Читать книгу Donnergrollen im Land der grünen Wasser - Kerstin Groeper - Страница 9

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Maisernte

(Mabila, im Süden der Schildkröteninsel)

Maisblüte erwachte in aller Früh und ließ sich von einer der Dienerinnen die Haare kämmen. Dann schlüpfte sie in ihr Festgewand und legte ihren Schmuck aus Knochenperlen und Muscheln an. Nebel lag über den Feldern und einige Schwaden streiften über die Dächer der Hütten. Es war frisch und Maisblüte fröstelte, als sie vor den Eingang trat. Im Osten schimmerte der Nebel heller und ließ die Sonne dahinter erahnen. Der Tag würde schön werden. Langes-Schilf trat neben die Tochter und legte den Arm um die schmalen Schultern des Mädchens. „Sei mit deinen Gedanken bei deinen Gebeten, damit die Ernte gesegnet wird!“, mahnte die Mutter eindringlich.

Maisblüte wusste um die wichtige Aufgabe, die ihr anvertraut war. Das Wohlergehen des ganzen Volkes hing davon ab. Der Heilige Mann und die Jungfrauen trugen die Wünsche zu den Geistern und der Sonne. An der Seite ihrer Mutter ging Maisblüte zu der Chukka des Hopaii, der ebenfalls auf einer Erhöhung wohnte. Sie stand in der Mitte des Dorfes, gleich neben der stattlichen Behausung des Minkos, die alle anderen Hütten überragte. Tuscalusa war nicht nur der Häuptling dieses Dorfes, sondern er hatte viele Dörfer unter seiner Macht vereint. Er lebte abwechselnd hier oder in dem Dorf Piachi. Sein Hügel hier in Mabila war neu errichtet worden, mit einem besonders großen Haus, das seiner Stellung gerecht werden sollte. Auch die Palisaden, die das Dorf umgaben, waren hoch und stark und die Wände mit Maisstroh und Lehm verputzt. Das hatte den Vorteil, dass Pfeile nicht durch die Zwischenräume ins Innere geschossen werden konnten. An der inneren Palisadenwand gab es sogar einen einfachen Wehrgang, von dem aus die Krieger angreifende Feinde abwehren konnten. Der Eingang war mit einem Tor geschützt, das man erst durch einen Wehrgang erreichte, der von beiden Seiten befestigt war. Von hier konnte man Angreifer sogar von zwei Seiten her unter Beschuss nehmen. Die Menschen fühlten sich sicher hinter diesen Wänden.

Maisblüte hielt ihren Blick sittsam gesenkt, als sie durch die Menschen schritt, die ihr ehrerbietig Platz machten. Dann stieg sie die Stufen zur Chukka des Hopaii empor. Auch andere Mädchen folgten ihr und verschwanden im Inneren. Die Mütter blieben draußen und warteten auf den Beginn der Zeremonien. Der Hopaii war ebenso in sein prächtigstes Gewand gekleidet. Er trug einen Schurz aus Jaguarfell, das von Stämmen weiter westlich gehandelt worden war. Seine Schultern waren mit einem Poncho aus kostbar gewebtem Stoff bedeckt und auf dem Kopf trug er eine Haube aus Federn. Am Gürtel hing ein Köcher mit Pfeilen und am Rücken trug er einen reich verzierten Bogen, der nicht so sehr zum Jagen oder Kämpfen diente, sondern wiederum seinen Status betonte. Es hieß, dass seine Pfeilspitzen mit dem Gift der Klapperschlange benetzt waren und daher besonders tödlich wären. Seine heiligen Utensilien trug er in einem Korb, der aus Bast geflochten war. So ausgestattet wartete er in aller Ruhe, bis sich die Menschen in der Mitte des Dorfes versammelt hatten oder bereits den Weg zu den Feldern säumten.

Mit wichtiger Miene schritt der Hopaii die Stufen hinunter, gefolgt von zwanzig Jungfrauen, die bereits die Schalen mit Sand und den Glutstücken trugen. Ein Sklave entzündete das Räuchergut und legte es dann in die Schalen, sodass sich sofort aromatischer Rauch ausbreitete. Die Prozession setzte sich in Bewegung und führte die Menschen aus dem Dorf heraus. Singend gingen sie zu den Feldern, in denen der Mais bereits hoch stand. Körbe standen am Feldrand, in denen später die Kolben geerntet werden sollten. Zwischen den Maisfeldern standen kleine Gerüste, auf denen die Wächter saßen und die Ernte vor den Krähen schützten. Aber auch Waschbären und Dachse machten sich gern an den leckeren Maiskolben zu schaffen. Die Bohnen und Kürbisse, die stets mit dem Mais gemeinsam gepflanzt wurden, waren bereits geerntet worden, nur einige Sonnenblumen säumten noch die einzelnen Felder.

Hinter dem Hopaii ging der Minko. Auch er trug kostbar hergestellte Kleidung und einen hohen Federschmuck, der ihn wie einen Riesen erscheinen ließ. Tuscalusa war ohnehin schon ein Hüne, aber die Federn ließen ihn noch größer und eindrucksvoller erscheinen. Sein muskulöser Körper war mit Öl eingeschmiert, sodass er kriegerisch und gefährlich wirkte. Auch sein Körper war voller Tattoos, sodass manchmal die ursprüngliche Farbe seiner Haut nicht mehr zu erkennen war. Er war sich seiner Wirkung bewusst und umgab sich mit dieser Aura aus Gefahr, Bedrohung und gleichzeitig Schutz. Die wichtigsten Krieger begleiteten ihn, die seine Würde noch unterstrichen. Hier schritt ein Häuptling, der wahre Macht ausübte.

