Читать книгу Donnergrollen im Land der grünen Wasser - Kerstin Groeper - Страница 8
ОглавлениеDie Menominee
(Manomäh-Sipiah, Menominee-Fluss im Norden)
Machwao, der Schwarze Wolf, stieß das Kanu langsam durch die grünen hohen Halme des wilden Reises, die überall in Ufernähe des Manomäh-Sipiah, des Wildreis-Flusses, im Wasser wuchsen. Der Fluss hatte sich an dieser Stelle so verbreitert, dass er fast wie ein See anmutete. Wolkenfetzen bewegten sich darüber hinweg und eine leichte Brise wehte über das Wasser und ließ die Halme des Wildreises rauschen. Machwao benutzte zum Vorankommen einen langen Stock, mit dem er das Kanu vorwärts stieß; langsam, fast meditativ, steuerte er das Kanu zwischen den Halmen hindurch.
Es war Pawahan Kesoq, jener Mond, in dem das wilde Korn von der Ähre geschlagen wird. Noch war es tagsüber warm, doch einige Bäume hatten bereits begonnen, ihr Farbkleid zu wechseln. Sie funkelten in Rot, Braun und Gelb im Sonnenlicht, als wollten sie sich vor dem langen Winter ein letztes Mal aufbäumen und sich in ihrem besten Licht zeigen. Noch waren die Bäume voller Laub, sodass der Fluss in einem glitzernden Grün schimmerte, gemischt mit den Farben des nahenden Herbstes. Machwaos Haut glänzte in dem dunklen Braunton einer Kastanie, und sein langes Haar fiel wie das Gefieder des schwarzen Raben über seinen Rücken. Es glänzte leicht, denn er schmierte das Haar mit Fett ein, so wie es bei ihnen Gewohnheit war. Er zählte um die zwanzig Winter, und sein Körper war schlank und sehnig, seine Lenden nur von einem kleinen Schurz bedeckt. Sein rundes Gesicht war ebenmäßig, ohne die Falten eines entbehrungsreichen Lebens, überstrahlt von zwei blitzenden schwarzen Augen, die von winzigen freundlichen Lachfältchen umgeben waren.
Vor ihm knieten seine Schwester Kämenaw Nuki, Regenfrau, und seine Mutter, Nepewin Nuki, Wassergeistfrau. Seine Schwester hatte den zierlichen Körpers eines Mädchens, das noch nicht ganz zur Frau geworden war. Sie zählte erst dreizehn Winter. Sie hatte das gleiche freundliche Gesicht wie ihr Bruder und ebenso schwarze Haare, nur dass sie dem Mädchen bis weit über den Rücken fielen. Die Mutter war älter, mit Runzeln und Falten im Gesicht, die ihre eigenen Geschichten erzählten. Auch sie war schlank, fast hager, und ihre Hände zeugten von harter Arbeit. Beide Frauen trugen Kittel aus weichem Leder, die über den Schultern von zwei Trägern gehalten wurden. Sie arbeiteten flink und harmonisch zusammen, als hätten sie diese Aufgabe schon oft gemeinsam erledigt. Eine bog die Halme mit einem Stab über die Bordwand des Kanus, während die andere mit einem Schläger aus Zedernholz den Wildreis von den Halmen schlug. Die hellgrünen Körner fielen auf den Boden des Kanus, viele landeten auch einfach im Wasser und bildeten die Saat für die nächste Ernte. Die Frauen blieben still, als sie sich ihrer Arbeit widmeten.
Der „Manomäh“ war wertvoll für ihr Volk. In den Zeiten des langen kalten Winters würde er überlebensnotwendig sein, ebenso wie der Ahornsirup, den die Bäume ihnen schenkten, oder die Nahrungsmittelvorräte, die sie sonst anlegen konnten. In den Vorratsgruben, die neben ihren Gärten lagen, hatte die Familie schon Bohnen, getrocknete Früchte und Kürbisse gelagert. Der braune Reis würde ein weiteres willkommenes Nahrungsmittel sein, ebenso wie der Mais. Den ganzen Sommer hatten sie bereits Vorräte angelegt, nur darauf bedacht, den extrem langen Winter in diesen nördlichen Breiten zu überleben. Die Mutter hatte Fisch und Fleisch getrocknet, Beeren gesammelt, würde Nüsse und Pilze ernten, den Wildreis trocknen, Kürbisse lagern und darauf hoffen, dass ihr Sohn auch im Winter noch Beute nach Hause brachte.
