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2.

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Geschafft! Die letzten Sachen waren in der Reisetasche verstaut, die Umzugskartons verschickt. Mit einem zufriedenen Seufzen lehnte Rebecca sich an die Wand und ließ den Blick durch die leere Wohnung schweifen. Nun war sie froh, damals eine möblierte Wohnung gemietet zu haben. New York sollte schließlich immer nur eine Zwischenstation in ihrer Karriere sein.

Sie drehte sich zum Fenster und stöhnte. Der blaue Kombi stand noch immer unten auf der Straße vor ihrem Lieblings-Coffeeshop. Der Fahrer sah durchs geöffnete Fenster mit einem Fernglas zu ihr herauf. Was wollte der Kerl von ihr?

Er war ihr zum ersten Mal aufgefallen, als sie neulich aus der Buchhandlung gekommen war. War er ein Stalker oder ließ Martin sie heimlich von einer Detektei überwachen? Es wäre ihrem Ex-Freund durchaus zuzutrauen. Schon zwei Mal hatte sie die Polizei angerufen, aber der fremde Kerl war so gewieft, dass er jedes Mal verschwunden war, bevor die Cops auftauchten. Und es war ihr unmöglich, ihn genauer zu beschreiben, weil er seinen Hut stets weit ins Gesicht gezogen hatte.

Wenn sie in vier Tagen nach San Francisco zog, würde sie ihn nicht mehr sehen, beruhigte sie sich. Könnte sie das nur glauben. Nur zu gut erinnerte sie sich an einen Fernsehbericht, den sie neulich gesehen hatte. Newport war eine Kleinstadt, in der sie eine Zeit lang gelebt hatte.

Deutlich hörte sie die Stimme des Reporters: «Die verbrannten Leichen der beiden verschwundenen Frauen, Laura-Jane McAvoy und Gail Sheridan, konnten nur noch anhand ihrer Zähne identifiziert werden. Die Polizei geht von Ritualmorden aus. Verdächtigt werden zwei Männer, die einer Satanssekte angehören.»

In den Nachrichten wurde ständig über Morde berichtet, woran sie sich gewöhnt hatte. Doch diese beiden Frauen kannte sie. Laura-Jane hatte in der Nachbarschaft gewohnt und die lebenslustige Gail als Krankenschwester am selben Krankenhaus gearbeitet wie sie. Eine Gänsehaut kroch Rebeccas Rücken hinauf. Plötzlich vibrierte ihr Handy in der Hosentasche. Rebecca zog es heraus und sah aufs Display. Martin. Eben noch hatte sie an ihn gedacht. Wenn man vom Teufel sprach …

Jetzt nicht! Sie drückte ihn weg. Es war alles gesagt. Das kurze Piepen verriet den Eingang einer SMS. Gib uns eine Chance.

Rebecca verdrehte die Augen. Sie konnten Freunde sein, mehr nicht. Wann kapierte er das endlich? Wütend steckte sie das Handy in die Hosentasche zurück. Sie musste jetzt los, wenn sie nicht zu spät zum Dienst erscheinen wollte.

Es dämmerte bereits, als Rebecca das Haus verließ. Sie fühlte sich unwohl und ihre Haut an den Unterarmen brannte. Bereits seit heute Morgen stand der blaue Kombi vor dem Coffeeshop. Der Kerl glotzte penetrant. Rebecca vermied es, zu ihm hinüberzusehen, und eilte zu ihrem Wagen.

Als sie die Garage verließ, war der Kombi fort und sie atmete auf. Ihre Erleichterung währte jedoch nicht lange, bereits an der nächsten Ampel erkannte sie im Rückspiegel, dass er ihr folgte. Jetzt konnte sie nur hoffen, ihn irgendwo zwischen Queens und Manhattan abzuhängen.

Doch der Kombi war immer noch hinter ihr, als sie über die Queensboro Bridge fuhr. Rebecca warf einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel. Shit! Aber es war einen Versuch wert, einen Umweg in Kauf zu nehmen und ihn an irgendeiner Kreuzung abzuhängen.