Maisblütes Augen fanden den Vater, der die Prozession des Hopaii begleitete. Sie war stolz auf ihn und sie hoffte, dass er sie einst einem ebensolchen Mann gab. Noch war sie zu jung, um zu heiraten, obwohl es durchaus üblich war, schon junge Mädchen zu verheiraten, um sie abzusichern. Aber sie entstammte einer geachteten Familie und ihr Vater wollte abwarten, bis sie ihre ersten Riten hatte. Maisblüte sah wieder auf die Schale in ihren Händen und blies hinein, um das Räucherwerk anzufachen. Aromatischer Rauch stieg auf und sie lächelte zufrieden. Mit einem Fächer wedelte sie den Maispflanzen den Rauch zu, während sie anmutig durch die Reihen schritt. Die Jungfrauen hatten sich verteilt, sodass zwanzig Mädchen durch die Reihen gingen.

Die Menschen standen am Rand und sangen ein Lied zu Ehren des Maises und schlugen dazu kleine Trommeln. Der Heilige Mann schritt ebenfalls durch die Reihen und schlug mit einer Keramiktrommel, die mit Leder überzogen und mit Wasser gefüllt war, einen gleichmäßigen Rhythmus, um mögliche böse Geister zu verscheuchen. Es dauerte den ganzen Vormittag, die Felder abzuschreiten. Erst dann gab der Hopaii das Zeichen, die Felder abzuernten. Singend schritten die Menschen mit ihren Körben durch die Reihen und brachen die Kolben von den Stängeln. Andere hieben die Stängel um, die später als Dünger oder als Baumaterial verwendet wurden. Alles verlief geordnet und mit ruhigen Bewegungen, weil die Menschen dies schon oft gemacht hatten. Die Aufgabe der Jungfrauen war getan und so kehrte Maisblüte mit den anderen Mädchen ins Dorf zurück, um sich umzuziehen. Dann eilte sie zu den Feldern zurück und half dabei, den Mais zu ernten.

* * *

Tage vergingen, in denen geerntet, der Mais von den Kolben geschabt und zum Teil zum Trocknen in die Sonne gelegt wurde. Fast hatte Maisblüte das Gespräch ihres Vaters mit dem Minko vergessen, so sehr war sie mit ihren Arbeiten beschäftigt. Nur die Ankunft weiterer Krieger aus Nachbardörfern zeugte davon, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Die Täler am Piachi-Fluss waren fruchtbar und daher dicht besiedelt. Jedes Dorf schickte Männer zur Verteidigung, während andere auch dort die Ernte einbrachten. Dann kam ein Kundschafter, den der Sohn des Häuptlings geschickt hatte, mit beunruhigenden Nachrichten zurück. Er berichtete von dem schnellen Vorwärtskommen der Fremden und mit welcher Brutalität sie dabei vorgingen. „Sie haben jedes Dorf auf ihren Weg ausgeraubt und geplündert! Meine Kundschafter erzählen auch von den Dörfern noch weiter im Osten. Dort sind im letzten Jahr seltsame Krankheiten ausgebrochen, die viele Menschen dahingerafft haben. Sie glauben, dass es die Fremden sind, die Tod und Zerstörung bringen. Wir müssen uns vorbereiten.“

Maisblüte hörte von ihrem Vater über diese besorgniserregenden Nachrichten. Große-Schlange schüttelte energisch den Kopf.

„Wir müssen diese Fremden aufhalten, ehe sie Tod und Zerstörung zu uns bringen! Der Heilige Mann soll seinen Zauber über sie ausbreiten, damit wir sie vernichten können!“

Maisblüte erkannte sehr wohl die Gefahr, in die sie sich begab. Aber sie war eine Jungfrau und so war es ihre Aufgabe, das Volk zu schützen. Es war nicht mehr nur eine abenteuerliche Reise, sondern eine heilige Handlung. Sie musste packen, damit sie am nächsten Tag ihre Reise antreten konnte. Ihr war seltsam zumute, denn sie war noch nie von ihrem Dorf entfernt gewesen. Atahachi lag drei bis vier Tagesreisen von Mabila entfernt und mindestens einmal mussten sie einen Fluss überqueren. Sie hatte keine Ahnung, wie diese Fremden, von denen der Häuptling gesprochen hatte, sein würden. „Mutter!“, bat sie mit bangem Herzen. „Was wird von mir erwartet, wenn wir diesen Fremden begegnen?“ Die Mutter faltete einen Umhang zusammen und legte ihn bedächtig in einen Tragekorb. „Du wirst es wissen, wenn du dort ankommst! Mach dir keine Sorgen! Der Heilige Mann wird dir sagen, was zu tun ist. Und es werden so viele Krieger dabei sein, die euch schützen werden.“

„Und wenn es zum Kampf kommt?“

„Tuscalusa wird nicht in Atahachi kämpfen! Er lockt diese Fremden hierher. Warte nur ab!“ Die Mutter klang so zuversichtlich, dass Maisblüte ihre Zweifel beiseite schob. Es wäre respektlos, ihre Mutter weiter zu ängstigen.