Machwao dachte an die Zeremonien, die der Ernte des Wildreises vorangegangen waren. Tagelang hatten sie gesungen, bis der Wildreis-Häuptling schließlich mitgeteilt hatte, dass die Zeit der Ernte gekommen war. Eine Gruppe weiser Männer hatte beschlossen, welche Bereiche abgeerntet werden sollten, und die Familien waren diesen Anweisungen gefolgt. Voller Ehrerbietung hatten sie den Wassergeistern Tabakopfer gegeben, um eine gute Ernte zu erhalten und Schaden abzuhalten. Seit Urzeiten sammelte das Volk auf diese Weise den braunen Reis, und es hatte sich als erfolgreich herausgestellt. Machwao lächelte kurz, als er seine Schwester beobachtete. Sie war das erste Mal dabei und sie war stolz auf diese wichtige Aufgabe. In einiger Entfernung vermutete Machwao die anderen Kanus, doch durch das hohe Schilf und Gras waren sie nicht zu sehen. Bis auf das leise Plätschern des Wassers und das Schlagen auf die Halme war es friedlich. Nur Myriaden von Mücken umschwärmten das Kanu und bildeten eine Gasse, als es ruhig durch die hektisch tanzenden Wolken glitt. Es roch nach modrigem Wasser und nach dem schweren Duft der Kiefern und Fichten.
Manchmal schwamm eine aufgeschreckte Ente vor ihnen davon, und jedes Mal war der Krieger versucht, nach seinem Bogen zu greifen, der am Boden des Kanus zur Verteidigung bereit lag. Die Enten und Gänse hatten Fett angesetzt für ihre lange Reise in den Süden. Auch sie wären eine willkommene Beute. Mit seinen Lippen deutete Machwao auf einige Enten, die arglos zwischen den Halmen davonschwammen. „Die Wahkayoh sind so fett, dass sie kaum fliegen können. Sie wären ein guter Braten!“
Seine Schwester hielt kurz inne, um in Richtung der Enten zu blicken. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie sich auffordernd zum Bruder umdrehte. „Warum jagst du sie nicht? Sie wären eine schöne Abwechslung zum Hirschfleisch.“ Ihr rundes Gesicht strahlte vor Aufregung.
„Meinst du?“ Der Krieger grinste, als er den hungrigen Blick seiner Schwester sah. Aber auch die Mutter schien von der Idee ganz angetan zu sein. Er nannte sie respektvoll Ne’äh, während seine Schwester sie noch in der Kindersprache mit Mamah anredete.
Es war nicht üblich, sich beim Namen zu nennen, sondern man wählte die Verwandtschaftsbezeichnung, um zu zeigen, dass man mit Mäc-awätok, dem höchsten spirituellen Wesen, verwandt war.
So nannte Machwao seine kleine Schwester stets Nekoqsemäh, meine kleine Schwester, und sie rief ihn Näknäh, großer Bruder. Die Frauen hielten in ihrer Arbeit inne, als Machwao mit einer ruhigen Bewegung nach seinem Bogen griff. Das Kanu glitt still durch das Wasser und schaukelte schließlich sanft hin und her. Die Enten ließen sich nicht stören, sondern gründelten nach Futter. Auch sie suchten nach dem wilden Korn. Ein wohlgezielter Pfeil traf eine Ente durch den Körper, während die anderen aufgeschreckt davonflatterten. Sofort nahm der Mann den Stab wieder auf und stakste das Kanu in Richtung der Beute.
Die Schwester griff nach dem Vogel und zerrte ihn ins Kanu. Ihre Augen funkelten vergnügt, als sie sich zu ihrem Bruder umdrehte. „Ich werde sie dir braten!“
„Und ich lasse dich auch mal abbeißen!“, bot Machwao großzügig an. Ein kleiner Schatten verdüsterte das Gesicht des Mädchens und Machwao lachte dunkel. „Also gut, vielleicht auch zweimal …“
„Oder …”, er zögerte, um seine Schwester ein wenig zu necken.