An der nächsten Ampel bog sie rechts ab. Der Kombi blinkte ebenfalls und fuhr weiter hinter ihr her. Ein unheimliches Gefühl, verfolgt zu werden. Rebecca überquerte eine Kreuzung und trat das Gaspedal durch. Der Motor jaulte auf und ihr alter Toyota schoss mit einem schnarrenden Geräusch nach vorn. Der Kombi klebte weiter an ihr. Hatte sie vielleicht einen Magneten im Heck? Einen Moment lang überlegte sie, ihren Verfolger anzuhalten und zur Rede zu stellen, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Er könnte schließlich bewaffnet sein.

In der Nähe gab es einen Supermarkt mit einem Hinterhof, der von der Straße aus nicht einzusehen war. Dort parkte sie immer, wenn sie nach der Spätschicht noch einkaufen musste. Zwei Wagen drängten sich plötzlich zwischen den Kombi und sie.

Nach der nächsten Kurve war er auf einmal verschwunden, und sie atmete erleichtert auf. Sie warf einen letzten Blick über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich nirgendwo auftauchte, bevor sie den Wagen auf den Hinterhof des Supermarktes steuerte. Rebecca wartete noch Weile, bis sie sich sicher war, dass er ihr nicht gefolgt war, dann stieg sie aus.

Außer ihr parkte im Hof nur noch ein Motorrad dicht an der Mauer. Sie blieb bei der schnittigen schwarz-roten Honda-Fireblade stehen und bewunderte sie im Schein der Neonreklame von allen Seiten, strich über das Lenkrad und warf einen Blick auf den Tacho. Wow! Es musste ein irres Gefühl sein, auf ihr zu fahren.

Sie hatte sich früher nie für Motorräder interessiert, bis sie die Honda in der Werbung gesehen hatte. Natürlich mit einem überaus attraktiven Fahrer. Na klar, träum weiter. Den Doppelpack Motorrad-Traummann gibt es nur in Werbespots.

Ihr Handy vibrierte erneut. Dieses Mal war es ein Alarm, der sie daran erinnern sollte, dass ihr nur noch eine Stunde Zeit blieb, um vor der Schicht noch den Schriftwechsel zu erledigen, den sie seit Tagen aufgeschoben hatte. Mit einem Anflug von Bedauern riss sie sich vom Anblick des Motorrades los und öffnete die Tür zum Supermarkt. Sie lief direkt zur Obsttheke, angelockt von den rotbackigen Äpfeln, die herrlich süß dufteten.

Sie waren in dekorativen Weidenkörben einsortiert, als wären sie frisch in Vermont vom Baum gepflückt worden. Lecker. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Genau das Richtige für zwischendurch in der Nachtschicht. Sie zog eine von diesen hauchdünnen Plastiktüten vom Stapel neben den Körben und stopfte ein Dutzend Äpfel hinein.

Jetzt noch Truthahn-Sandwiches, und sie war versorgt. Sie drehte sich im Kreis und entdeckte die Sandwiches in einem Regal am Ende des Gangs. Weil sie sich im obersten Fach befanden, musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen und den Arm ausstrecken. Dabei blieb die Tüte mit den Äpfeln an einer Regalkante hängen und riss auf.

Ehe sie zugreifen konnte, fiel das Obst heraus und kullerte über den Boden. Leise fluchend hockte sie sich hin und sammelte es wieder auf. Eine Verkäuferin in blauem Kittel reichte ihr lächelnd einen Korb. Es gelang ihr schließlich, alle einzusammeln bis auf einen, der unter eine Ecke des Regals gerollt war. Sie wollte ihn nicht liegen lassen und kniete sich hin, um nach ihm zu hangeln.

Er klemmte zwischen Regal und Fußboden fest. «Widerspenstiges Scheißerchen», murmelte sie und stupste ihn mit den Fingern an.

Leider bekam er zu viel Schwung, prallte von der Rückwand ab und kugelte auf der anderen Seite in den Gang, wo er von einem Paar schwarzer Stiefel gestoppt wurde.

Der Stiefelbesitzer bückte sich und hob ihn auf. «Ich hätte nicht damit gerechnet, dass mir heute noch eine schöne Frau zu Füßen liegen würde.»

