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Kapitel 6

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Düsseldorf, 2018

Louisa von Stein

Auf dem Weg durchs Haus komme ich an der geöffneten Tür zum Arbeitszimmer meines Vaters vorbei. Er sitzt in seinem großen Ohrensessel und ist in ein Buch vertieft, die Brille auf die Spitze seiner Nase gerutscht, die Hand in den schütteren Locken vergraben, würde er mich nicht einmal bemerken, wenn ich ein Elefant wäre.

Er liest sicher wieder einen Krimi eines italienischen Autors. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das seine einzige Möglichkeit ist, für ein paar Stunden in die Heimat zurückzukehren. Warum sonst liest er kaum deutsche Bücher?

Ich lasse ihn allein, bringe meine Sachen in mein Zimmer und suche dann nach Alina, um ihr Bescheid zu sagen, dass ich wieder da bin. Ich finde meine Schwester im Kräuterzimmer meiner Mutter, wo sie sich gerade einen Tee kocht. Sie ist schon komplett fertig und verspricht mir, in fünfzehn Minuten zu kommen, um mir mit dem Make-up und meiner Frisur zu helfen.

»Danke«, erwidere ich und schnappe mir ihre Tasse Tee. Sie flucht mir hinterher. Grinsend gehe ich zurück in mein Zimmer und stelle die Tasse auf meinem Schreibtisch ab, bevor ich meine Tasche auspacke und ins angeschlossene Badezimmer gehe, um mir das Gesicht zu waschen und die Haare zu föhnen.

Vor dem Spiegel schaue ich mich unsicher um, aus Angst davor, wieder Dinge zu sehen, die gar nicht existieren. Die Erinnerung an Liam ist selbst nach fünf Jahren noch zu frisch.

Zu meiner Erleichterung geschieht nichts. Ich kehre in mein Zimmer zurück, ziehe mein Kleid an und warte auf Alina, die kurz darauf mit ihrem Make-up-Kit und dem Lockenstab zu mir kommt. Während sie mich schminkt, reden wir über meinen Flugunterricht und die anstehende Prüfung. Im Gegensatz zu Mama kann ich mit Alina über die Dinge reden, die mich beschäftigen. Erst, als wir bei den Haaren angelangt sind, merke ich, dass sie eigentlich über etwas ganz anderes reden möchte.

»Hast du ihn schon gesehen?« Alina steckt das Kabel vom Lockenstab in die Steckdose und wirft mir über den Spiegel hin einen neugierigen Blick zu. Ihre braunen Augen sind mit einem dicken Lidstrich geschminkt, ihre Lippen glänzen in einem satten Rot. Sie sieht toll aus. Wie jedes Mal, wenn sie sich zurechtmacht. Das muss daran liegen, dass sie die Vorzeigetochter der Familie ist. Vielleicht aber auch daran, dass ihr – seit sie ihre Liebe zum Fotografieren entdeckt hat – niemand mehr entkommen kann, wenn sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, denjenigen für ihre Fotos vorzubereiten. Dabei weiß ich, dass sie insgeheim viel lieber die Natur fotografiert.

»Du meinst unseren Gast?«, frage ich unnötigerweise nach. Sie kann unmöglich von der Gestalt im Spiegel sprechen.

Ich frage mich, wieso sie Alexander noch nicht kennengelernt hat. An Mamas Stelle hätte ich ihm lieber Alina vorgestellt. »Ganz kurz. Mama hat fast einen Herzinfarkt bekommen, weil ich noch Öl im Gesicht hatte.«

Alina kichert und unterteilt mein Haar in Partien, um es besser frisieren zu können. Ich sitze in meinem funkelnden, blauen Ballkleid vor dem Spiegel und spiele mit einem Haargummi, während ich darauf warte, dass sie endlich anfängt. Aber offenbar ist sie anderweitig beschäftigt.

