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Einleitung

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The „deadliest enemy of the British Empire“

Winston Churchill über Amin el-Husseini, The Times v. 6. Juli 1974

Um die Unterstützung der Araber im Ersten Weltkrieg zu erhalten, handelte 1915 Sir Henry McMahon, der britische Hochkommissar in Ägypten, im Auftrag seiner Regierung eine Vereinbarung mit Hussein, dem Sherifen von Mekka, aus, der seinerseits die Anerkennung der Unabhängigkeit aller arabischen Gebiete des osmanischen Reichs forderte. Im Briefwechsel zwischen den beiden wird Palästina jedoch nicht erwähnt – aus gutem Grund, wie es scheint, denn im Jahr darauf kam das zunächst geheimgehaltene Sykes-Picot-Abkommen zustande. Dieses trug zur Aufteilung des Nahen Osten zwischen Großbritannien und Frankreich bei und sah für Palästina eine internationale Verwaltung vor. Zudem stellte die Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 eine vage Zusicherung dar, daß die Regierung in London die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen betrachte.

Wie die meisten Bewohner des damaligen Palästinas, das die Gebiete des heutigen Staates Israel, den Gazastreifen, das Westjordanland, Teile der Golanhöhen und das Königreich Jordanien umschloß, fühlte sich der etwa um 1895 geborene Haj Muhammad Amin el-Husseini, der 1921 Mufti von Jerusalem wurde, von den Briten verraten. Er hatte nie die Erfahrung gemacht, als freier Bürger in einem politisch unabhängigen Land zu leben und konnte sich nur schwer den Alleingang Palästinas in die Unabhängigkeit vorstellen. Hierin lag sein ganzes Bestreben um den Panarabismus begründet. Diese Hoffnungen wurden nach dem Ersten Weltkrieg zunichte gemacht, da London offensichtlich nicht daran dachte, seine Kriegsversprechungen einzuhalten. Die türkische Herrschaft wurde durch die britische abgelöst, die in vielerlei Hinsicht bemüht war, den Status quo beizubehalten, aber gewisse Privilegien, die den palästinensischen Notabeln im Rahmen des sanjaq (Verwaltungsbezirk) eingeräumt worden waren, galten teilweise nicht mehr.

Der Nationalismus, der auch von el-Husseini eifrig verfochten wurde, sah eigentlich keine Unabhängigkeit Palästinas, sondern den Anschluß an Syrien vor. Auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt dieser Anschluß keine bedeutende Rolle mehr spielte, suchte er nach wie vor die Unterstützung eines starken politischen Partners. Seine panarabischen Tendenzen verbargen in sich auch den Wunsch nach Verbündeten und dadurch, daß jedes einzelne arabische Land seine eigenen Ziele verfolgte, ergab sich für el-Husseini die Möglichkeit, zum eigenen Vorteil das eine Land gegen das andere auszuspielen.

Als Abkömmling einer großen und bekannten Notabelnfamilie sprachen ihn die nationalistischen Bewegungen in Europa durchaus an, so daß er recht früh zunächst zum italienischen und dann zum deutschen Faschismus Kontakte aufnahm. Kaum hatte Hitler die Macht in Deutschland ergriffen, da knüpfte der Mufti auch schon die ersten diplomatischen Beziehungen an. Den arabischen Staaten war jede Verbindung zum nationalsozialistischen Deutschland lieber als eine Zusammenarbeit mit dem für sie suspekten Italien; sie vertraten die Meinung, Deutschland habe nie Anspruch auf arabisches Gebiet erhoben. Indem der Mufti die Aufhebung des britischen Mandats forderte, war er zumindest theoretisch bereit, sein Land in eine noch größere Abhängigkeit zu geben, sei es durch eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland oder durch den politischen Anschluß an andere arabische Länder, die gleichfalls mit Deutschland sympathisiert.