„Oder ich erlege noch eine …!“
„Noch eine, noch eine!“, rief seine Schwester aufgeregt. Sie zappelte hin und her und Machwao balancierte das Kanu vorsichtig aus. „Hey, wir werden die ganze Ernte verlieren, wenn du weiter hier herumhüpfst. Sitz still!“ Das Kanu lag schon tief im Wasser, denn die Frauen hatten bereits einen wahren Berg an Wildreis geerntet.
Gehorsam kniete sich Kämenaw Nuki hin und Machwao tauschte einen belustigten Blick mit seiner Mutter. In aller Ruhe nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf, denn es würde eine Weile dauern, ehe sie auf die nächsten unvorsichtigen Enten stoßen würden. Der Krieger lenkte das Kanu durch die hohen Halme und blinzelte, als die tiefer stehende Sonne ihn blendete. In einiger Entfernung sah er ein weiteres Kanu, das von einem seiner Freunde gelenkt wurde. Es war Awässeh-neskas, Bärenkralle, der mit seiner jungen Frau unterwegs war.
Sie war im Frühjahr von einem anderen Dorf zu ihnen gestoßen. Sie hieß Regen-auf-dem-Wasser und gehörte dem Kranichclan an, während ihr Mann, ebenso wie Machwao und seine Schwester, dem Bärenclan angehörten.
* * *
Seitdem der Ahnherr ihres Volkes, der große weiße Bär, aus seiner Höhle emporgestiegen war und sich in einen Menschen verwandelt hatte, wurde die Blutlinie des Clans über den Vater bestimmt. Der Bärenclan war der älteste Clan. Aus ihm wurden immer die Sprecher des Volkes und die Häuptlinge erwählt. Machwao gehörte zum Bärenclan, so wie sein Vater vor ihm und dessen Vater vor dessen Vater. Ihre Linie konnte bis zu dem Ahnherrn zurückverfolgt werden. Es war nicht möglich, einen Angehörigen des gleichen Clans zu heiraten, und meist lebten die Familien eines Clans in einem Dorf zusammen, sodass eine junge Frau das Dorf verlassen musste, wenn sie heiratete.
Machwao wusste, dass andere Stämme dies ungewöhnlich fanden, denn meist wurde die Blutlinie dort über die Mutter bestimmt. Aber die Menominee, die Menschen des wilden Reises, stellten ihr Erbe nicht in Frage. Sie folgten ihren Traditionen, so wie Mäc-awätok es von ihnen seit Urzeiten erwartete. Deswegen hießen sie auch Kiash Matchetiwuk, die Ältesten. Ihr Leben wurde bestimmt aus den Notwendigkeiten des Lebens, dem Verlauf der Jahreszeiten und den Zeremonien, die es für alle Bereiche des Lebens gab. Durch sie war es möglich, mit den Geistern zu sprechen und um Schutz vor der Unbill der Natur zu bitten. Nur durch Schutzgeister und Talismane war es möglich, den verheerenden Kräften zu entgehen, die allerorts auf einen lauerten. Selbst vor der Ernte des wildes Reises hatte er um Schutz gefleht, denn in den Seen und Flüssen lauerte sonst die gehörnte Schlange, Meqsekenupik, die nur zu gerne Kanus umwarf und die Insassen unter Wasser zerrte, um sie aufzufressen. Niemand wagte sich auf das Wasser hinaus, ohne vorher um Schutz gebetet zu haben.
Machwao stakste langsam in Richtung seines Freundes, auch wenn das bedeutete, dass er heute wohl keine Ente mehr erlegte. Ein frischer Wind kam auf und das Wasser kräuselte sich vor dem Bug des Kanus. Leichte Wellen schlugen gegen den Rand und trotz der drei Insassen schaukelte es leicht. Seine Mutter und seine Schwester waren immer noch darin vertieft, das Korn von den Halmen zu schlagen. Er schnalzte leise mit der Zunge und als er ihre Aufmerksamkeit hatte, zeigte er mit gespitzten Lippen in Richtung des anderen Kanus. „Sie gehen bereits an Land. Wir sollten ihnen folgen und morgen weitermachen.“
Die Mutter nickte ihr Einverständnis und so stieß Machwao das Kanu etwas schwungvoller vorwärts. Die Halme bogen sich auseinander, als es durch sie hindurchglitt und schließlich gegen den sandigen Boden des Ufers stieß. Er hüpfte ins Wasser und schob das Kanu mit einem kräftigen Ruck ins Trockene, sodass seine Schwester und seine Mutter trockenen Fußes an Land gehen konnten. Als sie ausgestiegen waren, zog er das Kanu vollends an Land. Dann beugten sie sich über die Schilfmatten, in denen sie das Korn gesammelt hatten, und hoben sie vorsichtig aus dem Kanu. An einer sonnigen Stelle legten sie die Matten aus und verteilten das Korn gleichmäßig zum Trocknen.
