Читать книгу Black Heart - Die gesamte erste Staffel - Kim Leopold - Страница 16
Kapitel 11
ОглавлениеDüsseldorf, 2018
Alexander Romanovic
❤
Scheiße.
Das trifft es wohl ganz gut.
Ich wische mit dem Ärmel über meine feuchte Stirn und werfe den Kopf achtlos zu Boden. Louisa starrt mich mit weitaufgerissenen Augen an und würgt. Vielleicht hätte ich den Kopf mit ein bisschen mehr Gefühl weglegen sollen.
Seufzend stecke ich das Messer zurück in den Holster unter meiner Smokingjacke und mache ein paar vorsichtige Schritte auf sie zu. Sie hebt eine Hand, als wolle sie sich damit vor mir schützen, doch dann sackt ihre andere Hand weg, und sie fällt in den Schlamm zurück.
Schnell gehe ich neben ihr in die Knie, um nach ihrem Puls zu tasten. Sie zuckt zusammen wie ein verletztes Reh und öffnete panisch die Augen.
»Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.«
Ihr Blick gleitet teilnahmslos über mein Gesicht, bevor sie sich zu einer Kugel zusammenrollt. Es wirkt fast so, als hätte sie ihr Leben längst in die Hände Gottes gelegt.
Durch das Dickicht sehe ich bereits die Lichter der umliegenden Häuser. Irgendjemand hat sie sicher schreien gehört, es wird nicht mehr lange dauern, bis die Polizei mit Spürhunden hier auftaucht. Bis dahin müssen wir weg sein.
Vorsichtig schiebe ich meine Arme unter ihren Körper und hebe sie hoch. Ihr Kleid hängt in Fetzen, die Schuhe und ihre Handtasche hat sie irgendwo verloren. Sie zittert, also ziehe ich meine Jacke aus, um sie ihr um die Schultern zu legen. Kein Wunder bei der Verfolgungsjagd, die sie sich mit dem Gestaltwandler geliefert hat.
»Hab keine Angst«, flüstere ich ihr zu und presse sie an meinen Körper, um sie durch den Wald zu meinem Auto zu tragen.
Schaudernd blicke ich in ihr von Schlamm verkrustetes Gesicht. Ich habe schon einiges gesehen, aber das hier … das ist neu. Hoffentlich wirkt ihre Gabe nicht, wenn sie bewusstlos ist. Wie ein toter Baum umzukippen, steht nämlich nicht gerade weit oben auf meiner Prioritätenliste.
Endlich erreiche ich den Parkplatz. Mit ein paar eiligen Schritten bin ich bei den Autos und öffne die Tür des Mietwagens, um sie auf dem Beifahrersitz abzusetzen. In der Ferne ertönte die erste Sirene.
Fluchend beuge ich mich über Louisa, um sie anzuschnallen. Wenn ich sie jetzt noch auf Wunden hin untersuche, ist die Polizei hier und dann wird alles noch komplizierter. Die Erfahrung habe ich schon einmal gemacht, und die Zeit, die wir auf dem Revier verbracht haben, war eindeutig verschwendete Lebenszeit.
Ich schließe die Tür und werfe noch einen Blick auf die Schule, bevor ich um den Wagen herumgehe und einsteige.
Im Auto stelle ich die Heizung an und das Radio aus, in der Hoffnung, dass sie so noch eine Weile bewusstlos bleibt. Auf eine Panikattacke während der Fahrt kann ich gut verzichten.
Sobald wir den Wald hinter uns gelassen haben und ich sicher bin, dass uns keiner folgt, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und rufe Tyros an.
»Was ist los?«, begrüßt er mich ernst.
»Gestaltwandler. Zwei von ihnen.« Ich klemme mir das Handy zwischen Schulter und Ohr, während ich ihm erzähle, was geschehen ist. »Tyr, du glaubst mir nicht, was ich dir jetzt gleich erzähle. Irgendetwas stimmt da nicht. Aber ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Sie hat den Wald im Umkreis von mehreren Metern zerstört …« Ich werfe noch einen Blick auf Louisa, bevor ich leise weiterspreche. »Die Bäume sind einfach so umgekippt. Als wäre die Luft um sie herum explodiert.«
Am anderen Ende der Leitung ist es lange still.
»Und die Gestaltwandler?«, fragt Tyr schließlich.
