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Kapitel 13

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Österreich, 2018

Ein Mann

Die ersten Sonnenstrahlen wecken mich. Ich schüttle mein Federkleid und picke mit dem Schnabel unter meinem Flügel lang. Immer diese kratzigen Vögel. Dabei ist eine Schleiereule schon viel bequemer als eine Taube. Oder eine Möwe. Diese Viecher sind schrecklich. Ständig fliegen sie mit Geschrei durch die Gegend und hinterlassen überall ihren Kot. Ich fühle mich unwohl in derartigen Gestalten. Ich bevorzuge die menschliche Gestalt, muss aber anerkennen, dass diese ihre Grenzen und die andere ihre Vorteile hat

Ich stoße mich vom Ast ab und schlage ein paar Mal mit den Flügeln, um Höhe zu gewinnen. Das ist der einzige Vorteil dieser Gestalt – man kann unauffällig die Gegend erkunden.

Der Wald wacht gerade erst auf, überall raschelt und bewegt es sich. Mäuse, Vögel, Regenwürmer, Ameisen ... aber weit und breit keine Spur von Freya.

Sie muss hier sein. Es ist fast so, als könnte ich sie spüren.

Und doch rührt sich nichts in der Ruine. Irgendwo muss hier ein geheimer Eingang sein. Aber würde sie wirklich in einer Höhle leben? Selbst eine Hexe würde heutzutage ein richtiges Haus bevorzugen.

Ratlos ziehe ich meine Kreise immer enger und suche in der Ruine nach Hinweisen, die wir vielleicht übersehen haben. Irgendwann gebe ich auf und fliege zurück zu unserem Ast, um mich neben meinen Freund zu hocken, der mittlerweile aufgewacht ist und seine Federn putzt. Insgeheim glaube ich, dass er sich in jeder Gestalt wohlfühlt. Vielleicht liegt es daran, dass er sich nicht mehr an sein Leben vor diesem erinnert. Daran, dass er nicht mehr weiß, wie es ist, er selbst zu sein.

Vielleicht ist er aber auch einfach nur unkomplizierter als ich.

»Irgendwas gefunden?«

Ich schüttle entmutigt den Kopf. Wir werden es wieder nicht schaffen. Dabei hängt so viel davon ab, dass wir Freya finden.

»Ich glaub, ich spinne«, stößt er plötzlich hervor. »Siehst du das auch?«

Er deutet mit einem Rucken seines Schnabels auf die Ruine. Ich folge der Bewegung und falle vor Überraschung beinahe vom Ast.

Die aufgehende Sonne hat die Ruine erreicht und taucht sie in ein goldenes Licht – nur, dass sie jetzt keine Ruine mehr ist.

»Das gibt’s doch nicht«, stoße ich baff hervor und lasse meinen Blick über das Kloster gleiten, dessen helle Wände plötzlich hoch in den Himmel ragen und zeigen, wie groß das Gebäude einst gewesen ist.

Oder immer noch ist.

»Ist das jetzt die Illusion oder die Ruine?«, fragt mein Freund verwirrt. »Wir sind doch gestern noch darin rumgelaufen.«

»Frag mich nicht, wie sowas möglich ist.« Ich stoße mich vom Ast ab und fliege zum Gebäude, um es zu erkunden. Die zwei hohen Türme ragen gerade so über die Bergwände hinaus, die das Kloster hinter sich verstecken. Das rote Dach steht in einem deutlichen Kontrast zu dem Innenhof, der nun zu einem grünen Kräutergarten geworden ist.

Ich beschließe, die Illusion auf die Probe zu stellen und lande auf dem Dach, das eines der langen Gebäudeteile bedeckt.

Es ist fest. Ich falle nicht hindurch.

Das ist unmöglich.

Verblüfft sehe ich mich um. Ein Fenster geht auf und ich erkenne eine junge Frau – fast noch ein Mädchen –, die mit geschlossenen Augen am Fenster steht und tief einatmet. Sie trägt ein dünnes Shirt und sieht aus, als wäre sie gerade aufgestanden.

»Die Frischlinge sollten in den nächsten Tagen ankommen«, höre ich jemanden sagen und schaue mich nach der Stimme um. In einem Bogengang beim Innenhof erkenne ich zwei Männer, die in leises Gespräch vertieft sind, während sie vom einen Gebäudeteil in den anderen wechseln.

Wächter!

Vor Erleichterung hätte ich beinahe wieder zu meiner menschlichen Gestalt gewechselt. Wir sind am richtigen Ort. Zumindest an einem richtigeren als in München. Wo Wächter sind, sind Hexen nicht fern. Und wo Hexen sind, weiß man vielleicht, wo sich Freya versteckt hält.