»Alexander Romanovic«, seufzt sie theatralisch auf. Ihr Blick ist verklärt. »Ich fand ihn schon toll, als er vor ein paar Jahren das erste Mal hier war.«

»Warte mal – was? Vor ein paar Jahren? Du kennst ihn?« Verwundert schaue ich sie an. Wieso kann ich mich nicht an ihn erinnern, wenn er schon einmal hier gewesen ist?

»Das war, während du vor ein paar Jahren so krank warst.«

»Du meinst die Phase mit Liam?«, hake ich nach. Sie zuckt zusammen, weil ich das Thema so offensichtlich anspreche. Nach all den Jahren kann meine Familie immer noch nicht damit umgehen, dass ich als Kind einen Dachschaden hatte und nie ohne meinen imaginären Freund Liam weggegangen bin.

»Um genau zu sein, rede ich von der Zeit, in der du aus dem Fenster gestürzt bist, weil du Liam vor dem Absturz bewahren wolltest.« Alina wirft mir einen vielsagenden Blick zu. Ich schließe die Augen, immer noch beschämt über das, was geschehen ist.

Dabei wollte ich Liam wirklich nur helfen. So macht man das doch mit Freunden.

Ich konnte ja nicht wissen, dass er meine Hand packt, um mich mit sich in die Tiefe zu reißen.

»Jedenfalls war Alexander da schon einmal hier. Deswegen erinnerst du dich wahrscheinlich nicht mehr an ihn. Und jetzt ist er älter … und ich bin älter.«

»Bist du verknallt in ihn?«, frage ich grinsend. Kein Wunder, der junge Mann dort unten hat sicher schon einigen Frauen das Herz gebrochen. Bei dem Lächeln wird ja selbst mir anders, obwohl ich noch nie der Typ für Schwärmereien gewesen bin.

Alina winkt ab und beschäftigt sich wieder mit meinen Haaren, aber dabei wird sie rot. »Meinst du, er kommt mit zum Ball?«

»Wieso sollte er? Der ist doch nur für Schüler.« Ich kann mir kaum vorstellen, dass Alexander uns zum alljährlichen Neujahrsball der Schule begleitet. Selbst, wenn er dieses Jahr zufällig auf meinen achtzehnten Geburtstag fällt. Er ist ja nicht wegen uns hier.

Vorsichtshalber werfe ich trotzdem einen Blick in den Spiegel und kontrolliere meine dunkel geschminkten Augen. Smokey Eyes, wie Alina sie so passend genannt hat. Wenn ich meine Schwester nicht hätte, würde ich wahrscheinlich ungeschminkt zum Ball gehen. Und ganz sicher hätte ich mir dann nicht dieses blaue Kleid mit dem herzförmigen Ausschnitt gekauft, in dem ich mich viel zu nackt fühle.

»Du siehst toll aus, Lou.«

Sie beobachtet mich belustigt. Natürlich hat sie meine Zweifel bemerkt. Sie legt den Lockenstab weg und entwirrt meine Locken, bevor sie den oberen Teil wegsteckt und nur ein paar einzelne Strähnen in mein Gesicht fallen lässt. Dann reicht sie mir ein paar tröpfchenförmige Anhänger und eine passende Kette dazu. Nachdem ich den Schmuck angelegt habe und aufgestanden bin, zieht sie mich vor den Spiegel.

Obwohl sie noch keine Schuhe trägt, ist sie fast zwei Köpfe größer als ich. Sie ist zwar nur ein Jahr älter als ich, aber durch ihre Größe wirkt sie zehn Mal erwachsener. Im Gegensatz zu mir hat sie die unschuldigen braunen Augen unseres Vaters geerbt und auch die eleganten Gesichtszüge hat sie von ihm. Manchmal kann ich mir kaum vorstellen, wie ich mit meinem runden Gesicht und den blauen Augen in diese Familie passe. Die Augenfarbe ist dabei allerdings das Einzige, was ich von Mama geerbt habe.

Auch wenn Alina und ich uns kaum ähnlich sind, geben wir zusammen trotzdem ein tolles Bild ab. Ich erkenne mich selbst kaum wieder. Die Lou, die sonst ölverschmierte T-Shirts, Jeans und unordentliche Haarknoten trägt, sieht aus wie eine Prinzessin aus einem lang vergessenen Land.

