Читать книгу Zerbrochene Seelen - Kim Mevo - Страница 10
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Carly sah müde aus dem Fenster. Sie und Conleth waren schon einige Stunden unterwegs gewesen. Ebenso schweigsam wie die Fahrt war, verbrachten sie auch die nächste Rast an einem Diner, kurz nach der Staatsgrenze zwischen Oklahoma und Missouri.
Carly hatte während der Fahrt immer wieder etwas geschlafen. Conleth hatte sich nur eine kurze Pause gegönnt, als sie in Tulsa angehalten hatten. Er hatte drei Stunden geschlafen, ehe er weiter gefahren war. Zu fliegen wäre einfacher gewesen, dachte Carly. Doch sie hatte nicht gefragt, warum das scheinbar nicht in Frage gekommen war. Eigentlich hatte sie ohnehin damit gerechnet, Richtung Texas zu reisen. War dort nicht die Hauptausbildungszentrale? So genau kannte sie sich nicht damit aus. Die verschiedenen Schulen waren im ganzen Land verteilt. Allerdings hatte sie Tate´s Briefe immer nach Amarillo geschickt. Deswegen war sie davon ausgegangen, das die Reise auch dort hin gehen würde.
Nach drei weiteren Stunden Fahrt erblickte sie das Schild St Louis. Die Fahrt zog sich noch eine Ewigkeit hin, ehe sie vor St Louis abbogen und über den Mississippi nach Illinois fuhren. Sie kamen an Columbia vorbei, Richtung Waterloo und fuhren schließlich in ziemlich unbesiedeltes und vereinsamtes Gebiet, nahe dem Mississippi River. Sie fuhren eine Weile an vereinzelten Häusern vorbei, die an leeren Landstraßen gebaut waren. Dann sah Carly einen hohen Zaun mit Stacheldraht in der Ferne, der sich zu beiden Seiten endlos erstreckte.
Erst zehn Minuten später kamen sie an eine Art Wachhaus, bei dem es Carly etwas gruselte. Nicht nur der Wachmann in dem kleinen Haus, war gut bewaffnet. Auch die zwei Männer, die zu beiden Seiten des Tores standen, hielten ihre Waffen im Anschlag. Dazu der verflucht hohe Zaun, in dem Maschendraht verflochten ist und vor dem ein gelbes Schild steht, auf dem Achtung Strom geschrieben war. Carly fühlte sich ein wenig unbehaglich.
Conleth holte zwei seiner Ausweise hervor, seinen Personal und seinen Dienstausweis, und dann Carlys Ausweis, den ihr Vater Conleth mitgegeben hatte. Der Beamte tippte etwas in seinem Computer ein, dann nickte er Conleth zu, salutierte und öffnete die Schranke. „Willkommen Leutnant General Brewster!“
Conleth legte den Gang ein und fuhr weiter über das erstaunlich große Gebiet. Carly hätte nicht damit gerechnet, dass das Gelände so groß sein würde. Schließlich fuhren sie an einer Art Landeplatz vorbei, an dessen Rand viele Hangar gebaut waren. Einige der Maschinen wurden gerade gewartet und gereinigt.
Nun wurde Carly doch neugierig. Die Hubschrauber, die vor den Hangar aufgereiht waren, trugen die Wappen des US Militärs. Die vielen Leute, die geschäftsmäßig über den Platz eilten, trugen Uniformen. Carly sah sich staunend um.
Schließlich fuhren sie an mehreren Gebäuden vorbei, die etwas an Kasernen erinnerten, nur einladender. Manche waren größer, andere etwas kleiner. Vor jedem Haus hingen große Zahlen mit Buchstaben. Die einzelnen Häuser wurden durch große Rasenflächen oder Hecken getrennt. Auch an einem großen Feld mit Markierungen kamen sie vorbei, das an ein Fußballfeld erinnerte, welches sich gleich neben einer Sporthalle befand. Vereinzelte Gruppen liefen auf dem Platz ihre Runden, dicht neben ihnen jemand, der sie antrieb.
