Читать книгу Zerbrochene Seelen - Kim Mevo - Страница 13
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ОглавлениеLandon setzte sich an seinen Platz und wartete, dass auch die anderen dazu kamen. Sicher würde Bahira ebenfalls nicht mehr lange im Bad brauchen. Jona fuhr seine Playstation herunter. Während er alles zusammen räumte, bewegten sich die anderen schon zum Tisch rüber und nahmen Platz. Landon warf Laurena einen abschätzigen Blick zu. Sie stand als einzige am Rand und weigerte sich scheinbar, Platz zu nehmen. Er ahnte schon, was der Grund dafür war und schnaubte. „Würdest du dich bitte auch setzen?“
„Glaubst du wirklich, dass das nötig war?“ Zischte sie.
Landon kam nicht umhin mit den Augen zu rollen. „Desto eher sie von ihrem Rebellen Trip runter ist, desto besser fürs Team.“
Laurena schnaubte. „Herr Gott, was hast du denn erwartet? Ich denke, dir ist ebenso zu Ohren gekommen, was passiert ist.“
„Ja, ist es. Deswegen werde ich sie nicht mit Samthandschuhen anpacken.“
„Ihre Mutter ist erst vor kurzem gestorben und ihr benehmt euch wie die letzten Arschlöcher. Bahira genauso wie du.“
„Soll ich dir sagen, was mein Problem ist? Willst du das wirklich wissen?“ Knurrte Landon nun. „Das dieser Platz jetzt für jemanden belegt wird, der nicht mal hier sein will. Diese Akademie ist für Schüler, die ihr Leben dem Militär widmen wollen, die dort Kariere machen wollen. Und diese Carly ist definitiv keiner davon.“
„Gib ihr doch wenigstens die Zeit sich hier einzugewöhnen.“
Landon schnalzte „Wozu? Du hast sie gehört. Sie ist eh bald wieder weg.“
Laurena schnaubte erneut wütend. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt.
„Was glaubst du, wo du hin gehst?“ Rief er ihr nach.
„Raus. Mir ist der Appetit vergangen!“ Waren ihre letzten Worte, ehe sie die Tür hinter sich zu warf.
Am Tisch herrschte betretenes Schweigen. Die Stimmung war mit einem Mal so drückend geworden, dass niemand den Versuch unternahm, ein anderes Thema zu starten. Nicht mal, um abzulenken oder die Laune etwas aufzulockern.
Vielleicht mochte Ena Recht haben. Vielleicht waren Bahira und er zu hart gewesen. Andererseits war es genau das, hier an der Akademie. Es war hart. Nun erinnerte sich Landon an seine Anfangszeit zurück, als er zur Akademie kam. Das war vor gut drei Jahren. Er hatte ebenso wenig hier sein wollen. Aber Landon hatte sich eingefunden. Nicht zuletzt, weil er gute Freunde an seiner Seite hatte, wie Jona und Siljan, und weil er ein Ziel vor Augen hatte. Das machte es ihm wesentlich leichter. Aber er hatte auch nicht gleich so auf die Kacke gehauen, wie es Carly jetzt tat. Das hätte er sich nie gewagt.
Landon war erleichtert, als Bahira endlich den Raum betrat und sie das Abendbrot starten konnten. Diese begann schließlich drauf los zu plappern und ein Gespräch in Gang zu bringen. Dennoch schwirrten Landon viele Gedanken durch den Kopf. An seine Anfangszeit und daran, dass es Carly wohl bedeutend schlechter mit ihrem Los ging. Sie war nicht nur, in die Akademie gesteckt worden, sie hatte auch noch ihre Mutter verloren. Und als würde das nicht reichen, riss sie ihr Vater völlig aus allen Gewohnten und Bekanntem heraus, das Carly Halt geben konnte.
Und nun verspürte Landon doch so etwas wie Mitleid für sie. Womöglich waren sie doch zu hart zu ihr gewesen. Und er bereute es ein wenig. Aber wie sollte er das wieder gut machen können?