»Tot.«
»Wie geht es ihr?«
»Sie hat es nicht so gut aufgenommen, dass ich den einen vor ihren Augen geköpft habe. Ich bringe sie ins Hotel und untersuche sie auf Wunden, aber ich glaube, körperlich geht es ihr gut.«
»In Ordnung.« Tyr zögert einen Moment. »Irgendeine Theorie, wie die Gestaltwandler sie am Abend vor ihrem achtzehnten Geburtstag finden konnten?«
Nun spricht er nicht mehr nur noch mit mir, sondern auch mit den anderen anwesenden Männern. Ich warte auf ihre Theorien, während ich auf die Autobahn auffahre. Neben mir sitzt Louisa immer noch leblos im Sitz. Ihr Kopf lehnt am Fenster, ein Vorhang aus schweren, dunklen Locken verdeckt den Blick auf ihre Gesichtszüge.
»Sie wurde nicht adoptiert, also ist sie auch erst seit heute achtzehn«, erwidert Tyr gerade auf einen Vorschlag, der von Martin kam. »Hier sind eine Geburtsurkunde und Fotos, auf denen sie kurz nach der Geburt mit ihrer Mutter gezeigt wird. Außerdem wissen wir, dass ihre Mutter eine Hexe ist. Sonst hätten wir sie nicht beobachtet.«
»Vielleicht haben die Gestaltwandler eine neue Möglichkeit gefunden, Hexen zu finden, bevor sie ihre Magie nutzen«, schlägt Moose vor. Es wundert mich, dass er überhaupt an der Konversation teilnimmt und nicht längst damit beschäftigt ist, irgendwelche Hotelzimmer zu reservieren oder Flugtickets zu buchen.
»Das ist eine gute Idee.« Tyr grummelt. Wenn sie tatsächlich eine Möglichkeit gefunden haben, Hexen schon zu finden, bevor ihre Magie überhaupt auf traditionelle Weise aufspürbar ist, haben wir ein Problem.
Das bringt mich auf eine andere Idee.
»Was, wenn ihre Magie so stark entwickelt ist, dass sie tatsächlich schon aufspürbar war?«, schlage ich vor und denke daran, wie viel Magie nötig ist, um Bäume zu entwurzeln und Gegenstände oder Lebewesen durch die Luft zu schleudern. Eine Hexe, die gerade erst achtzehn geworden ist und bisher noch nie mit Magie in Berührung kam, sollte so etwas nicht können. Tatsächlich gibt es meines Wissens nur zwei Hexen, deren Magie ohne Hilfe von Kräutern tödlich sein kann. Louisa hebt die Nummer auf einen ganz anderen Level.
Tyr lässt sich den Vorschlag durch den Kopf gehen. »Ich hoffe, dass das der Grund ist«, sagt er schließlich. »Ihr denkt weiter darüber nach. Moose, du buchst zwei Tickets für den nächsten Flug nach Düsseldorf, den wir erreichen können. Alex, du bringst sie ins Hotel und sorgst dafür, dass sie sich erholt und verfolgst das übliche Protokoll, bis ich dir andere Anweisungen gebe.«
»Geht klar.«
»Moose schreibt dir eine Mail mit unseren Ankunftszeiten. Ich werde Freya bearbeiten, damit sie ein Amulett für Louisa herstellt. Ich kann euch beide unmöglich in ein Flugzeug steigen lassen, wenn wir nicht wissen, was los ist.«
»Verstanden.«
Ich verabschiede mich und lege auf. Von hier aus ist es nicht mehr weit zum Hotel, aber die Zeit reicht, damit ich mir die neuen Informationen durch den Kopf gehen lassen kann. Natürlich kann ich sie unmöglich zu den anderen bringen. Erstmal müssen wir herausfinden, ob sie eine Gefahr für uns oder sich selbst ist.
❤
Als ich auf dem Hotelparkplatz parke, fällt mir auf, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wie ich Louisa unauffällig ins Hotel schmuggeln soll.
Ihre Kleidung ist vollkommen ruiniert, ihr Gesicht und die Haare mit Schlamm und Ästen verkrustet. Aber das Schlimmste: Sie ist immer noch bewusstlos, also muss ich sie tragen.
An mir haftet zusätzlich das Blut vom Gestaltwandler. Ich habe zwar Wechselkleidung im Kofferraum, aber ein Blick in den Rückspiegel sagt mir, dass auch mein Gesicht ziemlich übel aussieht und eine gute Ladung Wasser und Seife vertragen kann.
Nie im Leben geben sie uns ein Zimmer, ohne die Polizei zu rufen. Ihr Puls ist schwach, und ich weiß nicht, ob sie verletzt ist. Außerdem muss sie dringend ins Warme.
Ich fahre mir nachdenklich durchs Gesicht. Mir fällt nur eine Möglichkeit ein. Aber die ist irre und wird nur funktionieren, wenn der Concierge nicht misstrauisch wird oder Louisa nicht zwischendurch aufwacht. Aber mir rennt die Zeit davon, um einen anderen Plan zu machen.