Diesem Feld gegenüber stand ein Gebäude, über dessen Eingang Gym stand. Es war von der Fläche her beinahe so groß wie das Sportfeld und hatte sogar noch zwei weitere Etagen. An eben diesen Plätzen war sogar noch mehr los, als zuvor auf dem Landeplatz.
Dort bog Conleth rechts ab. Irgendwie erinnerte es Carly an das, was sie zuvor über Universitäten gehört hatte. Es war wie ein riesiger Campus. Sie fuhren geradewegs auf ein großes Hauptgebäude zu. Carly sah Conleth fragend an. „Ist es das?“
Conleth nickte zögerlich und musste etwas schmunzeln als er auf einen Parkplatz abbog.„Was hast du denn erwartet?“
Carly schürzte die Lippen und sah sich um. „Weiß nicht... Baracken... Trillerpfeifen...marschierende Schüler...“
Conleth lachte amüsiert und stellte seinen Wagen schließlich ab. „Wir sind hier nicht beim Militär, Carly. Es ist eine Schule.“ „Eine Militärische Akademie“ korrigierte ihn Carly.
Conleth seufzte. „Es ist nicht direkt das, was du dir wohl vorgestellt hast. Das hier ist... anders.“
Carly zuckte die Schultern. „Wir lassen deine Sachen erst mal im Wagen und stellen dich vor. General Coleman erwartet dich bereits.“ Conleth schnallte sich ab.
Carly kam nicht umhin die Lippen zu verziehen. General Coleman. Sie stellte sich einen militärischen Typen mit Kurzhaarschnitt vor, der wortwörtlich aussah, als hätte er einen Stock im Arsch. Sie musste doch schmunzeln und folgte Conleth aus dem Wagen. Dicht auf seinen Fersen überquerte sie die Straße vor dem Hauptgebäude und stieg die breiten Steinstufen hinauf.
Im Eingangsbereich staunte sie erneut. Hier hatte der Staat wirklich an nichts gespart. Der Eingangsbereich war eine gigantische, helle Halle mit einer Kuppel aus Glas, die einen Blick auf den wolkenlosen Himmel genehmigte. In der Mitte befand sich eine kreisförmige Anmeldung und Rezeption. Links und rechts führten Treppen in die oberen Stockwerke. Trotzdem konnte man die Kuppel von oben vollständig umgehen.
Conleth nickte den beiden Damen und drei Herren an der Rezeption zu, die sehr beschäftigt an ihren Computern saßen und tippten. Sie erhoben sich sogleich und salutierten, als sie Conleth erblickten. Nun fühlte sich Carly wieder ein wenig beklommen. Conleth schien eine wirklich wichtige Rolle hier zu spielen.
Er bog links in einen der drei Gänge ab und führte Carly immer tiefer in ein kompliziertes Geflecht aus Fluren. Drei mal passierten sie bewachte Türen, an denen Conleth ebenfalls mit Salutieren begrüßt wurde. Dann gelangten sie in einen offeneren Gang, von dem aus man verschiedene Arbeitsplätze einsehen konnte.
Conleth blieb an einem Wartebereich stehen und bedeutete Carly, platz zu nehmen. „Er ruft dich rein, wenn es so weit ist. Warte hier.“
Carly nickte und setzte sich zögerlich auf einen der Stühle. Dann beobachtete sie Conleth, wie er einige Türen weiter klopfte und schließlich dort verschwand. Auf dem Schild an der Tür stand der Name General W. Coleman, von dem er ihr zuvor erzählt hatte. Carly senkte denk Kopf. All das hier mochte aufregend und neu sein und doch wollte Carly lieber wieder zurück nach Hause. Sicher packten sie in ihrem zu Hause gerade die Kisten zusammen um sie zu der neuen Wohnung zu bringen, die ihr Vater gekauft hatte.
