Читать книгу Zerbrochene Seelen - Kim Mevo - Страница 12
10
ОглавлениеCarly saß alleine in ihrem Zimmer auf dem Holzbett, das ein wenig quietschte, sobald sie sich bewegte. Sie zog die Beine an ihren Körper und sah sich in dem Zimmer, in dem sie nun für die nächste Zeit leben musste, um. Den Koffer und ihre Tasche hatte sie nicht ausgeräumt. Es würde sich nicht lohnen, hatte sie beschlossen. Trotzdem hatte sie zuvor einen Blick in den Schrank geworfen und zwei Uniformen in ihrer Größe entdeckt. Carly fragte sich, ob sie diese tragen musste, wenn sie den Unterricht besuchte. Auch Sportkleidung hatte sie in drei Ausführungen gefunden. Sie lagen ordentlich gefaltet in einem der Fächer. Dazu ein Paar passende Sportschuhe.
Ihr Blick fiel auf den Packen Unterlagen, die sie bei Bahira hatte unterschreiben müssen. Sie lagen etwas unsortiert auf dem Schreibtisch. Sicher stand darin etwas, bezüglich der Uniformen und dem ganzen Kram. Doch es interessierte Carly nicht. Beachtete sie die Regeln und Vorschriften nicht, würde sie sicher schnell raus fliegen.
Ein kleiner Stich breitete sich in ihrer Brust aus. Wenn sie hier raus flog, würde das sicher auf ihren Vater und Conleth zurück fallen, die beide wohl hoch angesehen waren. Man würde sich hier sicher den Mund über die rebellische Tochter des Major General zerreißen, die scheinbar keine gute Erziehung genossen hatte. Ein hoch angesehener Mann, der zu Hause zu inkompetent war, seiner Tochter Manieren beizubringen.
Carly verspürte ein wenig Reue dafür. Und dennoch würde sie ihren Plan durchziehen. Das hatte ihr Vater davon, dachte sie schließlich. Er hätte sie eben nicht einfach hier hin abschieben sollen. Er war es selbst schuld. Fast so, als wolle er, dass Carly ihn anprangerte und zum Gespött machte. Carly verzog die Lippen bei diesen Gedanken. Zum Gespött. Sie wusste wie viel ihrem Vater sein Ansehen wert war. Es war gemein. Trotzdem wollte sie um keinen Preis drei Jahre in der Akademie verbringen. Sechs Wochen war das Maximum aller Gefühle.
Es klopfte an ihre Tür. Carly seufzte innerlich. Ob Bahira noch etwas eingefallen war, über das sie Carly belehren wollte? Auch wenn Bahira höflich und sachlich war, Carly wusste, dass Bahira sie nicht mochte.
„Herein“ rief Carly etwas mürrisch.
Ein Mädchen mit blonden Locken die zu einem Zopf gebunden waren, steckte den Kopf zur Tür herein.
„Hi, ich wollte mich mal vorstellen.“
Nun schob sie die Tür weiter auf und trat langsam ein. Carly musterte den großen, aber zierlichen Körper des Mädchens und schob sich zur Bettkante.
„Ich bin Laurena. Aber alle sagen Ena zu mir“ sagte das Mädchen nun lächelnd und musterte Carly.
Carly nickte zögerlich. „Carly,.“
Sie zuckte die Schultern, denn für ihren Namen gab es keine Abkürzung.
„Schön!“
Das Mädchen schlang die Arme um ihren Körper, schien die kühle Distanz ebenfalls zu spüren, die nur sehr zäh ein Gespräch zuließ. Einen langen Moment stand sie schweigend da und schien sich selbst unsicher zu sein, wie sie ein Gespräch beginnen sollte.
Dann deutete sie mit dem Daumen über die Schulter. „Hör mal, die anderen sind auch alle da. Vielleicht magst du... magst du ja mit runter kommen und dich mal vorstellen?“ Kein Interesse, dachte Carly. Umso weniger sie sich an die anderen hier gewöhnte, umso leichter würde der Abschied in spätestens sechs Wochen werden. Carly zuckte bloß sie Schultern.
Laurena schürzte die Lippen. „Es wird dich schon keiner beißen.“
Nun rang sie sich ein Lächeln ab. Carly wollte kein totales Arschloch sein, also stand sie langsam vom Bett auf.