Die dunkelsamtige Stimme ließ sie aufblicken. Ein Bild von einem Mann in schwarzer Motorradkluft stand nur wenige Schritte vor ihr und grinste sie jungenhaft an. Männlich, sexy und mit einem Touch Verwegenheit. Seine muskulösen Schultern und Arme schienen die Lederjacke fast zu sprengen. Sein lackschwarzes Haar war kurz geschnitten und kräuselte sich im Nacken. Auf seinen Wangen zeichnete sich ein Dreitagebart ab. Seine dunklen Augen strahlten nicht nur Selbstsicherheit und Neugier aus, sondern es lag auch ein Hauch Wehmut darin.

Er hielt den Apfel in der Hand und drehte ihn lässig. Wie lächerlich musste sie auf den Knien robbend auf ihn wirken. In seinen dunklen Augen blitzte es amüsiert auf.

Er lächelt charmant, schoss es Rebecca durch den Kopf. Und diese Grübchen …

«Das habe ich nur getan, um Sie mit dem Apfel zu verführen», entfuhr es ihr. Sie war zwar nicht auf den Mund gefallen, aber selten so schlagfertig. Deutlicher konntest du dein Interesse an ihm nicht zeigen, Rebecca, tadelte sie sich. Egal, sie flirtete nun mal gern.

Sein Lächeln wurde breiter. «Gut gekontert, Eva

So wie er den Namen aussprach, klang es sündig, wie Adam, der Eva verführen wollte. Dabei sollte es doch umgekehrt sein. Noch dazu war er genau der Typ Mann, der ihren Puls in die Höhe schnellen ließ.

Unter seinem Arm klemmte ein Motorradhelm, und in der Hand hielt er einen Sixpack Budweiser. Beides legte er ins Regal. «Darf ich Ihnen aufhelfen?»

Rebecca schwieg. Sie war vom Klang seiner Stimme gefangen und hätte ihr ewig lauschen können.

«Oh, danke, natürlich.»

Erst jetzt bemerkte Rebecca, dass sie bei den Kunden Aufsehen erregten. Sie lächelte verlegen und fasste seine Hand. Fast hätte sie sie im selben Moment wieder losgelassen, denn bei dieser simplen Berührung durchfuhr es sie wie ein Stromstoß.

Behutsam zog er sie hoch und hielt ihre Hand noch eine Weile länger als erforderlich. Sein Daumen strich über ihren Handrücken und hinterließ ein Prickeln. Schließlich drückte er ihr sanft den Apfel in die Hand.

«Danke für den Ausreißer», sagte Rebecca mit belegter Stimme und lachte.

Himmel, ihr Lachen hörte sich wie Gänsegeschnatter an. Doch das lag nur daran, dass sie sich in der Nähe dieses Mannes seltsam befangen fühlte. Dieses Gefühl war ihr bislang fremd gewesen. Sie arbeitete mit vielen Männern eng zusammen und keiner von ihnen verunsicherte sie so wie er.

«Gern geschehen.»

Seine Stimme weckte in ihr Fantasien, von denen sie nie geglaubt hätte, sie zu besitzen. Ob er einer Frau beim Sex Koseworte ins Ohr flüsterte? Fast glaubte sie, seine Lippen an ihrer Ohrmuschel zu spüren. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Rücken aus.

In seinen Augen blitzte es begehrlich auf. Noch nie hatte sie jemand auf Anhieb so in den Bann gezogen. Seine Ausstrahlung war sinnlich, düster und geheimnisvoll. Sein ausgeprägtes Kinn verriet Willensstärke. Bei ihm würde vermutlich jede Frau schwach werden.

Sie wandte sich rasch ab und legte den letzten Apfel in den Korb. «Ich … muss jetzt zur Kasse. Also, darf ich vielleicht …» Sie deutete mit dem Zeigefinger über seine Schulter, damit er sie durchließ.

«Ja, natürlich, ich auch. Bitte nach Ihnen.» Er nickte und trat einen Schritt beiseite, um sie durchzulassen.

Galant war er auch, dachte sie anerkennend. Ihre Finger zitterten leicht, als sie an der Kasse bezahlte und ihre Einkäufe in einer Tüte verstaute. Schuld daran war, dass er dicht hinter ihr stand und sie seinen männlichen Duft riechen konnte. Deutlich spürte sie seinen Blick im Rücken.