Carly kauerte noch immer vor ihrem Bett und hatte sich einen Zeichenblock und einen Bleistift aus ihrer Tasche gekramt. Etwas planlos kritzelte sie herum. Das Zeichnen hatte ihr oft dabei geholfen, einen klaren Kopf zu bekommen. Ein Ausgleich zum Joggen, wenn die Tage viel Regen mit sich brachten. Mittlerweile war es kurz vor elf und im Haus war es ruhig geworden. Nicht zum ersten Mal am Abend dachte Carly darüber nach, ihre Sachen zu packen und abzuhauen. Irgendwie erschienen ihr jetzt selbst vier Wochen wie eine ewig lange Zeit.
Zuvor war Jona zu ihrem Zimmer gekommen. Als sie auf sein Klopfen nicht geantwortet hatte, stellte er ihr stumm einen Teller mit zwei Broten ins Zimmer und ging wieder. Doch er hatte sie nicht mal eines weiteren Blickes gewürdigt. Sie hatte gesagt, sie würde nichts essen, und dann tat sie es auch nicht. Sie brauchte ihr Beileid nicht. Sie brauchte niemanden von ihnen. Bahira und Landon hatten Carly nur zu deutlich gezeigt, dass sie hier fehl am Platz war. Dass sie hier war, war Zeitverschwendung.
Stumme Tränen rannen über ihr Gesicht. Wieder wünschte sie sich, die Nacht rückgängig machen zu können, in der ihre Mutter gestorben war. Carly wünschte, sie hätte ihre Mutter niemals angerufen. Wäre selbst gefahren. Und wenn sie selbst gestorben wäre, alles, nur ihre Mom sollte wieder da sein und leben. Ob sie Tod wäre, oder mit ihrer Mutter an ihrer Seite, dann müsste sie sich dem hier zumindest nicht aussetzen. Carly wusste das ihr eine harte Zeit bevor stehen würde. Und sie würde nicht zum ersten und zum letzten Mal darüber nachdenken, ihre Sachen zu packen und den nächsten Flughafen auszusuchen.
Sie hatte sich sogar schon Pläne gemacht, wie es weiter gehen sollte. Zu ihrem Vater würde sie nicht mehr gehen. Nie wieder. Er würde sie bloß zurück bringen wollen. Sie wäre seinem, noch schlimmer enttäuschtem Blick, ausgeliefert. Schlimmer als der, der ihr signalisierte, dass sie an allem Schuld war. Daran das ihre Mom Tod war. Nein, es würde schlimmer werden und sich mit der Anklage vermischen, dass sie seinen Ruf ruiniert hatte. Der, der ihm so unglaublich wichtig war. Wichtiger als seine eigene Tochter.
Als Carly etwas an ihrem Fenster klicken hörte, erschreckte sie sich und horchte auf. Dann klickte es erneut. Langsam legte sie den Block und den Stift beiseite und stand auf. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Fenster und schob den Vorhang zur Seite. Unten im Schatten der Bäume stand eine schwarze Gestalt. Sie winkte Carly zu. Vorsichtig öffnete sie das Fenster.
„Carly!“ Rief der Schatten Carly flüsternd zu.
Nun erkannte sie die dunkle Gestalt und runzelte verwirrt die Stirn. „Was machst du hier?“
„Dich besuchen.“ Tate kicherte. „Komm runter.“
Carly sah sich etwas bang um. „Dürfen wir das denn?“
Tate lachte. „Seit wann hältst du dich denn an Regeln?“
Carly schürzte die Lippen. Wo er recht hatte.