»Fehlt ja nur noch das Krönchen«, witzle ich, um meine Bewunderung für ihre Künste zu überspielen.

»Urghs.« Alina lacht. »Du willst doch nicht wie Kristin aussehen.«

»Stimmt. Und die Ballkönigin will ich auch nicht werden. Viel zu viel Aufmerksamkeit.« Meine Finger gleiten über den Stoff des Kleides, und ich strecke einen Fuß nach vorne, entzückt darüber, dass das Kleid vorne kürzer ist als hinten. So wird man die silbernen Schuhe besser sehen können. Manchmal bin ich eben doch ein Mädchen.

Ich umarme sie zum Dank, bevor sie noch einmal in ihr Zimmer verschwindet und ich mir meine Schuhe, einen Seidenschal und die Handtasche schnappe, um hinunterzugehen. Thomas müsste jeden Augenblick vor der Tür stehen, und er ist froh, wenn ich ihn nicht zu lange mit Mama allein lasse. Wobei die ja sowieso gerade mit ihrem neuen Liebling beschäftigt ist.

Auf dem Weg nach unten kreisen meine Gedanken wieder um die Gestalt im Spiegel. Ich frage mich, ob ich sie mir nur eingebildet habe oder ob vielleicht doch mehr dahintersteckt.

War das vielleicht sogar Liam?

Fünf Jahre später?

Auf dem unteren Treppenabsatz entdecke ich eine Gestalt im Flur und bleibe abrupt stehen. Für einen Moment denke ich, dass ich schon wieder Dinge sehe, die gar nicht da sind, aber dann dreht sich der Mann um. Es ist Alexander! Ich atme erleichtert auf. Er hat sein Outfit gegen einen Smoking ausgetauscht und öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch dann bringt er nur ein Lächeln zustande.

Ich gehe die letzten Treppenstufen hinunter, bis ich vor ihm zu stehen komme, und schaue auf meine Hände, weil es mir plötzlich unangenehm ist, ihm so nah zu sein.

»Du siehst toll aus, Louisa«, sagt er mit leiser Stimme. Sein Akzent verleiht seinen Worten Stärke. Wieso werden meine Knie plötzlich so weich?

»Danke.« Ich hebe den Blick und lächle ihn fest entschlossen an. »Meine Schwester hat mir gerade erzählt, dass du schon einmal hier gewesen bist. Ich kann mich nicht daran erinnern. Tut mir leid, dass ich dich nicht gleich erkannt habe.«

Er hebt verblüfft eine Braue. »Wie könntest du? Damals wärst du beinahe gestorben.«

Also weiß er, wie ich aus dem Fenster gefallen bin und danach wochenlang eingegipst war, weil ich mir acht Knochen gebrochen habe.

»Aber jetzt geht es dir wieder gut, oder?«, fragt er vorsichtig.

Ich runzle die Stirn. »Das ist fünf Jahre her. Natürlich geht’s mir wieder gut.«

»Ich meine nicht … körperlich.«

Ich erstarre und mir wird klar, dass er sogar weiß, wieso ich aus dem Fenster gefallen bin.

»Woher weißt du das?«, fahre ich ihn wütend an. Wahrscheinlich hat er mich deswegen vor meiner Mutter verteidigt. Das ist Mitleid, kein ehrliches Interesse. Er will antworten, doch in diesem Augenblick kommt Alina von oben hinunter und unterbricht uns.

»Alexander Romanovic«, ruft sie übertrieben freudig und schreitet die Treppe hinunter wie eine Königin. Sofort gleitet seine Aufmerksamkeit zu ihr. Verstimmt verschränke ich die Arme vor der Brust, weil er ihr einen Kuss auf den Handrücken drückt. Na klar, wieso auch nicht? Immerhin ist sie nicht nur die Hübschere von uns beiden, sondern auch diejenige, die nicht irre ist.