Komm, sag was, bevor ich gehe, flehte sie im Stillen, aber zu ihrer Enttäuschung schwieg er. Sie warf einen Blick über die Schulter, bevor sie mit einem knappen «Bye» aus dem Supermarkt eilte.

Er hielt sie nicht zurück, sondern nickte ihr nur zu. Draußen drehte sie sich noch einmal nach ihm um. Ein Mann wie er war bestimmt in festen Händen. Rebecca klemmte sich die Tüte unter den Arm und schloss die Autotür auf, als sich hinter ihr ein Wagen näherte.

Sie wirbelte herum und erkannte den blauen Kombi. Schon wieder dieser Kerl! Sie sprang ins Auto und drehte den Zündschlüssel. Das Stottern verhieß nichts Gutes. Ausgerechnet jetzt streikte der Motor.

«Spring verdammt noch mal an!»

Sie trat Kupplung und Gas und drehte erneut den Schlüssel herum. Ein Klicken folgte, mehr nicht. Dafür leuchteten im Display unzählige rote Lämpchen auf. Klasse! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Rebecca schlug mit der Faust gegen das Lenkrad und fluchte. Der Kombi hielt direkt neben ihr und das Fenster öffnete sich. Sie schluckte, als sie das hämische Grinsen auf dem hageren Gesicht erkannte.

Sie kurbelte das Fenster herunter. «Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?»

«Dich!»

Hatte er das eben gesagt oder hatte sie sich das nur eingebildet? Seine Lippen hatten sich nicht bewegt.

Sein finsterer, gieriger Blick verriet seine Absicht. Im Laden wäre sie vor ihm sicher. Jedenfalls hoffte sie das. Rebecca sprang aus dem Wagen und sprintete zum Supermarkteingang zurück. Doch der Kombi schoss vor und versperrte ihr den Weg.

Bloß keine Angst zeigen, denn genau das will er, redete sie sich zu. Sie rannte nach rechts. Doch wieder war er schneller und vereitelte ihr Entkommen. Jetzt hatte er sie auch noch blöderweise in eine Ecke manövriert. Verdammter Mist! Sie sah durch die Windschutzscheibe in seine vor Zorn verzerrte Miene.

Der Kerl war zu allem bereit, schoss es ihr in den Kopf, auch zu einem Mord! Rebecca schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals. Ihr Herz hämmerte so laut, dass sie glaubte, er könne es hören. Der Fremde ergötzte sich offensichtlich an ihrer Furcht. Sie wog die wenigen Alternativen ab, die ihr blieben, und es waren nicht viele.

«Hey, Sie! Ich rufe jetzt die Polizei, wenn Sie nicht sofort verschwinden!» Sie zog ihr Handy aus der Tasche und hielt es demonstrativ hoch, während sie die Notrufnummer wählte. Rebecca fluchte, als der Hinweis «Kein Netz» übers Display flimmerte. Scheiße, das hatte ihr gerade noch gefehlt!

Konnte er das erkennen?

«Du bist erledigt!», brüllte er und trat aufs Gas.

Rebecca zuckte zusammen und warf einen Blick zum Eingang des Supermarktes. Bekam denn keiner da drinnen mit, was hier draußen vor sich ging? Sie wollte auf die Motorhaube klettern, um auf die andere Seite zu gelangen. Da sprang er aus dem Wagen, packte ihren Arm und zerrte sie grob zu sich her. Rebecca trat und schlug nach ihm, aber er ließ sie nicht los, sondern drückte nur noch fester zu.

«Das wird dir nichts nützen, Babe», knurrte er. Er öffnete die Tür zum Fond des Wagens und stieß sie hinein. Rebeccas rechte Hand krallte sich um den Beifahrersitz, während ihre Beine nach ihm traten. Er fluchte, als sie ihn traf, und bekam ein Bein zu fassen. «Du kannst dich wehren, wie du willst. Alles umsonst.»

Sie musste sich mit einem einzigen gezielten Tritt von ihm befreien und losrennen. Mit aller Kraft zog sie ein Bein an.

«Verdammtes Weibsstück! Dir werd ich’s zeigen!», brüllte er und seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Wade.