Machwao überließ die weitere Arbeit den Frauen und ging zu der Stelle, an der sein Freund bereits ein kleines Lager aufschlug. Sie waren nicht weit von ihrem Dorf entfernt, doch da sie am nächsten Tag weiterarbeiten wollten, hatten sie beschlossen, die Nacht hier zu verbringen. Noch war es warm, sodass sie die nächtliche Kälte nicht fürchten mussten. Sein Freund hieß Awässeh-neskas, Bärenkralle, und er ähnelte dem Bären nicht nur äußerlich mit seiner tapsigen Art. Es amüsierte das Volk, wie sehr der Name auf die Persönlichkeit abfärbte.
„Ich habe eine Ente erlegt!“, verkündete Machwao.
„Ich auch! Und wir haben etwas Trockenfleisch dabei. Kommt doch her, dann brauchen wir nur ein Feuer!“
Machwao warf seinem Freund einen anzüglichen Blick zu.
„Wirklich? Ich dachte, du möchtest vielleicht ein wenig Ruhe mit deiner jungen Frau.“ Er rollte vielsagend die Augen und bewegte sein Becken auf beredte Weise vor und zurück. Die Lachfältchen um seine Augen wurden tief.
Awässeh-neskas zeigte seine Zähne und legte mit zusammengekniffenen Augen den Kopf schief. „Such du dir mal lieber eine eigene Frau und schau dir nicht die Augen nach den hübschen Frauen deiner Freunde aus.“
„Tss! Noch bestimme ich, welche Frauen hübsch sind oder nicht. Ich sagte nur, dass deine Frau jung ist!“
Die junge Frau, die in seinen Augen vielleicht nicht hübsch genug war, warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Entschuldigend hob er die Hände und lächelte versöhnlich. „Ich lasse mir nur keine Worte in den Mund legen! Ich entscheide selbst, mit welchen Worten ich eine Frau beschreibe.“
„Und welche Worte findest du für mich?“ Ihr Blick war immer noch finster.
„Nun“, er überlegte scharf und musterte sie kurz von oben bis unten. „Vielleicht wäre wunderschön passender? Oder …” Sein Satz blieb unvollendet, als er in die schwarzen Augen seines Freundes blickte. Er schien dies nicht mehr lustig zu finden. „Hör bloß auf!“, zischte er warnend.
Machwao musste so lachen, dass sein Freund ihn empört in den Bauch boxte. Schnaufend schnappte Machwao nach Luft und trat einige Schritte rückwärts, um sich aus der Reichweite von Awässeh-neskas Fäusten zu bringen.
„Warte nur, bis du eines Tages eine Frau hast. Dann kannst du froh ein, wenn ich sie nicht mit einer Schildkröte vergleiche!“, knurrte Bärenkralle.
„Schildkröte!“ Wieder prustete Machwao los. „Ich suche mir doch keine Schildkröte!“
„Wir werden sehen!“, prophezeite Awässeh-neskas. „In meinen Träumen sah ich sehr merkwürdige Dinge.“
Sofort wurde Machwao ernst. „Welche Dinge?“ Er wusste, dass sein Freund oft Träume hatte, und glaubte an dessen Vorahnungen. Aus einer witzigen Bemerkung war plötzlich Ernst geworden und seine Lippen wurden schmal, als er einen Schatten im Gesicht des Freundes bemerkte.
Awässeh-neskas zuckte mit den Schultern und winkte mit einem Lächeln ab. „Wir können uns ja später über deine Schildkröte unterhalten. Lass uns ein Feuer machen und die Enten braten. Ich habe Hunger.“
Machwao nickte und kehrte zu seinem Kanu zurück, um seine Sachen zu holen. Sein Freund hatte die kurze Andeutung mit einem Scherz abgetan und das beruhigte ihn. Wenn es etwas Wichtiges in seinen Träumen gab, würde er es ihm bestimmt mitteilen.
