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„Bauch vor – Gesäß zurück.“

Gestern hatten wir ein Treffen der aktuell hier an den Montagabenden und an den Zazenkais assistierenden Teilnehmer und Teilnehmerinnen, um das, was wir Körperkorrektur nennen und regelmäßig während der Sitzmeditation ausführen, zu überprüfen und neu einzuüben und so auch die neu Hinzugekommenen damit vertraut zu machen. Es war richtig spannend. Überraschend ist für mich, wie wir immer wieder neue Aspekte in und zu unserer Übungspraxis erkennen können. So auch gestern.

Dank intensiver und genauer fachkundiger Erläuterungen zum Funktionieren von Aufrichtung und der dabei beteiligten Körperteile (Wirbelsäule, Schulterblätter, Kreuzbein, Hüften, Sitzhöcker) ergaben sich für uns konkrete Folgerungen für eine körperbezogene Hilfestellung für die Übenden durch den Assistenten oder die Assistentin – als eine Unterstützung zum Lassen. Und dafür, dass, egal wie krumm und verformt die Wirbelsäule ist, jeder zu einer Aufrichtung in seinem Leibe kommen kann, in der er/sie sich in seinen/ihren Gedanken (sein) lassen kann, um hier Worte von P. Lassalle zu verwenden.

Lassen = Sein-Lassen, Sich-Sein-Lassen, das ist das Gegenteil von ichbezogenem Wollen, einem Ich-Wollen. Es ist das Gegenteil von Erreichen-Wollen, von Bessersein-Wollen, von Perfektsein-Wollen, von einem Wollen, darauf gerichtet, einem von anderen entworfenen Idealbild nachzueifern und/oder einem von und für uns selbst entworfenem Selbstbild zu entsprechen.

Der bei der „Körperkorrektur“ erfolgende Körperkontakt über die Handflächen und Fingerspitzen ist ein Spürkontakt und sollte als ein solcher und nur so, ohne weitere Anstrengung oder Bemühung oder Gedanken dazu wahrgenommen werden als ein Impuls zum Lassen, zum Lassen von (An-)Spannung und zum sich Öffnen-Lassen. Und zum Sich-Fragen-Lassen.

So ist dies eine Aufforderung, nicht uns und unseren Körper zu korrigieren. Sondern wir spüren nach, wir fühlen nach, wo sich Verspannung zeigt, sich unter Umständen als Fehlhaltung manifestiert, wo sich ein „falsches“ Bild von uns manifestiert oder wo und wie sich möglicherweise eine Lebenseinstellung und/oder Lebensführung ausgewirkt haben mag. Wir geben den betroffenen Körperregionen unsere liebevolle Aufmerksamkeit und Achtsamkeit (zurück). Immer und immer wieder. So üben wir die Aufrichtung unseres Körpers.

Und genauso üben wir aufrichtig (!) unsere innere Haltung. In liebevoller Aufrichtigkeit (!) zu uns selbst, in unserem unvollkommenen Menschsein im immerwährenden, im immer wieder neu in Gang zu setzenden Bemühen, „in vollkommener Annahme unserer selbst“, hin zu einer Wahrnehmung des sich in jedem Augenblick, mit jedem Wimpernschlag manifestierenden Friedens der Versöhnung mit uns selbst, mit all unseren Widersprüchen.

In vollkommener Reue und im vollkommenen Danken und im vollkommenen Bitten. Das zu ergründen, das zu realisieren, immer wieder neu gefordert von uns, ist ein Koan9. Ein Koan fürs Leben. Ein Lebenskoan.

Zurück zum Praktischen:

Worauf sitzen wir? Wir sitzen auf unseren Sitzhöckern. Das ist kein Sprachbild, sondern das ist die Anatomie unseres Knochenapparats. Wir können uns auf unseren abgerundeten Sitzhöckern bewegen. Wenn wir beispielsweise nur auf der Vorderkante eines Stuhls sitzen, sind wir da anders positioniert, als bequem zurück- und angelehnt.

Im Zazen sollten wir, egal ob auf dem Kissen, dem Bänkchen, Hocker oder Stuhl, „auf der Vorderkante“ sitzen und so unser Becken leicht nach vorne kippen, so dass wir unser Gewicht voll auf den Sitzhöckern ruhen lassen. Wie ein kleines Kind wölben wir so unsere Wirbelsäule auf der Höhe der Taille leicht nach vorne, und der Bauch darf und soll sich nach vorne wölben, während wir das Gesäß leicht nach hinten strecken. Das mag sich ungewohnt und komisch anfühlen. Lasst euch davon aber nicht irritieren. Es sieht euch keiner zu. Ihr müsst euch also nicht genieren. Je mehr ihr auf diese Weise die Wohltat einer solchen Aufrichtung spürt und durch die „Körperkorrektur“ immer wieder dahin zielende Impulse empfangt, umso mehr werdet ihr euch ganz natürlich in einer solchen Haltung zur Meditation setzen.

Katsuki Sekida, der sich sehr intensiv mit dem körperlichen Vollzug von Zazen befasst hat10, soll einmal eine Reihe von Grußkarten mit der Grußformel versandt haben: „Bauch vor – Gesäß zurück!“11

Ein guter Impuls! Und nimmt erst einmal auf diese Weise die Wirbelsäule die nach den Umständen relativ korrekte Haltung ein, ergibt sich von da aus das übrige ganz von allein.

Wenn ihr also korrigiert werdet, üblicherweise in der zweiten Sitzeinheit, spürt einfach den entsprechenden körperlichen Impulsen ohne Wollen und Anstrengung nach. Ihr müsst nichts machen. Ihr müsst euch nur in diesen Spürkontakt sanft hineinbegeben, also bereit zu sein, den Impuls wirken zu lassen. Das bedeutet keine Passivität, sondern ist höchste Aktivität, aber eine solche zum Lassen.

Danke!

9 Koan (jap.) ist im Zen eine Formulierung aus einem Sutra, häufiger indes die Schilderung einer Episode aus dem Leben alter Meister, sei es ihrer Aussagen in Lehrreden, sei es ihrer „Antworten“ auf Fragen ihrer Mönche oder ihrer Fragen, die sie an ihre Mönche oder einzelne Übende richteten. Ein Koan ist kein Rätsel. Es ist nicht mit dem Verstand zu „lösen“. Es fordert einen Sprung auf eine andere Ebene, auf der logisches, begriffliches Verstehen transzendiert wird.

10 Katsuki Sekida, Zen Training, 4. Auflage 2007.

11 Robert Aitken, Der Pfad des Zen, 2002, S. 35.

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