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Unruhe und Sein-Lassen

Am Wochenende las ich ein Zeitungsinterview mit Ralf Konersmann, einem Philosophen, der ein Buch über „Die Unruhe der Welt“ geschrieben hat, ein Sachbuch-Bestseller im Moment. Die Überschrift des Interviews lautete plakativ: „Stillstand“ und rührte wohl von der letzten Frage und der diesbezüglichen Antwort her. Die Frage lautete: „Also kann Ruhe nicht das Ziel sein?“, und die Antwort: „Natürlich ist Stillstand keine Option.“

Eine kaum bemerkbare und offenbar von den Beteiligten nicht registrierte Gleichsetzung von „Ruhe“ und „Stillstand“! Und das wird noch vertieft durch den späteren Satz: „Ich wüsste nicht, was das reine Nichtstun bringen sollte.“

Diese Aussagen bedürfen in mehrfacher Hinsicht aus der Sicht des Zen und der Zen-Kontemplation einer gründlichen Betrachtung und einer Entgegnung. Dies auch schon deshalb, weil wir mit dem, was wir hier (und im Leben) tun, genau auf diese Voreingenommenheit und Vereinfachung stoßen, die sich in diesem Zeitungsinterview zeigt. Das Interview und jenes philosophische Denken in – zudem auch nur sehr unsauber und unabgegrenzt benutzten – Begriffen kann nicht (und will offenbar auch nicht) wahrnehmen und wahrhaben, dass ein Mensch des wahren Nichtstuns immer auch im Tun ist. Wie mein Meister, P. Johannes Kopp (Hôun-Ken Roshi), aus seiner Verwurzelung heraus immer wieder betonte, ist es so: Es geht um das Tun, und zwar im Sinne der Worte von Jesus beim letzten Abendmahl. „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Das heißt nichts anderes als: realisiert dies selbst und seid eins mit dieser Realität, die in diesen Worten auftaucht, ohne ausschließlich an diese Worte geklammert zu sein.

Was das Nichtstun, was Stillesein „bringen“ sollte, zeigt sich in jedem von uns. Jetzt gerade hier. Gleich im Hinausgehen. Morgen früh. Und so weiter.

„Unruhe ist ansteckend“, las ich sodann in einer Leseprobe aus dem Buch „Die Unruhe der Welt“. Und wie ist dies mit der Ruhe? Jedenfalls hier in der Meditation in Gemeinschaft, stecken wir uns gegenseitig an. Und draußen? Ich denke, auch dort kann es eine solche Wirkung mindestens ein wenig geben. Vielleicht mehr, als wir ahnen.

Dass hingegen aus der Sicht des Philosophen, der von dem Phä-nomen der Unruhe als einer kultursoziologischen Erscheinung so tief fasziniert ist, dass er an einem Lexikon der Unruhe arbeitet, Ruhe Stillstand sei, diese als reines Nichtstun unnütz sei und keinen Erfolg bringen können soll, erklärt auch folgende Sätze, die er dem vorausgehend schreibt: „Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, im Paradies zu leben und das Gefälle zwischen Realität und Idealität nicht zu kennen. Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, nur eine Option zu haben, aber nicht darunter zu leiden. Wir können uns nicht vorstellen, wie es ist, wenn jemand sagt: ‚Du kannst genauso bleiben, wie du bist, es ist gut.‘ “

Doch! All das können wir uns nicht nur vorstellen. Wir möchten es in unserem tiefsten Wesen, wenn wir unser inneres Auge und unsere inneren Ohren öffnen und Begriffe wie (vermeintliche) Realität und (vorgestellte) Idealität, unsere Vorstellungen von (angeblich nur in bestimmter Weise, nämlich bei alternativen Möglichkeiten existierender) Freiheit und unsere ständigen von uns selbst oder von anderen angetriebenen Versuche, „besser“ sein zu wollen, einfach sein lassen. Seinlassen, was sie allesamt in Wirklichkeit oftmals nur sind, nämlich Hindernisse für unser schlichtes, situationsgerechtes, mitfühlendes und weise präsentes Menschsein, das sich verwirklichen will.

Dies zu durchschauen und es Sein-Lassen eröffnet Leben ohne Gefälle zwischen Haben und Sein, eröffnet Erfahrung von Freiheit und Angstlosigkeit, auch wenn wir keine anderen Optionen haben, wie zum Beispiel in der letztlich für uns alle schwierigsten Situation des Sterbenmüssens. Sein-Lassen will uns die wundervoll von ganz tief herkommende und uns berührende Möglichkeit der Erfahrung von: „Es ist gut so, so wie du gerade bist“ schenken.

„Und er sah, dass es gut war“, so heißt es im biblischen Schöpfungsbericht der Genesis (Genesis 1, 1-2, 4a).

Dahin zu kommen, geht in einem immer mehr zentrierten Üben und Leben, welches nicht „abgestoßen [ist] vom Hier, auf der Flucht … zerstäubt in einem Schwarm der Aufmerksamkeiten, in einem dezentrierten Leben“, wie in unserem Interview vom Reporter aus der Vermächtnisschrift von Roger Willemsen „Wer wir waren“ zitiert wird.

Kein „Schwarm von Aufmerksamkeiten“ also, sondern nur eine Aufmerksamkeit auf das „Gerade dies“ des Zen-Meisters Yunyan27 zu Dongshan28.

Dazu ist folgendes überliefert29:

Nachdem Dongshan bei Yunyan einige Zeit Zen geübt hatte, fragte er kurz vor seiner Abreise auf dem Weg zu anderen Zen-Meistern Yunyan: „Wenn ich später einmal aufgefordert werden sollte, Eure Realisierung und Euer Lehren zu beschreiben, was soll ich antworten?“ Nach einer gewissen Pause sagte Yunyan: „Just this is it.“

In der Erzählung heißt es weiter, dass Dongshan daraufhin in Gedanken verloren war und Yunyan ihm mitgab: „Du bist nun für diese große Sache verantwortlich; sei äußerst gründlich.“ Ohne weiteren Kommentar verließ Dongshan das Kloster. Später musste er einen Fluss durchwaten. Er schaute auf das Wasser, sah sein Spiegelbild darin und erwachte zur Bedeutung seines Austausches mit Yunyan. Daraufhin schrieb er die folgenden berühmten Zeilen:

„Just don’t seek from others, or you’ll be far estranged from self.

I now go alone; everywhere I meet it.

It is now me; I now am not it.

One must understand in this way to merge with suchness.”

Dieses „dies“, dieses „es“ sollten auch wir ergründen, wenn wir uns für diese große Sache verantwortlich zeigen wollen. Ergründen „wie ein neu geborenes Kind“, von dem Dongshan in seinem späteren Gedicht, dem Hôkyo Zanmai, schreibt30:

Like facing a jewel mirror; form and function behold each other.

You are not it; but in truth it is you.

Like a newborn child, it is fully endowed with five aspects:

No going, no coming, no arising, no abiding;

“Baba wawa” – is anything said or not?

In the end it says nothing, for the words are not yet right.

Ganz in Ruhe!

27 807-869 n. Chr.; jap.: Tôzan Ryôkai.

28 780-841 n. Chr.; jap.: Ungan Donjô.

29 Vgl. Taigen Dan Leighton, in: „Just this is it – Dongshan and the Practice of Suchness“, 2015, S. 34, m.w.N.

30 Vgl. dazu in: Finde tiefen Glauben in dir selbst – ZEN-Koans in heutiger Zeit, 2018, S. 356, m.w.N.

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