Rebecca schrie auf, winkelte das andere Bein so gut es ging an und trat mit voller Wucht zu. Er brüllte, ein dumpfer Aufprall folgte und Rebecca war frei. Blitzschnell krabbelte sie vom Rücksitz und entkam ihm, bevor er erneut nach ihrem Knöchel fassen konnte.

Doch durch das Ausweichmanöver geriet sie ins Stolpern und fiel der Länge nach hin. Sie ignorierte den Schmerz und rappelte sich auf. Voller Entsetzen erkannte sie, dass der Wagen rückwärts auf sie zugerast kam. Sie rannte auf die Tür zu, taumelte und breitete die Arme aus, um einen weiteren Sturz abzufangen. Mit quietschenden Reifen schoss der Kombi erneut auf sie zu. Rebecca stockte der Atem. Sie hatte sich viel zu weit von ihm abdrängen lassen. Ihre Stimme versagte.

Im selben Augenblick flog die Tür zum Supermarkt auf. Es war der Motorradfahrer. Sofort ließ er Bier und Helm fallen und sprintete an ihr vorbei, um mit einem Gewaltsatz auf der Kühlerhaube des Kombis zu landen.

Ihr Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Die Reifen quietschten erneut, als der Fahrer auf die Bremse trat. Der Kombi stoppte nur wenige Schritte vor ihr. Endlose Sekunden verstrichen. Unbeweglich stand der Motorradfahrer auf der Haube und sah auf ihren Angreifer hinab. Die Zeit schien stillzustehen. Rebecca wagte nicht zu atmen. Sie bangte um ihren Retter.

Plötzlich sprang er auf den Boden und ging zur Fahrertür. Im selben Augenblick fuhr der Wagen rückwärts, wendete und preschte davon.

Das eben Erlebte erschien ihr irreal wie eine Filmszene, wenn ihr nicht noch immer die Furcht im Nacken säße. Der Mann musste den Fahrer mit seiner Stunteinlage geschockt haben, anders konnte sie sich das nicht erklären. Langsam gewann Rebecca die Fassung zurück. Der Motorradfahrer drehte sich zu ihr um. Das Glitzern in seinen Augen wirkte bedrohlich und ließ sie erschauern, auch wenn sie ihm unendlich dankbar war.

«Der … der wollte mich entführen», stammelte sie. «Danke, dass du mich vor ihm gerettet hast», sagte sie heiser.

«Schon gut. Alles okay?», fragte er und musterte sie besorgt.

Rebecca nickte und rieb sich die Arme, die unangenehm kribbelten. «Ja, außer einem Schock und ein paar Schürfwunden fehlt mir nichts.»

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die vertraute Anrede benutzte. In ihrem Kopf lief die Szene von eben in Dauerschleife. Sie würde noch eine Weile brauchen, bis sie das verdaut hatte.

«Du solltest von hier verschwinden. Mit diesen Psychopathen ist nicht zu spaßen.»

«Ja, aber erst rufe ich die Polizei.» Dieser Kerl musste geschnappt werden, bevor er noch jemanden gefährdete.

«Hast du dir sein Kennzeichen gemerkt?»

Seine Frage war berechtigt. In der Aufregung hatte sie gar nicht daran gedacht. Rebecca schüttelte den Kopf. «Nein. So ein Mist!»

Alles war so schnell gegangen. Sie überlegte und verwarf ihr Vorhaben, Anzeige zu erstatten. Plötzlich schien den Mann etwas zu beschäftigen. Sein Blick flog unruhig umher und ließ ihre Furcht zurückkehren. «Also dann, pass auf dich auf.»

Sie musste sich ein Taxi rufen und sah aufs Display des Handys, ob sie jetzt Empfang hatte. Natürlich nicht.

«Was ist?», fragte er.

«Mein Wagen springt nicht mehr an. Und dabei muss ich dringend zum Lenox Hill-Krankenhaus.»

«Ich bringe dich hin. Steig auf.»

Um ihren Wagen müsste sie sich wohl morgen kümmern. Sie klappte das Handy zu und steckte es in die Manteltasche. «Oder hast du Angst?», fragte er nach, als sie zögerte.