Die vorliegende Untersuchung soll aufzeigen, daß der vielgerühmten traditionellen deutsch-arabischen Freundschaft von den Nationalsozialisten wenig Beachtung beigemessen wurde. Deutschlands Politik sah zunächst keine Änderung des britischen Status quo vor. Die Araber bewunderten das starke Deutschland mit seinen Jugendbewegungen und seinem Antisemitismus, nahmen aber kaum zur Kenntnis, daß die Nationalsozialisten ihrerseits die Unterwerfung anderer Völker durch die „nordische Rasse“ befürworteten. Für die Nationalsozialisten waren letztendlich die Araber Semiten wie die Juden. Immer wieder ging die Initiative zur Zusammenarbeit vom Mufti aus; und daran änderte sich auch nichts nach seiner Ankunft in den Ländern der Achse. Hitler machte keinerlei Versprechungen und war auch nicht bereit, irgendwelche Erklärungen hinsichtlich einer arabischen Unabhängigkeit abzugeben.

Von verschiedenen Seiten wurde wiederholt behauptet, der Mufti habe keine andere Wahl gehabt als nach Deutschland zu fliehen. Dies entspricht keinesfalls den Tatsachen. Es hätte durchaus zu einer Verständigung mit den Briten kommen können, die den Mufti für denjenigen hielten, der Palästina den Frieden bringen könnte; aber er verfolgte statt dessen subversive Ziele, um die pro-britische Regierung im Irak zugunsten einer Pro-Achsen-Regierung zu stürzen.

Um den Mufti reinzuwaschen, neigen einige arabische Autoren dazu, darauf hinzuweisen, die Nationalsozialisten hätten den Mufti ignoriert, so daß es kaum zu einer Zusammenarbeit kommen konnte. Diese Vorstellung entsprach ganz und gar dem Wunschdenken der Deutschen, die durch el-Husseinis Aufenthalt in Europa eher in Verlegenheit gebracht wurden. Der Mufti ließ sich jedoch nicht von seinem Vorhaben abbringen. Erst als sich Deutschland aus den besetzten Gebieten Osteuropas zurückziehen mußte und politisch nach jedem Strohhalm griff, kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Mufti und Himmler, wobei el-Husseini mit aller Macht Deutschland bei der Aufstellung moslemischer Einheiten für die Waffen-SS unterstützte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt selbst nicht mehr an den deutschen Endsieg glaubte. Diese Arbeit will besonders auf die enge Verbindung el-Husseinis zur SS, die durch ein freundschaftliches Verhältnis zu Himmler gekennzeichnet war, eingehen.

Ferner wird aufgezeigt, daß die Politik der Achsenmächte mit dem politischen und weltanschaulichen Kalkül des Mufti übereinstimmte. Die Zusammenarbeit geschah in einem weitaus größeren Umfang als die Apologeten des Mufti zugeben wollen; hierbei wurde von deutscher Seite keinerlei Zwang auf el-Husseini ausgeübt. Er bot sich geradezu an und gab sich keinesfalls mit den kleineren propagandistischen Aufgaben zufrieden, die ihm die deutsche Abwehr übertrug. El-Husseini war das willfährige Werkzeug der Nationalsozialisten, das sich hauptsächlich Gedanken um die eigene Position machte. Ihm ging es im wesentlichen darum, von den Deutschen eine Art schriftliche Bestätigung über die arabische Unabhängigkeit zu bekommen, die er als Freibrief für seine eigene politische Zukunft benötigte. Wie auch von kritischen arabischen Autoren zugegeben wird, kann es ihm unmöglich entgangen sein, daß ein Sieg der Achsenmächte zu einem weitaus strengeren Regime in den Ländern des Nahen Ostens als unter den Briten und Franzosen geführt hätte.

In den späten vierziger Jahren waren die weitgehenden politischen Aktivitäten el-Husseinis im Dritten Reich Gegenstand diverser Arbeiten und Berichte, die größtenteils von jüdischer und arabischer Seite stammten und somit sehr oft politischer Unparteilichkeit entbehrten. In Anbetracht der Ungeheuerlichkeit des nationalsozialistischen Regimes wären auch zu diesem Zeitpunkt weniger emotionelle Erörterungen kaum denkbar gewesen. Die Sympathien der Weltöffentlichkeit galten den Juden, während sich die Araber – nicht zuletzt wegen ihrer prodeutschen Haltung im Krieg – in der Defensive befanden: Daß auch einer der ihren an den Greueltaten der Nationalsozialisten hätte beteiligt sein können, war für sie völlig unakzeptabel.