„Außerdem sind auch unsere anderen Dörfer befestigt. Wir haben überall Krieger, die sich zu verteidigen wissen“, fuhr die Mutter fort. „Du darfst dich nicht mit zu vielen Gedanken quälen, denn sonst kommt Impashilup und frisst deine Seele. Denke an gute Dinge, denn das wird dich schützen!“

Maisblüte schob sich eine Strähne ihres Haares nach hinten, die ihr vor die Augen gefallen war. „Ach, ich bin einfach nur aufgeregt“, murmelte sie entschuldigend. Sie sagte nicht, dass auch die Dörfer der Stämme weiter im Osten befestigt gewesen waren. Dort hatten sich die Menschen nicht schützen können.

Die Mutter lächelte. „Tochter! Ich wäre auch aufgeregt, wenn ich so eine Reise machen dürfte. Du wirst die anderen Dörfer sehen und viele Menschen treffen. Du hast eine wichtige Aufgabe!“

Maisblüte nickte geschmeichelt. „Ja, ich weiß. Man ist nur einmal die Jungfrau des Heiligen Mannes. Bald werde ich eine Frau sein und heiraten, dann kann ich diese Dinge nicht mehr tun.“

„Erinnere dich an die Tugenden und an die Aufgabe, die dir anvertraut wurden. Du begleitest den Hopaii und den Minko, um diesen Fremden zu begegnen und Schaden von uns abzuwenden. Das ist ehrenvoll.“

Maisblüte senkte den Blick. „Ich weiß. Ich werde tun, was von mir verlangt wird.”

„Hier, diese Sachen ziehst du auf der Reise an, damit deine schönen Gewänder geschont werden.“ Die Mutter gab Maisblüte einen einfachen Schurz und einen Umhang aus Hirschfell. Es wurde bereits kühl, sodass es klug war, an wärmere Kleidung zu denken. Außerdem reichte sie ihr Mokassins, die mit einer weiteren Sohle verstärkt waren. Meist liefen die Menschen einfach barfuß, aber der Weg war lang und steinig. Es gab Wege zwischen den Dörfern, doch für einen langen Fußmarsch war es besser, Mokassins zu tragen. Zwischen Mabila und dem nächsten Dorf musste ein Berg überwunden werden, der als unwegsam galt. Dann wickelte die Mutter ein wenig Wegzehrung in Maisblätter. Sie vertraute darauf, dass die Krieger unterwegs Wild jagten, aber ein bisschen getrocknetes Fleisch und Fladen würden Maisblüte unterwegs guttun. Dann suchte sie einen ausgehöhlten Kürbis, in dem Maisblüte Wasser mitführen konnte. Anschließend führte sie ihre Tochter zur Chukka des Hopaii. Dort würde sie mit den anderen Mädchen die Nacht verbringen, um dann am Morgen die Reise anzutreten.

Maisblüte verabschiedete sich mit einer Umarmung von ihrer Mutter, dann winkte sie ihrem Bruder zu, der am Fuß des Hügels stand und sich nicht traute, die Stufen emporzusteigen. Er war traurig, dass sie ging. Sie winkte ihm zu, um ihn aufzuheitern, und trat dann in die Chukka. Im Inneren saßen bereits die anderen Mädchen. Einige waren ihre engsten Freundinnen, andere waren aus anderen Dörfern zu ihnen gestoßen. Auch das war auf die Politik des Häuptlings zurückzuführen. Er verlangte aus allen Dörfern die edelsten Jungen und Mädchen, die mit großer Ehrerbietung behandelt wurden, aber nichtsdestotrotz Geiseln waren. Der Häuptling war großzügig und erlaubte Besuche, sodass es mehr ein Austausch von Beziehungen war. Auch zwei seiner eigenen Töchter wuchsen in zwei anderen Dörfern heran, um einst einen dortigen Häuptlingssohn zu heiraten.

Maisblüte erkannte einer ihrer Freundinnen und suchte ihre Nähe. Mit einem Lächeln setzte sie sich neben Nebel-am-Morgen und legte ihre Bündel ordentlich neben die Schlafmatte. Auch Vogel-im-Bach kam näher und bat schüchtern darum, neben ihnen liegen zu dürfen. Sie war etwas jünger als die beiden Freundinnen, eigentlich noch ein Kind. In Maisblüte erwachte der Beschützerinstinkt und sie nahm das Mädchen an der Hand. „Bleib nur bei uns! Wir passen auf dich auf!“

Vogel-im-Bach nickte beruhigt. „Habt ihr von diesen Fremden gehört?”, flüsterte sie.

Maisblüte schlug sich die Hand vor den Mund. „Hasch! Wir sollten nicht darüber reden. Allein laut darüber zu sprechen, kann schon Unheil auf uns lenken. Wir tun, was der Heilige Mann uns befiehlt. Mehr nicht!“

Alle Mädchen schwiegen plötzlich und starrten Maisblüte mit großen Augen an. „Schlaft jetzt!“, befahl Maisblüte. „Morgen haben wir einen langen Weg vor uns.“

Die Mädchen legten sich wie geheißen auf ihre Matten und schlossen die Augen. Einige waren müde und schliefen tatsächlich, andere lagen noch lange wach, und in ihren Gedanken spukten Bilder von den Fremden, denen sie begegnen würden, im Kopf herum.

* * *

Am Morgen wurden sie von lautem Rufen geweckt. Der Heilige Mann begrüßte die Sonne, die Wärme und ewiges Leben schenkte. Eilig packten die Mädchen ihre Bündel und stellten sich auf die Terrasse, die sich vor der Hütte befand. Mit großen Augen blickten sie auf die Abordnung, die sich am Fuß des kleinen Hügels zum Aufbruch formierte. Vorn stand der Häuptling inmitten seiner Krieger, dann folgten der Heilige Mann und seine Träger. Auf einen Ruf hin ordneten sich die Mädchen in den Zug, ebenfalls von Kriegern und Dienerinnen umgeben. An die zweihundert Personen machten sich auf den Weg nach Osten, um diesen Fremden zu begegnen. Der Häuptling sicherte sich nach allen Richtungen ab, denn zehnmal hundert Fremde waren eine gewaltige Bedrohung.