Sie schüttelte den Kopf. «Natürlich nicht, es sei denn, du bist ein Raser. Eine Sekunde noch bitte, ja?»

Sie holte aus ihrem Wagen zwei Äpfel und stopfte sie in die Manteltaschen, bevor sie hinter ihm auf den Sitz stieg. Gut, dass der Mantel geschlitzt war. «Dein Stunt vorhin war übrigens unglaublich. Machst du so was beruflich?»

«Ich bin kein Stuntman, falls du das glauben solltest.»

«Ach, dann übst du wohl in deiner Freizeit jeden Tag auf die Motorhauben fahrender Autos zu springen?»

«Ja, klar.»

Sie hörte das Lachen in seiner Stimme. «Das kaufe ich dir nicht ab.»

Seine Antwort wurde vom Sound des Motors übertönt, als er die Maschine startete. Wie ein Torpedo schoss die Honda nach vorn.

«Yeah!», rief Rebecca begeistert und schlang die Arme fest um seine Brust. Sie zitterte am ganzen Körper, was nicht nur am Schock lag. Sie genoss das berauschende Gefühl, durch die Straßen Manhattans zu fahren und den Wind mit ihrem Haar spielen zu lassen. Unter der eng sitzenden Lederkluft spürte sie seine Muskeln. Herrlich fest und ausgeprägt. Wie mochte er sich wohl nackt anfühlen?

Rebecca musste sich beherrschen, ihre Hände nicht weiter zu seinen ebenso muskulösen Beinen wandern zu lassen. Ihn so dicht an ihrem Körper zu spüren, erregte sie. Zwischen ihren Schenkeln begann es heiß zu pochen. Ob er auch etwas dabei empfand?

So nah war sie schon lange keinem Mann mehr gewesen. Das waren wohl Entzugserscheinungen, denn seit einem Dreivierteljahr hatte sie keinen Sex mehr gehabt.

Ihre Gedanken wanderten zu Martin, mit dem sie in den vergangenen Monaten eine Fernbeziehung geführt hatte. Wenn sie sich wiedergesehen hatten, hatte es nur im Streit geendet. Im Laufe der Monate hatte sich ihre Kommunikation immer mehr eingeschränkt. Am Telefon hatte er nur über seine Arbeit geredet. Das war nicht mehr der aufmerksame Mann, in den sie sich verliebt hatte, er war ihr fremd geworden. Nie hatte er ein Wort darüber verloren, dass er sie vermisste und liebte, sie als Frau noch immer begehrte.

Mehrmals hatte Rebecca überlegt, ihm ihren Entschluss mitzuteilen, doch immer hatte sie es hinausgeschoben. Ihre Beziehung war so dahingeplätschert. Vor zwei Wochen hatten sie sich dann am Telefon böse gestritten. Schuld daran war seine negative Meinung über karrieregeile Frauen. Natürlich hatte er sie damit gemeint. Das war das Tüpfelchen auf dem I. Ihm lag nichts an ihr und Rebecca hatte den lange überfälligen Schlussstrich gezogen.

Seitdem bombardierte er sie mit Anrufen und bat sie, ihrer Beziehung noch eine Chance zu geben. Alles würde sich bessern, wenn sie erst einmal in San Francisco wäre, erklärte er ihr. Nichts würde sich ändern, dachte sie bitter.

Die Fireblade legte sich in die Kurve und Rebecca umklammerte ihren Retter fester. Seltsam, wie vertraut er sich anfühlte, als würden sie sich schon lange kennen. Sein Herzschlag war kräftig und schnell.

Sie zählte die Schläge und lächelte. Ihre Nähe schien auch ihm nicht gleichgültig zu sein. Nach der nächsten Kurve erreichten sie das Krankenhaus. Ihre Beine zitterten beim Absteigen. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs zerzauste Haar und wartete, bis er den Helm abgesetzt hatte, um sich zu verabschieden. Er stieg ab, hängte den Helm an den Lenker und setzte sich seitwärts auf den Sitz. Sein begehrlicher Blick wanderte über ihren Körper und trieb ihren Puls erneut in die Höhe.