Carly wollte all das nicht. Sie wollte nicht auf diese blöde Militär Akademie gehen, wo man ihr alles vorschrieb. Denn genau so lief es beim Militär doch. Ellenlange Listen mit Vorschriften und Regeln, an die man sich zu halten hatte.
Carly war doch erst sechzehn. Ihr Leben hatte gerade erst angefangen. Freunde treffen, Party´s besuchen, ein wenig Alkohol trinken und die Freiheiten des Erwachsenwerdens genießen. Genau das würde hier nicht der Fall sein, da war sich Carly sicher. Sie hasste diesen Laden jetzt schon. Es würde schlimmer sein als ein Internat. Aber sie würde nicht lange hier bleiben, das stand bereits für sie fest. Sie hasste ihren Vater dafür, dass er sie her geschickt hatte. Hasste ihn dafür, dass sie im Streit auseinander gegangen waren. Dass er ihrem Flehen nicht nachgekommen war, sie nicht weg zu schicken und das Haus nicht zu verkaufen.
Carly war zum Weinen zumute. Sie verschränkte die Arme vor ihrem Oberkörper und atmete tief durch. Wenn ihre Mom noch da wäre, hätte sie das alles niemals zugelassen. Sie hätte Carly niemals weg schicken wollen. Carly kämpfte gegen einen dicken Kloß in der Kehle an. Das fiel ihr leichter, als sie eine Gruppe junger Männer bemerkte, die nun in den Bereich traten. Zwei von ihnen trugen Sportkleidung. Die anderen beiden trugen normale Straßenkleidung. Carly hätte nicht gedacht, dass das erlaubt wäre. Die Gruppe löste sich voneinander. Während drei der jungen Männer weiter geradeaus gingen, blieb ein anderer vor dem Wartebereich stehen. Carly sah aus dem Augenwinkel wie er den Kopf zur Seite legte und sie musterte.
„Du bist neu hier, richtig?“
Carly schnaubte und hätte am liebsten so etwas wie, Gewöhn dich nicht an mich, geantwortet. Doch als sie zu ihm auf sah, stutzte sie und stand langsam und unsicher auf. „Tate?“
Er grinste breit. Das typische verschmitzte Grinsen, das er als Junge schon immer hatte. Doch als Carly ihn musterte, stellte sie fest, dass er sich ganz schön verändert hatte.
Sein Körper war größer und breiter geworden. Seine dunklen Haare hatte er länger wachsen lassen und er trug sie zur Seite.
Sie musste etwas peinlich berührt daran zurück denken, was beim letzten Mal war, als sie sich gesehen hatten. Viel zu peinlich, als es weiter auszuführen. Schon damals hatte sich irgendwie etwas zwischen ihnen verändert.
Er kam auf sie zu und nahm sie in den Arm. „Hey, wow. Es ist ja wirklich schon ewig her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.“ „Ja.. ähm...“ Carly lächelte etwas eingeschüchtert. „Ist es wohl.“
Mit einer solchen Begrüßung hätte sie nicht gerechnet. Sie hatten sich so lange nicht gesehen, dass sie dachte, sie hätten sich völlig entfremdet. Doch als Tate nun vor ihr stand, war es, als sei es gerade mal eine Woche her, dass sie einander das letzte Mal gesehen hatten. Ihn zur Begrüßung zu umarmen war so vertraut und normal, dass es Carly selbst irgendwie verblüffte.
Als sich Tate von ihr löste, schenkte er ihr ein zögerliches Lächeln, „Ich schätze, ich sollte mir die Frage nach deinem Wohlbefinden wohl schenken.“
Carly zuckte die Schultern.
„Ziemlich beschissen das Ganze“ Tate räusperte sich.