Nachdem sie die unmittelbare Nähe des Dorfes verlassen hatten, schritten sie durch schattige Wälder. Einige Blätter verfärbten sich bereits rot und gelb, sodass es in der Sonne ein prächtiges Farbenspiel gab. Moskitos schwirrten um die Menschen, die mit zügigen Schritten in Richtung Osten marschierten.

Sie folgten einem Trampelpfad, der zeitweise in der Nähe eines Flusses verlief. Das Tempo war schnell, sodass den Mädchen der Atem fehlte, um sich zu unterhalten. Dann wurde der Weg steiler, als sie einen Berg erklommen. Gegen Mittag schlugen sie eine kurze Rast ein und blickten schweigend über das Land, das sich unter ihnen ausbreitete. Sie hatten fast den Kamm erreicht und genossen den Ausblick. Wälder wechselten sich ab mit Dörfern und Feldern. In den Flussniederungen löste sich der Nebel auf, sodass ein leichter Schleier über dem Land lag. Es war ein reiches Land, in dem sie lebten. Die Wälder waren voller Wild, die Flüsse voller Fische und der Boden fruchtbar.

Maisblüte wischte sich den Schweiß von der Stirn und trank einige Schlucke aus der Kalebasse. Einige Gänse flogen am Himmel über sie hinweg und sie wedelte mit der Hand in Richtung des Schwarms. „Sie kommen, um zu überwintern!“

Vogel-im-Bach kicherte. „Stell dir vor, wir müssten immer so von Norden nach Süden ziehen!“

Maisblüte zuckte mit den Schultern. „Auch wir sind einst einen weiten Weg gewandert, um hierher zu gelangen. Vielleicht haben diese Vögel ihre Heimat noch nicht gefunden?“

„Meinst du?“ Die Augen des Mädchens wurden groß. „Es gibt so viele Vögel, die hin und her wandern! Vielleicht haben die alle ihre Heimat noch nicht gefunden?“

Maisblüte kicherte. „Oder sie finden es einfach nur lustig. Es muss doch schön sein, wenn man dort oben fliegt und die Erde unter einem dahingleitet. Fast so wie jetzt …!“ Sie deutete mit ihrer Hand auf die Landschaft.

„Oh, da würde mir schlecht werden …!“, wehrte Vogel-im-Bach ab. „Das ist mir zu hoch.“

Ihre Unterhaltung verstummte, denn die Krieger drängten erneut zum Aufbruch. Der Weg war nicht mehr so beschwerlich, denn es ging bergab.

Am Abend lagerten sie am Ufer eines Baches und Maisblüte nutzte die Gelegenheit, ihre Kürbisflasche wieder mit frischem Wasser zu füllen.

Am nächsten Tag erreichten sie das Dorf Piachi und übernachteten in einer Hütte, die eigens für sie hergerichtet worden war. Der Minko verbrachte die Nacht in seiner stattlichen Behausung, die ebenfalls auf einem künstlichen Hügel errichtet worden war. Maisblüte staunte, denn dieses Haus war noch größer und stattlicher als das Haus in Mabila, wenn das überhaupt noch möglich war. Das Dorf lag auf einem Hügel am Fluss Piachi, den sie am Morgen mit Kanus überqueren wollten. Auch dieses Dorf hatte Palisaden und schien wegen seiner erhöhten Lage kaum einnehmbar zu sein.

* * *

Als die Sonne höher stieg, wurde die Abordnung mit den Kanus über den Fluss gepaddelt. Maisblüte saß mit zwei anderen Mädchen in einem Kanu, das von zwei Männern des Dorfes geführt wurde. Es ziemte sich nicht, dass die Mädchen mit fremden Männern sprachen, und so achtete Maisblüte nur darauf, dass ihre Bündel nicht nass wurden. Am anderen Ufer wartete sie geduldig, bis alle übergesetzt hatten, und nutzte die Zeit, schnell ihre Sachen zu überprüfen. Manchmal leckten die Kanus und sie wollte nicht, dass ihre schöne Kleidung Wasserflecken hatte. Tuscalusa schickte die Männer des Dorfes zurück und gab Befehl, die Frauen und Kinder mit den Kanus fortzuschaffen. „Wir müssen diesen Fremden nicht noch helfen, sich in unserem Land zu bewegen!“ Er grinste ohne Humor und machte eine ungeduldige Handbewegung, die zeigte, dass er wusste, dass seine Befehle nicht in Frage gestellt wurden. Er sorgte sich um die Frauen und Kinder. Es war weise, sie in Sicherheit zu bringen. Außerdem würde es die Fremden aufhalten, wenn sie keine Kanus hatten, um den Fluss zu überqueren.

Einen Teil der Krieger schickte er in Richtung Mabila, um dort die Krieger zu verstärken. Maisblüte sah dies mit Argwohn. Würde es einen Kampf geben? Anscheinend waren die Berichte über diese Fremden besorgniserregend, aber sie wagte nicht zu fragen. Die nächste Nacht verbrachten sie zwischen einigen Hügeln. Feuer wurden entzündet, denn nachts wurde es kalt. Sie hüllten sich in Umhänge aus Hirschfell und legten Matten auf den Boden. Alle freuten sich darauf, am nächsten Tag Atahachi zu erreichen.