Entschlossen springe ich also aus dem Auto und hole meine Reisetasche aus dem Kofferraum, bevor ich Louisa aus dem Wagen hebe.
Mit ein paar wenigen Schritten stehe ich vor der Hoteltür, die zu so später Stunde bereits abgeschlossen ist. Ich drücke mit dem Ellbogen auf die Klingel. Zwei Minuten später kommt eine ältere Frau an die Tür und entdeckt uns. Sie weitet schockiert die Augen. Hastig schließt sie die Tür auf.
»Oh mein Gott.« Ihr Blick gleitet zu Louisa, die immer noch bewusstlos in meinem Arm liegt. »Ich kann sofort einen…«
»Nein, schon gut.« Ich schenke ihr das herzlichste Lächeln, das ich draufhabe. »Das ist alles nur Make-Up. Wir waren auf einer Kostümparty. Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen.«
Die Frau fasst sich ans Herz, als würden meine Worte ihr eine ungeheure Last nehmen. »Ich habe schon gedacht, Sie wären verletzt. Das sind ja wirklich gute Kostüme.«
»Ja.« Ich lache. Selbst in meinen Ohren klingt das Lachen ziemlich hohl, doch sie merkt nichts. »Meine Freundin ist im Auto eingeschlafen. Eigentlich wollte ich uns noch nach Hause bringen, aber so müde, wie ich bin … Haben Sie noch ein Zimmer frei?«
»Natürlich.« Die Frau lächelt mich erleichtert an und schließt die Tür hinter uns wieder ab. »Sie sind ja ein vernünftiger junger Mann. Die meisten würden wohl weiterfahren, bis sie die Augen nicht mehr aufhalten können.«
»Ja, das würden sie wohl.« Ich folge ihr an die Rezeption. Mit Louisa auf dem Arm ist es schwierig, eine gefälschte Unterschrift auf das Papier zu setzen, aber irgendwie bekomme ich es tatsächlich hin.
Die Frau reicht mir einen Schlüssel und erklärt mir, wo ich das Zimmer finde. Ich schenke ihr noch ein Lächeln, dann trage ich Louisa zum Fahrstuhl.
Drinnen setze ich sie ächzend ab und pinne sie gegen die Wand, damit sie nicht zusammenbricht. »Allmählich könntest du mal wieder aufwachen. Du bist gar nicht so leicht, weißt du das eigentlich?«, frage ich sie und betrachte ihren Körper. Sie ist klein und kurvig, kein Vergleich zu einigen anderen Frauen, die aussehen wie ein Strich in der Landschaft. Irgendwie gefällt mir das.
Ich hoffe, sie erholt sich wieder.
Der Fahrstuhl kommt mit einem leisen Pling zum Halten. Die Türen öffnen sich, und ich trage sie auf den engen Flur. Auf dem Weg zum Zimmer stoße ich ihren Kopf aus Versehen an der Wand an. Ihr entweicht ein ersticktes Stöhnen.
»Entschuldige«, murmle ich und korrigiere ihre Position auf meinem Arm. Endlich erreiche ich das Zimmer und schließe die Tür auf.
Ich bringe sie sofort ins Badezimmer, damit unsere Kleidung nicht die ganze Einrichtung versaut. Im Badezimmer ist eine Wanne, in die ich heißes Wasser laufen lasse. Dann ziehe ich mein vollgeblutetes Hemd und die ruinierte Hose aus und werfe sie auf einen Haufen. Dass Gestaltwandler töten immer so eine Sauerei ist. Wieso kann ihr Blut nicht genauso verschwinden wie ihre Körper?
Sie wacht auf, als ich ihr gerade das Kleid ausziehen will.
»Nein, bitte«, murmelt sie und greift nach meinen Händen. Ihre Augen sind riesig und so blau, dass ich mich darin verlieren könnte.
»Ich tue dir nichts.« Ich gehe vor ihr in die Knie, um mit ihr auf einer Ebene zu sein. »Du erinnerst dich doch noch an mich, oder? Du bist in Sicherheit. Ich will dir helfen.«
»O-okay.« Sie nickt und schließt die Augen. Der Schock hat ihre Abwehr außer Gefecht gesetzt. Sie würde ihr Leben gerade jedem in die Hände legen, aber ich bin froh, dass es meine sind.
»Ich werde dir jetzt aus deiner Kleidung helfen und dich waschen. Wenn dir etwas nicht recht ist, sag es mir bitte.«
Sie nickt wieder und ich helfe ihr aus ihrer Kleidung, bis sie in Unterwäsche vor mir steht und sich von mir in die Badewanne helfen lässt. Ihre Haut sieht übel aus. Die Äste haben ihr die Arme und das Gesicht zerkratzt und sich in ihren langen Haaren verfangen.
