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Kapitel 3

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Düsseldorf, 2018

Louisa von Stein

Es vibriert.

Schon wieder.

Mit einem leisen Seufzen ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und schaue aufs Display. Mama – wer hätte das gedacht? Ich drücke ihren Anruf weg und schalte das Handy auf stumm, bevor ich es auf den Sitz neben mir werfe, und mich erneut auf das konzentriere, was sich vor mir befindet.

Ich atme tief ein, schließe die Augen und strecke die Hände aus, um sie vorsichtig über die Instrumente gleiten zu lassen. Im Kopf benenne ich jedes einzelne Teil: Höhenmesser, Variometer, Kompass. Tankmengenanzeige, Funkgerät. Die Kreiselinstrumente, den künstlichen Horizont, Wendezeiger und Kurskreisel. Die Rundungen fühlen sich unter meinen Fingerspitzen so gewohnt an, dass ich zufrieden die Augen aufschlage. Ich kenne das Cockpit der kleinen Maschine besser als meinen eigenen Kleiderschrank.

Dass ich durch die Prüfung falle, ist mehr als unwahrscheinlich. Ich kenne jedes Bauteil meines Babys auswendig, weiß, wie ich sie im Ernstfall reparieren kann oder mit ihr eine Notlandung hinbekomme. In den Bergen und auf dem Wasser!

Noch besser war nicht mal mein Vater auf seine erste Flugprüfung vorbereitet.

Durch die Scheibe kann ich in den Hangar schauen. Das große Tor ist geöffnet und lässt einen Blick auf das Rollfeld zu, das im Regen glänzt und einsam und verlassen daliegt. Mein Blick bleibt an der Reflexion meines Gesichts hängen. Unter meinen Augen liegen tiefe Schatten und erinnern mich daran, dass ich viel zu viele Emotionen in diesen Teil meines Lebens investiere. Wenigstens habe ich die Prüfung bald hinter mir und kann mich anderen Dingen widmen.

Ich nehme mein Handy, steige aus dem Cockpit und verschließe das Flugzeug, bevor ich durch den menschenleeren Hangar gehe. Helmut sitzt noch immer im Büro und arbeitet an der Steuererklärung für das letzte Jahr. Er hört mich kommen, hebt den Blick und schaut mich neugierig an. »Du bist ja immer noch hier. Solltest du dich nicht auf einen Neujahrsball vorbereiten?«

»Du kennst mich doch«, erwidere ich belustigt. »Ich konnte ihr nicht widerstehen.«

Helmut blickt an mir herab. »Deine Mutter wird mich umbringen, wenn sie erfährt, dass ich hier war und dich nicht nach Hause geschickt habe.«

»Von mir wird sie es nicht erfahren.« Ich grinse ihm zu, bevor ich seinem Blick folge und mein Äußeres aufnehme. Mein weißes Shirt ist ölverschmiert, die Hose zerrissen. Mama würde einen Herzinfarkt bekommen, dessen bin ich mir sicher. »Ich beeile mich besser, bevor sie mich noch als vermisst meldet.«

»Genieß den Abend, Lou.« Er zwinkert mir zu. »Denk mal für ein paar Stunden nicht über Flugzeuge nach, sondern tanz dir die Nacht um die Ohren und trink einen Schluck für mich mit.«

Ich schmunzle und nehme meinen Rucksack aus dem Spind, um damit ins angeschlossene Badezimmer zu gehen. Seinen Wunsch zu befolgen wird schwierig. Ich war noch nie besonders begabt im Tanzen, und Alkohol trinke ich normalerweise auch nicht. Aber morgen ist mein achtzehnter Geburtstag. Vielleicht sollte ich mal eine Ausnahme machen und ein normaler Teenager sein. Das wird den Schatten unter meinen Augen zwar auch nicht guttun, aber vielleicht hilft es dabei, die Sorgen mal für ein paar Stunden zu vergessen.

Ich stelle die Tasche auf der Bank ab und packe mein Duschzeug und die frische Kleidung raus, bevor ich meiner Mutter eine kurze SMS schicke, damit sie weiß, dass ich bald nach Hause komme. Immerhin haben wir noch zweieinhalb Stunden Zeit, bevor der Neujahrsball beginnt. Kein Grund, jetzt schon in Panik zu verfallen.