Der Sohn des Häuptlings war zurückgekehrt und berichtete von den merkwürdigen Dingen, die er gesehen hatte. Er sprach von Wesen, die auf riesigen vierbeinigen Tieren ritten, und von Menschen, die seltsamste Kleidung trugen. Er sprach aber auch von den vielen Menschen, die versklavt worden waren, um den Fremden die Lasten zu tragen. Mit einem höhnischen Lächeln erzählte er, dass der feindliche Häuptling Coosa schließlich von den Fremden freigelassen worden wäre. Aber sein Schicksal war trotzdem besiegelt worden, denn er fiel dem Sohn Tuscalusas in die Hände. „Wir fanden ihn auf dem schnellen Rückweg in sein Stammesgebiet, doch er entkam unseren Keulen nicht!“

Tuscalusa grinste über diese Nachricht. Seinen Widersacher loszusein war ein nicht zu verachtendes Ereignis. Trotzdem wusste er um die Tragweite. Coosa war ebenfalls ein mächtiger Mann gewesen, der ein großes Volk befehligt hatte und der oberste Priester für sie gewesen war. Sein Tod war ihm eine Warnung, diese Fremden nicht zu unterschätzen. Aber er wollte sich ganz sicher nicht unterwerfen lassen! Mit der Schläue des Politikers wollte er diese Fremden über seine wahren Absichten im Unklaren lassen. Er würde sie mit Freundlichkeit einlullen, während seine Kriegshäuptlinge den Angriff vorbereiteten. Vielleicht siegte ja auch die Diplomatie. Aber Friedensverhandlungen wären nur erfolgreich, wenn diese Fremden von seiner Stärke überzeugt waren. Und er hatte genaue Vorstellungen, wie er die Fremden beeindrucken wollte. Atahachi wäre der geeignete Ort dafür!

Maisblüte war müde, als sie endlich Atahachi erreichten. Das Dorf lag erhöht auf einem Hügel und die Chukka des Häuptlings stand auf einem künstlich errichteten Hügel, einem Mound, vor dessen Eingang sich eine große Terrasse befand. Die Hütte war langgestreckt und das Innere mit mehreren Decken abgeteilt. Alles war bereits für ihre Ankunft hergerichtet worden, sodass die Mädchen schnell im hinteren Teil verschwanden, der für sie vorgesehen war. Der Minko blieb im vorderen Teil, zusammen mit dem Hopaii und seinen Vertrauten. Die anderen wurden in den umliegenden Hütten beherbergt. Frauen trugen Töpfe mit Essen herein, das gerecht verteilt wurde. Jeder erhielt eine hölzerne Schale mit Essen, das nach der langen Wanderung köstlich schmeckte. Es war eine Suppe aus Mais, gemischt mit Fleisch und Zwiebeln. Alle lachten, als ihnen das Fett über das Kinn lief. Niemand sprach von den bevorstehenden Ereignissen, um die Gastgeber nicht zu beleidigen. Heute wurde nur das Essen gewürdigt.

Am nächsten Tag berichteten Kundschafter von dem Näherrücken der Fremden. Sie näherten sich in zwei Kolonnen, mit all ihren Sklaven, Getier und Gepäck. Tuscalusa befahl, dass alle sich schmücken sollten, um den Anführer ehrerbietig zu begrüßen. Der Heilige Mann sprach ein Gebet und flehte die Sonne um Unterstützung an, während die Jungfrauen in ihre schönsten Gewänder gehüllt neben ihn standen und seine Utensilien hielten. So warteten sie auf dem erhöhten Platz auf die Ankunft der Fremden. Die hochaufgerichtete Gestalt des Häuptlings wirkte dabei noch riesiger, aber genau das war ja seine Absicht. Er trug einen kostbaren Mantel aus Federn und hinter ihm stand ein Sklave, der einen Fächer aus Schilf hielt. Noch stand der Häuptling im hellen Sonnenlicht. Er blinzelte nach oben und sah zufrieden, dass die Große Sonne ihre Gespräche hören würde. Ohne ihren Schutz hätte er dieses Zusammentreffen abgesagt und auf gutes Wetter gewartet.

Maisblüte verschlug es den Atem, als die Abordnung der Fremden schließlich durch das Dorf kam und vor dem Hügel hielt. So etwas hatte sie noch nie gesehen! Sie widerstand dem Impuls, einfach wegzulaufen, auch, weil ihre Knie ohnehin einzuknicken drohten. Ihre Hände zitterten, als sie ungläubig auf das Bild blickte, das sich ihr bot. Wesen, die oben den Körper von Menschen hatten, aber unten die vier Beine eines Tieres, das aussah wie ein riesiger Hund. Sie kannte Kashehotopolo, ein Wesen, das halb Mensch und halb Hirsch war. Wenn man es ärgerte, dann rannte es mit großer Geschwindigkeit vor einem her und vertrieb das Wild oder warnte die Feinde. Aber diese Wesen hier ähnelten nichts, was sie je gesehen oder gehört hatte. Ihre Kleidung glänzte schwarz in der Sonne und erinnerte an den Panzer eines Käfers. Auf dem Kopf trugen diese Menschen einen Hut aus dem gleichen Material, das von der Sonne reflektiert wurde. Einige dieser Männer trugen lange Speere in ihren Händen. Dahinter reihte sich ein Zug aus vielen Männern und Sklaven, die die Bündel trugen. Bei einigen waren die Füße mit Fesseln zusammengebunden, sodass sie kaum laufen konnten. All dies erblickte Maisblüte in den ersten Augenblicken. Dabei gab es so viele Kleinigkeiten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Alles war fremd! Einfach alles! Das Aussehen, die Kleidung, die Ausrüstung, das Haar in den Gesichtern der Männer, die Waffen. Maisblüte wollte sich gar nicht vorstellen, was die Fremden alles in den Bündeln hatten, die sie mit sich führten. Gleichzeitig schockierte sie das Aussehen der Sklaven. Auch bei ihrem Volk wurden Gefangene nicht gut behandelt, aber diese Demütigung zu sehen, war schrecklich. Es gab ihr einen Geschmack von dem, was passieren würde, wenn es Tuscalusa nicht gelang, diese Fremden zu besiegen oder Frieden zu schließen.