Ich hole Seife und einen Waschlappen aus meiner Reisetasche. Zurück im Badezimmer, hat sie die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und starrt zitternd an die gegenüberliegende Wand.
Ihr Anblick macht mir Angst, doch die versuche ich so gut wie möglich zu verdrängen, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen. Ich wasche ihre Haare und bin erstaunt, wie lang sie sind, wenn sie von der Feuchtigkeit schwer werden. Ich wasche Finger für Finger, ihr Gesicht, ja, sogar ihre Ohren, bis ich das Gefühl habe, sie von all dem Horror dieser Nacht reingewaschen zu haben.
Befreit vom Schmutz stelle ich ein weiteres Mal fest, dass ihre blauen Augen nicht ihr einziges schönes Merkmal sind. Sie hat eine Stupsnase und wohl geformte Augenbrauen. Ihre vollen Lippen sind leicht bläulich gefärbt, und sie ist immer noch blass wie ein Gespenst, aber jetzt habe ich nicht mehr das Gefühl, dass sie mehr tot als lebendig ist.
»Ist dir kalt?«, frage ich. Sie nickt, also lasse ich noch ein bisschen heißes Wasser in die Wanne laufen. Mit dem Waschlappen schöpfe ich es über ihre nackten Schultern.
Nach dem Bad hat ihre Haut eine rosige Farbe. Es wirkt, als wäre die Kälte aus ihrem Körper verschwunden. Sie trägt den wärmsten Pullover, den ich in meiner Tasche finden konnte und eine meiner Trainingshosen, die ihr viel zu groß ist. Ich setze sie auf dem Bett ab, ziehe mir etwas Frisches an und rutsche hinter sie, um ihre Haare zu trocknen.
»Ich föhne dir jetzt die Haare, Louisa.«
»Okay.« Sie ist immer noch bei mir, aber die Verbesserung in ihrem Erscheinungsbild hat nicht auf ihre Psyche übergegriffen. Ihr Blick ist immer noch leer und nach innen gerichtet.
Ich stelle den Föhn an, weil ich nicht weiß, was ich noch zu ihr sagen kann. Es gibt nichts, womit ich ihr in diesem Moment helfen kann.
Ob ihre Magie noch an Kraft zunimmt? Wie lange wird es dauern, bis sie eine Gefahr für sich selbst ist – und für jeden anderen, der sich mit ihr in einem Raum befindet?
Allmählich sind ihre langen Locken einigermaßen trocken, so dass ich den Föhn abstelle und ihn beiseitelege. Louisa sitzt unheimlich still da und schaut auf einen Fleck an der gegenüberliegenden Wand.
Ich weiß nicht, was ich mit ihr machen soll. Zum ersten Mal in meinem Wächterleben bin ich überfordert mit einer Situation. Gestaltwandler, ja sogar mehrere davon, kann ich erledigen. Ich kann den Hexen erzählen, was sie wissen müssen. Ich kann ihnen beibringen, mit ihrer Magie umzugehen.
Aber auf menschlicher Ebene bin ich ein totaler Versager. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich sagen oder tun kann, um ihr die Erinnerung an diese Nacht zu nehmen oder ihr dabei zu helfen, schneller zu heilen. Das bin nicht ich. Für solche Dinge ist mein Bruder Ivan da. Er ist derjenige, der mit jedem Menschen umgehen kann. Er wüsste, was zu tun ist.
Ich stehe auf, um den Föhn wegzulegen.
»Alex?« Louisa sprechen zu hören, lässt mein Herz einen Hüpfer machen. Wenn sie neugierig ist, ist das gut. Das bedeutet, sie wird sich erholen. Ich drehe mich um.
»Ja?« Langsam gehe ich auf sie zu, dann sinke ich vor ihr auf die Knie, um nicht zu bedrohlich zu wirken.
»Warum habe ich keine Angst vor dir?« Sie schaut mich aus großen blauen Augen beinahe verwundert an.
»Weil du vor mir keine Angst haben musst. Es ist mein Job, dir zu helfen und dich in Sicherheit zu bringen.«
Sie betrachtet mich einen Moment. Dieses Mal wirkt es fast so, als würde sie mich wirklich sehen.
»Okay.« Sie schließt die Augen und kriecht ins Bett, so dass ich die große Decke über ihr ausbreiten kann. Es dauert keine fünf Minuten, bis sie eingeschlafen ist.
Ich rutsche den Sessel ein bisschen vom Fenster weg, um sie besser im Blick zu haben. Dann hole ich mein Tagebuch aus der Tasche.
Was ich heute erlebt habe, muss ich auf jeden Fall niederschreiben.