Sie nickte. „Warte da!“
Schnell machte sie das Fenster wieder zu und schlüpfte in ihre Schuhe. Nach dem ersten Schritt dachte sie darüber nach und zog sie wieder aus. Auf Schuhen würde sie sicher mehr Lärm machen und alle wecken. Also schlich sie auf Socken die Treppe herunter und blieb nach jedem zweiten oder dritten Schritt stehen und lauschte. Sie war erleichtert dass die Stufen nicht aus Holz waren. Das hatte es ihr in ihrem Haus damals schon schwer gemacht, sich raus zu schleichen. Besonders, wenn ihr Vater im Haus war. Er hatte Ohren wie ein Luchs. Hoffentlich war das bei den anderen Bewohnern des Hauses anders.
Als sie endlich die Haustür erreicht hatte, legte sie langsam die Hand auf die Türklinke. Innerlich betete sie, dass sie niemand bemerkte und dass auch Tate zuvor niemand außer ihr gehört, oder gesehen hatte. Ganz vorsichtig öffnete sie die Tür und trat hinaus. Sie lehnte die Tür nur an, damit sie später wieder rein kam. Dann sah sie sich um. Vielleicht etwas spät, dachte sie. Also ein Geheimagent könnte sie wohl so nie werden.
Schnell huschte sie zur Hausecke. Kräftige Hände packten sie und rissen sie in den Schatten. Gerade als sie erschrocken auf keuchen wollte, presste Tate seine Hand auf ihren Mund. Mit der anderen signalisierte er ihr, keinen Mucks zu machen und sah vorsichtig über die Straße. Dann atmete er auf und nahm Carly in den Arm.
Seine Hand strich beruhigend und tröstend über ihren Rücken und zum ersten Mal seit Wochen, fühlte sich Carly aufgefangen, geborgen. Tate nahm sie so in den Arm, wie er es früher immer getan hatte, wenn es Carly schlecht ging. Er hielt sie fest und gab ihr ein stummes Versprechen. Das bald alles wieder gut werden würde. Carly kämpfte mit den Tränen.
Doch dann löste er sich und deutete über den Rasen. „Komm mit. Wir gehen wo anders hin.“
Carly ließ sich von ihm über den Rasen führen und folgte ihm ein paar gewundene Straßen entlang, bis sie das Ufer eines Flusses erreichten. Dort gingen sie noch eine Weile, ehe sich Tate an einen Baum setzte. Er sah Carly erwartungsvoll an. Dann zog er rasch seine Jacke aus, breitete sie neben sich aus und klopfte darauf. „Komm, setzt dich.“ Er redete wieder in normaler Lautstärke. Weit und breit waren keine Wohnhäuser, oder Wohnungen zu sehen. Sie waren wohl in Sicherheit und Carly ließ sich entspannt neben ihn sinken.
Erneut legte Tate den Arm um sie und zog sie an sich. „Ich war heute Mittag gar nicht dazu gekommen, dich richtig zu begrüßen. Major Sergeant... ähm, Dad, hätte das sicher nicht so gerne gesehen.“
Carly sah Tate überrascht an. „Musst ihn hier so nennen? Ich meine, bei seinem Dienstgrad?“
Tate nickte glucksend. „Ja, bescheuert, was?“
„Ja, ziemlich. Dann muss ich das wohl demnächst auch tun.“
Tate seufzte. „Ja, ja. All diese Regeln. Ist ziemlich viel, woran man sich gewöhnen muss, was? Sie haben die Pflicht, alle Ranghöheren Mitglieder des Militärs bei Rangnamen und mit entsprechender Geste zu begrüßen.“
Das hatte er wohl aus dem dicken Packen des Regelwerks zitiert, doch Carly war sich nicht sicher. Schließlich hatte sie es nicht gelesen. Sie zuckte bloß mit den Schultern.
„Ja, ziemlich viel.“
Nun war es ihr vor Tate irgendwie unangenehm, es nicht gelesen zu haben. Sie fühlte sich dumm und kindisch. Zu stur. Tat streichelte mit der Hand über ihren Oberarm, so als habe er Sorge, sie könnte frieren.