* * *

Ein Mann trat vor und Maisblüte hörte auf die Worte, die aus seinem Mund kamen. Er sprach die Sprache der Chatah, aber schlecht. Sein Name sei Juan Ortiz und er war bereits als Kind in ihr Land gekommen und hätte die Sprachen der Eingeborenen gelernt. Er erzählte, dass diese Fremden von weither über das Wasser aus einem Land namens Spanien kamen. Maisblüte hatte keine Vorstellung davon, was das sein sollte, aber es musste ein unheimlicher Ort sein, wenn es solche Menschen hervorbrachte. Der Mann sprach immer wieder von einer heiligen Frau namens „Heilige Maria“, in deren Namen diese Menschen fremde Länder eroberten. Hier seien sie auf der Suche nach einem Weg zu einem anderen Meer, um dort ein Dorf zu gründen. Außerdem suchten sie nach etwas, das sie Gold nannten. Der hohe Herr, den er „Gouverneur“ nannte, ersuchte um Männer und Frauen, die ihm halfen, diesen Weg zu erkunden. Um seinen guten Willen zu bekunden, brächte er Geschenke für den hohen Herrn dieses Landes. Der Mann trat einen Schritt beiseite und winkte einige der Träger näher, die eine Kiste abluden.

Tuscalusa nickte gnädig und erlaubte ihnen, die Kiste die Stufen emporzutragen. Dann sah er unbeeindruckt zu, wie die beiden Männer die Kiste öffneten und ihm den Inhalt zeigten. Maisblüte konnte nicht erkennen, was sich darin befand. Auch der Häuptling zeigte mit keiner Miene, ob er beeindruckt war oder nicht. Mit einem Handzeichen rief er die Krieger herbei, die für die Fremden einen Tanz zeigten. Die Jungfrauen traten näher und umrahmten die Krieger mit ihrer Schönheit und demütigen Haltung.

Dann sprach der Häuptling zu den Spaniern: „Ich freue mich über die Geschenke und heiße euch in meinem Land willkommen. Die Dinge, die ihr fordert, kann ich euch hier nicht geben. Aber einige Tagesreisen von hier liegt Mabila. Dort werde ich euch mit dem ausrüsten, was ihr fordert.“ Er hoffte natürlich, die Fremden auf diese Weise friedlich durch sein Gebiet zu schleusen und wieder loszuwerden. „Bis dahin seid meine Gäste und nehmt die Vorräte, die ich euch großzügig überlasse.“

Männer und Frauen brachten Körbe, in denen sich viele Vorräte befanden. Es stellte nur einen kleinen Teil ihrer Nahrungsvorräte dar, aber anscheinend waren die Fremden zufrieden damit. Sie luden den Häuptling und sein Gefolge zu einer Demonstration ihrer Fähigkeiten ein. Sie nannten es „Pferderennen“. Maisblüte erfuhr, dass es sich bei den Vierbeinern um „Pferde“ handelte und die Männer darauf nicht mit ihnen verschmolzen waren, sondern auf- und absteigen konnten. Sie benutzten dazu ein Ding, das sie „Sattel“ nannten. Es war aus Leder gefertigt und bot Riemen, die es den Männern gestatteten, auf das Tier zu klettern. Tuscalusa weigerte sich, seinen Hügel zu verlassen, stattdessen ließ er den Hauptweg räumen, damit die Fremden ihr Können zeigten. Die Menschen kletterten einfach auf die Dächer der Häuser, um besser sehen zu können, oder verteilten sich an der Wegstrecke.

Maisblüte blieb mit den anderen Mädchen neben dem Häuptling stehen und hatte so eine gute Sicht. Nebel-am-Morgen und Vogel-im-Bach standen neben ihr. Sie kicherten vor Aufregung und freuten sich auf das Spektakel. Noch hatten sie die Gefahr nicht verstanden, in der sie alle schwebten. Sie hatten das Gespräch zwischen Tuscalusa und Große-Schlange nicht gehört und Maisblüte hatte ihnen ebenfalls nichts erzählt. Sie fühlten sich sicher in der Gegenwart des Häuptlings. „Sieh nur, wie ihre Kleidung glänzt!“, lächelte Vogel-im-Bach.

