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Ins tiefe Wasser hinein

An dem letzten Abend vor 14 Tagen habe ich ein Koan von einem Zen-Meister Baso in der Fassung eines zeitgenössischen amerikanischen Zen-Lehrers, Robert E. Kennedy, vorgetragen. Es ging um die „letzte“ Wahrheit, und es ging um Suppe. Und es ging darum, dass der Suchende die Wahrheit der Suppe nicht erfasste und ihren Geschmack so verpasste. Sehr einprägsam!

Heute möchte ich Kennedy noch einmal heranziehen, weil er in einem weiteren Kapitel sehr gut herausarbeitet, was Zen eigentlich ist und worum es dabei für den Übenden und den Lehrenden in Wirklichkeit geht. In dem Kapitel „Lehren“ schreibt er:

„Zen ist keine spezielle Art des Lebens. Es ist das Leben selbst, wie der einzelne es auf seine notwendigerweise begrenzte Art lebt. Genau dieser Geist, der verwirrt ist und nicht versteht, ist der Buddha-Geist. Es gibt keinen anderen.

Weil Zen das Leben selbst ist, führt der Lehrer den Schüler von jeder Antwort auf das Leben weg. Wenn der Schüler das Absolute betont, erinnert ihn der Lehrer an das Relative. Wenn der Schüler vom Außergewöhnlichen spricht, antwortet der Lehrer in verstandesmäßigen Begriffen. Der Lehrer ist sich dessen bewusst, dass der Schüler oft nach einer Antwort sucht, einem sicheren Hafen, einem Paket, das er auswickeln, mit nach Hause und in ein Wandregal stellen kann. Und wenn das Thema des Schülers Heiligkeit ist, betont der Lehrer das Weltliche, wenn es das Weltliche ist, betont er die Heiligkeit. Der Lehrer stößt den Schüler immer heimlich von der Oberfläche in die Mitte des Lebens.“54

Ja. Genauso ist es! So und nicht anders.

Kennedy fährt fort:

„In gewisser Weise erinnert mich die Geschichte der Zen-Lehrer, wie sie heimlich ihre Schüler von sicheren Häfen in die Hauptströ-mung des Lebens stoßen, an Jesus. Als Jesus seine Jünger rief, sagte er: ‚Fahret hinaus ins tiefe Wasser und werfet eure Netze zum Fang aus‘ (Lk 5, 4) Diese Worte Jesu sind heute an uns gerichtet:

‚Fahre hinaus ins tiefe Wasser …‘

‚Danke, Herr, für deine Einladung. Ich schätze es wirklich, aber sieh, ich bin ein oberflächlicher Typ Mensch. Ich mag das Vertraute, die Dinge in der Nähe meines Heims. Ich bin ein Gewohnheitsmensch, glaube ich. Aber ich bin dankbar, dass du an mich gedacht hast.‘

‚Fahre hinaus ins tiefe Wasser …‘

‚Herr, du hörst nicht zu. Ich erkläre dir, dass tiefes Wasser nichts für mich ist. Sieh, ich habe es einmal versucht, ganz jung und voller Idealismus, und es war schrecklich. Ich kann keinen Misserfolg mehr ertragen. Bitte, beauftrage jemand anderen.‘

‚Fahre hinaus ins tiefe Wasser …‘

‚Hör auf! Hör auf, mich zu quälen! Siehst du nicht, dass ich es nicht tun kann? ich bin nicht gut genug. Lass mich in Ruhe!‘

‚Fahre hinaus ins tiefe Wasser …‘

Und so werden uns alle großen Lehrer aller Traditionen keine vorgefertigte Antwort oder einen behaglichen Hafen liefern.“55


Ich möchte das Bild des tiefen Wassers noch intensivieren und dazu eines der „Vermischten Koans“ heranziehen, welches so lautet:

„In der See von Ise, 10.000 Fuß tief, liegt ein Stein auf dem Grund; ich würde ihn gerne heraufholen, ohne meine Hände nass zu machen.“

Dies ist ein Koan, mit dem ein Schüler oder eine Schülerin, der den Koan-Weg geht, in seiner Schulung, nachdem er das Grund-Koan „Jôshûs MU“ bewältigt hat, konfrontiert wird. Ein solcher Zen-Schüler, eine solche Zen-Schülerin ist daher schon so weit auf dem Weg gegangen, dass sie oder er motiviert ist, weit hinaus zu fahren dorthin, wo das Wasser tief ist. Mehr noch, dann in die Tiefe hinein zu fallen, in die Tiefe seines/ihres Wesens. Aber wie? Wie soll man das machen, ohne sich die Hände nass zu machen. „Ich möchte schon …“ „Aber irgendwie, … ich weiß auch nicht …“

Im Dialog bei Kennedy zur Aufforderung von Jesus an uns werden im Einzelnen verschiedene Argumente, Widerstände, Entschuldigungen und Ausweichmanöver geschildert, die uns allen, wenn es für uns irgendwo – wie man so schön sagt – ans Eingemachte geht, irgendwie vertraut sind. Stimmt’s?

In dem Koan zu dem Stein in der tiefen See von Ise, die es wirklich gibt und die tatsächlich sehr tief ist, haben wir eine Situation, die schon weiter fortgeschritten ist. Wie ich es schon sagte, geht es dem Schüler, der Schülerin damit etwa so: Ich würde gerne, aber wie? Wie soll ich das schaffen können?

Die alten Meister haben immer wieder darauf hingewiesen: 100 Meter Erklärungen sind nicht mit 10 Zentimetern Praxis zu vergleichen.

1 Meter Darlegung gleicht nicht 1 Zentimeter Praxis.56 Praktizieren wir also das, was nicht erklärt werden kann.

An diesem Punkt möchte ich abbrechen und euch mit der Aufforderung des Lukas-Evangeliums. „Fahret hinaus ins tiefe Wasser“ und mit dem Koan zur tiefen See von Ise in die Woche entlassen. Wie zitierte ich vorhin? „Genau dieser Geist, der verwirrt ist und nicht versteht, ist der Buddha-Geist. Es gibt keinen anderen.“ Sorgt euch nicht darum!

Danke!

54 Robert E. Kennedy, Zen Spirit – Mystische Wege zu Gott, 1997, S. 89 f.

55 A.a.O., S. 91 f. Alle Zitate an die neue Rechtschreibung angepasst.

56 Vgl. Dôgen Zenji, Eihei Koroku, Volume 1, Nr. 10, S. 81. Wörtlich lautet seine Darlegung dazu:

Therefore among the ancients, Daci said, “Expounding one yard does not equal practicing one foot. Expounding one foot does not equal practicing one inch.”

Dongshan said, “Practice that which cannot be expounded. Expound that which cannot be practiced.”

Yunju said, “When expounding there is no path of practice. When practicing there is no path of expounding. When neither expounding or practicing, what kind of path is that?”

Luopu said, “If both practice and expounding arrive, there is no original matter. If neither practice or expounding arrive, the original matter exists.”

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