Sie tauschen ein paar Höflichkeiten aus, bevor er sich wieder mir zuwendet. In dem Moment kommen Mama und Papa in die Eingangshalle.

»Ah, hier bist du, Alexander.« Sie breitet die Arme aus und schaut ihn von oben bis unten an. Hat sie Muttergefühle für ihn? »Du siehst toll aus. Deine Eltern wären sicher stolz auf dich.«

»Danke«, erwidert er verlegen.

Ich werfe Papa einen fragenden Blick zu, aber er zuckt bloß unwissend mit den Schultern und richtet seine Aufmerksamkeit erneut auf unseren Gast.

»Und?« Mama klatscht in die Hände. »Habt ihr euch schon besser kennengelernt?«

»Wie –«, beginne ich, doch Alexander unterbricht mich.

»Louisa hat mir gerade gesagt, wie sehr sie sich darüber freut, dass ich sie zum Ball begleiten werde«, erklärt er, und spätestens damit hätte er sich einen Faustschlag ins Gesicht verdient, wenn ich damit nicht ganz offiziell enterbt werden würde. Was glaubt er eigentlich, wer er ist? Meint er, er kann hierherkommen und alles durcheinanderwerfen?

Ich verschränke trotzig die Arme vor der Brust und lasse sie gleich wieder fallen, weil ich damit seine Aufmerksamkeit auf meinen Ausschnitt lenke. »Und was ist mit Thomas?«

»Ich kann ihn auch mitnehmen«, wirft Alina ein. Alexander schmunzelt, als er meinen Blick sieht. »Also, Alexander, mein ich. Immerhin habe ich keine Begleitung.«

»Nein, nein, Alexander ist wegen Louisa hier«, erklärt Mama. »So viel Zeit, wie die beiden in den nächsten Wochen miteinander verbringen werden, ist der Ball die perfekte Gelegenheit, um sich besser kennenzulernen.«

Zeit miteinander verbringen? »Wie bitte?«

»Ach, Liebes, hörst du überhaupt zu, wenn ich mit dir rede?«, beklagt sie sich. »Ich habe dir doch gestern schon erzählt, dass die Romanovics alte Freunde unserer Familie sind und ihr Sohn ...« Sie deutet auf Alex und redet mit mir wie mit einem kleinen Mädchen. »… uns für ein paar Tage besuchen kommt. Und da ihr doch fast das gleiche Alter habt, wird er natürlich die meiste Zeit mit dir verbringen.«

»Toll«, japse ich wenig begeistert und zucke zusammen, als es an der Haustür klingelt. »Das muss Thomas sein.«

»Alina, fahr doch schon mal mit Thomas zum Ball«, schlägt Mama vor. »Alexander und Louisa können zusammenfahren.«

Alina presst die Lippen aufeinander und nickt einmal knapp, bevor sie die Haustür öffnet und Thomas mit einer Umarmung überrumpelt. Ich habe kaum Zeit, ihm zu winken, da sind die beiden schon wieder verschwunden.


Alex schnappt sich eine schwarze Trainingstasche, die bisher unbeachtet neben dem Treppenabsatz lag, und geht hinaus, um draußen auf mich zu warten. Mama schafft es tatsächlich, mir ein ehrliches Lächeln zu schenken, bevor sie mich in den Arm zieht.

Überrumpelt von ihrer plötzlichen Zuneigung tätschle ich ihren Rücken. »Mama?«

»Pass auf dich auf«, erwidert sie leise, bevor sie mich loslässt und zu Papa schiebt. Auch er überrascht mich mit einer Umarmung.

