wir erneut um seine Gunst beten. Ich meine … wenn du nicht sicher bist!“ Seine Sorge stand gut lesbar in seinem Gesicht und aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf Wapus.

Wapus schüttelte die Verantwortung unwillig von seinen Schultern. „Wir haben gebetet! Ich sagte nur, dass es keinen Sinn hat, in der Aufmerksamkeit nachzulassen. Oder glaubt ihr, dass Mäcawätok, das Große Geheimnis, Mitleid mit den Unaufmerksamen oder Leichtfertigen hat?“

Das klang einleuchtend und alle senkten die Köpfe, um darüber nachzudenken.

Schließlich wagte es Wakoh, das Schweigen zu brechen. Er hatte sich schon immer auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen. „Ich werde euch schützen, wenn ihr nach den grünen Steinen sucht. Meinem Auge entgeht nichts.“

„Das ist gut!“, beeilte sich Machwao zu sagen. Ohne es wirklich so zu benennen, war er zum Anführer der Reise geworden. Er hatte es weder angeregt noch geplant, noch hatte er diesen Rang gewollt, aber er spürte, dass alle ihm vertrauten und seine Meinung oft den Ausschlag gab. „Ich fühle mich besser, wenn du über uns wachst, wenn wir die Steine sammeln.“

Wakoh nickte geschmeichelt. „Ich werde euch gut schützen! Und wenn wir zurück sind, dann wirst du vielleicht gut von mir denken!“ Seine Augen fraßen sich in den Augen von Machwao fest.

„Ich denke immer gut von dir!“, verteidigte sich Machwao verwirrt. „Wie meinst du das?“ Er strich die langen Haare nach hinten und musterte den Freund.

Wakoh zögerte verunsichert und wurde dann deutlich. „Ich hoffe, dass deine Schwester bald zur Frau wird. Ich bin nicht vom Bärenclan, sondern gehöre dem Wolfsclan an. Ich hoffte, dass sie mich vielleicht bemerken würde.“ Seine Stimme war ungewohnt sanft und er zeigte plötzlich eine ganz andere Seite.

Machwao unterdrückte ein Stöhnen. Die Lachfältchen um seine Augen glätteten sich, als er ernst wurde. Er konnte diese unausgesprochene Bitte jetzt nicht mit einem Scherz abtun. Wakoh war ein guter Freund, ein guter Kämpfer, aber ein Ehemann für seine Schwester? Wahrscheinlich fürchtete sie ihn genauso wie alle anderen Mädchen! Oder hatte sie diesen verwegenen Krieger schon wohlwollend bemerkt? Zumindest der kahlgeschorene Kopf mit dem Haarschopf schien sie keineswegs gestört zu haben. „Huh!“, stöhnte er übertrieben langsam. „Sie hatte noch nicht einmal ihren ersten Mond. Noch ist sie ein Kind! Kaum alt genug, um sie überhaupt zu beachten.“

Wakoh schenke ihm ein sanftes Lächeln. „Ich kann warten. Deine Schwester ist sanftmütig, fleißig und wäre eine Zierde für meinen Wigwam. Ich würde immer gut auf sie achten.“

„Das weiß ich!“ Machwao winkte ungeduldig ab. Natürlich würde Wakoh seine Schwester achten und ehren. Aber wäre er auch ein guter Ehemann? Kurz streifte sein Blick über die auffälligen Tattoos, die das Gesicht seines Freundes schmückten. Natürlich würde er seine Schwester schützen, aber würde er sie auch lieben? Andererseits wollte er seinen Freund auch nicht enttäuschen. Mit einem Achselzucken tat er die indirekte Frage ab.

„Noch ist sie nur ein Kind. Wer weiß schon, was ihr in den nächsten Monden einfällt und welcher Mann ihr Herz dann berührt.“

„Aber du würdest es gutheißen, wenn ich um sie werbe?“ Wakohs Mimik drückte plötzlich eine Verletzlichkeit aus, die Machwao erstaunte.

„Aber sicher!“, beeilte er sich zu sagen. „Jede Frau kann froh sei, wenn sie dich als Ehemann hat!“ Mit plötzlicher Klarheit erkannte er, dass er die Wahrheit sagte. Wakoh war ein guter Jäger, der seine Familie sicherlich gut versorgen würde. Nur das war wichtig.

Über das Gesicht von Wakoh lief ein weiches Lächeln, das all die furchterregenden Tattoos vergessen ließ. Ja, er wäre ein guter Ehemann! Wahrscheinlich war er nur auf diese Reise mitgekommen, um Machwao überhaupt diese Frage zu stellen. Machwao gab das Lächeln zurück und legte sich auf seine Felle. Es war nicht das Schlechteste, wenn er Wakoh als Schwager bekam. Gerade eben hatte er ihm auch eine liebenswerte Seite gezeigt. Eine Sanftheit, die er auch Kämenaw Nuki gegenüber zeigen würde.