«Danke noch mal, für alles. War ein tolles Gefühl auf der Maschine. Das hat mich das von eben vergessen lassen», sagte sie heiser, beugte sich vor und gab ihm, einem spontanen Impuls folgend, einen Kuss auf die Wange.

Mit einem Ruck zog er sie an sich und einen Atemzug später lagen seine Lippen auf ihren. Rebecca verlor sich in der schwindelerregenden Lust dieses zärtlichen Kusses. Mit der Zunge teilte er ihre Lippen und erkundete das Innere ihres Mundes. Jeder einzelne Zungenschlag schickte Flammen in ihren Unterleib. Ihr Körper drängte sich ihm entgegen, während ihr Geist sie fragte, was sie hier eigentlich trieb. Schluss damit.

Sanft stieß sie sich von ihm ab. «Ganz schön frech. Nur weil du mich gerettet hast, bedeutet das noch lange nicht, dass du dir alles herausnehmen kannst.»

Er grinste sie an. «Du hast mich zuerst geküsst.»

«Auf die Wange», stellte sie richtig.

«Aber es hat dir doch gefallen, von mir geküsst zu werden.»

Na, der war ja ganz schön von sich überzeugt. Dennoch konnte sie ihm nicht böse sein. «Bilde dir bloß nichts ein.»

Rebecca verkniff sich ein Grinsen. Ja, er hatte sie überrumpelt, aber irgendwie hatte es ihr auch gefallen. Viel zu gut.

«Gib zu, ich küsse gut», sagte er und lachte.

Er war frech und besaß Humor, das gefiel ihr. Das konnte sie ebenfalls. «Ich habe schon Besseres erlebt.»

Sie würde ihm doch nicht auf die Nase binden, dass sein Kuss wirklich heiß gewesen war.

«Kann ich mir gar nicht vorstellen», flüsterte er und strich mit dem Zeigefinger über ihre Lippen. «Du schmeckst sehr süß, nach mehr.»

Der Klingelton ihres Handys holte sie zum Glück in die Realität zurück. Verwirrt sah sie aufs Display und seufzte. Es war ihre Kollegin Jody, die ihr per SMS mitteilte, dass Dr. Marley bereits auf dem Weg zur Station war.

«Entschuldige, ich muss jetzt.» Sie sah zu ihm auf.

«Ich möchte dich gern wiedersehen», sagte er leise.

«Ich weiß nicht recht. Ich habe eigentlich gar keine Zeit …» Außerdem würde sie sowieso in ein paar Tagen New York verlassen.

«Nur auf einen Kaffee. Mehr nicht. Und ich werde dich nur noch küssen, wenn du es möchtest. Versprochen.»

Rebecca zögerte. Sie war ihm dankbar und wollte ihn nicht einfach abweisen. Ein Kaffee, warum denn nicht? Außerdem musste sie schnell auf die Station, bevor Marleys Donnerwetter über sie hereinbrach. «Okay. Wann?», gab sie nach.

«Wann hast du Dienstschluss?», fragte er.

«Ehrlich gesagt kann ich das nie genau sagen. Manchmal kommt noch ein Notfall rein. Wenn nichts weiter los ist gegen Mitternacht. Vielleicht aber auch nicht.» Sie betrachtete seine Miene, die sich nicht veränderte.

«Keine Chance. So leicht lasse ich mich nicht abschrecken.» Er lächelte.

Ganz schön hartnäckig, dachte sie, und es gefiel ihr. «Tja, dann …»

«Ich bin gegen Mitternacht hier und werde auf dich warten.»

«Ich überziehe manchmal auch mehr als eine Stunde. Kommt immer auf den Patienten an. Manche sind halt … schwierig.» Was würde er jetzt dazu sagen?

Sein Lächeln vertiefte sich und sie fühlte es im Bauch kribbeln. «Ist schon okay, ich warte auch länger.»

Rebecca lächelte, während ihr Herz begann aufgeregt schneller zu schlagen. Wie oft hatte sie früher von Martin auf eine solche Antwort gehofft. «Gut, dann bis nachher.»

«Bis dann, …?»

«Rebecca. Ich heiße Rebecca. Und dein Name?»

«Aaron», antwortete er, setzte sich den Helm auf und stieg auf seine Honda.

Blutengel: Aaron

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