„Ich möchte wissen, was in dieser Kiste ist“, überlegte Nebelam-Morgen. „Der Minko schien nicht so beeindruckt gewesen zu sein.“

Maisblüte kicherte. „Er zeigt nie, wenn er beeindruckt ist. Sonst wäre er ja kein so großer Minko.“

Die Mädchen lachten. „Das stimmt. Wenn es leicht wäre, ihn zu beeindrucken, dann wäre es schwierig, so respekteinflößend zu sein. Seht nur, wie er diese Fremden behandelt! Als hätte er so etwas schon oft gemacht!“

* * *

Dann wurden alle still, als zehn Reiter plötzlich eine Attacke gegen den Hügel des Häuptlings ritten und erst im letzten Moment die Tiere durchparierten. Staub wirbelte auf und außer dem Schnauben der Pferde war nichts zu hören. Den Mädchen war vor Entsetzen das Gesicht gefroren, nur langsam wagten sie wieder auszuatmen, während der Häuptling ganz ruhig dastand und gnädig mit dem Kopf nickte. Maisblüte bewunderte ihn. Wie konnte er sich so schnell von diesem Schrecken aus der Geisterwelt erholen? Die riesigen Wesen, die aus einem vierbeinigen Wesen und einem Menschen zusammengewachsen schienen, waren beängstigend. Obwohl ihr von diesem Fremden, der ihre Sprache sprach, erklärt worden war, dass es sich um gezähmte Tiere handelte, auf denen diese fremden Männer saßen, schauderte sie vor Entsetzen. Sowohl die großen Tiere als auch die Männer erschienen ihr gefährlich, außerdem stanken sie. Selbst auf die Entfernung konnte sie den Schweiß und die Ausdünstungen der Männer riechen. Es roch wie bei einem Stachelschwein, das sich gegen den Jäger wehrte. Es dauerte eine Weile, ehe es ihr gelang die Augen von dem Spektakel abzuwenden. Doch der Gestank erinnerte sie daran, dass auch sie sich baden musste. Nach der langen Reise war ihr Haar staubig.

Der Minko winkte die Männer gnädig heran. Einige Diener hielten die Pferde fest, während die fremden Männer den Hügel emporschritten Einer musterte Maisblüte mit lüsternen Augen und sie erstarrte vor Schreck. Es war den Männern nicht gestattet, sie anzusehen! Nicht so! Die Männer schienen noch jung zu sein, obwohl das wilde Haar in ihrem Gesicht sie älter erscheinen ließ. Ihre Augen waren dunkelbraun und wild. Ihre Haut von einem helleren Braun als die ihre. Unter dem seltsamen Hut, der ebenfalls an den Panzer eines Käfers erinnerte, quollen braun-schwarze Haare hervor, die teils gelockt waren. Die Füße der Männer steckten in seltsamen hohen Mokassins und ihre Beine waren vollständig mit Tuch verhüllt. Maisblüte konnte erkennen, dass sie unter dem Brustharnisch, der ebenfalls wie dieser Käferpanzer glänzte, noch weitere Kleidung trugen. Die Männer schwitzten unter der Last der Kleidung, dabei war es kühl. All dies sah Maisblüte, als sie die Fremden unter gesenkten Wimpern musterte.

Ein unangenehmes Schweigen entstand, dann zogen die Männer plötzlich ihre Waffen und umringten den Häuptling. Er war nun ihr Gefangener. Ein Aufschrei ging durch die versammelten Menschen, denn Tuscalusa war nicht nur ihr Minko, sondern der oberste Priester! Ihn gefangenzusetzen bedeutete für die Menschen den Untergang des Volkes. Klagende Stimmen erhoben sich, die darauf warteten, dass die Sonne sich verdunkelte. Maisblüte war so entsetzt, dass sie zu keiner Bewegung mehr fähig war. Mit einer Handbewegung beruhigte Tuscalusa seine Männer und machte gute Miene zum bösen Spiel. „Ich führe euch nach Mabila, wo ihr eure Unterstützung bekommen werdet!“, ließ er den Dolmetscher übersetzen.

Dem Gouverneur schien das zu genügen, denn die Männer ließen die Waffen sinken. Der Gouverneur winkte zwei Männer herbei, die einen seltsamen langen Ast mit sich trugen. Mit lauter Stimme richtete er seine Worte an die versammelten Menschen, die von einem Führer übersetzt wurden: „Ich bin der Sohn der Sonne und wenn ihr nicht gehorcht, dann werde ich Blitze auf euch schleudern!“

Er trat etwas zurück und gab mit Handzeichen zu verstehen, dass auch Tuscalusa etwas Abstand halten sollte. Auf ein weiteres Zeichen stützten die Männer ihre Stöcke auf ein Gestell und richteten sie gen Himmel. Dann ertönte der lauteste Knall, den Maisblüte je gehört hatte. Blitz und Donner kamen aus den Stöcken, sodass die Menschen sich vor Schreck zu Boden warfen und in lautes Wehklagen ausbrachen. Einzig Tuscalusa war neben dem Sohn der Sonne stehengeblieben, aber sein Gesicht war vor Schreck wie erstarrt. Nur mühsam gelang es ihm, die Angst zu beherrschen und würdevoll stehen zubleiben.

Der Gouverneur war sehr zufrieden mit dieser Demonstration und wandte sich wieder dem Häuptling zu: „Ich freue mich schon, in deinem Dorf begrüßt zu werden. Sei solange mein Gast!“

Die Soldaten folgten Tuscalusa in höflicher Weise, trotzdem war klar, dass sie den Häuptling nicht aus den Augen lassen würden. Sie führten ihn in das Haus zurück und ließen auch seine Begleiter eintreten. Dann schickten sie nach dem Hopaii und den Jungfrauen. Noch wurden alle respektvoll behandelt, als Gäste, aber es war klar, dass sich das ändern würde, wenn der Häuptling sich nicht den Anweisungen fügte. Tuscalusa ertrug seine Gefangennahme mit stoischer Ruhe. Er hatte dies vorhergesehen und bereits Vorkehrungen getroffen. Seine Zähne knirschten vor Zorn, als er an die Krieger in Mabila dachte. Bald!