Laurena lächelte, diesmal aufrichtig erfreut. „Du wirst sie mögen. Wir haben eine tolle Wohngemeinschaft. Die Jungs sind ein wenig verrückt.“ Sie tippte sich an die Schläfe. „Aber wirklich nett. Man lernt sie zu mögen.“
Etwas unmotiviert folgte Carly Laurena nach unten, in den Gemeinschaftsbereich. Zu ihrer Überraschung war der tatsächlich ziemlich lebhaft. Carly hatte davon auf ihrem Zimmer nichts mitbekommen.
Ein Mädchen und drei Jungs saßen auf der großen Couch. Sie spielten ein Rennspiel, das über den Fernseher zu sehen war. Carly konnte nicht genau sagen, welche Konsole es genau war. Zumal sie sich damit ohne hin nicht gut auskannte. Bahira saß mit zwei anderen am Tisch, ein Junge und ein Mädchen. Währenddessen stand ein weiterer Junge in der Küche und schien das Abendessen vorzubereiten. Er schnibbelte fleißig Gemüse und briet zeitgleich, dem Geruch nach zu urteilen, Eier an.
„Dann können wir das doch aufteilen.“ schlug der Junge nun vor, der mit Bahira am Tisch saß.
Bahira sah ihn skeptisch an. „Aufteilen?“
„Sonst wird es in der Zeit knapp“ sagte er erneut.
Bahira schüttelte entschieden den Kopf. „Derjenige, der es vermasselt hat, kann gefälligst zusehen, dass er das wieder in Ordnung bringt!“
„Was ist denn los?“ fragte Laurena nun.
Bahira und die anderen beiden, sahen zu ihr auf. Erst jetzt bemerkten sie auch Carly. Doch Bahira schenkte ihr wenig Beachtung. „Julia hat nicht genügend Brot mitgebracht. Jetzt müssen wir zusehen, wie wir bis Freitag hinkommen.“
Das Mädchen, das mit am Tisch saß, ließ schuldbewusst den Kopf hängen. „Es tut mir leid, ich habe mich verzählt.“ „Du weißt, dass wir bis Freitag nichts mehr bekommen. Und du wusstest, dass wir einen Neuzugang bekommen. Kannst du neuerdings nicht mehr zählen?“ fuhr sie Bahira nun an.
Carly fühlte sich mit einem Mal unwohl. Bahira war wohl nicht nur zu ihr so kühl und ätzend bestimmend. Aber gleichermaßen spürte sie nun auch Wut in sich aufkommen und konnte sich ein Schnalzen nicht verkneifen. „Sie hat einen Fehler gemacht. Sie ist schließlich auch nur ein Mensch.“
Plötzlich wurde es im Raum so still, wie auf einem Friedhof. Sogar die Gruppe von der Couch stoppte ihr Spiel und fuhr herum. Es war, als habe Carly eine Todsünde begangen. Bahira funkelte Carly wütend an. „Privat Havering, dann schätze ich, du verzichtest diese Woche auf dein Essen, zugunsten der Gruppe?“
Das war lächerlich und doch machte es Carly so wütend, dass sie eine Faust ballen musste. Es war ungerecht. Was oder wer gab Bahira das Recht, so mit den anderen umzugehen? Allem Anschein nach, nahm sie ihre Position ziemlich wichtig, viel zu wichtig für Carlys Geschmack.
Carly verschränkte sie Arme vor der Brust und zuckte die Schulter. „Von mir aus.“ Bahira und Carly lieferten sich ein Blickduell, eisig und so drückend, dass es greifbar wurde. Keiner der beiden sah weg. Carly war zu stur und zu stolz, Bahira diesen Sieg zu geben. Auch wenn er auch noch so winzig und eigentlich wirklich affig war. Bahira schnaubte schließlich und nickte mit einem überheblichen Lächeln. „Schön. Dann decken wir eben für einen weniger auf.“
„Bahira, du kannst ihr nicht die Mahlzeiten im Haus absprechen“, fuhr ihr einer der Jungs dazwischen.