Aber sicherlich nicht, wenn Frauen und Kinder mit dabei waren. Es war Erntezeit und keine Zeit für tiefschürfende Gespräche.
Er warf die Ente vor die Füße seiner Mutter, damit sie die Federn rupfte und sie ausnahm, während er mit seiner Schwester Holz für das Feuer sammelte. Awässeh-neskas half ihm dabei und kurze Zeit später saßen sie bereits um das Feuer und beobachteten, wie die Flammen nach dem Fleisch griffen. Die Mutter wendete den Braten hin und her, damit das Fleisch von allen Seiten garte. Machwao lag auf der Seite und beobachtete die Funken, die hochstoben, wenn manchmal etwas Fett in das Feuer tropfte. Inzwischen war es dunkel geworden und ein heller Vollmond schob sich über die Spitzen der Fichten, die am Ufer standen. Der Mond spiegelte sich im Wasser und schickte ein leicht verzerrtes Bild nach oben zurück.
Awässeh-neskas musterte seinen Freund aus den Augenwinkeln und ließ sich ebenfalls auf die Seite sinken, sodass er fast neben Machwao lag. Er kaute an einem Grashalm und schien zu überlegen, wie er das Gespräch beginnen sollte. Regen-auf-dem-Wasser hatte sich am Feuer zu schaffen gemacht, sodass keine der Frauen auf das Gespräch der Männer achtete. Die Mutter unterhielt sich leise mit der Frau seines Freundes und Kämenaw Nuki stand im Fluss und beobachtete den Aufgang des Mondes. Ihre Füße wühlten den Schlamm auf, als sie einige Schritte auf und ab ging. „Bald kommt der Winter!“, begann Awässeh-neskas umständlich. Manchmal machte er seinem Namensvetter, dem Bären, wirklich alle Ehre.
Machwao grinste breit. Was für eine Tatsache! „Ja, und dann kommt wieder der Frühling …!“
Auch der Freund lächelte, als er merkte, dass er vielleicht zu weit ausholte. Er wedelte mit der Hand und konzentrierte sich wieder auf seine Worte. „Nun, dann kommt der Frühling!“, wiederholte er die Worte Machwaos. „Und Wapus möchte auf eine Handelsreise gehen. In den Süden.“ Er verstummte und schaute den Freund von der Seite an.
Machwao seufzte tief. Eine Handelsreise! Das bedeutete, dass er viele Monde unterwegs sein würde. Natürlich war es abenteuerlich und auch interessant, aber wollte er wirklich so lange von seinem Dorf getrennt sein? Andererseits war er jung genug, um so eine Reise zu wagen. Und er war noch nicht verheiratet, sondern versorgte nur eine Mutter und eine Schwester. Seine Familie war groß und so konnte er die beiden unbesorgt der Obhut seiner Onkel und Tanten überlassen. Auch sein Vater war Händler gewesen, ehe feindliche Anishinabe ihn bei einem Angriff getötet hatten.
Die Menominee versuchten mit allen Menschen in Frieden zu leben, aber manchmal gelang das nicht. Machwao hatte seinen Vater gerächt, indem er einen Mann der Feinde im Zweikampf getötet hatte. Nun verlangte dessen Familie nach Rache. Es war ein ewiger Kreislauf aus Tod und Rache, der sich kaum unterbrechen ließ. Irgendwann würde auch sein Dorf wieder das Ziel eines Angriffs sein, gleichgültig, ob es Anishinabe oder Ho-Chunk waren. Als Händler dagegen konnte er versuchen, die Beziehungen zu verbessern. Es gab sogar schon Ehen zwischen Menominee und Ho-Chunk, oder Menominee und Anishinabe. Meist handelte es sich um geraubte Frauen, aber es gab auch Ehen, die durch Handelskontakte entstanden waren.