»Was ist los mit euch?« Verunsichert schnuppere ich an seinem Hemd. Der bekannte Geruch beruhigt meine Nerven. Trotzdem kommt es mir komisch vor, weil mein Vater mich sonst so gut wie nie umarmt. Das ist einfach nicht sein Ding. Er zeigt seine Zuneigung lieber mit Worten. »Ist alles in Ordnung?«

Er lächelt mich an, doch das Lächeln erreicht seine Augen nicht. »Aber natürlich. Du siehst toll aus, Liebling.«

»Wie eine Dame«, stimmt auch meine Mutter zu. »Sei nett zu Alexander. Ich bin sicher, ihr werdet eine gute Zeit miteinander haben.«

Ich ziehe verwirrt eine Schnute. »Worum geht es hier eigentlich? Wollt ihr uns verkuppeln oder so?«

Scheinbar ist meine Frage so lächerlich, dass mein Vater lauthals loslachen muss. Mama wirft ihm einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.

»Natürlich nicht«, besänftigt sie mich. »Nur ... egal, was passiert: Du kannst Alexander vertrauen. Viel Spaß heute Abend.«

Sie drückt meine Schulter leicht und schiebt mich aus der Haustür. Da sie sowieso nichts mehr sagen wird, gebe ich es auf und verlasse das Haus.

Draußen regnet es noch immer. Alexander lehnt lässig an der Hauswand, die Hände in den Hosentaschen vergraben, das Hemd leicht geöffnet, die Krawatte lose. Er sieht aus wie das Covermodel eines Magazins und das trotz seiner Narbe und den Zähnen, die nicht perfekt geradestehen.

»Fertig?«, fragt er und mustert mich neugierig. Sein Blick bringt mich beinahe aus der Fassung. Er sieht mich an, als wüsste er etwas über mich, wovon ich keinen blassen Schimmer habe.

»Hab ich etwas im Gesicht?« Meine Stimme klingt wütend, und das macht mich rasend. Wieso lasse ich mich überhaupt so sehr aus dem Konzept bringen?

Er schüttelt grinsend den Kopf und tritt einen Schritt vor, um mir seinen Arm hinzuhalten.

Pah! Mit erhobenem Kopf stolziere ich an ihm vorbei zur Beifahrerseite seines Autos und lasse mich in den komfortablen Ledersitz sinken.

»Also, erzählst du mir, was hier eigentlich los ist?«, frage ich, nachdem er von der Einfahrt gebogen ist. »Deswegen fahren wir doch allein, oder?«

Er wirft mir einen kurzen Blick zu, und ich wickle mein Seidentuch enger um meine Schultern. »Wollen wir nicht den Abend genießen? Wir haben in den nächsten Tagen noch alle Zeit der Welt, um alles zu klären.«

»Um was zu klären?«, frage ich entsetzt.

Er lacht erneut, leise, nicht so, als ob er damit nach Aufmerksamkeit suchen würde, sondern so, als würde er es tatsächlich lustig finden, mich so auf die Folter zu spannen.

»Familiendinge ... du ... und ich.«

Oh Gott, sie wollen uns doch verkuppeln. Ich wusste es! Ich drehe mich zu ihm, soweit es mir die Korsage meines Kleides ermöglicht. »Du erzählst mir jetzt sofort alles, was du weißt«, flüstere ich möglichst bedrohlich.

»Sonst was?«

Gute Frage. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich verziehe den Mund, drehe mich zurück und blicke aus dem Fenster. Der Regen fällt immer noch in großen Tropfen auf die Frontscheibe, eine dunkle Wolke hat sich über den Himmel geschoben und scheint nicht mehr weiterzuziehen.

Für einen Moment frage ich mich, ob das ein schlechtes Zeichen ist. Ich bin zwar nicht besonders abergläubisch, aber der Schatten im Duschraum, das Auftauchen dieses merkwürdigen Typens und ein Tag nicht enden wollenden Regens fallen doch definitiv in die Kategorie böses Omen, oder? Wenn ich heute noch eine schwarze Katze sehe, ziehe ich in den nächsten Wochen bei Thomas ein.

»Deine Mutter hat mir erzählt, dass du nicht so viel über eure Familiengeschichte weißt.« Ich werfe ihm einen Blick zu, doch er schaut konzentriert auf die Straße. »Unsere Familien sind schon seit langer Zeit befreundet. Sie haben mal eine Weile an einem Ort gewohnt, bis sich ihre Wege getrennt haben. Später habe ich den Kontakt zu deiner Familie gesucht.«

»Was ist mit deinen Eltern?«

»Sie sind vor ein paar Jahren gestorben«, erwidert er knapp.