Carly nickte wieder bloß stumm. Nun schob er seine Hände in seine Hosentasche und presste kurz die Lippen zusammen. „Deine Mom hätte das hier nicht gewollt.“
Carly sah ihn mit großen Augen an. In den letzten Wochen und Monaten, in denen ihre Mutter schon tot war, hatte sie vieles gehört. Aber jeder hatte es tunlichst vermieden, direkt über ihre Mutter zu sprechen, mit Ausnahme ihrer Tante Rachel. Es verletzte Carly und zugleich war sie auch froh, keine weitere Es- tut- mir- leid- Leier hören zu müssen. Tate sprach die Tatsache gerade heraus aus und irgendwie war ihm Carly dafür dankbar. Alle waren um sie herum geschlichen wie ein rohes Ei. Als könne sie jeden Moment zerbrechen.
Carly schürzte die Lippen. „Er konnte gar nicht abwarten mich los zu werden.“
Tate sah sie blinzelnd an. „Dein Dad?“
Carly zuckte erneut die Schultern „Wie auch immer.“
Sie würde eh nicht lange bleiben, koste es, was es wolle.
„Ich habe gehört, er hat seinen Job wieder angetreten.“ bemerkte Tate nun. „Ich denke, dass es damit zu tun hat.“
Carly lachte trocken und freudlos. „Ja, glaub du das nur.“
Die Tür des Büros öffnete sich und Conleth kam auf den Flur hinaus. Tate salutierte und Carly musste sich fragen, ob sie das gleiche vor ihrem Vater tun müsste, wenn sie ihn wieder sah.
„Leutnant General Brewster.“ sagte Tate respektvoll.
„Rühren Kadett“ Conleth lächelte. „Wie ich sehe, hast du dich doch nicht zurück halten können.“
Tate grinste breit. Also hatte er gewusst, dass Carly anreisen würde. Conleth seufzte, dann nickte er Carly zu. „Er empfängt dich jetzt.“
Carly hatte das Gefühl, vor einen Richter zu treten. Sie straffte die Schultern und fühlte sich ganz steif. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich diesem Mann gegenüber benehmen musste. Was gehörte hier zur Etikette? Was erschien respektlos, oder was lächerlich? Konnte sie sich an irgendwelchen Filmen orientieren, die sie mal über das Militär gesehen hatte?
Conleth legte seine Hand auf ihre Schulter. „Du machst das schon. Sei du selbst.“
„Ich?“ Carly war sich nicht sicher, ob er das wirklich wollte. Sie würde ihn sicher blamieren.
„Es ist das erste Gespräch. Da sehen sie es noch nicht so eng.“
„Sie?“ Carlys Stimme klang erstickt, als sie den Plural wiederholte. Wen außer diesem General hatte sie den noch zu erwarten?
„Los, geh rein. Die beißen dir schon nicht den Kopf ab. Dein Dad hat einen guten Ruf hier. Du wirst schon nichts falsch machen.“ „Ich... gehe ich da alleine rein?“ fragte Carly murmelnd.
Conleth nickte. „Ja, aber das schaffst du.“ Er klopfte ihr erneut auf die Schulter „Ich warte unten an der Rezeption mit deinen Sachen. Treff mich da, wenn ihr fertig seid.“
Lockeren Ganges marschierte Conleth den Gang zurück. Carly sah Tate mit geweiteten Augen an.
„Tate!“ rief Conleth nun streng.
Tate wurde sofort steif. „Ja Sir!“
Er sah Carly kurz an, verharrte. Dann drückte er sie nochmal, nahm ihre Hand in seine und flüsterte er an ihr Ohr. „Schließ die Augen und stell dir vor, wir sind in unserem Baumhaus. Das hat mir damals geholfen.“
Als er sich löste und eilig seinem Vater folgte, stand Carly noch verblüffter da als zuvor. Sie wusste nicht, was sie mehr aus der Fassung bringen sollte. Das Gespräch, das ihr bevor stand, oder die Tatsache, dass Tate damals wirklich an ihr gemeinsames Baumhaus dachte, als er nervös diesem Gremium gegenüber treten musste.