Bahira warf ihm einen funkelnden Blick zu. „Sie hat selbst eingestimmt. Dann bekommt unser Neuling eben einen Crashkurs in Sachen Gruppenzusammenleben.“ Nun sah sie zu Carly. „Und Gehorsam.“
Diese Sache mit dem Verweigern des Essens, hatte Carly damals schon Mal gemacht. Es war eine Phase, die ihre Mutter fast in den Wahnsinn trieb. Sie hatte drei Tage nichts gegessen, weil sie eine Geburtstagsparty nicht besuchen durfte. Das war vor ungefähr einem Jahr. Alle aus Carlys Klasse durften hin gehen, bloß Carly mal wieder nicht. Das ging so lange, bis sie den Spieß umdrehte und ebenfalls nichts mehr aß, bis Carly es wieder tat. Das war ziemlich gemein. Ihre Mutter wusste wie lieb Carly sie hatte und nicht wollte, dass sie so litt. Das war ihr bestes Beispiel dafür, Carly zu zeigen, wie es ihr damit ging. Danach machte Carly so was nie wieder. Naja, bis jetzt.
Da würde sie wohl mal eine Ausnahme machen. Bahira wollte sie herausfordern? Bitte, sie hatte wohl keine Ahnung wie stur Carly sein konnte. Das hatte ihren Vater schon oft verzweifelt. Für einen Moment dachte Carly darüber nach, ob sie ein furchtbarer Teenager war. Doch dann stand Bahira auf und zuckte die Schultern. „Damit hat sich das Thema ja dann erledigt. Ich gehe mich jetzt duschen. Wenn ich fertig bin, wird gegessen.“
Sie stolzierte an Carly vorbei in den Flur. Kaum dass sie weg war, sah Laurena Carly entrüstet an. „Tu das nicht. Auf keinen Fall!“.
Carly winkte ab. „Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme klar, auch mit nur einer Mahlzeit am Tag.“ „Nein“, Laurena schüttelte den Kopf. „Nein, ich meine nicht das Essen. Fordere Bahira nicht heraus, glaub mir. Sie ist ein verdammt langatmiger Stratege.“ „Schön. Mhh, ich glaube, so nannte mich mein Vater auch mal“, erklärte Carly desinteressiert.
Jemand von der Couch gluckste. Der Junge mit dem dunkelblonden Haar, das beinahe ganz kurz rasiert war, grinste Carly breit an. „Ich mag dich jetzt schon.“
„Mika!“ Laurena sah ihn tadelnd an.
Dieser drehte sich wieder zum Fernseher herum und führte das Spiel weiter. „Sie ist rebellisch. Das wird sicher noch interessant und witzig.“
Julia saß noch immer schuldbewusst am Tisch und sah Carly traurig an. „Es ist meine Schuld. Bahira hatte recht...“
Ihr braunes, glattes Haar war noch feucht und zu einem Zopf geflochten, der über ihre Schulter hing. Sie muss nach der Schule noch duschen gewesen sein.
Carly schnaubte. „Jeder macht doch mal Fehler.“ „Ja, aber nur der kleinste Fehler betrifft das ganze Team. Und ich wette, Bahira grübelt gerade darüber nach, wie sie es weiterhin so auslegen kann.“
„Was soll das heißen? Das sie euch dafür mit bestraft?“ Carly runzelte die Stirn.
Stille breitete sich im Raum aus. Scheinbar hatte sie damit recht. Aber wieso sollte Bahira den Rest ebenfalls dafür bestrafen, dass Carly ihr widersprochen hatte? Das war ungerecht.
Laurena seufzte. „Naja, wie dem auch sei. Also... ich stelle dich mal vor. Unser heutiger Koch ist Siljan.“
Der Junge mit dem dunkelbraunen, zotteligen Haar das ihm bis zum Kinn ging, winkte Carly mit dem Messer in der Hand zu, ehe er seine Arbeit fortsetzte. Doch sein blasser Teint ließ Carly vermuten, das auch er kein reiner Amerikaner war.
„Julia und Landon“, Laurena deutete zuerst an den Tisch, „und die auf der Couch sind Emily, Jona, Mika und Barclay.“ Laurena seufzte. „Leute, das ist Carly.“
„Die mit dem starken ersten Auftritt“, gluckste der zweite Junge, Jona, wenn sich Carly richtig entsann.
Er hatte ebenfalls dunkelblondes Haar, etwas heller als das von Mika, und an den Seiten rasiert. Sein Gesicht war markant und sein Kinn stark ausgeprägt, was ihn etwas älter wirken ließ.
Laurena nickte Carly zu, sich mit ihr an den Tisch zu setzen. Carly folgte ihr nur zögerlich. Als sie sich Julia gegenüber gesetzt hatte, schien Laurena etwas vom Thema ablenken zu wollen.
„Du startest gleich morgen mit uns, richtig?“
Carly nickte.