Zu den Autoren, die in den ersten Nachkriegsjahren über den Mufti von Jerusalem schrieben, gehörten Pearlman (1947) und Wiesenthal (1947). Arabischerseits wurden Artikel über und Interviews mit el-Husseini veröffentlicht, die oft um eine Rechtfertigung seines Verhaltens bemüht waren. Hier ist besonders das vom Arab Office in Washington herausgegebene „Arab News Bulletin“ vom 14. Oktober 1946 hervorzuheben.

Die Tatsache, daß el-Husseini von den Alliierten aus politischem Kalkül ungestraft blieb, wurde von seinen arabischen Sympathisanten als Beweis seiner Schuldlosigkeit dargestellt. Dies mag durchaus eine Art Trotzreaktion gewesen sein. Die vorliegende Arbeit möchte zusätzlich klarstellen, daß es schließlich die Araber selbst waren, die am Ende den Mufti aufgrund seiner politischen Intransigenz und nicht zuletzt wegen seiner Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten zur Bedeutungslosigkeit verurteilten. Auch dies sollte als Eingeständnis seiner Schuld zu verstehen sein.

Nach Bearbeitung veröffentlichter sowie unveröffentlichter Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes (AA) erschien in den 1960er Jahren eine Reihe von Untersuchungen, die sich teilweise mit der Kollaboration el-Husseinis mit den Nationalsozialisten befaßten. Besonders erwähnenswert sind hierzu die Arbeiten von Schechtman (1965), Tillmann (1965), Hirszowicz (1966) und Grobba (1967), obwohl auch diesen Autoren Einseitigkeit in ihren Darstellungen vorgeworfen wird. Erst ab 1970 schien es möglich, den Mufti zumindest mit einem gewissen Abstand zu betrachten, jedoch brachten die Arbeiten von Khadduri (1973) und DeLuca (1979) keine neuen Erkenntnisse. Khadduri ging kaum auf die Zusammenarbeit el-Husseinis mit den Nationalsozialisten ein, während DeLuca eine ausgewogene Darstellung lieferte, die allerdings nur auf den bereits bekannten Quellen basierte.

Ein 1983 erschienener Artikel von Carpi ist offensichtlich sehr um Objektivität bemüht. Er machte es sich zur Aufgabe, die Aktivitäten des Mufti an Hand der italienischen Dokumente zu untersuchen, wobei auch er zwangsläufig zu der Schlußfolgerung kommt, daß el-Husseini als Zeuge des Verfalls des italienischen Faschismus, der ruhmlos zu Ende ging und Leid und Blutvergießen verursachte, nichts aus dieser Erfahrung lernte, sondern sich vielmehr noch enger an die Erbarmungslosesten der NS-Größen band.

Weitaus weniger objektiv ist die Dissertation von Mattar (1981), der seinerseits bemängelt, daß es bei den Arbeiten über el-Husseini an Originalität fehle, weswegen er viele Autoren des Plagiats beschuldigt. Es handele sich entweder um Zionisten, die den Mufti verleumden wollen, oder um arabische Nationalisten, die ihn zu glorifizieren versuchen. Der Eindruck entsteht jedoch, daß auch Mattar selbst keinesfalls unparteiisch ist. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefert er nicht, und eine Vielzahl seiner „Informationen“ basieren auf Gesprächen mit Angehörigen der Familie el-Husseinis. Die bisherigen Arbeiten über die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten hält Mattar für übertrieben und gibt lediglich zu, daß die propagandistischen Äußerungen des Mufti während der nationalsozialistischen Herrschaft doch belegen, daß er nicht nur anti-zionistisch war, wie er immer von sich behauptete, sondern auch anti-jüdisch. Ansonsten macht auch Mattar von dem bekannten Argument Gebrauch, die Nationalsozialisten benötigten bei der Vernichtung der Juden weder die Inspiration noch die Unterstützung eines el-Husseini. Es ist nicht zu leugnen, daß der Mufti gegen die Auswanderung der Juden aus den von Deutschland besetzten Gebieten nach Palästina protestierte und statt dessen Polen als das ideale Endziel vorschlug, aber für Mattar sind die Vorwürfe gegen el-Husseini erst dann aufrechtzuerhalten, wenn die Beweise erbracht werden, daß die betreffenden Juden tatsächlich in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Die militärischen Aktivitäten des Mufti für das Dritte Reich werden von Mattar ebenfalls nur am Rande erwähnt, als hätten sie im Rahmen einer Zusammenarbeit keinerlei Bedeutung. Alles in allem versucht er, sämtliche Beweise gegen den Mufti in Frage zu stellen.