Als Tate noch ein letztes Mal über die Schulter blickte, warf er ihr sein typisches Tate Lächeln zu. Verschmitzt und schelmisch, als hätte er wieder etwas ausgeheckt. Carly atmete tief durch und erinnerte sich an die vielen Male, die er ihr dieses Lächeln geschenkt hatte, wenn sie wieder Blödsinn angestellt hatten.
Sie drehte sich herum und ging auf die Tür zu. Zaghaft klopfte sie an, obwohl die Tür bereits offen stand. Alle vier Köpfe erhoben sich und acht wachsame Augen musterten Carly eingehend und skeptisch.
Einer der Männer, er musste etwa so alt sein wie Avery, erhob sich. „Miss Havering, willkommen!“ „Sir, darf ich eintreten?“ „Natürlich!“ Er lächelte und machte auf Carly einen auf Anhieb sympathischen Eindruck. Sein kurzes dunkles Haar war genau das, was sich Carly bei Mitgliedern des Militärs vorgestellt hatte. Dennoch wirkte sein schmales Gesicht sympathisch. Als Carly vor den großen Schreibtisch trat, blieb sie kerzengerade stehen.
„Mein Name ist General Coleman, ich leite diese Einrichtung. Dies sind meine engen Vertrauten. Major Norris.“ Er deutete zu einer Frau mittleren Alters. Ihr dunkelblondes Haar war zu einem Dutt gebunden, aus dem nicht mal ein einziges Haar lose abstippte. „Captain Smith.“ Er nickte zu dem Mann gleich neben Major Norris, der um die vierzig sein musste. Doch Carly konnte es bei ihm aufgrund seiner kurzen Haare nicht richtig deuten. Sein Gesicht wirkte jung, faltenlos, dennoch hatte er einen Ausdruck in seinen Augen, der ihn irgendwie Weise erscheinen ließ.
„Und Master Sergeant Warren.“ Zum guten Schluss deutete General Coleman auf den blonden, jungen Mann auf der anderen Seite des Tisches, der gerade mal Mitte zwanzig war.
„Er wird dich mit deinen Kameraden ausbilden und begleiten. Auch im Falle von Problemen und Konflikten, kannst du ihn jederzeit um Rat bitten. Er ist nicht nur für eure Ausbildung, sondern auch für euer Wohlergehen zuständig.“
Wie beruhigend, dachte Carly sarkastisch. Ein Mann. Wie sollte dieser Jüngling auch nur annähernd helfen können, wenn sie pränatale Schwierigkeiten oder Schmerzen hatte? Ja sie wird ihn sicher nach einem Tampon fragen, dachte Carly nun bitter und begann dann tatsächlich ernsthaft darüber nachzudenken. Einfach nur als Joke und um sein dummes Gesicht zu sehen. Doch sie konnte sich nun ein Lächeln abringen. „Danke.“
„Wie ich hörte, haben Sie hier bereits Anschluss finden können. Da sich ihr Vater und Leutnant General Brewster auch privat sehr gut kennen, sind sie mit dessen Sohn vertraut, richtig? Tate Brewster?“
Carly nickte „Ja, bin ich.“ „Schön. Dann dürfte Ihnen ja der Einstieg nicht all zu schwer fallen. Sie erhalten in Kürze alle nötigen Informationen über Ihren Lehrplan von Master Sergeant Warren, ebenso wie den zu unterzeichnenden Regelkatalog, den jeder unserer Schüler unterschreiben muss. Dazu erhalten Sie einen genau strukturierten Tagesablauf, einige weitere Informationen über unser Gelände und für ein angenehmes Zusammenleben. Wenn Sie sich an eben das halten, werden Sie sich zügig einleben, da bin ich mir sicher.“
Schon jetzt wusste Carly nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Alles was sie hörte, waren Regeln und Strukturen. Ein Seil, das sich wie eine Schlinge um ihren Hals legte und langsam zuzog. Instinktiv musste Carly den Hals recken und wendete etwas den Kopf. „Danke Sir.“