Und schon fühle ich mich schlecht, dass ich ihn vor ein paar Minuten am liebsten schlagen wollte. »Das tut mir leid. Das wusste ich nicht.«

Er zuckt mit den Schultern, aber weil er mich nicht ansieht, weiß ich, dass es ihn trotzdem mitnimmt.

»So wie ich das sehe, weißt du sehr viele Dinge nicht.« Bei seinem kurzen Seitenblick liegt Mitleid in seinen Zügen. »Ich denke, deine Eltern wollten warten, bis du alt genug bist.«

»Alt genug wofür?« Ich kneife die Augen zusammen, während ich rätsle, was er mir wohl gleich erzählen wird. Für Hogwarts bin ich definitiv zu alt, also verwerfe ich den irrsinnigen Gedanken gleich wieder. Vielleicht ... »Oh Gott, ich bin adoptiert, oder?«

Genügend Bücher gelesen habe ich ja, in denen die Protagonisten es von anderen Leuten erfahren haben. Das würde auch erklären, wieso Alina so gut in unsere Familie passt und ich nicht.

Alexander lacht. »Nein, bist du nicht.«

»Oh.«

»Enttäuscht?«

Ich schaue ihn an, und wir müssen beide ein Grinsen unterdrücken. »Ich denke nicht«, erwidere ich. »Ich glaube, ich kann mich glücklich schätzen. Klar, Mama übertreibt es manchmal, aber im Grunde hätte ich es auch schlimmer treffen können.«

Er nickt, und ich schaue wieder nach draußen. Bis zur Schule ist es nicht mehr weit, aber ich will, dass er mir mehr über unsere Familien erzählt. Darüber, warum er hier ist. Mittlerweile sind mir nämlich die Ideen ausgegangen.

»Also?«, hake ich schließlich nach.

»Also was?«

»Wieso bist du hier?«

»Du bist ganz schön neugierig«, weicht er meiner Frage aus und biegt auf den Parkplatz, auf dem schon einige andere Autos stehen. Ich werfe einen besorgten Blick nach draußen und ärgere mich, dass ich keinen Schirm mitgenommen habe. »Wenn du im Unterricht auch immer so viele Fragen stellst, bist du sicher eine gute Schülerin.«

Ich rolle mit den Augen und muss mich zurückhalten, um ihn nicht als Idiot zu beschimpfen, tote Eltern hin oder her. Sobald der Wagen steht, öffne ich die Tür und ziehe mir das Seidentuch über meine Frisur, bevor ich in den Regen laufe.

»Hey, Louisa!«, ruft Alexander mir lachend hinterher. »Willst du nicht den Schirm nehmen?«

Ich drehe mich nicht um. Lieber würde ich komplett ruiniert auf dem Ball ankommen, statt jetzt umzukehren und klein beizugeben. Der Schotterweg macht es mir nicht gerade leichter. Meine Absätze versinken immer wieder im nassen Kies, während ich versuche, mit einer Hand mein Kleid hochzuhalten und mit der anderen meine Frisur und das Make-up abzuschirmen.

Als Alexander mich eingeholt hat, bin ich noch nicht weit gekommen. Er hat einen Schirm dabei und grinst mich an, macht jedoch keine Anstalten, ihn mir zu geben. Ich beiße die Wut zurück und marschiere trotzig weiter.

»Willst du nicht unter den Schirm kommen?«, fragt er schließlich.

»Nein, danke. Ich liebe den Regen auf meiner Haut.«

Er lacht mich aus.

»Jetzt komm schon her«, sagt er, weil ich ein weiteres Mal im Kies stecken bleibe. Wütend blase ich eine lose Strähne aus meinem Gesicht und lasse das Tuch wieder auf meine Schultern sinken, während er den Schirm über meinen Kopf hält und mich zur Schule geleitet.

Black Heart - Die gesamte erste Staffel

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