Awässeh-neskas spuckte den Grashalm aus und fuhr mit seinen Überlegungen fort. „Ich dachte daran, ihn zu begleiten, und wollte auch dich fragen. Wakoh, der Fuchs, wird uns ebenfalls folgen.“
„Hmh, das ist gut!“ Machwao überlegte sich seine nächsten Worte. Wapus, der weiße Hase, war ein überlegter Mann, der bereits den Weg eines Medizinmannes eingeschlagen hatte. Er gehörte zur Metewin-Gesellschaft, den Medizinmännern, die ihr Wissen vom Morgenstern selbst erhalten hatte. Er hütete ein Bündel aus Otterfell, in dem sich sein geheimster Talisman in Form einer Muschel, Heilkräuter und andere Kleinigkeiten befanden. Mit diesem Bündel war es ihm möglich, sein Leben oder das Leben anderer zu verlängern oder ihnen in spiritueller Weise zu helfen. Ja, und Wakoh war ein gefährlicher Kämpfer, ein unbarmherziger Krieger, der sich gerne solchen Reisen anschloss, weil er dann die unsicheren Blicke im Dorf vermied, die ihm immer wieder zugeworfen wurden. Er galt als rücksichtslos und unbeherrscht, aber als guter Kämpfer. Ihn an seiner Seite zu wissen, war keine schlechte Sache. In Gesellschaft von Männern war er eigentlich ganz brauchbar. Er machte gute Scherze und war ein verlässlicher Freund. Nur Frauen gingen ihm lieber aus dem Weg, weil sie sein kriegerisches und unbeherrschtes Verhalten, aber auch sein angsterregendes Aussehen fürchteten. Er trug seltsame Tattoos im Gesicht und scherte sich wenig um die Meinung anderer.
„Wohin will Wapus denn gehen?“, erkundigte er sich zögernd. Awässeh-neskas zeigte mit einem Rucken seines Kopfes in Richtung Süden. „Weit nach Süden. Vielleicht bis zu den Illiniwek. Wir könnten unsere grünen Steine mitnehmen. Und wir könnten Felle und Muscheln tauschen. Sie haben viele schöne Dinge, die weit aus dem Süden kommen. Vielleicht auch Tabak!“
„Das würde bedeuten, dass wir erst diese grünen Steine holen müssen!“, wandte Machwao ein.
„Der Winter ist lang!“, meinte Awässeh-neskas altklug. „Aber wir schaffen es vielleicht noch im Herbst. Ich wollte aufbrechen, wenn der Manomäh und der Mais in den Gruben ist.“
Machwao hob zwei Finger. „Du redest von zwei Reisen. Eine im Herbst und eine im Frühjahr.“
Der Freund schenkte ihm ein Grinsen und zuckte die Schultern. Machwao nickte in Richtung der Frauen. „Und was sagt deine neue Frau dazu? Was wird sie denken, wenn du immer weg bist?“
„Ich muss mich ein wenig ablenken!“ Awässeh-neskas machte ein triumphierendes Gesicht. „Von mir wird verlangt, dass ich enthaltsam bin. Wenn ich unterwegs bin, wird mir das leichter fallen!“
„Ah!“ Machwao dehnte den Ausruf in die Länge. „Ach so!“ Er schlug seinem Freund wohlwollend auf die Schulter. „Sehr gut!“ Dann warf er ihm einen fragenden Blick zu. „Aber wirst du denn zurück sein, bis das Baby kommt?“
„Wenn wir früh genug aufbrechen …“ Awässeh-neskas lachte breit. „Und anfangs sind sie ohnehin so klein, dass sie den Vater nicht bemerken. Ich muss dafür sorgen, dass meine Frau gut untergebracht ist, aber mein Clan wird sich gut um sie kümmern.
Ich werde meinen Sohn sehen, ehe ich in den Süden ziehe.“
„Hmh.“ Es klang nicht so überzeugt.
„Was?“
„Nichts!“ Machwao hob die Schultern. Es war nicht seine Sache. Sein Freund entschied selbst, was für ihn wichtig war oder nicht. Er selbst würde jedenfalls keine Frau, die von ihm ein Kind erwartete, alleine lassen. Wenn er je die Richtige fand. Seine Familie hatte bereits zweimal versucht, eine Ehe für ihn zu stiften, aber beide Male war nichts daraus geworden. Mäc-awätok hatte wohl andere Pläne für ihn. Vielleicht hatte er aber auch noch nicht genug Signale ausgesendet, dass er eine Ehefrau wollte. Ihm war es im Moment genug, seine Mutter und Schwester zu versorgen. Er war noch jung und hatte Zeit.