* * *

Am nächsten Tag ehrten sie erst Geister mit einem Tabakopfer, ehe sie sich auf die Suche nach den grünen Steinen machten. Wakoh hatte sich unsichtbar gemacht und versteckte sich am hochliegenden Ufer, um mögliche Feinde auszuspähen. Die anderen suchten den Fluss ab und fanden bereits nach kurzer Zeit die seltsamen grünen Steine, die im Süden eine so wertvolle Handelsware darstellten. Umsichtig verstauten sie die Fundstücke in den Wildlederbeuteln, die sie mitgebracht hatten. Machwao streckte manchmal seinen Rücken, denn ständig in gebückter Haltung nach den Steinen zu suchen, war anstrengend. Nach den Arbeiten an seinem Kanu und dem langen Paddeln spürte er jeden einzelnen Muskel im Leib.

Dann ertönte völlig unvermittelt der Warnruf ihres Freundes. Nachdem der Vormittag so ruhig verlaufen war, riss er die Freunde aus ihrer geruhsamen Suche nach dem Stein des Weißen Bären. Mit einem Hechtsprung rettete sich Machwao an das Ufer, während Wapus noch völlig irritiert im Fluss stand. Nur Awässeh-neskas hatte sich ebenfalls in Sicherheit gebracht.

„Geh in Deckung“, schrie Machwao voller Angst seinem Freund zu. Endlich reagierte Wapus und suchte Schutz hinter einem Felsen. „Was ist los?“, rief er besorgt. Seine Augen waren rund, als er sich vorsichtig nach allen Seiten umsah.

„Keine Ahnung!“, schrie Machwao zurück. „Wakoh hat uns gewarnt!“

Erste Pfeile schlugen unvermittelt in der Nähe der Männer ein und alle duckten sich in die Deckung von Felsen oder Bäumen. So viele Feinde konnten es nicht sein, denn die Pfeile waren zählbar, nichtsdestotrotz gefährlich. Dann ertönte ein verzweifeltes Gurgeln und Stille breitete sich über den Arm des Flusses aus.

Machwao wagte sich aus der Deckung und rannte in Höchstgeschwindigkeit auf die Böschung zu. Dann hechtete er kopfüber in ein Dickicht, tauchte hinter einen umgestürzten Baumstamm und schnappte nach Luft. Jetzt! Jetzt, würde ihn sicherlich ein tödlicher Pfeil treffen! Er wartete mehrere Atemzüge, doch nichts geschah. Erst dann wagte er es, sich vorsichtig auf den Bauch zu drehen und die Umgebung in Augenschein zu nehmen. Wo waren die Feinde? In einiger Entfernung beobachtete er, wie jemand durch den Wald schlich. Ohne zu denken erhob er sich aus der Deckung und bewegte sich in Richtung des Feindes. Er verschwendete keinen Gedanken daran, um wen es sich handelte, denn hier ging es nur darum, seine Freunde zu retten.

Nach wenigen Schritten hatte er den Fremden eingeholt und mit einem furchterregenden Schrei warf er sich auf ihn. Genauso überrumpelt versuchte der fremde Krieger ihn abzuschütteln, doch Machwao hatte seine Kriegskeule erhoben und schlug erbarmungslos zu. Er fühlte nichts außer dem Willen, seine Freunde zu retten und selbst zu überleben. Kurz musterte er den Feind, den er mit einem kräftigen Schlag seiner Keule getötet hatte. Ja, er war jung, vielleicht in seinem Alter. Und er schien vom Volk der Anishinabe zu sein. Warum auch wagten sie sich in die Jagdgründe der Menominee? Abgesehen davon, dass die Menominee gar nichts dagegen hätten, wenn Anishinabe hier in der Gegend auftauchten. Die Häuptlinge suchten nach Möglichkeiten des Friedens mit allen benachbarten Völkern. Kurz wallte das Mitleid in Machwao hoch, einen so jungen Feind besiegt zu haben. Aber er war angegriffen worden und hatte keine andere Wahl gehabt.

In einiger Entfernung hörte er den Siegesschrei von Wakoh, dem Fuchs, und er dankte es seinem Freund, dass er sie alle gewarnt hatte. Es war umsichtig gewesen, dass er angeboten hatte, über sie zu wachen.