General Coleman sah sie mitleidig an und lächelte sanft. „Auch mir ist das mit Ihrer Mutter zu Ohren gekommen und ich wollte Ihnen in diesem Fall mein herzliches Beileid aussprechen. Auch für Ihren Vater war dies ein entsetzlicher Verlust.“
In Carly verkrampfte sich alles. Ehe er sich weiter darüber auslassen konnte und Carly das Gefühl bekam ihm an die Kehle springen zu müssen, räusperte sie sich. „Sir, ich möchte nicht unhöflich erscheinen. Allerdings bin ich von der Reise wirklich erschöpft.“ „Natürlich. Leutnant General Brewster wird Sie zu ihrem Block bringen. Alles weitere folgt dann. Ich freue mich, Sie hier Willkommen heißen zu können und wünsche Ihnen viel Erfolg.“
„Danke, General Coleman.“ Carly nickte und hoffte, so schnell wie möglich raus kommen zu können. Nur ihr anerzogener Anstand veranlasste ihre Füße dazu, still stehen zu bleiben, statt einfach davon zu laufen und das Weite zu suchen.
Mit einem Nicken entließ er Carly endlich. Als sie das Büro verlassen hatte atmete sie tief ein und war froh draußen zu sein. Es war nicht dieses Gespräch an sich gewesen, vor dem sie zuvor ohnehin so nervös war. Es war die Tatsache, dass er den Tod ihrer Mutter angesprochen hatte. Als drücke man seinen Daumen in eine offene Wunde. Carlys Magen drehte sich und sie hatte wieder diesen dicken Kloß in ihrer Kehle. Wieder dachte sie, dass sie überhaupt nicht hier sein wollte. Sie wollte nicht bleiben. Es war grausam hier.
Langsam trottete sie die Gänge entlang, passierte ein paar Wache und war völlig in Gedanken versunken. Plötzlich verstellte ihr jemand den Weg und sie hob erschrocken den Kopf.
„Zutritt nur für Befugte.“ sagte der Mann in Uniform barsch.
Carly spürte wie ihre Wangen glühten. Sie sah sich um und stellte fest, dass sie sich in diesen verworrenen Gängen verirrt hatte. Das auch noch. Sie drehte betrübt um.
„Suchst du etwas?“ ertönte eine fremde Stimme nun.
Carly sah wieder auf. An der Ecke zu dem Gang, in den sie abgebogen war, stand eine junge Frau. Vielleicht ein Jahr älter als Carly selbst. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, der ihr locker über die Schulter hing. Sie trug eine Uniform. Ihre dunkelbraunen Augen lächelten warm. „Du bist neu, oder?“
Carly nickte. „Ja. Ich schätze ich habe mich ein wenig verlaufen.“ „Kein Problem. Wo musst du hin?“ „In den Eingangsbereich.“
Sie nickte. „Ich bringe dich hin.“ Nun hielt ihr die junge Frau die Hand entgegen. „Ich bin Rene. Private Rene Ward“ „Carly Havering.“
Rene machte die Augen schmal und nickte. „Komm, ich bringe dich runter.“
Mit einem Nicken folgte Carly ihr durch die vielen verschlungenen Gänge. „Bist du heute erst angekommen?“ fragte Rene schließlich, als sie die Gänge entlang gingen.
Carly nickte. „Mein erster Tag. Ich war gerade bei General Coleman.“
Rene lächelte seufzend. „Der dich dann höflich willkommen hieß und dir einen guten Start wünschte. Ja, ja. Für so etwas ist er da. Sonst bekommt man ihn praktisch nie zu Gesicht. Nur wenn er geschäftsmäßig über das Gelände reist, ich meine, wenn er denn dann da ist.“
Carly lächelte. Rene machte nicht den typischen, militärischen Eindruck. Eher lockerer, wofür Carly dankbar war.