„Wie geht es dir?“
Carly sah zu ihm auf und schürzte die Lippen. Sie konnte ihm keine ehrliche Antwort geben. Ihm nicht erklären, wie beschissen sie es hier fand, etwas das er so gerne mochte. Er war so stolz gewesen, damals, als sie sich auf dem Geburtstag wieder gesehen hatten. Er hatte von fast nichts anderem erzählt.
Tate legte den Kopf zur Seite und sah zu Boden. „Das mit deiner Mom... es ist furchtbar. Sie war toll.“
Carlys Brust zog sich zusammen. Wieder spürte sie diese innere Barriere in sich. Die, die sie daran hinderte darüber zu sprechen.
„Ich weiß noch, wie sie uns immer Kekse gebacken hat, wenn ich bei euch zum Spielen war.“ Tate lächelte traurig.
Carly antwortete nicht. Tate schien zu spüren, dass sie nicht bereit war, darüber zu sprechen. Also wechselte er das Thema.
„Mit welchem Fachgebiet wirst du anfangen? Weißt du das schon?“
Carly nickte. „US Army“
„Cool.“ Er nickte. „Aber besser sind die Marines. Da hat man viel mehr Möglichkeiten.“ Da fiel Carl wieder etwas ein, das Laurena zuvor gesagt hatte.
„Muss ich dazu etwas Bestimmtes absolvieren?“ Sie sah Tate neugierig an.
Tate runzelte die Stirn. „Absolvieren?“ „Ja. Laurena sagte eben so was. Dazu bräuchte man etwas, bevor man das macht. Und Landon sagte, das würde ich dann dort machen.“ „Ach so.“ Tate seufzte. „Einen Waffenschein. Allerdings vorerst einen kleinen. Sie dürfen uns noch nicht alles zeigen. Schutzgesetz und so.“
„Einen Waffenschein?“ Carly sah Tate ungläubig an. „Ich soll schießen?“
Tate grunzte. „Keine Sorge. Nur auf Zielscheiben. Ist alles noch ziemlich harmlos. Und bei USM werden sie euch die Waffen bloß vorführen.“ „Wo ist der Unterschied?“ „Bei USM ist eine größere Waffenvielfalt gegeben. Sind zum Teil wesentlich kraftvoller.“
Carly nickte. „Wofür hast du dich damals entschieden?“
Tate zog die Lippen kraus. „DEA oder Marines.“
Carly sah ihn verblüfft an. „Wow!“
Er zuckte die Schultern. „Ja, ist aber noch ein langer Weg, egal welches der beiden Ziele ich letztendlich auswähle.“
Carly sah ihn eine Weile an. „Du willst wirklich eine Zukunft beim Militär?“
Tate schürzte die Lippen. „FBI oder S.W.A.T. würden mich sehr reizen. Ebenso eine Kariere beim Geheimdienst, als Spion.“
Carly schnaubte. „Das ist ziemlich gefährlich.“ „Ja, aber alle Berufe hier sind das. Es sei denn, du möchtest einen soliden Job in einem der Büros. Man kann ebenso gut ins Ministerium. Pentagon.“ Tate zuckte die Schultern. „Aber das wäre nichts für mich. Oder zum Nachrichtendienst dort. Ein Bürostuhlpupser.“ Er grinste. „Ich muss etwas tun. Brauche Action.“
Carly biss sich auf die Unterlippe. Ihr Magen tat ihr weh und sie verschränkte instinktiv die Arme davor, als wolle sie ihn davor hindern, zu knurren. Wenn sie Tate so ansah, konnte sie ihn sich sehr gut bei einem Sondereinsatzkommando vorstellen, auch wenn es ihr einen Stich versetzte und leichte Angst in ihr aufkam. Er könnte sterben. Die Einsätze waren oft nicht ungefährlich. Sich selbst konnte sich am aller wenigsten dort vorstellen. Egal wo, in diesem Bereich.