Am Waschbecken beuge ich mich hinunter, um etwas zu trinken. Im Spiegel betrachte ich mein von Öl verschmiertes Gesicht. Meine blauen Augen funkeln mir aufgeregt entgegen. So einen Gesichtsausdruck habe ich nur, wenn ich den ganzen Tag auf dem Flugplatz gewesen bin. Wenn ich an Motoren schrauben darf und Lehrbücher über Flugzeuge wälze. Für mich gibt es nichts Schöneres auf dieser Welt.

Mit einem Lächeln auf den Lippen springe ich unter die Dusche und beeile mich damit, meinen Körper von unnötigen Haaren zu befreien und die notwendigen mit Shampoo und Pflegespülung zu verwöhnen, damit Mama später nichts zu meckern hat. Nach der Dusche trockne ich mich ab und schlüpfe in meinen dünnen Kaschmirpullover, die feinen Jeans und meine Stiefeletten mit dem Absatz, der mich eines Tages noch umbringen wird.

Lou bei Tag, Louisa von Stein bei Nacht.

Ich wische mit dem Handtuch über den Spiegel und erstarre. Hinter mir bewegt sich etwas! Jemand! Ein blasses Gesicht, ernste braune Augen. Nervös drehe ich mich um und blicke durch den Raum.

Mein Herz rast wie verrückt. Da ist niemand.

Was war das? Habe ich mir das bloß eingebildet?

Unsicher drehe ich mich zurück zum Spiegel und schaue hinein. Nichts zu sehen. Trotzdem ist es mir nicht geheuer. Gestalten zu sehen, die nicht existieren … das hatte ich schon. Dahin will ich nicht zurück.

Schnell packe ich meine Sachen in die Tasche, flechte meine nassen Haare zu einem Zopf und verlasse das Badezimmer. Helmut sitzt noch immer an seinem Platz.

»Mach nicht mehr so lange«, rufe ich ihm zu und winke. Er hebt eine Hand zum Abschied, löst sich aber nicht noch einmal von seinen Unterlagen. Ich gehe durch den Hangar, schlüpfe dabei in meine Jacke und werde das Gefühl nicht los, dass mich jemand beobachtet. Meine Schritte werden immer schneller, bis ich schließlich draußen bin.

Gott sei Dank ist es noch nicht dunkel, denke ich und ziehe mir meine Kapuze auf, um meine nassen Haare vor der Kälte und dem Regen zu schützen. Mama wird mich umbringen, wenn sie mich im Januar mit nassen Haaren nach Hause kommen sieht. Besser, ich schleiche mich hinein und begegne ihr erst, wenn ich aussehe wie die Dame, die sie sich als Tochter wünscht.

Außer Atem biege ich in unsere Straße ein und winke Lina und Justus zu, die gerade ihrer Mutter dabei helfen, die Einkäufe reinzutragen. Von meinem besten Freund Thomas keine Spur, aber da er uns in zwei Stunden abholen soll, wird er sicher gerade im Bad stehen.

Bei unserer Auffahrt bremse ich überrascht ab und steige vom Fahrrad. Vor der Garage parkt ein Auto. Ein schwarzer Porsche Cayenne mit dem Logo eines Mietwagenverleihs.

»München«, murmle ich und präge mir das Kennzeichen ein. Aber das sagt ja nichts über die Herkunft des Besuchers aus.

Ich schiebe mein Fahrrad zur Garage und stelle es abgeschlossen an die Seite, um es später auf seinen angedachten Parkplatz zu bringen und meine Mutter nicht mit dem Krach des Garagentors auf mich aufmerksam zu machen. Ein kurzer Blick in das Innere des Mietwagens verrät mir nichts über den Besucher, aber ich vermute, dass es ein Kunde meines Vaters ist. Wer sich einen Stellplatz für sein Flugzeug in unserem Hangar leisten kann, für den ist auch ein Porsche als Mietwagen kein Problem.

Immer noch fest entschlossen, mich hineinzuschleichen, schiebe ich vorsichtig den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn langsam um. Die Haustür geht auf und ich schlüpfe ins Innere des Hauses. Zuerst ist es still, aber dann höre ich die Stimmen aus dem Wohnzimmer.

Erfreut darüber, dass ich noch nicht aufgefallen bin, schlüpfe ich aus meinen Stiefeletten und der Jacke. Die Garderobe zu öffnen, wäre jetzt viel zu laut, also nehme ich die Sachen lieber gleich mit hinauf.

»Louisa?«

Mist. Ertappt drehe ich mich um und sehe Mama in der Tür zum Wohnzimmer stehen. Neben ihr steht ein mir fremder Mann mit verstrubbeltem braunen Haar.