Machwao lief zum Flussufer zurück und gab mit Zeichen zu verstehen, dass Wapus und Awässeh-neskas gefahrlos aus dem Wasser kommen konnten. Sein Freund Awässeh-neskas, Bärenkralle, war verletzt und kam nur langsam aus der Deckung eines Felsens hervor. Ein Pfeil steckte in seiner Schulter und sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Hoh, wo sind denn diese Feinde so plötzlich hergekommen?“

Machwao lachte dunkel, als die Erleichterung ihn übermannte. Er hob die Hände in einer Geste der Unwissenheit. „Ich habe sie auch nicht bemerkt. Gut, dass Wakoh so aufmerksam war, sonst würden wir jetzt nicht mehr hier stehen. Lass mich dir helfen!“ Awässeh-neskas ließ sich in den Kies plumpsen und ähnelte nun wirklich einem kleinen Bären, der sich die Wunden leckte. Auf seiner Stirn sammelte sich trotz der Kälte Schweiß und er atmete keuchend. Fast sah es aus, als würde sein Geist ihn gleich verlassen.

Wapus kniete sich neben den Verletzten und begutachtete die Wunde. Der Pfeil steckte tief in der Schulter und Wapus warf Machwao einen besorgten Blick zu. „Ich muss die Wunde weiten, um den Pfeil herauszuziehen. Er wird viel Blut verlieren. Hilfst du mir, ihn festzuhalten?“

Machwao spürte, wie ihm die Kehle eng wurde. Sein Freund würde Schmerzen haben! Er konnte so etwas schwer aushalten. Er sah auf, als Wakoh angerannt kam. Außer Atem kniete auch dieser sich neben den Krieger und sah vorwurfsvoll von einem zum anderen. „Habt ihr meinen Warnruf nicht gehört?“

Machwao schluckte seinen Zorn hinunter und warf ihm einen finsteren Blick zu. „Du urteilst vorschnell! Wir haben dich gehört, doch deine Warnung kam reichlich spät. Ein Pfeil fliegt schnell!“

„Hoh!“ Wakoh schluckte die Kritik hinunter und schüttelte den Kopf. „Sie waren vorsichtig. Seht, was ich gefunden haben!“ Er zeigte den Männern einen ledernen Beutel, in dem bereits viele dieser grünen Klumpen lagen. Offensichtlich kannten auch einige Anishinabe den geheimen Platz und waren hierhergekommen, um sich daran zu bereichern.

Machwao nickte kurz und zeigte dann auf den verletzten Freund.

„Wir müssen den Pfeil herausschneiden. Hilf mir, ihn festzuhalten!“

Awässeh-neskas schüttelte verneinend den Kopf. „Ich kann das alleine. Ihr müsst mich nicht festhalten.“

Es war Wapus, der entschlossen ein Machtwort sprach. „Ich bohre nicht mit einem Messer in dir herum, ohne dass du festgehalten wirst. Ich kenne dich und will nicht von deinen Tatzen erschlagen werden, wenn du wütend wirst.“

Awässeh-neskas rollte empört die Augen, dann ließ er sich widerstandslos nach hinten sinken. Seine Lider waren nun geschlossen und es sah aus, als würde er schlafen.

Mit seinem Messer schnitt Wapus den Umhang über der Verletzung auf. Als Wapus die Wunde freigelegt hatte, drang er mit dem Messer am Schaft entlang in das blutende Fleisch. Er weitete die Wunde, bis er schließlich die Pfeilspitze erreicht hatte. Er musste verhindern, dass die Spitze in der Wunde blieb, wenn er den Pfeil herauszog. Das Blut floss in Strömen über den Körper des Verletzten und Awässeh-neskas bäumte sich auf. Machwao und Wakoh knieten fast auf den Armen von Awässeh-neskas, um ihn am Boden zu halten. Der Mann kämpfte gegen die Schmerzen an und seine Lippen wurden blutig, bis Machwao ihm ein Stück Leder in den Mund schob.

Umsichtig schnitt Wapus das Fleisch um die Pfeilspitze herum auf und bohrte dann unter den Pfeil. Mit einer leichten Hebelwirkung versuchte er, den Pfeil nach oben zu schieben. Es ging ganz leicht, weil der Pfeil den Knochen noch nicht durchschlagen hatte. Kurze Zeit später lag der Pfeil im Kies und Wapus entfernte alle kleinen Teilchen, die er sehen konnte. Wenn Dreck zurückblieb, dann konnte sich die Wunde entzünden. Es blutete stark, doch das würde eher helfen, die Wunde zu reinigen. Awässehneskas lag ganz still da. Eine gnädige Ohnmacht hatte ihn von den Schmerzen befreit.

Wapus öffnete sein heiliges Bündel und suchte nach den Kräutern und anderem Zauber, der seinem Freund bei der Heilung unterstützen würde. Aber er wusste, dass es besser wäre, schnell wieder heimzukommen. Die Wunde war schwer und es würde einige Zeit dauern, bis sie verheilt war. Sein Freund brauchte einen warmen Wigwam und Pflege. Sie hatten gefunden, was sie wollten, und jetzt hatte die Genesung des Freundes Vorrang. Außerdem musste das Volk wissen, dass Anishinabe in der Nähe waren.

Donnergrollen im Land der grünen Wasser

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