Nun knurrte ihr Magen doch und sie presste ihren Arm fest auf ihren Bauch. Tate sah sie lächelnd an. „Hast du wieder Hunger?“
Es war ihr etwas unangenehm, ihm zu gestehen, dass sie gar nichts gegessen hatte. Also nickte sie verlegen. „Ja, ich hatte nicht so großen Appetit beim Abendessen.“ „Kann ich gut verstehen. Das muss alles ziemlich viel für dich sein.“
Er rutschte etwas herum und kramte in seiner Hosentasche. Carly beobachtete ihn dabei. Schließlich holte er Kaugummis hervor und bot ihr einen an. „Ist nichts Richtiges, um den Hunger zu stillen. Aber immer hin kaut man und gaukelt dem Magen etwas vor, so dass der Hunger nicht mehr all zu groß ist.“
Carly schüttelte verlegen den Kopf. „Nein, danke.“
Tate seufzte. „Carly.“
Nun hielt er einen Moment inne. Ihm ging scheinbar etwas durch den Kopf, dass ihm keine Ruhe ließ. Er sah über das Wasser, das wild seinen Weg entlang rauschte. Dann sah er zur anderen Seite rüber. Das Flussbett war ziemlich breit. Auf der anderen Seite war ein großer Wald.
Nun atmete er leise ein und aus, ohne sie anzusehen. „Ich weiß, dass der erste Abend nicht so war, wie man es sich als Neuling wohl wünschen würde.“
Carly blinzelte und wusste nicht genau, worauf er hinaus wollte. Schließlich sah Tate sie an. „Ich habe mit Ena gesprochen. Du hattest einen ziemlich beschissenen Start, was?“ Nun spürte Carly einen dicken Kloß in ihrer Kehle. Doch sie kämpfte ihn mit Wut wieder weg. „Spionierst du mir nach?“
Sie rückte von ihm ab. Tate sah sie etwas verblüfft an. „Was? Nein...“
Ihm fehlten für einen Moment die Worte. „Ich habe mir Sorgen gemacht und mich nach dir erkundigt. Das ist alles.“
Carly schnaubte und löste sich unter seinem Arm heraus.
„Sorgen?“ „Ist das so undenkbar?“ „Wenn du so besorgt wärst...“
Carly hielt inne. Wenn er so besorgt wäre, wenn er sich wirklich um sie scheren würde, hätte er sich in den letzten Jahren zumindest hin und wieder mal gemeldet, dachte sie. Zumindest nach dem Tod ihrer Mutter. Auch wenn sie nicht darüber hätte reden wollen, aber zumindest hätte sie gewusst das er für sie da ist. So wie früher. Aber er war nicht da. Es war nicht wie früher. Und sicher würde es auch nie wieder so werden. Carly stand auf und klopfte sich die Hose ab. Die Feuchtigkeit war durch die Jacke gezogen und ihre Hose war leicht klamm.
„Carly, jetzt warte doch mal!“ Tat sprang ebenfalls auf und hielt sie am Handgelenk fest. „Rede mit mir.“ „Wozu? Damit du dann wieder einfach verschwinden kannst und dich nicht mehr meldest?“
Tate sah sie sauer an. „Darüber haben wir geredet und du hast dich ja auch nicht gemeldet.“
Carly zog ihre Hand zurück. Tate seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkles Haar. „Du solltest mit jemandem über das reden.“
„Über das?“ Konnte er den Tod ihrer Mutter nicht mehr benennen? Das machte Carly aus irgendeinem Grund noch wütender. „Sie ist Tod, Tate. Sie ist tot und es ist meine Schuld. Und genau deswegen, hat mich Dad her geschickt. Um mich dafür zu bestrafen.“
Tate sah Carly entrüstet an. „So siehst du das? Als Bestrafung?“ „Mal im Ernst, Tate. Kein Vater, der sein Kind liebt, schickt es nach dem Tod der Mutter weg, oder? Besonders nicht hier hin.“ „Er wollte dir eine großartige Möglichkeit bieten.“
„Großartige...?“ Carly schüttelte heftig den Kopf. „Das bin ich nicht, Tate. Ich gehöre nicht hier her, ok? Es ist furchtbar hier. Ich bin nicht der Typ, der sich Vorschriften machen lässt und schon mal gar nicht so enge, wie diese hier. Und mein Vater weiß das.“ „Du gewöhnst dich daran.“ „Ich will mich nicht daran gewöhnen!“ „Und genau das ist das Problem“, brummte er schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust.