Eine 1982 erschienene Dissertation von Ibara bezieht sich lediglich auf die Jahre des Mufti von 1921 bis 1937 in Palästina. Auch Elpeleg konzentriert sich hauptsächlich auf die Aktivitäten el-Husseinis im Nahen Osten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, aber seine relativ kurze Abhandlung des Aufenthalts im nationalsozialistischen Deutschland ist durchaus objektiv. Er kommt zu dem Ergebnis, daß der Mufti nicht nur anti-zionistisch war, sondern absolut anti-jüdisch. Manche Autoren, die über die Geschichte der Palästinenser und den israelisch-palästinensischen Konflikt schreiben, verklären den Mufti oder erwähnen ihn nur als unbedeutende Marginalie oder legen ganz einfach den Mantel des Schweigens über ihn. Im wissenschaftlichen Kontext, wenn es darum geht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, überwiegt bei diesen Autoren offensichtlich die eigene subjektive Wahrnehmung historischer Fakten.

Während sich der palästinensische Autor Suleiman Abu Dayyeh (1999) durchaus kritisch mit dem Mufti auseinandersetzt, indem er ihm u.a. Vernachlässigung der Nationalbewegung in Palästina, Überschätzung der eigenen Bedeutung, mangelnden Realismus sowie die Unfähigkeit, eine Kompromißlösung der palästinensischen Angelegenheit in Betracht zu ziehen, vorwirft, überbieten sich deutsche Mufti-Apologeten in Eindimensionalität frei nach dem Motto: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“ Im erweiterten Kontext stellt der Islamwissenschaftler Bassam Tibi zu Recht die Frage: „Warum reden deutsche Islam-Experten, die unablässig Verständnis für die islamische Kultur predigen, nicht auch von den Gefahren des Judenhasses, der nicht zuletzt in der deutschen Islam-Diaspora allgegenwärtig ist?“1 Im akademischen Diskurs scheint die dominante Frage zu sein, ob Amin el-Husseini eher als arabischer Nationalist oder eher als Islamist einzustufen sei. In diesem Punkt wird der zeitweise etwas weltfremd anmutende Charakter der Diskussion besonders deutlich.

2002 erschien das Buch „Djihad und Judenhaß“ von dem Politikwissenschaftler Matthias Küntzel, der nachweist, daß der arabische Antisemitismus nicht nur eine Beigabe zum gegenwärtigen Djihadismus darstellt, sondern auch dessen Kernthese ist. Im Epilog seines Buches, dem er den Titel „Der Mufti und die Deutschen“ gab, zeigt er deutlich, wie die Kollaboration von Amin el-Husseini mit den Nationalsozialisten im deutschen wissenschaftlichen oder medialen Diskurs zur reinen Geschichtsklitterung degeneriert. In einer Forschungsarbeit von 2006 präsentieren die Historiker Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers von der Forschungsstelle Ludwigsburg wichtige und bisher nicht bekannte Fakten über die Aktivitäten el-Husseinis und dokumentieren schwerpunktmäßig die entscheidende Kriegsphase Deutschlands im Nahen Osten und in Nordafrika von 1941/42. Sie belegen eindrucksvoll, daß nach einem Sieg Rommels gegen Montgomery ein SS-Einsatzkommando den Auftrag erhalten hätte, alle Juden in Palästina zu ermorden.

In Anbetracht der umfangreichen ausländischen Literatur über el-Husseini schien es dem Verfasser der vorliegenden Arbeit erforderlich, daß eine ausführliche deutsche Stellungnahme zu dem Ausmaß der umstrittenen Zusammenarbeit des Mufti mit den Nationalsozialisten erscheinen sollte. Bestand Zweifel an der Unverfälschtheit einzelner Dokumente, die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst von den Alliierten ins Ausland gebracht wurden, so ließ sich der Verfasser deren Echtheit vom Bundesarchiv – Abt. Militärarchiv in Freiburg i. Br. bestätigen.

Der Mufti von Jerusalem

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