„Du bist die Tochter von Major General Havering, richtig?“ fragte sie nun.
Carly nickte und wunderte sich ein wenig darüber, das Rene diesen Namen gleich damit verbinden konnte. Sie warf Rene einen fragenden Blick zu.
„Ach.“ Rene machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es wird geredet, wenn Neue kommen. Besonders, wenn sie von Hochrangigen sind.“
„Hochrangig?“ Carly runzelte die Stirn. „Ich wusste nicht, das mein Vater so bekannt ist“.
Nun sah Rene sie ihrerseits fragend an. „Moment, machst du Witze? Dein Vater hat unzählige Auszeichnungen.“ „Mag sein.“ Carly zuckte die Schultern. Sie wollte gar nicht über ihren Vater sprechen. Sie war noch immer zu wütend auf ihn. Sie wusste, dass ihr Dad einen guten Rang schmückte, aber dass er so bekannt war, hatte sie nicht geahnt. Das auch noch. Jetzt wurde sie womöglich noch dank ihm als Snob abgestempelt.
„War einer deiner Eltern auch bei der Army?“ wollte Carly nun wissen, da ihr Tate mal erzählt hatte, dass fast nur Kinder mit guten Kontakten her kamen.
„Air Force“ sagte Rene nun und ihr Blick wich ab.
Carly bekan ein ungutes Gefühl. Vielleicht ließen sie das Thema Eltern besser weg. Doch dann fuhr Rene fort. „Er ist mit seinem Falcon abgestürzt, als sie von den Feinden überrascht wurden.“
Carly nickte beklommen. Ein das Tut mir leid, lag ihr auf der Zunge. Doch sie verkniff es sich. Sie selbst hasste diesen Satz, hatte ihn in den vergangenen zwei Monaten schon viel zu oft gehört.
„Er war sicher ein mutiger Kämpfer.“ murmelte sie stattdessen. „Es muss schwer sein.“ „Ja.“ Rene seufzte. „Ich vermisse ihn sehr. Ich habe ihn schon immer bewundert.“ Nun zuckte sie die Schultern. „Deswegen möchte ich selbst zur Air Force, wenn ich alt genug bin.“
Carly sah sie überrascht an. „Wirklich?“ „Ja.“ Rene lächelte. „Mein Dad hat immer davon geschwärmt, wie es ist zu fliegen. Diese Freiheit, oben über den Wolken.“ „Bist du mal geflogen?“
Gerade als Rene antworten wollte, fanden sie sich vor dem Absatz einer Treppe wieder. Sie waren im Eingangsbereich angekommen und Carly hatte es kaum bemerkt. An der Rezeption wartete Conleth bereits auf Carly und winkte ihr zu. Rene sah Carly lächelnd an. „Das erzähle ich dir ein anderes mal. Wir sehen uns sicher noch mal.“
Carly nickte. „Ja und... danke!“
Rene ging die Treppe hinauf und winkte ihr noch mal zu ehe sie verschwand. Dann eilte Carly zu Conleth rüber. Conleth schmunzelte. „Lass mich raten, du hast dich verlaufen?“ Carly spürte wie ihr peinlich berührt die Wangen glühten. Sie zuckte unschuldig die Schultern. Sich raus zu reden, hatte ohne hin keinen Zweck.
„Scheint wohl so.“ „Du wirst dich hier noch zurecht finden.“ Carly wurde etwas nervös, da sie keine Ahnung hatte, was sie nun in ihrem Zimmer erwarten würde.
„Können wir?“ Conleth lächelte sie an.
Nein, hätte Carly am liebsten gesagt. Sie wollte nach Hause zurück. Doch vorerst würde es keinen Weg zurück geben. Im Moment blieb ihr keine andere Wahl, als all das über sich ergehen zu lassen.