Der Gouverneur kam in Begleitung des Dolmetschers herein und setzte sich zu dem Minko, um mit ihm zu reden. Er wirkte herrisch und arrogant. Seine Kleidung sollte Respekt einflößen mit all dem Tand, aber im Moment stank sie bestialisch. Selbst Maisblüte, die im Hintergrund der Hütte saß, rümpfte angeekelt die Nase. Der Gouverneur äußerte sich in blumigen Worten, die im Gegensatz zu seinen Taten standen. „Ich bin hier, um eure Freundschaft zu suchen! Wenn ihr mir die Wünsche erfüllt, die ich habe, dann gelobe ich, dass ich euch freilasse. Ihr bekommt großzügige Geschenke und ihr erhaltet das Wohlwollen des Sohnes der Sonne. In meinem Land ist es Sitte, sich die Hand zum Zeichen des Friedens zu schütteln und sich beim Namen zu nennen. Ich heiße DeSoto und es ist eine große Ehre für den großen Häuptling, wenn er mich mit meinem Namen anreden darf!“

DeSoto hielt Tuscalusa fordernd die ausgestreckte Hand hin, doch der Häuptling ignorierte die Geste mit völliger Missachtung. Letztendlich war es gleichgültig, wie der Fremde hieß, und er würde ganz bestimmt nicht die Hand eines Fremden schütteln! DeSoto war darüber verärgert und befahl mit harscher Stimme den Aufbruch. Anscheinend waren ihm in dem Dorf zu viele Krieger. Der Häuptling wurde mit seinem Gefolge aus der Hütte getrieben und unter dem Protest der Krieger aus dem Dorf geführt. Das schrille Schreien war ohrenbetäubend, und nur durch Tuscalusas beruhigende Gesten wurden weitere Ausschreitungen verhindert. Dabei waren die Lippen des Häuptlings vom Hass verzerrt, aber er wusste, dass er die Fremden in Sicherheit wiegen musste, um zu seinem Ziel zu gelangen. Er wusste auch, dass es keinen Frieden geben würde.

Sie verbrachten die Nacht in dem Lager der Spanier, gut bewacht von den bewaffneten Reitern. Maisblüte wurde mit den anderen Mädchen zu einem Teil des Lagers geführt, in dem gefangene Frauen ihre Dienste verrichteten. Das Lager war gewaltig, denn die Fremden führten nicht nur Soldaten, sondern auch Gepäck, Frauen, Zelte, Vorräte und Vieh mit. Maisblüte sah zum ersten Mal zahme Schweine. Sie ähnelten jenen Stachelschweinen, die man in ihren Wäldern fand, waren aber deutlich größer. Maisblüte überblickte das Gewimmel und ihr Blick blieb an riesigen Hunden kleben, die bis zur Hüfte der Männer reichten und die Zähne fletschten. Die seltsamen Pferde schnaubten und überall klangen Geräusche, die sie noch nie gehört hatte. Über großen Feuern hingen Töpfe, die aus einem Material waren, das Maisblüte noch nie gesehen hatte. Es ähnelte wohl den Käferhüten der Männer. Einige Krieger setzten sich zu den Jungfrauen, um diese vor den anzüglichen Blicken der fremden Männer zu schützen. Der Gouverneur ließ sie gewähren und gab Befehl, die Mädchen mit Respekt zu behandeln.

Maisblüte war zu aufgeregt, um in dieser Nacht zu schlafen. Die Gefahr lag zum Greifen in der Luft und die fremdartigen Geräusche ließen sie immer wieder hochschrecken. Am schlimmsten war dieser Knall aus den Donnerrohren gewesen. Wie konnten Menschen sich den Donner zu eigen machen? Sie wusste, dass Heloha in den Wolken wohnte und dort ihre Eier legte, die dann donnernd über den Himmel rollten, immer begleitet von Helohas Gefährten Melatha, der so schnell war, dass er eine Spur aus Funken hinterließ. Aber diese Fremden hatten Heloha und Melatha in ihren Donnerrohren gezähmt. Sie wünschte, dass ihr Vater bei ihr wäre, aber sie wusste, dass er in Mabila den Kampf vorbereitete. Ebenso ahnte sie mit schrecklicher Gewissheit, dass es Kampf geben würde. Diese Fremden führten sich auf, als gehörte das Land ihnen. Aber Maisblüte fürchtete sich vor der Zerstörungskraft der Donnerrohre. Vogel-im-Bach klammerte sich an sie und Maisblüte umarmte das Mädchen tröstend. „Alles wird gut!“, flüsterte sie. „Der Minko schützt uns!“

„Er hätte uns nicht hierherbringen dürfen!”, schluchzte Vogel-im-Bach.

Maisblüte schluckte schwer. Sie war da anderer Meinung. Tuscalusa hatte sich selbst in Gefahr gebracht, um den anderen mehr Zeit zu geben. Nur ein wahrer Minko handelte so. Und er konnte von den Jungfrauen verlangen, dass auch sie das Volk schützten. Das war ihre Aufgabe. „Wir müssen tun, was uns befohlen wird. Hab keine Angst vor deiner Bestimmung!”, hauchte sie.

Donnergrollen im Land der grünen Wasser

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