Nun standen sie stur und schweigend voreinander. Vielleicht mochte Tate das alles ja. Er war sicher jemand, der große Karriere hier machen würde. Doch Carly wusste, dass sie das von sich nicht behaupten konnte. Sie gehörte einfach nicht hier her. Plötzlich hörte Carly Tate seufzen.
„Es tut mir leid. Ok? Das ich dich nicht angerufen habe, nachdem ich das erfahren habe. Ich... ich wusste nicht, was ich dir sagen sollte. Das es mir leid tut? Will man das überhaupt hören? Ich denke, ich würde das nicht wollen und so wie ich dich kenne, du auch nicht.“ „Was weißt du schon noch über mich?“ flüsterte Carly und konnte nicht weiter gegen den Kloß in ihrer Kehle ankämpfen, der ihre Tränen ankündigte. Oder das Brennen in ihrer Brust. Es musste raus. Tate kam auf sie zu, nahm ihre Hand, diesmal sanft. „Ich weiß, dass du eine Kämpferin bist, Carly. Und es macht mich echt fertig, dich so zu sehen. Du redest nicht. Du verweigerst dich gegen alles. Selbst gegen Freude, gegen mich!“ „Sind wir das denn noch?“ flüsterte sie heißer.
Tate stieß den Atem aus und nahm sie in den Arm. „Natürlich. Ich hab dich lieb, Ly.“ Nun platzte in Carly endgültig ein Knoten und sie schluchzte laut an seine Brust.
Es war Jahre her, das Tate sie das letzte Mal so genannt hatte. Das waren die Spitznamen, die sie sich früher gegeben hatten. Te und Ly, zusammen gesetzt aus dem Anfangs und Endbuchstaben ihrer Namen. Gemeinsam waren sie Tely. Irgendwann hatten sie sogar ihre Eltern so gerufen. Tely, kommt, essen ist fertig. Carly erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen. Tate hielt sie fest im Arm, während Carly weinte und streichelte beruhigend und tröstend über ihren Rücken. So nahe waren sie sich seit Jahren nicht mehr gewesen. Und Carly spürte, wie sehr es ihr gefehlt hatte. Wie sehr sie Tate vermisst hatte. Diese Verbundenheit zwischen ihnen, diese Vertrautheit. Er hatte ihr immer Halt gegeben und sie wieder zum Lachen gebracht. Wenn Tate bei ihr war, war die Welt wieder in Ordnung.
Als sich Carly wieder ein wenig beruhigt hatte, flüsterte er an ihr Ohr. „Alles wird wieder gut. Ich helfe dir, wenn du mich lässt.“
Carly rümpfte die Nase und sah zu ihm auf. „Geh nie wieder einfach weg!“
Tate lächelte traurig und nickte. „Ich verspreche es.“
Er hielt sie noch lange im Arm. Dann setzten sie sich gemeinsam wieder auf seine Jacke, Arm in Arm, so wie sie es früher schon immer getan hatten und redeten über alle möglichen Dinge. Carly erzählte von ihrer Schule, in ihrem alten Heimatort und ihren Freundinnen. Tate erzählte von seiner Anfangszeit in der Akademie und was es ihm erleichtert hat, Fuß zu fassen. Denn auch ihm war es damals nicht leichtgefallen, her zu kommen. Sie redeten so viel, das beide völlig die Zeit vergaßen. Genau so wie früher.