„Du weißt dass um 6.30 Uhr das Training beginnt?“ „Ja.“ Carly seufzte. „Was genau umfasst dieses Training eigentlich? Joggen?“
Nun sah Landon, der bis gerade in einer Zeitung geblättert hatte, auf und lachte grunzend. „Klar, laufen. Wir sind beim Militär.“
Carly hörte förmlich die Anklage Armleuchter, in seinem Unterton. Doch diesmal riss sie sich zusammen, nicht gleich patzig zu werden.
„Und wie sieht es dann genau aus?“
Er klappte die Zeitung zu. Seine hellbraunen Augen sahen sie entnervt an. „Warmlaufen, sieben Kilometer in dreißig Minuten. Dann geht es meistens mit Kniebeugen und Liegestützen weiter. Dann geht’s zum Parcours.“
Carly war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte und fragte noch mal nach.
„Sieben Kilometer in... was? Dreißig Minuten?“
Carly war sportlich, aber das würde sie sicher nicht schaffen.
Laurena nickte. „Alle zwei Tage wird Ausdauer, Kraft und Konditionstraining gemacht. An den anderen Tagen wird nach dem Warmup mit Kampfsport weiter gemacht.“
Carly nickte zögerlich und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Dann wurde ihr etwas klar. Sie würde hier raus fliegen, nicht etwa, weil sie die Regeln missachtete, sondern weil sie es nicht schaffte. Sie würde mit ihnen nicht mithalten können.
„Weißt du schon, wo du dein Nachmittagsprogramm anfängst?“ Wollte Laurena nun wissen.
Carly nickte. „USA.“
Laurena hielt inne. „Bist du... dir sicher? Ich dachte man muss...“ „Das wird sie sicher dort absolvieren.“ Fuhr ihr Landon dazwischen.
Carly sah beide verwirrt an. „Was absolvieren?“
Keiner der beiden sagte etwas. Siljan begann den Tisch zu decken. Landon stand auf, um seine Zeitung weg zu räumen. Als Carly merkte, dass keiner der beiden ihr antworten würde, stand sie schließlich ebenfalls auf.
Laurena warf ihr ein gedrungenes Lächeln zu. „Was hast du vor?“ „Ich werde hoch gehen. Esse ja eh nicht mit.“
Siljan räusperte sich. „Alle müssen am Abendessen teilnehmen.“
„Hast du dir die Regeln nicht durchgelesen? Du hast sie schließlich unterschreiben müssen“, bemerkte Landon etwas barsch.
Carly sah ihn ihrerseits nun doch etwas mürrisch an. „Welche? Die der Einrichtung oder Bahiras Regeln?“
Wieder breitete sich Stille aus. Doch Carly wusste schon, dass sie sich nicht drücken konnte. Ob sie wollte oder nicht, sie würde dem Abendessen beiwohnen müssen.
Landon schnaubte. „Hör zu, wogegen du hier auch immer protestieren magst, es macht das Ganze weder für dich, noch für uns angenehm. Und ich halte es für fragwürdig, dass man dein Verhalten als Interessant“, nun sah er grimmig zur Couch rüber, „und witzig empfindet. Tu uns allen einen Gefallen und finde dich mit einer Situation so schnell wie möglich ab.“
Carly verschränkte die Arme grunzend vor der Brust. „Ich mache euch nicht lange Sorgen. Ich bleibe eh nicht lange.“
Mit diesen Worten drehte sie sich herum und verließ den Wohnraum. Als sie ihr Zimmer anzielte, nahm sie an der Treppe jeweils immer zwei Stufen auf einmal. Kaum das sie die Tür erreichte, schwang sie diese zu und setzte sich vor ihrem Bett auf den Boden. Heiße Tränen rannen über Carlys Gesicht. Sie hasste all das hier. Wahrscheinlich auch gut so, denn so würde sie sich nur umso mehr ins Zeug legen, hier raus zu kommen. Umso weniger sie ihre Mitglieder oder Mitbewohner oder was auch immer, mochten, umso leichter wurde das Ganze. Sie hatte hier nie neue Freundschaften schließen wollen. Sie wollte hier nicht bleiben. Wollte alles vermeiden, was nun mal auf einen festen neuen Sitz hinwies. Doch das hier war nicht der Ort, an dem Carly lebte. Nicht mehr als vier Wochen. Vier Wochen. Und sie würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihr Ziel zu erreichen. Nicht einen Tag länger würde sie bleiben und wenn sie flüchten musste.