Die Missbilligung in Mamas Blick füllt den Raum mit stickiger Luft. Ich öffne den Mund, bringe aber keinen Ton hervor. Mich für mein Äußeres zu entschuldigen, bringe ich allerdings auch nicht übers Herz.

»Tja, das ist dann wohl meine Tochter Louisa«, stellt sie mich dem Unbekannten vor. »Louisa, das ist Alexander Romanovic. Ein Freund der Familie.«

Der Mann neben ihr hebt eine Braue und mustert mich neugierig. Ich trotze seinem Blick und verschränke die Arme vor dem Oberkörper, weil ich mich wie ausgezogen fühle. Das muss an diesen grünen Augen liegen oder den geschwungenen Lippen oder … vielleicht auch an seinem Bartschatten oder der Narbe auf seiner Wange, die von einem Messer stammen könnte. Er kann nicht viel älter sein als ich und stammt aus ähnlichen Verhältnissen, denn er trägt eine elegante Jeans und einen blauen Pullover, der teuer aussieht. Und doch ist er anders als die anderen Männer in seinem Alter. Seine Haltung ist nicht nur elegant und angemessen, sie ist gleichzeitig so viel mehr.

Wachsam beinahe. Fast so, als wäre er jederzeit bereit, es mit einer Horde wilder Tiere aufzunehmen.

Irritiert über meine Gedanken reibe ich mir durchs Gesicht. Als ich meinen Arm sinken lasse, fällt mir auf, dass der Stoff schwarz gefärbt ist.

»So ein Scheißdreck«, fluche ich und beiße mir sofort auf die Lippen. Gott, ich hätte mehr Zeit mit anderen Mädchen und ihren Barbies verbringen sollen und weniger mit den Männern vom Flugplatz. Aber Alexander hebt einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln und hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Er ist einer dieser Menschen, über die man alles wissen möchte.

Mama schnalzt mit der Zunge. »Tut mir leid, Alexander«, sagt sie an unseren Besucher gewandt. »Louisa ist manchmal …« Sie hebt hilflos die Hände.

»Sehr sympathisch«, fällt Alexander ihr ins Wort. Die Überraschung über seine Worte übertrumpft die Enttäuschung darüber, dass Mama sich schon wieder für mich entschuldigen will. Ich schaue zu ihm und erkenne in seinem Blick, dass er es vollkommen ernst meint.

Ohne auf Mama zu achten, kommt er zu mir und streckt mir eine Hand entgegen. Ich ergreife sie misstrauisch. Sie ist warm und trocken, trotzdem entgehen mir die rauen Stellen nicht, die von körperlicher Arbeit zeugen. Damit hätte ich bei dem Outfit und dem Auto vor der Tür nicht gerechnet.

»Freut mich, dich kennenzulernen, Louisa.« Der Klang meines Namens jagt mir einen Schauder über den Rücken. Ich vergesse tatsächlich meine Erziehung und bringe kein Wort hervor. Er hat eine angenehme Stimme, sein leichter Akzent zeigt, was sein Name längst aussagt: Seine Wurzeln liegen irgendwo im Osten. Mama seufzt enttäuscht, sodass ich meinen Blick wohl oder übel von Alexander lösen muss, um sie anzusehen. Sie hebt eine Braue und erinnert mich an gutes Benehmen.

»Die Freude ist ganz meinerseits«, schieße ich hervor, bevor sich unsere Hände voneinander lösen.

»Du solltest dich frischmachen.« Mama verschränkt die Arme vor der Brust. Ihre sonst so sanften Züge sind angespannt, ihre Augen funkeln mich wütend an. »Habe ich dir denn gar nichts beigebracht?«

»Ich glaube, Louisa ist eine von den Frauen, die bei jeder Gelegenheit gut aussehen – auch mit Öl im Gesicht«, meldet sich Alexander verschmitzt zu Wort. Ich erstarre und werde knallrot.

Er zwinkert mir zu, bevor er sich meiner Mutter zuwendet und sie in ein Gespräch verwickelt, um sie von mir abzulenken. Ich schaue seinem breiten Kreuz hinterher und unterdrücke ein irres Kichern, während ich mir einrede, dass das Gefühl in meiner Magengrube an seinem östlichen Akzent liegt oder daran, dass sein Lächeln so sympathisch ist. Aber in Wahrheit muss es wohl daran liegen, dass mich gerade zum ersten Mal ein Mann vor meiner Mutter verteidigt hat.

Black Heart - Die gesamte erste Staffel

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