»Es wird Zeit, dass wir Verstärkung bekommen«, meint der eine Wächter. »Fühlt sich an, als wären die Gestaltwandler insgeheim wie die Hydra. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen mindestens zwei nach.«

Sie verschwinden im Inneren des Gebäudes, also wende ich meine Aufmerksamkeit wieder der jungen Frau am Fenster zu. Sie ist mittlerweile nicht mehr alleine. Eine andere Frau steht neben ihr, und sie schauen schweigend gemeinsam in die Ferne.

Sie genießen den frischen Morgen. So sieht es zumindest aus. Wenn sie tatsächlich hier geschlafen haben und das ihr Ausblick an jedem Morgen ist, sind sie zu beneiden.

Nach und nach werden weitere Fenster geöffnet. Frauen und Männer, überwiegend jung, gähnen und strecken sich, bevor sie für einen Moment die frische Luft einatmen und dann in die Zimmer zurückkehren, um sich dort für den Tag vorzubereiten. Ich beobachte eine Frau, die im Innenhof ein paar Kräuter abschneidet und in einen geflochtenen Korb legt, und ich schaue noch mehr Wächtern dabei zu, wie sie ihre Runden durch das Gebäude und die Höfe drehen.

Als wenig später eine etwas ältere Frau mit einer Schar von jungen Frauen in den Innenhof tritt und eine Führung durch den Kräutergarten macht, wird mir klar, auf was wir hier gestoßen sind.

Der Hinweis der Hexe hat uns geradewegs zu einer Schule geführt.

»Eine Schule.« Mein Freund schüttelt den Kopf. »Ich glaub’s nicht. Meinst du wirklich, Freya ist da drin?«

»Finden wir’s heraus.« Ich stoße mich von unserem Ast ab und fliege zurück ins Kloster, das mit dem Weiterwandern der Sonne irgendwann wieder zur Ruine geworden ist. Wie auch immer diese Magie funktioniert, sie versteckt alles. Das Gebäude, die Pflanzen und all die Menschen, die hier offensichtlich leben.

»Ich frag mich, wieso sie ausgerechnet in der Morgensonne sichtbar wurde. Und wie es sein kann, dass wir hier in den Gängen umherfliegen können, ohne jemandem zu begegnen.« Meine Gedanken kreisen um die Möglichkeiten von Magie, die ich bisher erlebt habe. Um so etwas zu schaffen, mussten sicher mehrere, sehr mächtige Hexen zusammenarbeiten.

Wir landen vor der Nische, in der wir unsere Kleidung versteckt haben. »Warte«, ermahne ich meinen Freund. »Die Wächter und ein paar der Frauen haben darüber geredet, dass bald neue Wächterschüler kommen.«

»Du willst dich als Schüler tarnen und hineinschleichen? Wenn’s sein muss ...« Mein Freund verwandelt sich in eine menschliche Gestalt, nicht seine, aber eine, die ebenso angenehm anzusehen ist.

Ich schließe die Augen und denke kurz darüber nach, in welche Rolle ich schlüpfen möchte, bevor ich die Magie in meinen Adern aufleben lasse und mich in einen Menschen verwandle.

»Hm, nicht schlecht.« Mein Freund wirft mir einen Blick zu. »Die Frauen werden dich lieben.«

Er fährt sich durchs Haar und scheint es zu kurz zu finden, denn es wächst um mehrere Zentimeter.

»Schon besser«, murmelt er, bevor ich ihm seine Kleidung in die Hand drücke und mich selbst anziehe. Die Sachen sind fast ein bisschen zu groß. Die Gestalt, die ich gewählt habe, ist ein bisschen kleiner und schmächtiger als ich. Ich kremple die Ärmel meines Shirts hoch und mache das Gleiche mit den Hosenbeinen, obwohl ich damit wohl mehr als affig aussehe. Meinen Dolch stecke ich hinten in meinen Gürtel und verberge ihn unter meinem Shirt, bevor mein Freund und ich uns auf den Weg zum Auto machen, um es weiter abseits zu parken, damit es niemanden auf uns aufmerksam macht.

Als wir am nächsten Morgen zurückkehren, haben wir einen Plan und neue Sachen im Gepäck. Mein Freund hat sich schon an seine neue Rolle gewöhnt. Ich wünschte, mir würde das Gestaltwandeln so leichtfallen wie ihm. Aber mich wie ein junger Erwachsener zu benehmen, wenn ich eigentlich schon so alt bin, fällt mir immer schwerer.

Pünktlich mit dem Sonnenaufgang erreichen wir den Tunnel, der zum Kloster führt. Mein Freund bleibt stehen und lässt mir den Vortritt.

»Nach dir, Mikael.«

Ende des 1. Teils

Black Heart - Die gesamte erste Staffel

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